von Otto Diederichs
Insgesamt 36-mal haben im vergangenen Jahr Polizisten auf Personen geschossen. Sechs Menschen wurden dabei getötet und weitere 15 verletzt. Dies geht aus der jährlichen Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz (IMK) hervor.
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), derzeit IMK-Vorsitzender, ließ die Statistik umgehend veröffentlichen,[1] nachdem die CILIP-Redaktion Anfang Mai nachgefragt hatte. Das ist ungewöhnlich; in den zurückliegenden Jahren war hierzu meist mehrfache Drängelei und gelegentlich bei der Recherche auch erst einmal ein Umweg notwendig.
Es sei „erfreulich, dass die Tendenz aller Formen des Schusswaffengebrauchs durch Polizeibeamte gegen Personen weiter rückläufig sei“, kommentierte Caffier die Statistik. Diese Aussage ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist sie, wenn man die Zahl der Toten (2011: 6/2010: 8) und Verletzten (2011: 15/2010: 23) oder die der Warnschüsse (2011: 49/2010: 59) betrachtet. Zurück gegangen sind auch die Schüsse „zum Töten gefährlicher, kranker oder verletzter Tiere“ (2011: 8.812/2010: 9.336).
Als falsch oder zumindest irreführend erweist sich die Erklärung jedoch, wenn man auch die Rubrik „Schusswaffengebrauch gegen Sachen“ betrachtet. Denn auch hinter dieser euphemistischen Formulierung verbergen sich letztlich zumeist indirekte Schussabgaben auf Menschen. Im Regelfall nämlich handelt es sich bei dieser „Sache“ um ein Fahrzeug, auf das etwa zur Fluchtvereitelung oder Gefangenenbefreiung geschossen wird. Und hier sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr kräftig angestiegen (2011: 30/2010: 10).[2]
Schön gefärbt
Erstaunen muss zudem, dass es im letzten Jahr keinen einzigen Fall von „unzulässigem Schusswaffengebrauch“ gegeben haben soll. Dies zumal, da zumindest im Frankfurter Fall vom 19. Mai 2011 (Tabelle Fall 1) noch ein Verfahren anhängig ist. Hier haben die Anwälte der Angehörigen im März 2012 gegen die staatsanwaltschaftliche Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Todesschützin im März 2012 Beschwerde eingelegt, also knappe zwei Monate vor Caffiers Presseerklärung.[3] Im Monheimer Fall vom 1. Dezember 2011 (Tabelle Fall 6) erklärte die ermittelnde Staatsanwältin bereits drei Tage nach den Schüssen, es werde „keine weiteren strafrechtlichen Maßnahmen“ gegen die Polizistin geben.[4] Wie die Mutter des Getöteten darauf reagiert hat, ist derzeit nicht bekannt. Eine entsprechende Anfrage bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft blieb unbeantwortet.[5]
Nachträge 2010
Nachzutragen bleiben an dieser Stelle zudem weitere Entwicklungen in zwei Fällen, die bei der seinerzeitigen CILIP-Veröffentlichung leider nicht bekannt waren oder sich erst später ereigneten.
Dies betrifft zunächst den Todesschuss vom 26. Januar 2010 in Frankfurt/M., bei dem ein Mann in einem Krankenhaus zunächst seine Freundin mit einem Messer bedroht und damit anschließend die Polizisten angegriffen hatte.[6] So wurde etwa im Dezember 2010 bekannt, dass im Rahmen der Beweissicherung eine Videoaufzeichnung sichergestellt wurde, bei der jedoch wichtige Sequenzen fehlen sollen.[7] Zudem gab es spätere Zeugenaussagen, wonach einer der Beamten den nach den Schüssen am Boden Liegenden gegen den Kopf getreten habe. Gestützt wird dies durch ein gerichtsmedizinisches Gutachten, wonach der Tote Kopfverletzungen aufwies, die „wahrscheinlich von einem Tritt herrührten.“[8] Weiterhin soll es einen Funkspruch der Beamten vom Tatort geben, der im Gegensatz zu ihren späteren Zeugenaussagen stehe.[9] Gleichwohl wurde das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren im November 2011 eingestellt. Dagegen hat Familie des Getöteten Beschwerde eingelegt. Ein Ergebnis ist hierzu nicht bekannt.[10]
Bei dem anderen Vorgang handelt es sich um den tödlichen Schuss in Hennef am 13. Mai 2010.[11] Hier war ein Mann nach einer Schlägerei vor der Polizei geflüchtet und erschossen worden. Die Staatsanwaltschaft erhob am 11. März 2011 Anklage gegen den Beamten wegen fahrlässiger Tötung.[12] Anfang April 2011 begann der Prozess, die Staatsanwaltschaft forderte eine Geldstrafe in Höhe von 2.700 Euro (90 Tagessätze à 30 Euro); am 15. April 2011 wurde der Beamte freigesprochen.[13]