Archiv der Kategorie: CILIP 091

(3/2008) Sicherheitsarchitektur II – Europäische Großbaustelle

Verlängertes Gewaltmonopol? Der kommerzielle Teil der „neuen Sicherheitsarchitektur“

von Volker Eick

Aus U- und Fernbahnhöfen scheinen sie nicht mehr wegzudenken, in Innenstädten und Wohnquartieren gewinnen sie an Bedeutung, in Ordnungspartnerschaften mit der Polizei sind sie eingebunden, die Skandale bei Lidl und der Deutschen Telekom AG verdeutlichen ihre Rolle auch innerhalb von Unternehmen: die privaten Wach- und Sicherheitsdienste.

Mit rund 3.340 Unternehmen, 177.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und einem Umsatz von 4,35 Milliarden Euro stellt das kommerzielle Sicherheitsgewerbe einen relevanten Wirtschaftsfaktor in Deutschland dar. Der Sicherheitsmarkt ist oligopolistisch organisiert: Die zehn größten Unternehmen halten einen Umsatzanteil von rund 50 Prozent; anders formuliert: Zwölf Prozent der bundesweit 3.300 gemeldeten Unternehmen teilen 81 Prozent des Umsatzes unter sich auf und beschäftigen zwei Drittel aller (registrierten) MitarbeiterInnen. Zu berücksichtigen sind Konzentrations- und Globalisierungstendenzen: So hat der Weltmarktführer der Branche, die Group4Securicor (420.000 Beschäftigte), seinen Sitz in London, der zweite der Branche, die Securitas AB (217.000), im schwedischen Stockholm – beide Unternehmen sind weltweit tätig, zusammen in mehr als hundert Ländern. Sie sind auch marktführend in Deutschland und Österreich, in der Schweiz gehören sie zu den großen Vier. Allein die sechs größten Unternehmen decken weltweit 20 Prozent Marktanteile ab, die Group4Securicor kontrolliert den afrikanischen Kontinent mit rund 82.000 Beschäftigten faktisch allein.[1] Mit wenigen Ausnahmen, etwa hoch spezialisierten Personenschutz- oder Sicherheitsanalyse-Diensten, handelt es sich um einen klassischen Niedriglohnsektor mit schlechtem Ausbildungsstand.[2] Unter diesen Vorzeichen gilt als sicher, dass die kommerzielle Sicherheitsindustrie weiter wachsen wird. Verlängertes Gewaltmonopol? Der kommerzielle Teil der „neuen Sicherheitsarchitektur“ weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Seit ihren Anfängen in den 70er Jahren ist die westeuropäische Sicherheitsarchitektur ein unübersichtliches Projekt, in dem immer wieder neue Baustellen entstehen, auf denen dauerhaft gebaut wird, ohne dass eine Vorstellung darüber sichtbar wäre, wie das Gebäude denn dereinst aussehen soll – aber das teilt die „Sicherheitsarchitektur“ mit den allgemeinen Visionen über Europa, die in wandelnden Konjunkturen immer neuen Leitbildern folgen. Im Folgenden wird auf einige exemplarische aktuelle Veröffentlichungen aus dem und über das Europa der Inneren Sicherheit hingewiesen. Literatur weiterlesen

Die Rolle Europols – Von den Schwierigkeiten des polizeilichen Zentralismus

von Heiner Busch

Europol soll „enger Partner und Fokus“, „wirkliche Informationsplattform für die Mitgliedstaaten“ werden, fordert die „Zukunftsgruppe“, die den neuen Fünfjahresplan der EU-Innen­politik vorbereitete.[1] Die ständige Wiederkehr solcher Formeln zeigt die fortdauernde Skepsis der nationalen Polizeibehörden gegenüber diesem zentralistischen Konstrukt.

Das Europäische Polizeiamt hat im Juli 1999 formell seine Arbeit aufgenommen, nachdem die vier Jahre zuvor unterzeichnete Konvention von allen Mitgliedstaaten ratifiziert und in Kraft getreten war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Vorläuferinstitution, die Europol-Drogenstelle, bereits sieben Jahre und mehrere Ausweitungen ihres Mandats hinter sich. Die Debatte um den Auftrag und die Befugnisse des Amtes ging danach jedoch erst richtig los.

Der 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag und die „Schluss­folgerungen“ des Europäischen Rates von Tampere aus demselben Jahr forderten die Ausweitung der Tätigkeit in den operativen Bereich, was ohne eine Änderung des Vertrages nicht möglich war. Im Juli 2001 war die Europol-Arbeitsgruppe des Rates bei einer „shopping list“ von insgesamt 26 möglichen Korrekturen angelangt.[2] Die Rolle Europols – Von den Schwierigkeiten des polizeilichen Zentralismus weiterlesen

Polizisten, Soldaten und Gendarmen – Polizeiliche Auslandseinsätze der EU

von Mark Holzberger

Die Formen des polizeilichen Einsatzes im Ausland werden immer vielfältiger. Die Trennung zwischen Polizei und Militär verschwimmt hierbei zusehends.

Seit Ende der 90er Jahre hat die EU systematisch die konzeptionellen, materiellen und personellen Grundlagen für eine deutliche Ausweitung ihrer polizeilichen Krisenmanagement-Operationen geschaffen.[1] Auf seiner Tagung in Nizza im Dezember 2000 beschloss der Europäische Rat zwei Arten polizeilicher Auslandsmissionen.[2] Bei „Strengthening of Local Police Missions“ geht es um die Beobachtung, Beratung und das Training der lokalen Polizei. Die aus der EU entsandten PolizistInnen haben dabei keine Exekutivaufgaben. Dies ist hingegen bei „Substitutions Missions“ der Fall. Hier treten die EU-Polizeieinheiten an die Stelle der lokalen Polizei, die erst (wieder) aufgebaut werden soll. Polizisten, Soldaten und Gendarmen – Polizeiliche Auslandseinsätze der EU weiterlesen

Virtuelle Mauern im Südosten – Die Türkei auf dem Weg nach Schengen

von Emre Ertem

Freizügigkeit für türkische ArbeiterInnen soll es in der EU nur geben, wenn die Türkei zuvor die Kriterien des Schengen-Acquis erfüllt. Um dem EU-Beitritt näher zu kommen, versucht die Türkei, ihre Grenzen im Südosten abzudichten.

Im Oktober 2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Seit etwa derselben Zeit ist in den Zeitungen des Landes zu lesen, dass die BürgerInnen demnächst neue Pässe mit einem Chip erhalten werden, auf dem ihre biometrischen Daten digital gespeichert sind.[1] Die Behörden erklären, dass der neue e-Pass besser gegen Fälschung, Verfälschung und Missbrauch gesichert sei. Sie behaupten aber auch, dass die BürgerInnen der Türkei mit diesem Dokument „einfacher“ in EU-Länder reisen könnten. Virtuelle Mauern im Südosten – Die Türkei auf dem Weg nach Schengen weiterlesen

Choreografie des Terrors – Das § 129a-Verfahren gegen „AK Origami“

von Daniel Wölky

Gerade politische Strafverfahren folgen einer strengen Choreografie, die bewirkt, dass Schutzrechte Beschuldigter missachtet werden.

Kurz vor und nach dem G8-Gipfel von Heiligendamm im Sommer 2007 wurden gleich drei Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) bekannt. Über jene gegen angebliche Mitglieder der „militanten Gruppe“ (mg) und gegen die „militante Kampagne zur Verhinderung des G8-Gipfels“ hat Bürgerrechte & Polizei/CILIP bereits berichtet.[1] Zu dem Trio gehört schließlich noch das Verfahren gegen eine angebliche Vereinigung, die sich u.a. „AK Origami“ genannt haben soll. Choreografie des Terrors – Das § 129a-Verfahren gegen „AK Origami“ weiterlesen

Über den großen Teich – „Transatlantische Kooperation“ gegen Bürgerrechte

von Martin Beck

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben eine neue Dynamik der transatlantischen Zusammenarbeit ausgelöst. Ob es um Datenaustausch oder Zusammenarbeit der Dienste geht – klar ist, dass diese Entwicklung noch lange nicht zu Ende ist. Zahlreiche Vorhaben zielen auf eine enge Kooperation, die traditionelle Grenzen über­schreitet.

In welche Richtung die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden in Europa und den USA geht, zeigt der im Juni 2008 vorgelegte Bericht der „Informellen Hochrangigen Beratenden Gruppe zur Zukunft der Europäischen Innenpolitik“, der so genannten Future Group.[1] Auf dessen Grundlage wollen die Staats- und Regierungschefs der EU 2009 eine gemeinsame Agenda innenpolitischer Ziele für die nächsten fünf Jahre festlegen und die EU-Kommission will einen Aktionsplan ausarbeiten. Über den großen Teich – „Transatlantische Kooperation“ gegen Bürgerrechte weiterlesen

Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V. – Eine Darstellung in eigener Sache

Seit drei Jahrzehnten erscheint „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“. Gegründet als „newsletter on civil liberties and police development“ – daher die Abkürzung „CILIP“ –, erschien der Informationsdienst in den ersten sieben Ausgaben in deutscher und englischer Sprache.

Der Titel kennzeichnete – und kennzeichnet noch immer – das Selbstverständnis der Publikation in dreifacher Weise: Erstens geht es um die Zusammenstellung, Ana­lyse und Bewertung von Informationen in einem Bereich, der traditionell von Geheimhaltung und von Entscheidungen bestimmt ist, die in den Zirkeln der Exekutiven getroffen werden. Zweitens will CILIP der Polizeientwicklung aus einer bürgerrechtlichen Perspektive auf den Fersen bleiben. Dabei bleibt der Blick nicht auf die Institution „Polizei“ beschränkt, sondern umfasst alle Ausprägungen des nach innen gerichteten Gewaltmonopols – was seit den Anfängen bedeutete, die Geheimdienste ebenso wie die Verflechtungen mit dem Militär zu betrachten. Und drittens – dafür steht der Versuch in englischer Sprache zu erscheinen, der mangels Nachfrage bald eingestellt werden musste – war bereits in der zweiten Hälfte der 70er Jahre offensichtlich, dass „innere“ Sicherheit immer mehr im westeuropäischen, wenn nicht im transatlantischen Kontext verstanden werden muss. Europa, die Europäisierung der Inneren Sicherheit ist mittlerweile einer der inhaltlichen Schwerpunkte von CILIP. Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V. – Eine Darstellung in eigener Sache weiterlesen