Alle Beiträge von Heiner Busch

Kommentar: Dem Kaiser, was des Kaisers ist

Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die NSA-Selektorenliste

Nachdem das Bundesverfassungsgericht schon im Oktober die G-10-Kommission abgebügelt hat, sind am Dienstag (15. November 2016) auch die Bundestagsfraktionen der Linken und der Grünen sowie die Vertreter*innen beider Parteien im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner und Konstantin von Notz, mit ihrer Klage gescheitert: Die Bundesregierung darf dem Untersuchungsausschuss des Bundestags auch weiterhin eine Liste von (inaktiven) Selektoren vorenthalten. Es ging dabei keineswegs um sämtliche Suchbegriffe, die der US-amerikanische Geheimdienst NSA dem BND geliefert hatte und mit denen letzterer den Telekommunikationsverkehr am Internet-Knotenpunkt in Frankfurt/Main durchforstet hat. Auf der Liste stehen nur jene 40.000 Selektoren, die dem BND selbst nicht mehr geheuer waren und die er deshalb aussortiert hat – unter anderem weil damit Personen, Organisationen und Firmen aus der EU und auch aus Deutschland überwacht wurden. Die Bundesregierung hatte argumentiert, sie könne dem Ausschuss diese Liste nicht vorlegen, weil für eine Weitergabe an Dritte – damit auch an die parlamentarischen Kontrolleur*innen – die Einwilligung der USA erforderlich sei. Dazu habe man sich in einer völkerrechtlichen Vereinbarung mit den USA verpflichtet. Mit einer Bekanntgabe an den Ausschuss (und nicht etwa an die Öffentlichkeit) riskiere man, von der geheimdienstlichen Kooperation ausgeschlossen zu werden. Und ohne die sei die Arbeit des BND insgesamt gefährdet. Kommentar: Dem Kaiser, was des Kaisers ist weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Der Staat ist in Gefahr, warnte im Januar 2016 der Staatsrechtler Udo Di Fabio. In seinen Grundfesten könne ein Staat nicht nur durch die kriegerische Konkurrenz mit staatlichen Nachbarn (sein Beispiel: Annexion der Krim durch Russland) oder durch Bürgerkriege (sein Beispiel: Syrien) erschüttert werden, meint der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht. „Kann ein Staat die massenhafte Einreise von Menschen in sein Territorium nicht mehr kontrollieren, ist ebenfalls seine Staatlichkeit in Gefahr, schon weil das Staatsvolk und seine für es handelnden Organe … Gefahr laufen, ihre personelle und territoriale Schutzverantwortung zu überspannen und die Funktionsfähigkeit als sozialer Rechtsstaat zu verlieren.“ Nachzulesen ist das in einem Gutachten Di Fabios für die bayerische Landesregierung (immer noch auf bayern.de). Redaktionsmitteilung weiterlesen

Neu-alte Fremdenpolizei: Mit staatlicher Gewalt gegen Geflüchtete und MigrantInnen

von Heiner Busch

Das Ausländer- und Asylrecht war immer auch Sicherheitsrecht. Befeuert von abstrusen Bedrohungsszenarien hat die Regierungskoalition jedoch seit dem Herbst 2015 massive Verschärfungen durchgesetzt.

Es klingt wie die ethnisierte Version der „gefährlichen Klassen“, vor denen sich das Bürgertum im 19. Jahrhundert fürchtete. Am 19. August 2016, kurz vor den Wahlen in Mecklenburg-Vor­pom­mern und Berlin verabschiedeten die Innenminister aus den Reihen der CDU/CSU ihre Berliner Erklärung: „Gefahr terroristischer Anschläge“, „fundamentalistische Islamisten“, die „Silvesternacht in Köln“, „Wohnungseinbrüche“, „Parallelgesellschaften“, „Vollverschleierung“ – das waren nur einige der Horrorszenarien, die sie zu einem kruden Mix an Forderungen verwursteten, die vom Einsatz der Bundeswehr im Innern über den Ausbau der Videoüberwachung bis hin zum Burka-Verbot reichten.[1] Ein „Teil der nach Deutschland zugewanderten Menschen“ sei „nicht in unserer Gesellschaft angekommen“, heißt es in dem Pamphlet. „Er identifiziert sich nicht mit unserem Land, akzeptiert unsere Lebensweise nicht und lässt jeglichen Respekt für staatliche Institutionen vermissen“. Neu-alte Fremdenpolizei: Mit staatlicher Gewalt gegen Geflüchtete und MigrantInnen weiterlesen

Das zweite Jahr der Krise: Kein Weg zurück zur Schengener Normalität

Die Geflüchteten sollen vor den Toren Europas oder allenfalls an seinen Rändern bleiben. Auch im zweiten Jahr der „Asylkrise“ setzt die EU alles daran, die Schengener und Dubliner Ordnung wiederherzustellen.

„Die anhaltenden und nicht nachlassenden irregulären Migrationsströme entlang der Westbalkanroute geben nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis und erfordern … ein Ende der ‚Politik des Durchwinkens’ und der unkoordinierten Maßnahmen entlang der Route …“ So heißt es in den Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der EU zum Thema Migration vom 18. Februar 2016.[1] Praktisch war dies die Ansage, dass die Balkanroute nun demnächst geschlossen würde. Erste Schritte in diese Richtung hatte es schon im Herbst 2015 gegeben. Das zweite Jahr der Krise: Kein Weg zurück zur Schengener Normalität weiterlesen

Schweiz: Nur falsche Demokratien brauchen richtige Geheimdienste

Am 25. September 2015 hat das schweizerische Parlament das Nachrichtendienstgesetz verabschiedet. Exakt ein Jahr später haben die BürgerInnen des Landes die Chance, beim Referendum diese Fehlentscheidung zu korrigieren.

Die Landesregierung (der Bundesrat) und die Parlamentsmehrheit wollen aus dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) einen wirklichen Geheimdienst machen. Er soll Telefone abhören, E-Mails mitlesen und sich an den Verbindungsdaten bedienen, die bei der Telekommunikation anfallen. Er soll fremde Computer hacken, Wohnungen durchsuchen und Wanzen und Videokameras darin installieren dürfen. Und schliesslich will man ihm erlauben, die „leitungsgebundenen Netze“ der Telekommunikation mit dem elektronischen Staubsauger zu bearbeiten; diese „Kabelaufklärung“ soll zwar nur bei „grenzüberschreitenden Signalen“ möglich sein, d.h. also wenn entweder SenderIn oder EmpfängerIn im Ausland sitzen – eine Filterung, die im Internet-Verkehr nur schwer möglich ist und die selbst grössere Geheimdienste nicht hinbringen. Schweiz: Nur falsche Demokratien brauchen richtige Geheimdienste weiterlesen

«Das können wir gegenüber Deutschland nicht rechtfertigen»

«Es ist schwer erträglich, solche Zustände zu sehen. Deshalb darf es nur ein Ziel geben: Solche Zustände darf es in Europa nicht mehr geben.» Das sagte die schweizerische Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 11. August 2016 bei strahlendem Sonnenschein am «Medienanlass» ihres Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Sie sagte es wie immer mit leicht bebender Stimme und fast war man geneigt, ihr die Erschütterung abzunehmen – aber eben nur fast.

Como ist die letzte italienische Bahnstation vor der Grenze zum schweizerischen Südkanton Tessin. In Como sind Hunderte Geflüchtete gestrandet. Sie lagern unter prekären Bedingungen am Bahnhof und im Park davor – unterstützt, so gut es eben geht, von solidarischen Leuten aus Como selbst, aber auch aus der Schweiz, vor allem aus dem Tessin. «Das können wir gegenüber Deutschland nicht rechtfertigen» weiterlesen

Der NSU-Prozess: Wahrheitsfindung mit angezogener Handbremse

Interview mit Rechtsanwältin Antonia von der Behrens

Antonia von der Behrens ist eine der NebenklagevertreterInnen im Prozess vor dem Oberlandesgericht München. „Die Hoffnung unserer MandantInnen, dass der Prozess eine weitere Aufklärung bringen würde, wurden enttäuscht“, sagt die Berliner Anwältin im Gespräch mit Martin Beck und Heiner Busch.

Ende Mai 2016 wird der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ bei 286 Hauptverhandlungstagen angekommen sein. Mit einem Abschluss wird im Herbst dieses Jahres gerechnet. Sicher sei das aber nicht, sagt Antonia von der Behrens. Das Gericht mache keine Ansagen, was aus seiner Sicht an Beweisaufnahmen noch offen ist. Der NSU-Prozess: Wahrheitsfindung mit angezogener Handbremse weiterlesen

Redaktionsmitteilung

Am Anfang herrscht helle Aufregung und Bestürzung. Behörden versuchen zu vertuschen. Die Öffentlichkeit fordert Aufklärung. Verantwortliche werden gesucht und müssen gegebenenfalls zurücktreten. Es wird ein bisschen aufgeräumt, unter Umständen verabschiedet man das eine oder andere Gesetz, MinisterInnen geloben Besserung, das mediale Interesse erlahmt. Die Logik des politischen Skandals besteht darin, dass er vorbei geht und sich nichts Grundsätzliches ändert. In dieser Logik droht auch der NSU-Skandal zu verebben. Die Bundesanwaltschaft reduziert den „Nationalsozialistischen Untergrund“ auf das einsame terroristische Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Das Oberlandesgericht München lehnt es ab, den V-Mann „Primus“ als Zeugen zu laden. Viereinhalb Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU befassen sich zwar – immer noch und wieder – parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit diesem Komplex und insbesondere mit der Rolle des Inlandsgeheimdienstes, der die Aufklärung nach wie vor behindert. Redaktionsmitteilung weiterlesen