Archiv der Kategorie: CILIP 126

Sex, Gender und Kontrolle (Juli 2021)

Digitale Gewalt: überall und nirgends – Polizei und Justiz sind für Frauen nur selten eine Hilfe

von Anne Roth

Unter „Digitaler Gewalt“ wird häufig Hass im Netz verstanden. Hinter dem Begriff verbirgt sich aber noch viel mehr: Es gibt eine digitale Seite der Partnerschaftsgewalt, digitales Stalking durch Bekannte oder Unbekannte oder unsichtbare Aufnahmegeräte im öffentlichen Raum. Darüber ist bislang sehr wenig bekannt. Von der Polizei haben Betroffene wenig Hilfe zu erwarten.

 „Wir hatten einen Fall von einer jungen Frau, die sich an uns gewandt hat, wo der Täter genau wusste, wie ihr Zimmer aussieht – obwohl sie in der dritten Etage wohnt. Es war völlig schleierhaft, wie er das wissen konnte: Da war kein Baum davor, gar nichts. Er konnte ihr sogar die Bilder beschreiben, die an der Wand hingen. Wenn eine Frau zur Polizei geht, die sowas erlebt hat, dann sagen die: Das hat die sich aus den Fingern gesogen.“ Digitale Gewalt: überall und nirgends – Polizei und Justiz sind für Frauen nur selten eine Hilfe weiterlesen

Digitale Gewalt: überall und nirgends: Polizei und Justiz sind für Frauen nur selten eine Hilfe

von Anne Roth

Unter „Digitaler Gewalt“ wird häufig Hass im Netz verstanden. Hinter dem Begriff verbirgt sich aber noch viel mehr: Es gibt eine digitale Seite der Partnerschaftsgewalt, digitales Stalking durch Bekannte oder Unbekannte oder unsichtbare Aufnahmegeräte im öffentlichen Raum. Darüber ist bislang sehr wenig bekannt. Von der Polizei haben Betroffene wenig Hilfe zu erwarten.

 „Wir hatten einen Fall von einer jungen Frau, die sich an uns gewandt hat, wo der Täter genau wusste, wie ihr Zimmer aussieht – obwohl sie in der dritten Etage wohnt. Es war völlig schleierhaft, wie er das wissen konnte: Da war kein Baum davor, gar nichts. Er konnte ihr sogar die Bilder beschreiben, die an der Wand hingen. Wenn eine Frau zur Polizei geht, die sowas erlebt hat, dann sagen die: Das hat die sich aus den Fingern gesogen.“

Etta Hallenga arbeitet in der Frauenberatungsstelle Düsseldorf und hat dort regelmäßig auch mit digitaler Gewalt gegen Frauen zu tun. In diesem Fall hatte der Täter die Frau auch beim Entkleiden gefilmt und sie dann damit unter Druck gesetzt, um zu erreichen, dass sie Dinge tat, die sie nicht wollte, berichtet sie. „Inzwischen ist das Thema Drohne bekannt – so wird es gewesen sein, dass er mit einer Drohne in ihr Zimmer gefilmt hat. Da war keine Gardine davor.“ Digitale Gewalt: überall und nirgends: Polizei und Justiz sind für Frauen nur selten eine Hilfe weiterlesen

Die Neoliberalisierung des Sexuellen: Wie der Geschlechterkonflikt vermarktet wird

von Daniela Klimke und Rüdiger Lautmann

Fortlaufende Sexualskandalisierungen verweisen auf ein einheitliches Syndrom: die Krise der männlich-hegemonialen Sexualität. Das Strafrecht wandelt sich derweil gerade in diesem Feld vom fragmentarischen Regelwerk zum Allheilmittel gegen intime Konfliktlagen, wobei nur eine kurzzeitige Befriedung des Konfliktfeldes eintritt.

Die Fälle übergriffigen, triebhaften und gewalttätigen Handelns von Männern gegenüber Kindern und Frauen lösen regelmäßig heftige öffentliche Entrüstung aus. Immer neue Schutzlücken werden im Strafrecht gefunden, deren Schließung über weitere Straftatbestände und Strafverschärfungen nur kurzzeitig als Erfolg verbucht wird. Denn trotz allem legislativen Aktionismus im Sexualabschnitt zeichnen sich schon wieder die nächsten Problemlagen ab, für die nur das schärfste Schwert des Staates als gerade angemessen erscheint. Die Neoliberalisierung des Sexuellen: Wie der Geschlechterkonflikt vermarktet wird weiterlesen

Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet

von Kai Seidensticker

Die Polizei verändert sich mit gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen, hinkt allerdings beim Wandel der Geschlechterverhältnisse hinterher. Ein Blick auf Geschlecht in der Polizei zeigt, dass die aggressive Polizeimännlichkeit weiterhin als dominantes Muster wirksam ist. Sie wird aber neu begründet.

Frauen gehören seit nunmehr 40 Jahren zum Bild der deutschen Polizeien (siehe Beitrag von Eva Brauer in diesem Heft). Ihr Anteil am Personalkörper betrug im Jahr 2018 je nach Behörde bis zu 32 Prozent. Diese Veränderung der geschlechtlichen Verteilung innerhalb der Personalstruktur fordert tradierte Rollenvorstellungen in der Polizei heraus. Eine Transformation polizeilicher Handlungsmuster, z. B. in Form von mehr kommunikativen Konfliktlösungsstrategien oder stärkerer Einzelfallberücksichtigungen im Umgang mit Bürger*innen, ist bisher jedoch nicht zu verzeichnen. Männlichkeit bildet vielmehr auch heute noch den Kern polizeilicher Handlungslogiken.

In diesem Beitrag gebe ich einen Einblick, wie Männlichkeit in der Polizeiorganisation reproduziert wird. Dabei zeige ich auf, wie die aggressive Polizeimännlichkeit vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels von Geschlechterverhältnissen neu hervorgebracht wird. Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet weiterlesen

Polizeigewalt und Geschlecht: Sedimente eines vergeschlechtlichten Staates

von Hannah Espín Grau

Die wenigsten Fälle übermäßiger polizeilicher Gewalt landen vor Gerichten. Ein Fall aus Köln, in dem die Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen gerichtlich festgestellt wurde, zeigt wie unter einem Brennglas, welche Rolle Männlichkeitskonstruktionen bei Anwendung und Aufarbeitung übermäßiger Polizeigewalt spielen.

Äußerst selten stimmen nach einer polizeilichen Gewaltanwendung die betroffene Person, polizeiliche Zeug*innen und ein Gericht überein, dass die Gewaltanwendung rechtswidrig war. Im Urteil des Landgerichts Köln vom 5. April 2019 (153 Ns 100/18)[1] lässt sich ein derartiger Fall nachvollziehen, der zahlreiche Anhaltspunkte für eine männlichkeitskritische Analyse bietet. Leser*innen, die keine detaillierten Schilderungen homofeindlicher Gewalt lesen möchten, mögen den nächsten Absatz überspringen. Polizeigewalt und Geschlecht: Sedimente eines vergeschlechtlichten Staates weiterlesen

Mit Strafrecht für Frauenrechte? Interview mit Christina Clemm

Christina Clemm ist Anwältin für Straf- und Familienrecht und engagiert sich gegen sexualisierte und rassistische Gewalt. Im Interview betont sie die Notwendigkeit intersektionaler Feminismen. Sie kritisiert eine mangelnde wissenschaftliche Expertise bei Polizei und Justiz zu sexualisierter und gegenderter Gewalt, und sie erläutert, warum es Strafrecht und Nebenklage zu deren Bekämpfung braucht. 

Du arbeitest als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin nicht zuletzt von Opfern sexualisierter Gewalt. Auf der Basis Deiner Praxiserfahrung, wo würdest Du sagen, drückt der Schuh am meisten in diesem Bereich?

Christina: Sexualisierte Gewalt und insgesamt geschlechtsspezifische Gewalt ist ein massives gesamtgesellschaftliches Problem, das alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens durchzieht. Es gibt sie sowohl alltäglich im sozialen Nahraum als auch in politischen Auseinandersetzungen, zum Beispiel gegen Sexarbeiter*innen auf der Arbeitsstelle, in Wohnprojekten, auf Festivals. Es gibt sie besonders häufig gegen Frauen mit Beeinträchtigungen und gegen Menschen, die zusätzlich rassistisch diskriminiert werden, gegen Transpersonen, homosexuelle Personen. Grundsätzlich kann sie jedoch überall vorkommen. Aber sie wird weiterhin individualisiert, statt strukturell analysiert und bekämpft. Mit Strafrecht für Frauenrechte? Interview mit Christina Clemm weiterlesen

Beobachtungsobjekt AfD? Unterwanderung statt politischer Auseinandersetzung

von Heiner Busch und Norbert Pütter

Nach einiger Vorlaufzeit kam der Paukenschlag: Nun werde die Alternative für Deutschland (AfD) als Gesamtpartei vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ beobachtet, hieß es im Januar 2021. Schon einen Tag später zwang ein Gericht das Bundesamt, diese Entscheidung einstweilen zurückzunehmen. Während der „Vorgang AfD“ im Moment ruht, haben die Verfassungsschutzämter mit den „Querdenkern“ neue Verfassungsfeinde entdeckt.

Im November 2015 erklärte der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg Maaßen, die AfD werde von seiner Behörde „nicht als extremistisch eingeschätzt“ und stelle auch „keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ dar.[1] Auf einem Parteitag im Juli 2015 hatte sich Frauke Petry als Vertreterin der nationalkonservativen Strömung gegen den wirtschaftsliberalen AfD-Mit­be­grün­der Bernd Lucke durchgesetzt und war zur Parteisprecherin gewählt worden. Zweiter Sprecher wurde zwar der keinem Flügel zugerechnete Jörg Meu­then, mit Alexander Gauland, Beatrix von Storch und Albrecht Glaser dominierten die Nationalist*innen aber auch den Rest des Vorstandes und bestimmten nun definitiv den Kurs der Partei.[2] Beobachtungsobjekt AfD? Unterwanderung statt politischer Auseinandersetzung weiterlesen

„Reisende Täter“ – OK-Bekämpfung und rassistische Stigmatisierung

Seit mehr als zehn Jahren steht die Figur der „reisenden Täter“ im Zentrum der polizeilichen Bekämpfung von mutmaßlich organisierter Eigentumskriminalität. Im Rahmen der täterorientierte Verfolgungsstrategie haben insbesondere als Sint_izze und Rom_nja markierte Menschen ein hohes Risiko, ins Visier polizeilicher Ermittlungen wegen Organisierter Kriminalität (OK) zu geraten.

 Als nach 2008 die Einbruchszahlen in Deutschland deutlich stiegen, waren die vermeintlich Schuldigen schnell benannt: „Reisende Täter“ oder „mobile kriminelle Banden“ aus Ost- und Südosteuropa wurden von Innenpolitik und Polizei verantwortlich gemacht und die Bekämpfungsstrategien entsprechend ausgerichtet. Den Höhepunkt fand die Entwicklung, als die Innenministerkonferenz (IMK) auf ihren Sitzungen 2016 erklärte, dass die Bekämpfung reisender Einbrecherbanden weiterhin oberste Priorität habe und die konsequente Umsetzung eines „täterorientierten Ansatzes“, eine Stärkung der länderübergreifenden Zusammenarbeit sowie die Verschärfung des Strafrechts und neue Befugnisse zur Strafverfolgung forderte.[1]
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