von Helmut Pollähne
Der Bundestag berät derzeit einen Gesetzentwurf, der die elektronischen Aufenthaltsüberwachung (eAÜ) „extremistischer Gefährder“ ermöglichen soll. Doch bereits jetzt bestehen weitgehende Möglichkeiten des eAÜ-Einsatzes gegen „Islamisten“, die – wie ein zweifelhaftes Staatsschutz-Manöver in Bremen zeigt – befürchten lassen, dass die elektronische Extremismus-Kontrolle zum Kontroll-Extremismus zu werden droht.
Ende 2011 wurde der bundesweit in den Medien als „Emir von G.“ bekannt gewordene Reneé Marc S. vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Da er durchgängig auf freiem Fuß war, trat er die Strafe als sog. Selbststeller im September 2012 im Bremer Justizvollzug an. Die vollzugsinternen Beurteilungen waren zunächst positiv. Auch der Verdacht, er habe sich im Vollzug als islamistischer Missionar betätigt und Mitgefangene für den Jihad geworben, hatte sich trotz intensiver Ermittlungen und vorübergehender Sicherheitsverlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt (JVA) nicht bestätigt.[1] Zwischenzeitlich hatte sich aber der sicherheitspolitische Wind gedreht: Die SalafistInnen waren in den Fokus des Staatschutzes geraten, auch in Bremen. Der mit entsprechenden „Erkenntnissen“ bestückte Justizvollzug und die Bundesanwaltschaft traten einer – ursprünglich ins Auge gefassten – vorzeitigen Entlassung auf Bewährung entgegen: Reneé Marc S. wurde erst zum „gefährlichen Emir“ und dann zum sog. Vollverbüßer gemacht.
Bremische Staatsschutz-Manöver unter Führungsaufsicht
Wer als Vollverbüßer eine längere Freiheitsstrafe – wie in diesem Fall – bis zum bitteren Ende absitzt, gerät von Gesetzes wegen für einige Jahre (hier sollen es fünf sein) unter gerichtliche Führungs- und Bewährungsaufsicht. Dazu erteilt ihm das Gericht Weisungen, die zum Teil sogar strafbewehrt sind: Wer dagegen verstößt, kann sich strafbar machen. All das mag man kritisieren, es ist aber geltendes Recht, das auch hier Anwendung fand.[2] Das zuständige Gericht, erneut der Münchner Staatsschutzsenat, hätte zwar ausnahmsweise davon absehen können, dass Führungssaufsicht eintritt, damit war jedoch nicht zu rechnen.
Außergewöhnlich sind hingegen die auferlegten Weisungen und dabei zunächst einmal, wie sie zustande kamen: Der Bremer Staatsschutz erarbeitete einen seitenlangen Katalog für die JVA, die diesen dann der zuständigen Staatsanwaltschaft, hier: der Bundesanwaltschaft, unterbreitete. Die wiederum beantragte auf dieser Grundlage einen entsprechenden Weisungsbeschluss beim OLG München. Gefordert wurden (neben dem Üblichen, wie z.B.: Kontakt zur Bewährungshilfe, Meldepflichten) u.a.: umfangreiche Kontaktverbote zu mehr als 30 Personen und zahlreichen Institutionen, das Verbot, Bremen ohne Sondererlaubnis zu verlassen, ein weitgehendes Telekommunikationsverbot, tägliche Meldungen bei der Polizei sowie eine elektronische Aufenthaltsüberwachung (eAÜ), auch als „elektronische Fußfessel“ bekannt.[3]
Einen solch umfassenden und weitreichenden Weisungskatalog hat der Verfasser, der zahlreiche MandantInnen vertritt, die unter Führungsaufsicht stehen, noch nicht gesehen.[4] Kurz vor dem beim Münchner Staatsschutzsenat anberaumten Anhörungstermin geschah etwas auf den ersten Blick Erstaunliches: Die Bundesanwaltschaft nahm den eAÜ-Antrag zurück. Begründung: Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür lägen gar nicht vor.[5]
Mit dem Rückzug blieb der Bundesanwaltschaft und dem Bremer Staatsschutz die – möglicherweise einkalkulierte – Blamage, vor dem OLG an die Rechtslage erinnert zu werden, aber nur zum Teil erspart: Der Senatsvorsitzende hatte nämlich einen Staatsschutz-Vertreter als Zeugen geladen und u.a. dazu vernommen, wie es zu dem Antrag gekommen war. Der führte zunächst allgemein aus, man habe den Auftrag ‚von oben‘ gehabt, erst einmal alle Möglichkeiten zu prüfen. Auf Nachfrage, ob denn nicht aufgefallen sei, dass für die Anordnung der eAÜ die gesetzlichen Voraussetzungen gar nicht vorlagen, rutschte ihm dann heraus: „Wir dachten, wir könnten es probieren.“ Dass dies von dem Vorsitzenden auch so ins Protokoll diktiert wurde, war dem Bremer Staatsschutz-Repräsentanten, der sichtlich nervös wurde, gar nicht recht – zu spät: Alle hatten es so verstanden, wie es nun auch obergerichtlich protokolliert stand, dass nämlich klar war, dass die gesetzlichen eAÜ-Voraussetzungen nicht vorlagen, man es aber trotzdem beantragt haben wollte. Tief blicken ließ der Hinweis darauf, das Landesamt für Verfassungsschutz habe den Vorschlag verfasst. Dass der Verfassungsschutz mit der Ausgestaltung der Führungsaufsicht eigentlich gar nichts zu tun haben dürfte, wurde offenbar gar nicht erst hinterfragt.
Welchen Sinn dieses Manöver wohl hatte, wurde, kurz nachdem die Bundesanwaltschaft den eAÜ-Antrag zurückgezogen hatte, deutlich: Der Bremer Innensenator trat vor die Presse und verkündete sein Unverständnis darüber, dass das Gesetz die eAÜ für gefährliche IslamistInnen nicht zulasse, und er forderte entsprechende Gesetzesänderungen.[6]
EAÜ – das geltende Recht
Seit 2011 können Gerichte im Rahmen der Führungsaufsicht die Weisung erlassen, „die für eine elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen“.[7] Die Voraussetzungen dafür (§ 68b Abs. 1 S. 3 StGB) sind:
- Entweder wurde eine freiheitsentziehende Maßregel erledigt oder aber eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren vollständig vollstreckt.
- Die Verurteilung erfolgte wegen einer Straftat aus dem Katalog des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB – das ist der Katalog der Delikte, die die Anordnung der Sicherungsverwahrung erlauben.
- Es muss die Gefahr bestehen, dass der Betroffene weitere der genannten Straftaten begehen wird und
- die eAÜ „erscheint“ erforderlich, um den Betroffenen von der Begehung weiterer Straftaten aus dem Sicherheitsverwahrungskatalog abzuhalten.
Verwiesen wird dabei auf den § 463a StGB, der die Aufgaben und Befugnisse der sog. Aufsichtsstelle regelt. Sie „erhebt und speichert mit Hilfe der von der verurteilten Person mitgeführten technischen Mittel automatisiert Daten über deren Aufenthaltsort sowie über etwaige Beeinträchtigungen der Datenerhebung“. Die Daten können nicht nur „zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter“ oder zur Verfolgung einer Straftat aus dem Sicherheitsverwahrungskatalog verwendet werden. § 463a Abs. 4 StPO nimmt vielmehr ausdrücklich Bezug auf die strafbewehrten Aufenthaltsweisungen aus dem § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 StGB, die auch im Fall des Reneé Marc S. zum Einsatz kamen. Gemäß Nr. 1 kann die verurteilte Person angewiesen werden, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen anderen gerichtlich bestimmten Bereich „nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen“; und gemäß Nr. 2 kann sie angewiesen werden, sich nicht an bestimmten Orten („Tabuzonen“)[8] aufzuhalten, die ihr „Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können“.[9] Die von der Aufsichtsstelle erhobenen und gespeicherten Daten sollen auch dazu dienen, Verstöße gegen diese Weisungen festzustellen, nach solchen Verstößen weitere Maßnahmen der Führungsaufsicht zu ergreifen oder sie strafrechtlich zu ahnden.
Zwar geht es also bei der eAÜ primär darum, die verurteilten Personen durch die Möglichkeit einer solchen Datenverwendung „von der Begehung weiterer Straftaten“ der genannten Art abzuhalten; dass aber das damit verknüpfte Präventionskonzept überzeugt, ist äußerst fraglich.[10] Im Vordergrund steht praktisch ohnehin die Verfolgung nicht verhinderter Weisungsverstöße. Vor allem aber sollen der Polizei aufwändige Rund-um-die-Uhr-Überwachungen erspart werden.[11]
Da die Verurteilung des Reneé Marc S. durch das OLG München zu einer Gesamtstrafe im Jahre 2011 aber unter anderem wegen einer Straftat erfolgte, die im Katalog des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB (der seinerseits u.a. auf Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a oder b Bezug nimmt) nicht enthalten ist, und die andere Einzelstrafe (wegen einer Katalogtat) die 3-Jahresgrenze nicht überschritt, schied eine eAÜ-Weisung schon deshalb aus. Ob die übrigen Voraussetzungen des § 68b Abs. 1 S. 3 StGB (s.o.) vorlagen, spielte danach keine Rolle mehr.
Wollte man im Fall Reneé Marc S. und in gleichgelagerten Fällen[12] eine eAÜ-Weisung gemäß § 68b StGB anordnen, würde man vorher also das Gesetz ändern müssen. Da es um Präventionsmaßnahmen des Maßregelrechts geht und Weisungen gemäß § 68d Abs. 1 StGB auch nachträglich angeordnet werden können, wäre es also möglich, dass nach einer entsprechenden Gesetzesänderung – das Vorliegen der anderen Voraussetzungen (s.o.) unterstellt – doch noch eine eAÜ angeordnet wird.[13] Angesichts der bisherigen Nachstellungen des Bremer Staatsschutzes gegen Reneé Marc S. wäre es sicherlich nur eine Frage von Tagen nach Inkrafttreten solcher Neuregelungen, bis ein entsprechender Antrag bei der Bundesanwaltschaft lanciert würde.
Einem in der Öffentlichkeit herbeigeführten Missverständnis gilt es dabei entgegenzutreten: Bereits nach geltendem Recht kann gegen Personen, die wegen einer einschlägigen Tat aus dem Bereich des Terrorismus (also insb. §§ 129ff. StGB)[14] zu einer mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden und diese voll verbüßt haben, eine eAÜ angeordnet werden, wenn die übrigen materiellen Voraussetzungen des § 68b Abs. 1 S. 3 StGB vorliegen. Und dies ist auch bereits geschehen – in den Medien sorgte vor allem der Berliner Fall Rafik Y. für Aufmerksamkeit: Der aus dem Strafvollzug entlassene „extremistische“ Vollverbüßer war gerichtlich angewiesen worden, eine solche „Fußfessel“ zu tragen, hatte sich dieser jedoch entledigt, kurz bevor er u.a. mit einem Messer auf die Polizei losging, die ihn daraufhin erschoss.[15] Nach Auslösung des eAÜ-Alarms in der hessischen GÜL-Zentrale war Y. telefonisch kontaktiert worden, redete aber offenbar wirres Zeug – die Messerattacke war auch per GPS nicht mehr zu verhindern.[16]
Außerdem kann das Gericht schon bei der Aburteilung einschlägiger Taten Führungsaufsicht anordnen (§§ 68 Abs. 1 i.V.m. 129a Abs. 9 StGB). Das kam bisher zwar nur sehr selten vor, könnte künftig aber häufiger der Fall sein, ohne dass das Gesetz insoweit geändert werden müsste. Denn am 30. Juli 2016 trat eine Änderung des § 129a Abs. 9 StGB in Kraft: Demnach können zukünftig auch Unterstützungshandlungen und Werbemaßnahmen für terroristische Vereinigungen (§ 129a Abs. 5) Führungsaufsicht nach sich ziehen – und das obwohl der Strafrahmen bei einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten beginnt. In der Begründung zum Gesetzentwurf hieß es:
„Täter nach § 129a StGB sind nicht nur in der mitgliedschaftlichen, sondern auch in der unterstützenden Begehungsform oftmals von verfestigten Einstellungen motiviert, so dass auch insofern besonderer Bedarf besteht, etwaigen Wiederholungstaten im Wege von Weisungen nach § 68b StGB, die ihrerseits nach § 145a StGB sanktionsbewehrt sind, begegnen zu können.“[17]
Als eine solche Weisung käme allerdings auch in diesem Fall nach – noch – geltendem Recht die eAÜ gegen S. ebenfalls nicht in Betracht.
Elektronische Extremismus-Kontrolle
Der Bremer Innensenator war nicht der erste Landesressortchef, der – lange vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt – eine Ausdehnung der eAÜ auf „islamistische Gefährder“ forderte, aber wohl der erste aus den SPD-Reihen. Es waren dann allerdings – nicht zuletzt wegen der Zuständigkeit für das Strafrecht und das Kriminaljustizsystem – die Justizressorts, die entsprechende Gesetzesänderungen anregten. Auf der Frühjahrstagung der Justizministerkonferenz (JuMiKo) am 1./2. Juni 2016 wurde unter TOP II.9 „Elektronische Aufenthaltsüberwachung bei verurteilten extremistischen Gefährdern“ (Berichterstattung: Bayern) beschlossen:
„1. Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass angesichts der Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch Extremismus ein wirksamer Schutz vor extremistischen Gefährdern gewährleistet sein muss.
2. Sie bitten die mit der Prüfung von Einsatzmöglichkeiten der Elektronischen Überwachung befasste Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses zu untersuchen, ob und ggf. in welcher Weise die der elektronischen Aufenthaltsüberwachung in der Führungsaufsicht zugrunde liegenden Vorschriften im Interesse einer besseren Erfassung verurteilter extremistischer Gefährder erweitert werden sollten.“[18]
Wie insgesamt im Bereich eAÜ[19] bzw. elektronische Fußfessel oder Hausarrest galt auch hier zunächst: „Hessen vorn“! Nachdem der im Oktober 2015 in das Amt des Generalstaatsanwalts eingeführte Prof. Fünfsinn bereits mehrfach für eine Ausweitung der eAÜ-Einsatzmöglichkeiten eingetreten ist, wenn auch zunächst (noch) nicht im vorliegenden Kontext „extremistischer Gefährder“,[20] war es zuletzt seine Justizministerin Kühne-Hörmann (CDU), die sich den Forderungen anschloss.[21]
Ansatzpunkt für die vom Bremer Innensenator und von der JuMiKo ins Spiel gebrachte Änderung wäre zunächst der Straftatenkatalog des § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 2-4 StGB: Dies könnte einerseits über eine Änderung der Vorschriften zur Sicherungsverwahrung (SV, also insbesondere § 66 Abs. 1 und 3 StGB) geschehen. Andererseits könnte der Katalog um Taten erweitert werden, die den SV-Kontext verlassen – ein Systembruch[22] und zugleich ein Beleg für die bereits 2011 geäußerte Befürchtung, würde die eAÜ erst einmal eingeführt, es nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie ausgeweitet wird.[23]
Zweiter Ansatzpunkt wäre, gerade auch um den Bremer Fall S. zu erfassen, eine Gesamtstrafe von mehr als drei Jahren bereits dann ausreichen zu lassen, wenn nur eine der Einzelstrafen (ggf. mit einer herabgesetzten Mindeststrafe) dem eAÜ-Katalog zuzuordnen wäre. Das würde allerdings dazu führen, die eAÜ wegen einzelner Katalogtaten anzuordnen, die hinsichtlich ihres Strafmaßes dem besonderen Schweregrad, der die Maßnahme bisher aus der Sicht des Gesetzgebers verhältnismäßig erscheinen ließ,[24] nicht mehr entsprechen.
Darüber hinaus wäre es – nicht zuletzt im Kontext des Bremer Falles – konsequent, nicht nur die Einhaltung der genannten Aufenthalts-Weisungen per GPS zu überwachen, sondern auch die Kontaktverbots-Weisung (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB); das ließe sich zumindest im gültigen eAÜ-Einsatzkonzept jedoch nicht (oder jedenfalls nicht effektiv) umsetzen. Der technische Fortschritt in dieser Wachstumsbranche sollte jedoch nicht unterschätzt werden.[25]
Vom Referenten- zum Koalitionsentwurf
Das Bundesjustizministerium ist seinem Ruf der hyperaktiven Strafrechtspolitikwerkstatt gerecht geworden: Mit Datum vom 20. Dezember 2016 wurde der Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern“ vorgelegt und am 2. Januar 2017 den „betroffenen Fachverbänden“ zur Stellungnahme zugeleitet.[26] Dazu das passende – und wie gewohnt knackige – Zitat des Ministers:
„Bereits verurteilte Extremisten haben keine Toleranz verdient. Wir müssen sie ganz besonders im Blick behalten. Konkret: Wir werden die elektronische Fußfessel nach der Haft grundsätzlich bei solchen extremistischen Straftätern zulassen, die wegen schwerer Vergehen, der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Terrorismusfinanzierung oder der Unterstützung terroristischer Vereinigungen verurteilt wurden. Das ist kein Allheilmittel, aber ein Schritt, um unseren Sicherheitsbehörden die Arbeit zu erleichtern.“[27]
Konkret plante das Ministerium nun tatsächlich eine Änderung des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB, wonach künftig nicht ‚nur‘ die Sicherungsverwahrung unter erleichterten Voraussetzungen[28] angeordnet werden dürfte, wenn Personen wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (§ 89a StGB), der „Terrorismusfinanzierung“ (§ 89c StGB) oder der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 S. 1 StGB)[29] abgeurteilt werden, sondern – bei Vollverbüßung einer mehr als dreijährigen wegen einer solchen Tat verhängten Strafe – eben auch die eAÜ gemäß § 68b Abs. 1 StGB.
Den Koalitionsfraktionen ging selbst das nicht weit genug. In ihrem Gesetzentwurf,[30] der bereits am 16. Februar 2017 in erster Lesung vom Bundestag behandelt wurde, wollen sie die eAÜ bereits bei Vollverbüßung einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei statt drei Jahren erlauben – und zwar bei allen „extremistischen Taten“ des 1. und 7. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB. Damit würden auch „Vollverbüßer erfasst, die trotz des womöglich im Ergebnis begrenzten Schadens ihrer bisherigen Taten … eine besondere Gefährlichkeit … aufweisen“, so die Begründung. Mit einer weiteren Änderung im § 463a StPO soll die eAÜ auch in Fällen des bloßen Werbens um Mitglieder oder UnterstützerInnen einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 2) möglich werden.
Gleich im Anschluss an die Debatte dieses Strafrechtsänderungsgesetzes nahm sich der Bundestag übrigens den Neuentwurf des BKA-Gesetzes vor, in dem sich ebenfalls eine eAÜ-Regelung findet. Die betrifft aber nicht verurteilte „Gefährder“, sondern solche, gegen die nicht einmal ein habhafter strafrechtlicher Verdacht existiert: Nach richterlicher Anordnung sollen gegen sie Aufenthalts- und Kontaktverbote verhängt sowie eine eAÜ angeordnet werden, wenn „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“ oder ihr „individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise» eine terroristische Straftat begehen“ werden.[31]
So wie die derzeit vorherrschende großkoalitionäre Sicherheitsrechtspolitik exekutiert wird, ist es sicher nur eine Frage von Wochen, bis beide Gesetze verabschiedet sind. Insgesamt soll der mit Einführung der eAÜ eingeschlagene verhängnisvolle Weg offenbar – um „unseren Sicherheitsbehörden die Arbeit zu erleichtern“ (s.o.) – fortgesetzt und ausgetreten werden, nicht ausschließbar mit Dammbruchwirkung für weitere Fälle.[32] Aus der – bisher auch empirisch – seltenen Ausnahme-Maßregel würde ein Standardinstrument.[33] Die „Kultur der Kontrolle“[34] gedeiht zunehmend technisch und elektronisch, mit allen darin begründeten Gefahren totaler Überwachung und falscher Sicherheitsversprechen.[35] Das Bedürfnis, terroristische Extremismusgefahren unter Kontrolle zu bringen,[36] darf nicht in einen Kontroll-Extremismus umschlagen, sonst schützt sich der Rechtsstaat zu Tode.
Kinder vor die Staatsschutzgerichte?
Am 26. Januar 2017 verurteilte der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle eine 16-Jährige u.a. wegen des Verdachts der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (IS) zu einer sechsjährigen Haftstrafe nach Jugendstrafrecht. Zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat (Februar 2016: Messerattacke gegen einen Polizisten auf dem Hbf Hannover) war sie 15 Jahre alt. Dafür sind eigentlich und mit guten Gründen die Jugendgerichte zuständig; zur Zuständigkeit des OLG kam es hier wegen einer Sonderregelung des Jugendgerichtsgesetzes (§ 102 S. 1 JGG) und der Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt. Kinder (Jugendliche gelten als Kinder im Sinne der UN-Kinderrechte-Konvention) vor einen OLG-Staatsschutzsenat zu zerren, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit. In weniger brisanten Fällen wäre allerdings das Jugendgericht zuständig und nicht etwa die Staatsschutzkammer des Landgerichts. Dies aber will die Justizministerkonferenz (JuMiKo) – auf Betreiben Bayerns – offenbar ändern: Künftig sollen auch Jugendliche und Heranwachsende wegen des Vorwurfs einer der in § 74a Abs. 1 GVG genannten Taten vor der Staatsschutzkammer landen, um – so heißt es in einem Beschluss vom 17. November 2016 wörtlich – „eine ausreichend effektive Verfolgung und Verurteilung (zu) gewährleisten“. Einmal abgesehen davon, dass es von einem seltsamen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltteilung zeugt, eine Zuständigkeitsregelung zu treffen zur „Gewährleistung effektiverer Verurteilungen“, hat all das mit den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts nichts mehr zu tun: Dass das BMJV nun prüfen soll, ob das „mit den besonderen Belangen des Jugendstrafrechts vereinbar wäre“, klingt scheinheilig, denn die Frage hätte man sich selbst beantworten können, negativ! All das soll noch getoppt werden durch den weiteren JuMiKo-Vorschlag, die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer auf Vorwürfe gemäß § 91 StGB (Anpreisen von Schriften, die geeignet sind, als Anleitung zur Begehung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten zu dienen) zu erweitern, auch das dann selbstverständlich „unabhängig vom Alter des Beschuldigten“ und im Interesse einer effektiveren „Verfolgung und Verurteilung“. Man rufe sich in Erinnerung, dass jene inkriminierten Vorbereitungshandlung – eine schon im Grundsatz problematische Vorfeldkriminalisierung – mit einer Höchststrafe von max. drei Jahren oder Geldstrafe belegt wird: Was man sich vor diesem Hintergrund unter „effektiverer Verurteilung“ vorstellt, bleibt schleierhaft. Da wird mit Staatsschutzkanonen auf Spatzen geschossen, und das gilt umso mehr, wenn diese „Spatzen“ Heranwachsende oder gar Jugendliche sind. Ausf. dazu auch: Lederer, J.: Staatsschutz versus Jugendschutz? Jugendliche und Heranwachsende vor dem Strafsenat des OLG, in: Strafverteidiger 2016, H. 11, S. 745-753 |