Polizisten, Soldaten und Gendarmen – Polizeiliche Auslandseinsätze der EU

von Mark Holzberger

Die Formen des polizeilichen Einsatzes im Ausland werden immer vielfältiger. Die Trennung zwischen Polizei und Militär verschwimmt hierbei zusehends.

Seit Ende der 90er Jahre hat die EU systematisch die konzeptionellen, materiellen und personellen Grundlagen für eine deutliche Ausweitung ihrer polizeilichen Krisenmanagement-Operationen geschaffen.[1] Auf seiner Tagung in Nizza im Dezember 2000 beschloss der Europäische Rat zwei Arten polizeilicher Auslandsmissionen.[2] Bei „Strengthening of Local Police Missions“ geht es um die Beobachtung, Beratung und das Training der lokalen Polizei. Die aus der EU entsandten PolizistInnen haben dabei keine Exekutivaufgaben. Dies ist hingegen bei „Substitutions Missions“ der Fall. Hier treten die EU-Polizeieinheiten an die Stelle der lokalen Polizei, die erst (wieder) aufgebaut werden soll.

Seit dem Gipfel von Nizza unterscheidet die EU auch zwei Ein­satzformen: Formed Police Units (FPU) und Integrated Police Units (IPU). Bei Ersteren handelt es sich um geschlossene, bewaffnete Polizeihundertschaften, die – vornehmlich in UN-Einsätzen – die Lücke zwischen lokaler Polizei und UN-Blauhelmen schließen sollen. Zu ihren Aufgaben gehören neben dem (Selbst-)Schutz der zivilen Polizei auch die Sicherung von Grenzen und Gefängnissen sowie die Eindämmung gewalttätiger Massenproteste (Crowd Control). Mitte 2006 hatten die UN 27 FPUs mit jeweils 125 Polizeikräften im Einsatz.

IPUs hingegen müssen das gesamte Spektrum polizeilicher Aufgaben im internationalen Einsatz erfüllen: Training und Ausbildung der lokalen Polizei, Durchführung kriminalpolizeilicher Aufgaben, Grenzüberwachung, Informationsbeschaffung (Intelligence) sowie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.[3] Anders als die FPU, können IPUs – z.B. in der Frühphase einer Intervention – notfalls auch unter ein militärisches Kommando gestellt werden.[4] Deutschland beteiligt sich daher (bislang) an IPU-Einsätzen nicht.

Auf der „Police Capabilities Commitment Conference“ im November 2001 hatten die Mitgliedstaaten zugesagt, bis zum Jahre 2003 rund 1.400 PolizistInnen für eine Verlegung ins Ausland binnen dreißig Tagen bereitzustellen – darunter 13 IPU-Einheiten, denen insgesamt 1.112 PolizistInnen mit militärischem Status angehören sollten.[5]

Deutsche Beteiligung an internationalen Polizeimissionen

Seit 1989 nimmt der damalige Bundesgrenzschutz, die heutige Bundespolizei (BPOL), an internationalen Einsätzen im Rahmen der UN, der EU/WEU bzw. der OSZE teil: Den Einsätzen in Namibia (1989), Kambodscha (1992) und Westsahara (1996) folgten u.a. neun Missionen auf dem Balkan (ab 1996). Seit 1994 werden auch BeamtInnen der Länderpolizeien und des Bundeskriminalamtes (BKA) entsandt (zu den aktuell laufenden Einsätzen siehe Tabelle).

Gemäß einem Bund-Länder-Eckpunktepapier vom 27. Juni 2001 stellt Deutschland für Auslandsmissionen insgesamt 910 Polizeikräfte zur Verfügung. Davon können neunzig innerhalb von dreißig Tagen aufgeboten werden. Für ihre Beteiligung an diesem Kontingent haben Bund und Länder zwei Stufen vorgesehen: In der ersten Stufe werden bis zu 450 BeamtInnen zu einem Drittel vom Bund (BPOL und BKA) und zu zwei Dritteln von den Ländern gestellt. In der zweiten – ab der 451. BeamtIn – stellen Bund und Länder dann jeweils die Hälfte.

Tab.: Aktuelle Auslandsmissionen deutscher Polizeibehörden

UN-Missionen BPOL/BKA Länderpolizei Gesamt
UNMIK (Kosovo) 30 91 121
UN MIS (Sudan) 1 4 5
UNAMID (Darfur) 2 3 5
UN MIL (Liberia) 3 2 5
UNOMIG (Georgien) 0 2 2
       
EU/WEU-Missionen BPOL/BKA Länderpolizei Gesamt
EULEX (Kosovo) 5 20 25
EUPOL (Afghanistan) 15 18 33
EUPM (Bosnien) 6 9 15
EU MM (Georgien) 13 0 13
EU BAM (Grenze Ukraine/Moldau) 5 0 5
EUPOL COPPS (Palästina) 0 4 4
       
Bilaterale Missionen BPOL/BKA Länderpolizei Gesamt
Projektteam Afghanistan 11 21 32

Quelle: Bundespolizei (Stand: 14.10.2008), www.bundespolizei.de

Bislang hat Deutschland nur FPUs entsandt, also Beobachtungs- und Ausbildungskräfte, die – bis auf die Mission im Kosovo – keine exekutiven Aufgaben hatten. Ein solcher Einsatz im Ausland erfolgt grundsätzlich auf freiwilliger Basis. Deutsche Polizeieinheiten dürfen nur in einem militärisch sicheren Umfeld operieren und nicht unter eine militärische Führung gestellt werden.[6]

Feldjäger

Eindeutig militärischen Charakter hat die Militärpolizei. In Deutschland gehören die acht Feldjägerbataillone der Bundeswehr (mit ihren insgesamt 31 Kompanien) in diese Kategorie. Sie werden – z.B. als Bestandteil der NATO-Response-Forces – auch im Ausland eingesetzt. Sie fungieren hierbei nicht nur als Ordnungsdienst innerhalb der Bundeswehr, sondern übernehmen auch polizeiliche Aufgaben – wenn rechtsstaatliche lokale Polizeikräfte nicht verfügbar sind und ein entsprechendes Mandat vorliegt. Allgemein sollen sie dann die öffentliche Sicherheit und Ordnung wiederherstellen bzw. aufrechterhalten. Im Zuge dessen erledigen sie auch allgemeine polizeiliche Ermittlungsaufgaben, führen beweisfeste Hausdurchsuchungen, Zugriffsoperationen und Festnahmen durch, überwachen Ausgangssperren bzw. setzen sie durch und leisten Unterstützung im Gefangenenwesen. „In besonderem Maße“ aber – so die „Streitkräftebasis 2006“ – werden Feldjäger auch bei der Eindämmung gewalttätiger Proteste eingesetzt.[7]

Bislang unterstützt aber nur ein Feldjägerausbildungskommando mit 30 SoldatInnen in Afghanistan (unter dem Kommando der Bundeswehr) die Vermittlung polizeilicher Grundkenntnisse an die lokale Polizei.[8]

Die Grauzone

Die „European Gendarmerie Force“ (EGF) wurde im September 2004 bezeichnenderweise auf dem informellen Gipfel der EU-Verteidigungs­ministerInnen im niederländischen Noordwijk gegründet. Sie setzt sich zusammen aus „Polizeikräften mit militärischem Status“ aus fünf EU-Mitgliedstaaten: der französischen Gendarmerie, den italienischen Carabinieri, der niederländischen Marechaussee, der portugiesischen Guarda Nacional Republicana und der spanischen Guardia Civil. Mit dem im Oktober 2007 unterzeichneten EGF-Vertrag[9] hat diese multinationale Truppe zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, ist aber bis heute kein Bestandteil des Rechtsrahmens der EU.

Die EGF ist keine stehende Formation, sondern eine schnelle Eingreiftruppe. Sie kann innerhalb eines Monats 800 Einsatzkräfte mobilisieren, die auf 2.300 aufgestockt werden können. Sie ist in der Lage, eigenständig, zusammen mit zivilen Polizeieinheiten, aber auch im direkten Verbund mit einer Militärpolizei zu agieren. Laut Art. 5 des Vertra­ges soll die EGF bei Einsätzen der EU bzw. im Auftrag der UNO, der OSZE oder der NATO eingesetzt werden. Sie kann aber auch zugunsten so genannter Ad-hoc-Koalitionen wie im Irak tätig werden. Innerhalb dessen ist die EGF in der Lage, in einer militärisch nicht stabilisierten Umgebung einzugreifen, alle Aspekte und Phasen der „Krisenbewäl­ti­gung“ – vom Beginn einer Intervention bis zum Abzug des Militärs – abzudecken und dabei alle polizeilichen Aufgaben zu übernehmen.

Alte Bekannte

Zwischen der EGF und den IPU-Kräften der EU bestehen große Ähnlichkeiten: Das Aufgabenprofil ist faktisch deckungsgleich. Beide sind keine stehenden, sondern mobilisierbare Einheiten und beide können auch unter militärischem Kommando arbeiten. Diese Ähnlichkeit ist nicht verwunderlich. Man kennt sich. Schon 1994 hatten nämlich Frankreich, Italien und Spanien die „Association of the European and Mediterranean Police Forces and Gendarmeries with Military Status“ (FIEP) gegründet.[10] Mit dem Zusammenschluss wollen die militärischen Polizeibehörden der EU-Staaten in der EU Unterstützung für ihre Anliegen gewinnen (Art. 11 der FIEP-Statuten[11]) – offensichtlich mit Erfolg. So erklärt sich auch, dass ausgerechnet die FIEP-Mitgliedstaaten (und späteren EGF-Gründungsmitglieder) Spanien, Frankreich, Italien und Portugal als alleinige Truppensteller des IPU-Personals der EU fungieren.[12]

Bei all diesen Ähnlichkeiten mit den IPUs stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Mehrwert der EGF. Im Grunde hat diese nämlich nur einen einzigen Vorteil: Sie verfügt in einer Carabinieri-Kaserne im norditalienischen Vicenza über ein kleines „Permanentes Hauptquartier“ mit einem Kommandanten und einem 30-köpfigen Offiziersstab.

Ihre bislang erste und einzige Mission erfüllt die EGF derzeit im Rahmen der durch die Resolution 1575 des UN-Sicherheitsrates mandatierten EU-Mission „Althea“ in Bosnien-Herzegowina: Ende 2007 hat die EGF mit 140 Einsatzkräften in Sarajewo die Leitung des IPU-Haupt­quartiers übernommen. Letztlich aber handelt es sich hier um keinen Substitutions-, sondern um einen für die EGF eher untypischen Strengthening-Einsatz in einem militärisch bereits weitgehend befriedeten Gebiet. Die spezifischen Fähigkeiten der EGF werden hier wohl nicht zum Tragen kommen.[13]

In die paramilitärische Grauzone gehören auch die so genannten Multinational Specialized Units (MSU) der NATO, die ebenfalls aus Polizeikräften mit militärischem Status bestehen.[14] Beim SFOR-Einsatz der NATO in Bosnien wurden seit 1998 insgesamt 600 MSU-Kräfte (aus Österreich, Ungarn, Italien, Rumänien und der Slowakei) eingesetzt. Insbesondere bei so genannten Crowd Confrontation Operations führten die MSU integrierte Einsätze mit Militäreinheiten (den so genannten Battle groups[15]) durch. Hierbei versuchten die MSU innerhalb eines inneren Ringes (Blue Box) die Lage unter Kontrolle zu bringen. Für den Fall einer Eskalation standen dann dahinter (Green Box) die Battle Groups zum Eingreifen bereit. Mit der Mandatsübergabe in Bosnien von der NATO (SFOR) an die EU (EUFOR) wurde der MSU- in einen IPU-Einsatz umgewandelt.[16] Inzwischen operieren MSU-Einheiten (u.a. aus den FIEP-Mit­gliedstaaten Italien und Rumänien) auch im Irak.

Wie sehr IPUs, MSUs und die EGF miteinander verwoben sind, zeigt sich an der Karriere des derzeitigen EGF-Kommandeurs Giovanni Truglio, einem Offizier der italienischen Carabinieri: 2004 war er MSU-Kommandeur in Bosnien-Herzegowina, 2005 stand er an der Spitze der dortigen IPU-Einheit. 2006 übernahm er wiederum ein MSU-Kom­mando, dieses Mal im Irak. Seit 2007 ist Truglio Chef der EGF und wird dies auch bis 2009 bleiben.[17]

Die Rolle der Militärpolizeien der EU

Offiziell werden die Einheiten der EGF als „Einsatzkräfte zum Schutz der Inneren Sicherheit“ präsentiert, die allesamt „unter der Kontrolle der jeweiligen Innenministerien“ stünden.[18] Diese Darstellung – hier zitiert aus einem Bericht der Parlamentarischen Vertretung der WEU – ist nur zur Hälfte richtig: Es handelt sich hier um „Polizeibehörden mit militärischem Status“. Für sie haben die jeweiligen Innenministerien nur eine Teilzuständigkeit – nämlich dort, wo es um deren zivile polizeiliche Tätigkeit (als Ordnungsmacht für den ländlichen Raum, als Grenzschutzbehörde oder als Transportpolizei) geht. Im Kern handelt es sich bei allen fünf Mitgliedsorganisationen der EGF aber um Teilstreitkräfte der Armee ihres Landes. Und als solche sind sie zuallererst auch dem Verteidigungsministerium unterstellt. Auch andere Aspekte ihrer inneren Struktur rücken diese Polizeiorganisationen in die Nähe des Militärs: etwa ihre Kasernierung und Bewaffnung sowie der Einbezug von Wehrpflichtigen.

Die Unklarheit bei der richtigen Einordnung dieser „Polizeibehörden mit militärischem Status“ zeigt sich auch bei ihrer Einbindung in die zivile Polizeikooperation der EU: Mal werden z.B. die niederländischen Marechaussee als „state police“[19] bezeichnet, mal als „military police“.[20]

Vergleichsweise einheitlich – und inhaltlich eben wohl auch zutreffend – ist hingegen dort von „military police“ die Rede, wo es um die Beteiligung der 2004 beigetretenen Staaten an den zivil-polizeilichen Netzwerken der EU geht: Eingabeberechtigt beim Schengener Informationssystem sind u.a. die „military police forces“ Polens (»andarmeria Wojskowa)[21] und Litauens (Viešojo Saugumo Tarnyba)[22]. Polen meldete der EU, dass es auch Mitglieder seiner „military police“ als Verdeckte Ermittler einsetzt.[23] Am polizeilichen Informationsaustausch im Rahmen des so genannten „Schwedischen Rahmenbeschlusses“ sind u.a. auch die „military police forces“ aus Tschechien,[24] Litauen, Lettland und Polen[25] beteiligt. Und Malta schließlich gibt als zuständige Behörde für die Kooperation mit Europol schlicht und einfach die „Armed Forces“ an.[26]

In einem Punkt herrscht innerhalb der EU allerdings Klarheit: Wo es um polizeiliche Auslandseinsätze im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) geht, spielen die Militärpolizeien im engeren Sinne (wie z.B. die deutschen Feldjäger) keine Rolle. Brüssel ist hier ausschließlich an zivilen Polizeieinheiten – einschließlich solcher mit „militärischem Status“ – interessiert. Diese sollen aber möglichst flexibel eingesetzt werden können. Der EU geht es hierbei um Dreierlei: Sie will – erstens – polizeiliche Sub­stituierungsmissionen in einem prekären Umfeld durchführen können (so das „zivile Planziel“ 2008).[27] Sie will zweitens schnell entsendbare Polizeikräfte zeitweilig einem militärischen Kommando unterstellen[28] und drittens Synergien mit Akteuren der so genannten 3. Säule der EU (namentlich Europol) bilden.[29]

Im Juni 2008 legte die hochrangig besetzte, informelle „Zukunftsgruppe“ ihren Bericht vor.[30] Für das nächste Fünfjahresprogramm der EU-Innenpolitik (2010-2014) schlägt sie darin unter anderem vor, die Überführung der EGF in den Rechtsrahmen der EU zu prüfen (Rz. 20 und 79). Bei Auslandseinsätzen sollten Streitkräfte und Polizei auch in den Einsatzlagezentren gleichberechtigt zusammenarbeiten (Rz. 80). Und schließlich sollten sicherheitsrelevante Informationen zwischen Europol und den an einem Auslandseinsatz teil­nehmenden Ein­heiten möglichst effizient ausgetauscht werden (Rz. 22 und 81).

Beim letztgenannten Punkt hat der Rat der Innen- und JustizministerInnen inzwischen auch schon „Nägel mit Köpfen“ gemacht. Er beschloss Anfang Juni, die Verwaltungsvereinbarung über den Austausch nicht-personenbezogener Daten zwischen Europol und den zivil-militärischen Auslandsmissionen der EU schnellstmöglich umzusetzen.[31] Ferner wollten die MinisterInnen bis Ende 2008 prüfen, ob künftig auch personenbezogene Informationen weitergegeben werden sollten.[32] Hierzu liegt mittlerweile ein gemeinsames Positionspapier von Europol und dem Generalsekretariat des Rates vor.[33]

Noch im August hatte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken erklärt, sie habe bislang „keine Maßnahme zur Umsetzung des o.g. Verwaltungsabkommens ergriffen oder geplant“. Zudem sähe sie „zurzeit keine Notwendigkeit, Mechanismen für den Austausch personenbezogener Daten zwischen Europol und zivilen ESVP-Missionen zu entwickeln.“[34] Wie lang diese Zusage wohl hält?

Die Auslandshundertschaft der Bundespolizei

Unmittelbar vor dem Ende der rot-grünen Koalition, im Juni 2005, hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily mit dem Aufbau einer Auslandseinsatzhundertschaft (AEHu) zunächst im niedersächsischen Gifhorn begonnen. Diese sollte im Ausland als „geschlossene Einheit“ (de facto also als FPU) in einem „sicheren Umfeld“ und „unter zivilem Kommando“ agieren.[35] Derzeit umfasst diese Hundertschaft nur vierzig BundespolizistInnen. Im Zuge der Neuorganisation der BPOL wurde beschlossen, die Gifhorner Einheit nunmehr nach St. Augustin (in die Nachbarschaft zur GSG 9) umzusiedeln und dort als AEHu mit zwei Einsatzeinheiten umzustrukturieren.[36] Der Aufbau dieser AEHu ist unter zwei Gesichtspunkten kritisch zu beleuchten: zum einen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur EGF und zum anderen in Bezug auf mögliche Rückwirkungen auf die Innenpolitik.

Zur ersten Frage: Die Unionsfraktion im Bundestag hatte im Mai 2005 gefordert, Deutschland solle sich an der EGF beteiligen.[37] Auch der damalige Verteidigungsminister Peter Struck befürwortete den Aufbau einer paramilitärisch strukturierten Einheit der Bundespolizei. Dem hatte jedoch Otto Schily widersprochen.[38] Somit gilt offiziell noch heute für die Bundesregierung: „Ein Einsatz der Bundespolizei unter militärischer Führung kommt nach geltendem Recht nicht in Betracht. Eine Beteiligung der Bundespolizei an der EGF ist ausgeschlossen.“[39]

Gleichwohl überlegt man im Bundesinnenministerium (BMI) durchaus, diese AEHu gegebenenfalls auch im Innern einzusetzen. Im November 2007 erklärte Staatssekretär August Hanning in einem Interview mit dem „Behördenspiegel“: „Wir haben vor, eine Einheit, die auch im Inland eingesetzt wird (!), auf Auslandseinsätze mit Zusatzqualifikationen vorzubereiten.“[40]

Solche Überlegungen müssen aufhorchen lassen. Denn das Vorgehen des BMI erinnert doch ziemlich eindeutig an die berühmte Salami-Taktik: Der eigentliche Aufbau der AEHu wird offiziell als FPU-Forma­tion verkauft – obwohl das Anforderungsprofil der EU ganz eindeutig in Richtung von IPU-Kräften geht, die notfalls auch in militärisch nicht befriedetem Gebiet und unter militärischem Kommando arbeiten sollen.

Im April 2008 hat der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu Fragen der Auslandseinsätze ein vollmundiges Positionspapier herausgegeben.[41] „Eine Remilitarisierung der heutigen Bundespolizei“, so heißt es dort, sei „mit der GdP nicht zu machen“. Die GdP lehnt eine „Vermischung polizeilicher Einsatzkräfte mit militärischen Einheiten“ ebenso ab, wie die „Aufstellung einer Militärpolizei als Teil der Bundespolizei für Auslandseinsätze“. Gleichwohl geht auch die GdP davon aus, dass deutsche PolizistInnen künftig verstärkt auch in Krisenregionen eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund hält sie den „Aufbau und das Vorhalten geschlossener polizeilicher Einheiten“ für „zwingend erforderlich“. Diese sollten aufgrund einer entsprechenden Ausbildung und Ausrüstung in der Lage sein, auch „schwierigste polizeiliche Lagen im Rahmen von Auslandseinsätzen zu bewältigen“. Allerdings, schränkt die GdP ein, darf der Einsatz deutscher polizeilicher Einsatzkräfte im Ausland „nur nach Beendigung von Kriegshandlungen erfolgen“.

Diese Stellungnahme der GdP liest sich gut – sie drückt sich aber um die entscheidende Frage, nämlich ob (und wenn ja, wie) sich diese (von der GdP selbst geforderte) AEHu der BPOL in die Konzeption und das Anforderungsprofil der EU für letztlich paramilitärisch verfügbare IPUs integrieren lässt.

Wenn man im BMI oder bei der GdP ernsthaft diese AEHu lediglich als Fortsetzung der bisherigen deutschen FPU-Einheiten konzipiert, die nur dazu ausgebildet und ausgerüstet werden, um innerhalb eines Strengthening-Einsatzes u.a. effektiv gegen gewalttätige DemonstrantInnen vorzugehen, stellt sich zum einen die Frage des Mehrwerts dieses Ansatzes. Denn Crowd Control gehört doch längst zum Standard-Repertoire von FPU-Einheiten. Zum anderen müsste Berlin diesen nationalen Sonderweg in Brüssel so auch klarstellen – anstatt, wie bisher, den entsprechenden EU-Vorschlägen kommentarlos zuzustimmen.

Schlussbemerkung

Außenpolitisch werden polizeiliche Substituierungs-Einsätze in einem (noch) nicht befriedeten Gebiet als Ausdruck einer möglichst frühzeitigen Zivilisierung eines militärischen Konflikts begründet. Innenpolitisch aber überwiegt der Zweifel, ob das bisher verfolgte EU-Konzept richtig ist.

Insbesondere die Geschichte der EGF zeigt (ähnlich wie bei Schengen und dem Prümer Vertrag), wie abgebrüht das Instrument der so genannten verstärkten Zusammenarbeit inzwischen genutzt wird: Außerhalb des EU-Rahmens wird eine Struktur geschaffen, die im Zuge ihrer Überführung in den EU-Acquis nicht nur die Problemanalyse, sondern auch die Dynamik bei der Entwicklung operativer Handlungsvarianten auf lange Sicht präformiert – in diesem Fall einseitig in Richtung einer paramilitärischen Option.

Der Bundesgrenzschutz verlor 1994 endlich seinen Kombattanten-Status und wurde damit – nach jahrzehntelangem Bohren – endlich auch rechtlich entmilitarisiert.[42] Jetzt droht eine Remilitarisierung der BPOL „durch die Hintertür“. Wenn sich die Planungen von August Hanning und anderen durchsetzen, ist eine ganz neue Variante des von konservativer Seite seit Jahren geforderten militärischen Einsatzes im Innern zu erwarten: Dann könnte der Bund nämlich – ohne Grundgesetzänderung – Polizeihundertschaften im Inland einsetzen, die im Rahmen von IPU-Einsätzen der EU im Ausland nicht nur (para-)militärisch geschult worden sind, sondern auch über eine entsprechende Kampferfahrung verfügen.

Unklare Rechtsstellung der „Festgehaltenen“

Die deutsche Beteiligung an der EU-Militäroperation steht unter der unausgesprochenen Prämisse, die durch die Bundesmarine aufgebrachten Piraten einer Strafverfolgung in Deutschland möglichst nicht zuzuführen! Wegen der Zustände in Somalia fürchtet das Innenministerium, eine unabsehbare Zahl von Piraten auch nach einer Strafverbüßung auf Dauer nicht mehr aus Deutschland abschieben zu können.

Der Bundestagsbeschluss sieht vor, dass die eingesetzten SoldatInnen Verdächtige nicht formell festnehmen, sondern nur „festhalten“, „in Gewahrsam nehmen“ und zur Übergabe an die zuständigen Strafverfolgungsorgane (weiter-)transportieren können. Zuständig sollen (analog zu Art. 12 der Gemeinsamen Aktion der EU) entweder die Behörden Deutschlands, eines anderen EU-Staates oder „aufnahmebereite Drittstaaten“ sein. Würde ein unter deutscher Flagge fahrendes Schiff angegriffen, dann wäre zweifellos die deutsche Gerichtsbarkeit (konkret: die Staatsanwaltschaft Hamburg) betroffen.

Die Marine könnte dann die festgehaltenen Personen an BPOL-Verbindungs­beamtInnen (z.B. in Djibouti) zur förmlichen Festnahme und gegebenenfalls zum Transport nach Deutschland übergeben. Es wird aber auch daran gedacht, Festgenommene im Zuge eines Kooperationsübereinkommens nach Kenia zu überstellen oder beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag noch schnell eine Kammer zur Behandlung von Pirateriedelikten einzurichten. Die EU-Militäroperation vor Somalia hat zwar bereits begonnen. Der rechtliche Status dabei festgenommener Personen (z.B. ob sie tatsächlich von der Stellung eines Asylantrags ausgenommen werden können) und die Ausgestaltung und Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes sind aber alles andere als klar.

Mark Holzberger
Quellen
Bundestagsbeschluss: BT-Drs. 16/11337 v. 10.12.2008
Gemeinsame Aktion 2008/851/GASP, in: Amtsblatt der EU L 301 v. 12.11.2008
Aldenhoff, P.: Nobody asked me, but …, in: MarineForum 2008, H. 11, S. 7 f.
[1]      Kritisch: Bunyan, T.; Busch, H.: Europäisches Krisenmanagement, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 75 (2/2003), S. 15-27; Fischer-Lescano, A.: Soldaten sind Polizisten sind Soldaten, in: Kritische Justiz 2004, H. 1, S. 69-83; Haydt, C.: Polizeisoldaten, in: IMI-Magazin, Februar 2007, S. 42-44; Affirmativ: Rummel, R.: Krisenintervention der EU mit Polizeikräften, Berlin (Stiftung Wissenschaft und Politik) August 2005
[2]     Ratsdok 14056/2/00 v. 14.12.2000
[3]     Präzise Strukturmerkmale bzw. Aufgaben- und Kompetenzzuschreibungen für FPU- oder IPU Einsätze der EU (gerade im Rahmen so genannter Substitutions Missions) sind nicht darstellbar, weil die relevanten Grundlagendokumente gesperrt sind, z.B. Standard IPU and FPU structures (Ratsdok. 9225/06); Guidelines for Rapid Deployment of IPU (15956/04); Concept of Substitutions Missions (8655/1/02); Guidelines for police Command and Control aspects of EU crisis management (7854/02); Concept for rapid deployment of police elements in an EU-led substitution mission (8508/2/05).
[4]     Ratsdok. 14056/2/00 v. 14.12.2000, S. 29
[5]     Ratsdok. 13831/01 v. 12.11.2001
[6]     http://www.bundespolizei.de/cln_109/nn_249932/DE/Home/__Startseite/IPM/Infoblaet
ter/__Infoblatt__ZKM,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/_Infoblatt_ZKM.pdf
[7]     www.streitkraeftebasis.de
[8]     vgl. Kleine Anfrage der Linksfraktion, BT-Drs. 16/6589 v. 9.10.2007
[9]     www.eurogendfor.org/referencetexts/EGF%20Treaty%20english%20version.pdf
[10]   www.fiep-asso.com; folgende Staaten sind diesem Club inzwischen beigetreten: Portugal (1996), Türkei (1998), Niederlande und Marokko (1999) und Rumänien (2002).
[11]    www.fiep-asso.com/common/activities/status.htm
[12]   Ratsdok. 13831/01 v. 12.11.2001
[13]   So die Kritik von Hazdra, P.: Die European Gendarmerie Force, in: Europäische Sicherheit 2008, H. 7, S. 30-32 (32)
[14]   www.otan.nato.int/sfor/factsheet/msu/t040809a.htm
[15]   Mölling, C.: EU-Battlegroups, in: SWP-Diskussionspapier 5/2007
[16]   Noch heute setzt sich übrigens eine der durch die EGF geführten Mobilen-IPU-Einheiten in Bosnien aus FIEP-KollegInnen der türkischen Jandarma Genel Komutanliği und der rumänischen Jandarmeria Român> zusammen.
[17]   www.eurogendfor.org/egfpages/commandercv.aspx
[18]   Assembly of the Western European Union: The Role of the EGF, Document A/1928 v. 21.6.2006, p. 10
[19]   z.B. beim Zugang der Marechaussee zum Schengener Informationssystem (Ratsdok. 6073/3/07 v. 23.7.2007, S. 45)
[20]  So der Verbindungsbeamte der Marechaussee bei Europol (Ratsdok. 7804/08 v. 28.3.2008, S. 83 sowie 8698/08 ADD 3 v. 29.7.2008, S. 43) oder bei der Einbindung der Marechaussee in den Prümer Vertrag (Ratsdok. 5473/07 ADD 1 v. 22.1.2007 S. 129-145)
[21]   Ratsdok. 6073/3/07 v. 23.7.2007, S. 53
[22]   Ratsdok. 12301/08 v. 29.7.2008, S. 4
[23]   Ratsdok. 5001/4/08 v. 1.10.2008, S. 3
[24]   Ratsdok. 5590/08 ADD 1 v. 23.1.2008, S. 5
[25]   Ratsdok. 13942/1/08 (Annex 4) v. 31.10.2008, S. 103
[26]   Ratsdok. 7804/08 v. 28.3.2008, S. 82
[27]   Ratsdok. 15863/04 v. 7.12.2004, S. 3
[28]   Ratsdok. 11013/07 v. 19.6.2007, S. 7; wie IPUs unter ein militärisches Kommando ge­stellt bzw. später wieder in eine zivile Kommandokette eingegliedert werden können, wird z.B. in den seit 2002 stattfindenden „EU Crisis Management Exercises“ immer wieder geprobt, vgl. Ratsdok. 11859/08 v. 30.10.2008, S. 66 f.
[29]   Ratsdok. 11013/07 v. 19.6.2007, S. 6
[30]  Ratsdok. 11657/08 v. 9.7.2008; siehe auch den Einleitungsbeitrag in diesem Heft auf S. 4-18; an der Gruppe nahm auch die französische Innenministerin Michelle Alliot-Marie teil, die in ihrer früheren Funktion als Verteidigungsministerin die EGF „erfunden“ hat.
[31]   Ratsdok. 10817/08 v. 17.06.08
[32]   Ratsdok. 9956/08 v. 5./6.6.2008, S. 30 mit Verweis auf Ratsdok. 7821/3/08 v. 16.5.2008
[33]   Ratsdok. 15063/08 v. 31.10.2008
[34]   BT-Drs. 10090 v. 6.8.2008, S. 3 f.
[35]   Sachinformation des BMI an den Grünen MdB Alexander Bonde v. 19.3.2008
[36]   ebd.
[37]   Der Spiegel Nr. 22/2005 v. 30.5.2005
[38]   Der Spiegel Nr. 25/2005 v. 20.6.2005
[39]   Kleine Anfrage der Linken, BT-Drs. 16/9136 v. 7.5.2008, S. 13
[40]  www.bmi.bund.de/nn_662984/Internet/Content/Nachrichten/Medienspiegel/2007/10/ StH__Behoerdenspiegel.html
[41]   www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/p80508a/$file/Pos_Ausland_aktuell.pdf
[42]   Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 72 v. 19.10.1994, S. 2978-3000; der Kombattanten-Status war bis dahin in § 64 des Bundesgrenzschutzgesetzes normiert.