Schlagwort-Archive: Rassismus

Chronologie Januar 2022

zusammengestellt von Otto Diederichs

1. Januar: Rechtsextremismus: In Iserlohn (NRW) werden auf einem muslimischen Friedhof 30 Grabstellen verwüstet. Durch eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus wird am 6. Januar bekannt, dass in einem Berliner Bezirk zwischen März und Dezember 2021 insgesamt 123 rechtsextremistische Straftaten registriert wurden (Juni 2020 – März 2021: 155). Durch Presseberichte wird am 14. Januar bekannt, dass die StA Marburg (Hessen) drei Burschenschafter der Studentenvereinigung „Frankonia“ wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung anklagt. Die Männer hatten im Juni 2020 das Verbindungshaus der Vereinigung überfallen. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung zwischen rechten und liberal gesinnten Studenten. Am 15. Januar entdecken Polizist*innen in Berlin einen Mann, der auf einen Baukran geklettert ist. Als sie ihn auffordern herunter zu kommen, zeigt er den Hitlergruß und grölt nationalsozialistische Parolen. Er wird festgenommen. Am 18. Januar wird durch eine parlamentarische Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag bekannt, dass die Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) 2021 insgesamt 19.000 rechtsextreme Straftaten verzeichnet. Auf Pressenachfragen bestätigt die Generalbundesanwaltschaft (GBA) am 21. Januar, dass sie das Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitglieder der rechtsextremistischen „Prepper“-Gruppe „Nordkreuz“ wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach über vier Jahren aus nicht hinreichendem Tatverdacht eingestellt hat. Am gleichen Tag wird ebenfalls durch Presserecherchen bekannt, dass der seit Dezember 2020 amtierende Chef der Bundestags-Polizei Mitglied der rechten Burschenschaft „Gothia“ ist. Die Burschenschaft hat personelle Verbindungen zur rechtsextremen „Identitären Bewegung“ und der AfD. Der Referatsleiter wurde bis auf Weiteres von seinen Aufgaben entbunden. In Halle (Sachsen-Anhalt) gibt am 23. Januar ein Mann aus einem gegenüberliegenden Haus mehrere Schüsse mit einer Luftdruckwaffe auf eine Moschee ab. Er wird festgenommen; laut Polizei war er bisher nicht auffällig. Am 24. Januar spricht das Justizministerium Sachsen-Anhalt einer Auszubildenden im Justizvollzugsdienst wegen Rechtsextremismusverdacht ein Betretungsverbot für Haftanstalten aus. Eine weitere dienstliche Prüfung ist eingeleitet. Am 29. Januar durchsucht die Polizei in Fulda (Hessen) nach einem Hinweis ein Mehrfamilienhaus. Dabei werden Nazi-Devotionalien, Waffen und Munition gefunden und sichergestellt.  Chronologie Januar 2022 weiterlesen

Chronologie November 2021

zusammengestellt von Otto Diederichs

1. November: Polizeischüsse: Die Polizei wird alarmiert, weil auf einer Bundesstraße bei Wanfried (Hessen) ein Mann mit einem Messer versucht, Fahrzeuge anzuhalten. Als die Beamt*innen eintreffen, greift er sie damit an. Die Polizist*innen schießen und verletzen ihn schwer. Er wird mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebracht. Am 28. November stoppt ein Zivilpolizist in Berlin nach einem Tankstellenüberfall den bewaffneten Täter mit einem Warnschuss. Er wird festgenommen.

Tod in Polizeigewahrsam: In Wuppertal (NRW) wird die Polizei gerufen, weil sich ein Mann mit seiner Schwester streitet und diese dabei verletzt. Als die Beamt*innen eintreffen, greift der Mann eine Polizistin an und reißt sie zu Boden. Mit Verstärkung gelingt es ihrem Kollegen, den Randalierenden zu überwältigen. Im Polizeigewahrsam wird ihm eine Blutprobe entnommen; dabei verliert der Mann das Bewusstsein und stirbt kurz darauf. Die näheren Umstände sind zunächst unbekannt; erst auf Pressenachfragen bestätigt die Polizei den Vorfall Tage später. Am 7. November teilen Staatsanwaltschaft (StA) und Polizei mit, die Obduktion habe kein Fremdverschulden sondern einen Zusammenhang mit dem Drogenkonsum des Mannes ergeben. Chronologie November 2021 weiterlesen

Chronologie Oktober 2021

zusammengestellt von Otto Diederichs

1. Oktober: Rechtsextremismus bei der Bundeswehr: Die Staatsanwaltschaft (StA) Lüneburg (Niedersachsen) ermittelt gegen neun ehemalige Bundeswehrsoldaten wegen des Verdachts, als Mitglieder einer bewaffneten Wehrsportgruppe, Anschläge auf Migrant*innen geplant zu haben. Mitte September war der Militärische Abschirmdienst (MAD) auf Hinweise darauf gestoßen. Durch Presseberichte wird am 8. Oktober bekannt, dass sich im Wachbatallion des Verteidigungsministerium eine rechte Gruppierung namens „Wolfsrudel„ gebildet hat; gegen sie wird ermittelt. Die betroffene Kompanie wird noch am gleichen Tag aus dem protokollarischen Dienst herausgenommen. Am 12. Oktober durchsucht die Polizei das Grundstück eines Bundeswehr-Hauptmanns in Aldenhoven (NRW). Dabei wird ein umfangreiches Lager mit Schusswaffen, Granaten und Minen gefunden. Der Mann wird festgenommen und am 13. Oktober dem Haftrichter vorgeführt; gegen ihn wird wegen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. In Bayern nimmt die Polizei am 19. Oktober zwei ehemalige Bundeswehrsoldaten fest, die versucht haben sollen eine Söldnertruppe für den jemenitischen Bürgerkrieg zu gründen. Konkret wird ihnen Verabredung zu Mord und Geiselnahme sowie Pläne für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen; es wird noch am gleichen Tag Untersuchungshaft angeordnet. Durch Presseberichte wird am 22. Oktober bekannt, dass bei dem Mitte des Monats in Aldenhoven (NRW) festgenommenen Soldaten neben einem umfangreichen Waffenlager auch radioaktives Material und zwei geheime Dossiers des Bundesnachrichtendienstes (BND) gefunden wurden. Am 26. Oktober wird durch den MAD-Report 2000 bekannt, dass der Bundeswehr-Geheimdienst im vergangenen Jahr bei der Truppe insgesamt 477 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus bearbeitet hat (2019: 363). Davon für den Bereich „Reichsbürger“ 31 Fälle (2019: 16). Insgesamt werden vom MAD aktuell 1.397 Verdachtsfälle bearbeitet, berichtet die MAD-Präsidentin in einer Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgruppe (Pkgr). Seit Jahresanfang 2021 verfügt der Bundeswehr-Geheimdienst über 1.632 Dienstkräfte (2019: 1.551). Im Prozess gegen den unter Terrorverdacht stehenden Bundeswehroffizier Franco A. sagt am 28. Oktober ein Schusswaffenexperte aus, auch im Innern seiner Waffe habe man DNA-Spuren des Angeklagten gefunden. A. wird die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat zur Last gelegt. Chronologie Oktober 2021 weiterlesen

Chronologie Juli 2021

zusammengestellt von Otto Diederichs

Dschihadist*innen-Prozesse: Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (NRW) verurteilt eine Syrien-Rückkehrerin wegen Propaganda für den „Islamischen Staat“ (IS) und eines Kriegsverbrechens zu einer Haftstrafe von vier Jahren. Am 16. Juli verurteilt das Kammergericht (KG) Berlin eine IS-Rückkehrerin wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Das OLG Hamburg verurteilt am 22. Juli eine deutsch-tunesische IS-Rückkehrerin wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Haftstrafe von vier Jahren (Az: 4 St 1/21). Durch Presseberichte wird am 28. Juli bekannt, dass die Bundesanwaltschaft (BAW) vor einem Gericht in Naumburg (Sachsen-Anhalt) gegen eine IS-Rückkehrerin Anklage wegen IS-Mitgliedschaft und Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben hat. Die Frau war 2015 als Jugendliche nach Syrien ausgereist.

NSU 2.0“-Drohschreiben: Das Land Hessen gründet einen Fonds, aus dem Kosten für den Schutz gefährdeter Personen getragen werden sollen, die durch rechtsextremistische Schreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ bedroht werden. In ihrem am 12. Juli vorgelegten Bericht zu rechtsradikalen Chatgruppen in der hessischen Polizei formuliert das eingesetzte Expertengremium auch Forderungen nach einer Technik, die anonyme Abfragen von Polizeicomputern verhindert, wie dies im Falle der „NSU 2.0“-Drohschreiben geschehen ist. Diese Abfragen sind weiterhin ungeklärt. Chronologie Juli 2021 weiterlesen

„Reisende Täter“ – OK-Bekämpfung und rassistische Stigmatisierung

Seit mehr als zehn Jahren steht die Figur der „reisenden Täter“ im Zentrum der polizeilichen Bekämpfung von mutmaßlich organisierter Eigentumskriminalität. Im Rahmen der täterorientierte Verfolgungsstrategie haben insbesondere als Sint_izze und Rom_nja markierte Menschen ein hohes Risiko, ins Visier polizeilicher Ermittlungen wegen Organisierter Kriminalität (OK) zu geraten.

 Als nach 2008 die Einbruchszahlen in Deutschland deutlich stiegen, waren die vermeintlich Schuldigen schnell benannt: „Reisende Täter“ oder „mobile kriminelle Banden“ aus Ost- und Südosteuropa wurden von Innenpolitik und Polizei verantwortlich gemacht und die Bekämpfungsstrategien entsprechend ausgerichtet. Den Höhepunkt fand die Entwicklung, als die Innenministerkonferenz (IMK) auf ihren Sitzungen 2016 erklärte, dass die Bekämpfung reisender Einbrecherbanden weiterhin oberste Priorität habe und die konsequente Umsetzung eines „täterorientierten Ansatzes“, eine Stärkung der länderübergreifenden Zusammenarbeit sowie die Verschärfung des Strafrechts und neue Befugnisse zur Strafverfolgung forderte.[1]
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Männliche Räume – Polizeiliche Raumproduktionen und Geschlecht

von Eva Brauer

Seit nunmehr 40 Jahren gehören Frauen zum Bild der deutschen Polizei. Dennoch ist Männlichkeit in der Polizeikultur auffallend persistent. Eine Analyse institutioneller Raumproduktionen liefert Antworten auf die Frage, wie polizeiliche Maskulinität als konstitutiver Bestandteil der Polizei legitimiert wird.

Gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse verändern sich. Mit dem Einzug von Frauen steht der Wesenskern der Institution – ihr Charakter als männlich geprägte Domäne – unter zunehmendem Legitimationsdruck. Männliche Räume – Polizeiliche Raumproduktionen und Geschlecht weiterlesen

Chronologie April 2021

Zusammengestellt von Otto Diederichs

1. April: Polizeischüsse: In Euskirchen (NRW) nimmt ein Mann einen Hotelangestellten als Geisel und verlangt Lösegeld. Die Polizei überwältigt den Täter durch einen Schuss in die Hüfte. In Krumbach (Bayern) hält sich am gleichen Tag ein Mann unbefugt auf einem fremden Grundstück auf und weigert sich, dieses zu verlassen. Als er eine Polizistin mit einem spitzes Gegenstand angreift, schießt ihr Kollege mehrfach auf den Mann und verletzt ihn schwer. In Hilden (NRW) bedroht ein Mann Polizeibeamte mit einem Schwert, die Beamten schießen ihm daraufhin ins Bein. Er kommt schwerverletzt ins Krankenhaus. Am 21. April greift in Bayreuth (Bayern) ein Mann seinen Vater an und verbarrikadiert sich dann in seinem Zimmer. Als Polizisten das Zimmer stürmen, greift er sie mit einem Messer an. Dann schießt ihm ein Beamter in die Hand. In Haßfurt (Bayern) geben Polizeibeamte am 22. April bei der Festnahme von Drogenhändlern zwei Warnschüsse ab um deren Flucht zu stoppen. Vier Verdächtige werden festgenommen; 7,5 kg Marihuana und eine größere Menge Bargeld werden sichergestellt. Bei einer Fahrzeugkontrolle in Berlin schießt am 24. April ein Polizeibeamter auf die Motorhaube des Wagens, als der Fahrer angeblich plötzlich auf ihn zu beschleunigt; dieser kann flüchten. Chronologie April 2021 weiterlesen

Alternativen von Strafrecht und Polizei: Eine ernüchternde Geschichte

von Helga Cremer-Schäfer

In der Auseinandersetzung um rassistische Polizeigewalt kommt auch die Kritik an Polizei und Gefängnis, an Überwachen und Strafen, wieder zu ihrem Recht. Sozialarbeit wird als Alternative zur Polizei diskutiert. Diese Alternative ist problematisch, solange sie einige Grundannahmen zur Bekämpfung von „Kriminalität“ nicht in Frage stellt.

Sowohl durch den polizeilichen Zugriff der Gefahrenabwehr mit Platzverweis und Gewahrsamnahme als auch durch Verurteilung von Straftäter*innen und ihre Unterbringung in Gefängnissen findet Ausschließung statt. Die Delinquent*innen werden zeitweise aus der Gesellschaft entfernt. Dies ist die breit akzeptierte Form, in der der Staat „Kriminalität bekämpft“. Zu den seltenen historischen Bedingungen, Ausschließungsvorgänge zu begrenzen, gehörten heute zurückgedrängte, doch nicht ganz verschwun­dene professionelle, disziplinäre und wissenschaftliche Gegenbewegungen, die gegenüber staatlich organisierter Bestrafung und dem zugehörigen Ausschlusswissen (wie der traditionellen Anwendungswissenschaften Kriminologie, Psychiatrie, repressiven Fürsorgewissenschaft) eine abolitionistische Haltung einnahmen. Das hieß, institutionell verwaltete Etiketten – „Verbrechen“, „Asozialität“, „Hangtäter*innen“, „Wohlstandsverwahrlosung“ – als Zuschreibung des Status eines „minderen Menschen“ zu analysieren,[1] geschlossene Anstalten/Ge­fäng­nisse als organisierte Ausschließung zu kritisieren, Verdinglichungen durch alternative Herrschaftstechniken zum Objekt von Kritik zu machen und im Negativen eine mögliche andere Zukunft aufscheinen zu lassen: ohne Ausschließungsregime, ohne Ausschließung durch Einschließung in all ihren Formen, ohne speziell die Institution Verbrechen & Strafe, ohne eliminatorische und technische Problemlösungsphantasien, ohne institutionelle Stigmatisierung durch Kontroll-Institutionen. Alternativen von Strafrecht und Polizei: Eine ernüchternde Geschichte weiterlesen