… was nicht zusammen gehört – Polizei und Geheimdienste kooperieren gegen Ausländer

von Mark Holzberger

Bei der Bekämpfung der unerlaubten Einwanderung bzw. „terrorverdächtiger“ AusländerInnen arbeiten deutsche Polizeibehörden und Geheimdienste inzwischen eng zusammen.

Den ersten Schritt in diese Richtung unternahm das Bayerische Staatsministerium des Inneren (StMI), als es im Herbst 2004 die Arbeitsgruppe BIRGiT ins Leben rief.[1] BIRGiT steht für „beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus/Extremismus“. Die Arbeitsgruppe trifft sich etwa alle zwei Wochen. Neben dem StMI gehören ihr zunächst die Ausländerbehörden der Städte München und Nürnberg sowie der Bezirksregierungen Oberbayern und Mittelfranken an. Bei denen hatte das StMI im Juli 2005 eigens die Zuständigkeiten für Ausweisungsverfügungen und Überwachungsmaßnahmen (§ 54a Aufenthaltsgesetz, AufenthG) konzentriert.[2] Weil „die meisten Gefährderfälle einen Asylbezug haben“, ist auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beteiligt.[3] Mit von der Partie sind ferner VertreterInnen des Landeskriminalamts (LKA) und des Landes­amts für Verfassungsschutz (LfV). Anlassbezogen werden auch die Landesanwaltschaft sowie andere bayerische Behörden und Kommunen hinzugezogen.

Hauptziel der AG BIRGiT ist es, sog. Gefährder unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten zur Ausreise aus Deutschland zu bewegen. Wenn eine Ausreise rechtlich (noch) nicht möglich sein sollte, so will die Arbeitsgruppe den Handlungsspielraum der betroffenen Person so weit wie möglich einschränken.

Sie kann sich dabei auf die verschärften Ausweisungs- und Überwachungsmöglichkeiten stützen, die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (2002) und dem Zuwanderungsgesetz (2005) eingeführt wurden:

  • Gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG werden AusländerInnen „in der Regel“ ausgewiesen, wenn „Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen“, dass sie einer terroristischen bzw. extremistischen Vereinigung angehören oder sie unterstützen. Ein strafrechtlicher Nachweis ist nicht erforderlich, Geheimdienstinformationen sind hingegen unmittelbar nutzbar.
  • 54 Nr. 6 AufenthG sieht eine „Regelausweisung“ auch vor, wenn AusländerInnen bei einer sog. sicherheitsrechtlichen Befragung unvollständige Angaben machen.
  • Aufgrund eines Vorschlags, den Bayern in die Verhandlungen um das Zuwanderungsgesetz eingespeist hatte, können schließlich nach § 54a AufenthG AusländerInnen, die zwar des Terrorismus/Ex­tre­mis­mus verdächtigt werden, bei denen aber (menschen)rechtliche Abschiebehindernissen bestehen, mit Aufenthaltsbeschränkungen belegt oder Überwachungsmaßnahmen unterworfen werden.[4]

Die AG BIRGiT geht folgendermaßen vor: In einer Vorbereitungsphase werden mögliche „Gefährder“ identifiziert und deren angebliches Gefährdungspotential analysiert. Dabei gilt das „Mündlichkeitsprinzip“. In einer Fallbesprechung tauschen die beteiligten Behörden die Erkenntnisse aus und entscheiden, ob die Arbeitsgruppe den Fall behandeln soll. Wenn ja, wird aus den Informationen von LKA und LfV eine schriftliche „Erkenntnismitteilung“ gefertigt, auf deren Grundlage die zuständige Ausländerbehörde dann eine Ausweisung verfügen soll. Wenn möglich, koordiniert die AG BIRGiT deren Sofortvollzug. Wenn Abschiebungshindernisse bestehen, stimmen die Behörden in der Arbeitsgruppe Aufenthaltsbeschränkungen und Überwachungsmaßnahmen ab. In regelmäßigen Abständen überprüft die AG die einzelnen Vorgänge und steuert gegebenenfalls nach.

Das StMI ist hoch zufrieden: Bis März 2006 hat die AG BIRGiT über 60 Fälle bearbeitet und 48 Ausweisungsbescheide produziert. In 28 Fällen wurden die Betroffenen abgeschoben, in 14 Fällen Maßnahmen nach § 54a AufenthG angeordnet. Mit diesen Aufenthaltsbeschränkungen und Überwachungsmaßnahmen habe man in Bayern „positive Erfahrungen“ gemacht. Der auf die Betroffenen ausgeübte Druck befördere deren Motivation zur „freiwilligen“ Ausreise „ganz erheblich“.[5]

Das enge und vernetzte Zusammenwirken der beteiligten Behörden habe sich bewährt: MitarbeiterInnen verschiedener Behörden an einen Tisch zu setzen, führe zu einer erheblichen Verfahrensbeschleunigung, zur Minimierung von Koordinationsproblemen und Informationsverlusten und damit letztlich zur Qualitätssteigerung der aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund preist Bayern seine Arbeitsgruppe als Modell für die gesamte Republik an.

AG Status

Der Ruf aus München wurde in Berlin erhört: Im Juni 2005 richtete das Bundesinnenministerium (BMI) im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) eine Arbeitsgruppe „Statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ (AG Status) ein.[6] Ständig vertreten sind darin neben dem federführenden BAMF (mit mindestens drei MitarbeiterInnen), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA; mit jeweils mindestens zwei Personen). Anlassbezogen werden die Bundespolizei, die Bundesanwaltschaft, Landeskriminalämter und Landesämter für Verfassungsschutz sowie diverse Ausländerbehörden beteiligt. Bis März 2006 hatte die Gruppe ca. 80 Fälle bearbeitet.

  • In 20 Fällen leitete das BAMF auf Empfehlung der AG ein Verfahren zum Widerruf bzw. zur Rücknahme einer Asyl-/Flüchtlingsaner­ken­nung ein. Derzeit sind aber nur fünf dieser Widerrufe bestandskräftig. Nach Angaben der Bundesregierung wurde bisher keine der betroffenen Personen abgeschoben.[7]
  • In 17 Fällen empfahl die Arbeitsgruppe Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung. In weiteren 32 Fällen seien laut BMI-Auskunft die zuständigen Ausländerbehörden von sich aus aktiv geworden und hätten Ausweisungsverfügungen verhängt.
  • Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG hat die AG Status nur einmal empfohlen.
  • In 11 Fällen initiierte sie eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem zur Verhinderung der (Wieder-)Einreise.
  • Maßnahmen zur Verhinderung oder Rücknahme einer Einbürgerung hat die AG Status bisher noch nicht angeregt.

In drei Bundesländern bestehen mittlerweile ähnliche Gremien: in Hamburg die Anti-Terrorismuskoordinierungsgruppe, in Rheinland-Pfalz die Arbeitsgruppe zur Rückführung ausländischer Gefährder und in Nordrhein-Westfalen die sog. Sicherheitskonferenz. Unklar ist, ob Geheimdienste – konkret: das jeweilige LfV – unmittelbar beteiligt sind.[8]

Irreguläre Migration, Terrorismus und die Geheimdienste

Auf EU-Ebene werden derzeit grenzpolizeiliche und nachrichtendienstliche Aktivitäten miteinander verschmolzen: Die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX soll nicht nur Informationen nationaler Geheimdienste verarbeiten. Bei ihr findet auch eine – geheimdienstlich untersetzte – Verknüpfung von Grenzschutz und Terrorismusbekämpfung statt.[9]

Unter den deutschen Diensten befasst sich insbesondere der BND seit längerem mit Fragen der unerlaubten Zuwanderung – wenn auch mit teilweise veränderten Bewertungen. Auf einem Symposium 1999 sah der BND in der „illegalen Migration“ ein „globales Phänomen, das die innere Stabilität zahlreicher Länder bedroht. Die Perspektiven sind ungünstiger denn je.“[10] Zwei Jahre später erschien ihm die unerlaubte Zuwanderung vor allem als potentielle Bedrohung für Wohlstand, soziale Stabilität und die außenpolitische Handlungsfähigkeit.[11] Heute wiederum verkündet August Hanning, bis 2005 BND-Präsident und jetzt Staatssekretär im BMI: Irreguläre Migration sei „eine der gegenwärtig größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft“.[12]

Hannings Nachfolger beim BND, Ernst Uhrlau, hält die „Implikationen zwischen Terrorismus und der illegalen Migration“ für „deutlich geringer als gemeinhin vermutet.“[13] Insbesondere sieht er „keine erkennbare und zwingende Kausalität zwischen illegaler Migration und islamistisch motiviertem Terrorismus. Es handelt sich um prinzipiell verschiedene Phänomene.“ Allerdings gäbe es eine „relativ kleine, aber gefährliche Schnittmenge“ in Form einer „gewissen Konvergenz beim Aufbau und der Vorgehensweise“. Zudem hätten sich gegenseitige Geschäftskontakte (z.B. in der Fälschungsbranche) ergeben. Insofern könnte für den BND z.B. in der „gezielten Ausschaltung einschlägiger Dokumentenfälscher ein interessanter Ansatz zur Bekämpfung des Internationalen Terrorismus und der illegalen Migration liegen“.

GASIM

Im Mai 2006 hat das BMI nun das „Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration“ (GASIM) eingerichtet. GASIM ersetzte damit das „Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum Schleusungskriminalität“ (GASS), das erst im November 2004 unter gemeinsamer Regie des BKA und des damaligen Bundesgrenzschutzes (BGS) seine Arbeit aufgenommen hatte. Das GASS sollte zwar Erkenntnisse von BKA und BGS mit denen des BND und des BfV „verknüpfen“.[14] Eine feste Einbindung der Geheimdienste gab es jedoch noch nicht. Diese wurde erst mit der Einrichtung des neuen Zentrums realisiert. Bei GASIM arbeiten derzeit 33 BeamtInnen des BKA, der Bundespolizei, des BAMF, der Zollverwaltungen (Finanzkontrolle Schwarzarbeit), des BND und des BfV ohne Umwege zusammen.

In einer Presseerklärung vom 17. Juli 2006 erklärte das BMI, Ziel von GASIM sei es, der unerlaubten Zuwanderung im Rahmen einer „institutionalisierten, behördenübergreifenden Informations-, Koordinations- und Kooperationsplattform“ mit „operativ und mit strategisch ausgerichteten und konzeptionell fundierten Maßnahmen wirksam entgegenzutreten.“

Auf Nachfrage der Linksfraktion bestritt das BMI nur einen Monat später, dass das GASIM operative Maßnahmen tatsächlich durchführen würde.[15] Worin denn nun genau der operative Beitrag des Zentrums besteht, ließ das BMI offen. Gleiches gilt für die „anlass- und aufgabenbezogene Kooperation“ von GASIM und GTAZ, die das Ministerium vorher bestätigt hatte. Auch die Erklärung, „im GASIM als solchem werden keine Daten gespeichert“, ist zumindest fragwürdig: Denn die beteiligten Behörden führen in diesem Zentrum ihre jeweiligen Erkenntnisse zum Komplex der irregulären Migration zusammen und generieren dadurch teilweise ganz neue Daten bzw. ganze Analysedateien. Für die analoge „projektmäßige Zusammenarbeit“ und eigenständigen Projektdateien des GTAZ hat der Bundestag mit dem „Gemeinsame-Dateien-Gesetz“ am 1. Dezember 2006 eine Rechtsgrundlage geschaffen.[16] Warum das BMI eine solche Rechtsgrundlage für GASIM nicht für erforderlich hält, bleibt sein Geheimnis.

Kontrollfreier Raum

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Kreativität unter – wenn auch nur mehr formaler – Aufrechterhaltung des Trennungsgebotes auf Dauer angelegte Formen der Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten institutionalisiert werden. Mit den neuen Instrumenten des Ausländerrechts wird diese Zusammenarbeit umso gefährlicher, als hier die korrigierende Funktion des Strafprozessrechts und der Verteidigung nicht mehr gegeben ist. Worin der konkrete Beitrag der Dienste zur Arbeit dieser Gremien besteht, wird man vorerst nicht erfahren. Denn eines ist klar: Die demokratische bzw. parlamentarische Kontrolle endet faktisch dort, wo die Geheimdienste auf den Plan treten.

[1] s.a. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 81 (2/2005), S. 86
[2] s. die Stellungnahme von Kempfler, K. (StMI) in: Bundesministerium des Innern: Bericht zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, Berlin Juli 2006, Anlagenband I, S. 60-63
[3] Buggisch, W.; Knorz, W.: Terrorismusbekämpfung einmal anders – Die AG BIRGiT und das Ausländerrecht, in: Kriminalistik 2006, H. 4, S. 226-233 (231)
[4] zum Beispiel: Verpflichtung zum Umzug in einen anderen (ggf. weit entfernten) Bezirk und Beschränkung des Aufenthaltes auf diese Gemeinde; verschärfte Meldeauflagen; Verpflichtung, in einer (von der Polizei leicht zu kontrollierenden) Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen; Beschränkung der Nutzung bestimmter Kommunikationsmittel
[5] Kempfler a.a.O. (Fn. 2), S. 62
[6] Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3429 v. 16.11.2006
[7] Betroffen waren hiervon Staatsangehörige aus: Algerien (8), Irak (6), Ägypten (2), Jordanien, Libyen und Tunesien (jeweils 1) sowie ein staatenloser Palästinenser. Die Betroffenen erhielten eine Duldung.
[8] Am 1. Juni 2006 hat das BMI der Innenministerkonferenz übrigens die bislang unveröffentlichte Best-Practice-Analyse einer gemeinsamen Projektgruppe zur Zusammenarbeit von Sicherheits- und Ausländerbehörden vorgelegt.
[9] vgl. Holzberger, M.: Europols kleine Schwester – Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 84 (2/2006), S. 59-65
[10] zit n. Kleine Anfrage der PDS-Fraktion, BT-Drs. 14/2054 v. 10.11.1999, vgl. auch BND (Hg.): Illegale Migration, Bonn 2000
[11] vgl. Der Spiegel v. 30.4.2001
[12] BMI-Pressemitteilung v. 17.7.2006
[13] Rede des BND-Präsidenten Ernst Uhrlau auf der BKA-Herbsttagung am 15. November 2006, www.bka.de/kriminalwissenschaften/herbsttagung/2006/langfassung_uhrlau.pdf
[14] so Ex-Innenminister Otto Schily am 15.7.2005 vor dem Visa-Untersuchungsausschuss, www.bmi.bund.de/cln_028/nn_210460/Internet/Content/Nachrichten/Archiv/Reden/ 2005/07/Schily_Eingangsstatement_Untersuchungsausschuss.html
[15] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion, BT-Drs. 16/2420 v.16.8.2006
[16] siehe den Beitrag von H. Busch in diesem Heft, S. 52-59