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Der Schengener Grenzkodex wird Geschichte – Frankreich fordert „systematische“ Kontrollen innerhalb der EU

Die französische Regierung will Medienberichten zufolge wesentliche Inhalte des Schengener Abkommens aussetzen. Demnach sollen an Binnengrenzen in der gesamten Europäischen Union Identitätskontrollen eingeführt werden. Ein entsprechender Vorschlag als Reaktion auf die Anschläge von vergangener Woche wird am Freitag auf einer Sondersitzung der EU-InnenministerInnen beraten. Derzeit haben lediglich Deutschland und Österreich ihre wegen der starken Zunahme von Fluchtbewegungen wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen bis weit ins nächste Jahr verlängert. Auch die Regierungen Schwedens und Sloweniens besetzten einige ihrer Grenzposten, Ungarn hatte im September einen Zaun errichtet.

Welche Art von Kontrollen Frankreich vorschlägt ist derzeit unklar. Am Sonntag sprach der französische Innenminister Bernard Cazeneuve von „systematischen und koordinierten“ Kontrollen innerhalb der EU. Diese wären laut dem Schengener Grenzkodex (alt | neu) allenfalls an den Außengrenzen und auch nur bei Angehörigen von Drittstaaten erlaubt. Offen blieb bei dem Vorstoß aus Paris, ob die geforderten Maßnahmen auch EU-Staatsangehörige beträfen.

„Systematische Personenfahndungsabfrage“ an den Außengrenzen nur bei Angehörigen von Drittstaaten

Der Schengener Grenzkodex sieht die Abschaffung der regelmäßigen Überwachung von Binnengrenzen vor. An den Außengrenzen müssen aber „Mindestkontrollen“ vorgenommen werden. So wird geprüft, ob das mitgeführte Ausweisdokument gültig ist und sich womöglich Fälschungsmerkmale darauf befinden. Anschließend können in einer „eingehenden Kontrolle“ Polizeidatenbanken abgefragt werden. Nach einer „systematischen Personenfahndungsabfrage“ dürfen GrenzbeamtInnen in eigenem Ermessen Durchsuchungen des Gepäcks oder auch der Person vornehmen.

Die „Mindestkontrolle“ betrifft alle Reisenden, eine „eingehende Kontrolle“ ist jedoch bei EU-Staatsangehörigen („Personen, die das Gemeinschaftsrecht auf freien Personenverkehr genießen“) nur bei vorliegendem Verdacht erlaubt.

Sach- oder Personenfahndungsabfragen werden derzeit über das Schengener Informationssystem (SIS II), die Datei „Geschützter Grenzfahndungsbestand“ und die Interpol-Datei „Stolen and Lost Travel Documents“ durchgeführt. Deutsche Grenzbehörden können auch auf das Visa-Informationssystem und das Ausländerzentralregister zugreifen. Im „Trefferfall“, also wenn eine Person, ein Ausweisdokument oder ein Gegenstand zur Fahndung ausgeschrieben sind, muss unverzüglich die ausschreibende Stelle über das sogenannte SIRENE-Netzwerk kontaktiert werden.

Mit dem Aufkommen des Phänomens „ausländischer Kämpfer“ haben die Mitgliedstaaten stärkere Kontrollen an Außengrenzen eingeführt. Dies betrifft auch EU-Angehörige. Um die Bestimmungen des Schengener Abkommens und das Verbot „systematischer Kontrollen“ von UnionsbürgerInnen einzuhalten werden diese bislang nur auf bestimmten Reisewegen kontrolliert, etwa bei Flügen aus der Türkei, dem Libanon, Tunesien und Ägypten.

Laut dem Bundesinnenministerium handele es sich dabei lediglich um „risikobasierte bzw. lagebezogene“ Personenfahndungsabfragen von Unionsangehörigen. Diese seien demnach als „nicht-systematisch“ anzusehen. Nur wenn solche Kontrollen rechtlich vorgeschrieben würden, sei eine Änderung des Schengener Grenzkodex erforderlich. Auch die EU-Kommission teilt die Einschätzung, dass solche „nicht-systematische Personenfahndungsabfragen“ bei EU-Staatsangehörigen erlaubt seien. Frankreich vertrat hingegen die Auffassung, der Schengener Grenzkodex müsse entsprechend überarbeitet werden.

„Risikobewertung“ von BKA und Europol

Im Juni hatte die Kommission neue Kriterien für Kontrollen an den Außengrenzen veröffentlicht. Sie werden in einem gemeinsamen „Leitfaden für Grenzschutzbeamte“ erläutert. Das Handbuch soll die europaweiten Kontrollen vereinheitlichen und richtet sich an alle Staaten des Schengen-Raums. Auch wenn Rumänien, Kroatien, Bulgarien und Zypern den Beitritt zur EU-Grenz-Gemeinschaft noch nicht endgültig vollzogen haben, sollen die Regelungen auch für sie gelten. Der Leitfaden ist allerdings nicht bindend und kann durch nationale Regelungen übergangen werden.

Die Kontrollen zurückkehrender „ausländischer Kämpfer“ basieren auf einer „Risikobewertung“. Entsprechende Kriterien wurden unter Mitarbeit des Bundeskriminalamtes (BKA) von der Kommission erstellt und sind geheim. Alle drei Monate wird die Sammlung von der EU-Polizeiagentur Europol aktualisiert. Besonderes Augenmerk legen die KontrolleurInnen derzeit auf Männer im kampffähigen Alter, Art und Zustand mitgeführter Kleidung oder ein fehlendes Rückflugticket. Als verdächtig gelten Nervosität, aggressives Verhalten oder „übertriebene Kooperationsbereitschaft“.

Nun drängt Frankreich auf die Einführung weiterer Verschärfungen im Bereich der inneren Sicherheit. Nach den Anschlägen vom Januar hatte auch das EU-Parlament seine zögerliche Haltung gegenüber der Einführung einer Passagierdatenbank („Passenger Name Records, PNR) aufgegeben. Ursprünglich war geplant, alle mit den Flugzeug in die EU Einreisenden zuvor mit polizeilichen Datensammlungen abzugleichen. Frankreich forderte schon damals, die PNR-Datensammlung auf innereuropäische Flüge zu erweitern. Auch dies wird am Freitag auf der EU-Innenministerkonferenz beraten.

Frankreich will biometrische Vorratsdatenspeicherung aller Reisenden

Anvisiert ist auch, dass Europol auf die PNR-Daten zugreifen und diese mit eigenen Beständen abgleichen darf. Im September waren im Europol-Informationssystem 1.527 Personen als „ausländische Kämpfer“ gespeichert. Der eigens für „ausländische Kämpfer“ angelegte Auswerteschwerpunkt „Travellers“ enthält Daten zu 9.724 Personen, darunter auch zu „Gefährdern und relevanten Personen“ sowie zu „verwendeten Kommunikations- oder Verkehrsmitteln“.

Schließlich will die französische Regierung am Freitag fordern, das geplante System „Intelligente Grenzen“ („Smart Borders“) auf EU-Staatsangehörige auszuweiten. Einen entsprechenden Vorschlag hatte die französische Delegation bereits vor einigen Wochen vorgelegt. Die derzeit nur für Angehörige von Drittstaaten geplante Datensammlung würde auf diese Weise zu einer weltweiten biometrischen Datenbank anwachsen.

Frankreich begründete seinen Vorstoß mit einem gestiegenen Passagieraufkommen, einem „unvorhergesehenen Migrationsdruck“ und „erhöhter Bedrohung durch Terrorismus“. Deshalb würden neue Werkzeuge zur Kontrolle der EU-Außengrenzen benötigt. Während die biometrischen Daten im System „Intelligente Grenzen“ gespeichert blieben, sollen Datum und Ort jedes Grenzübertritts laut dem Papier im Schengener Informationssystem vermerkt werden.

Damals hieß es, nur so könne die Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raums aufrechterhalten werden. Auch dies ist zunächst Geschichte: Einem Bericht des RBB zufolge hat die Bundespolizei nach den Anschlägen in Paris nun begonnen, auch bei Landungen von Flügen aus Frankreich „gegebenenfalls selektiv“ Passagiere zu überprüfen. Die Kontrollen der Binnengrenzen würden laut der Bundesregierung aber vorläufig nicht verstärkt.

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