Polizeiliche Todesschüsse 1997

von Otto Diederichs

Die von der Innenministerkonferenz (IMK) für das Jahr 1997 veröffentlichte Statistik über den polizeilichen Schußwaffengebrauch weist wieder einmal Differenzen zur CILIP-Zählung auf. Während offiziell lediglich zehn Polizeischüsse mit Todesfolgen gemeldet wurden,[1] ergaben die Recherchen von Bürgerrechte & Polizei/CILIP zwölf von der Polizei erschossene Personen.

Zusammengestellt wird die Schußwaffengebrauchsstatistik im Auftrag der IMK von der Polizei-Führungsakademie (PFA) in Hiltrup. Grundlage sind dabei die Zahlenangaben aus den einzelnen Bundesländern. Im Gegensatz zur PFA-Zählung nimmt CILIP jedoch auch die tödlichen Folgen sog. „unbeabsichtigter Schußabgaben“ mit auf. Offiziell hingegen werden diese aufgrund eines IMK-Beschlusses von 1983 nicht mehr zu den Polizeischüssen mit Todesfolge gezählt.[2] Selbst die Ausweisung dieser Schüsse in einer gesonderten Kategorie ist mittlerweile entfallen.

Wie schon im Vorjahr[3] wurde durch diesen Erfassungstrick auch in der jetzigen PFA-Auswertung ein Toter nicht gezählt. Aufgrund des fehlenden Erfassungskriteriums hatte Brandenburg einen Vorfall vom Februar 1997 in Fürstenwalde nicht an die Polizei-Führungsakademie weitergeleitet,[4] in der Landesstatistik ist er hingegen aufgeführt.[5]
Komplizierter liegt der zweite Fall. Nachfragen der Redaktion bei den Innenministerien der Länder konnten ihn schließlich in Hessen lokalisieren.[6] Durch einen „Bürofehler“ war er nicht nach Hiltrup weitergemeldet worden. Wegen der verstrichenen Zeit und der mittlerweile erfolgten Pressemitteilung des IMK-Vorsitzenden, des rheinland-pfälzischen Innenministers Walter Zuber (SPD), wird er laut Auskunft des hessischen Innenministeriums auch „nicht mehr nachgemeldet“.[7]

Zwei weitere Tote

Zwei weitere tödliche Schußwaffeneinsätze im Jahr 1997 sind weder in der IMK- noch in der CILIP-Statistik enthalten, da es sich bei den Schützen in beiden Fällen nicht um Angehörige des Polizeivollzugsdienstes handelte. Im ersten Fall wurde am 23.6.97 in Minden ein 44jähriger Mann bei einem Einsatz gegen Zigarettenschmuggler von einem Zollfahnder erschossen.[8] Im zweiten Fall erschoß ein Militärpolizist der US-Streitkräfte am 1.7.97 in Augsburg einen Ladendieb.[9]

Polizeiliche Todesschüsse 1997

1 2 3 4
Name/
Alter
unbekannter Mann
27. J.
unbekannter Mann
23 J.
Thomas Geiger
29 J.
Michael Warzywoda
32 J.
Datum 26.1.1997 8.2.1997 11.2.1997 28.2.1997
Ort/
Land
Brigachtal
Baden-Württemberg
Fürstenwalde
Brandenburg
München
Bayern
Uhingen
Baden-Württemberg
Szenarium Bei einem Polizeieinsatz wird ein Mann durch zwei Schüsse getötet. Die näheren Umstände sind unklar. Nach einem anomynen Anruf, der einen Einbruch meldet, fahren sechs Beamte zum Tatort. Als sie erscheinen, flüchten die drei Täter. Bei der Verfolgung löst sich aus der Waffe eines Beamten ein Schuß und trifft einen der Täter tödlich am Kopf. Nach einem Banküberfall wird der Täter auf einem S- Bahnsteig von zwei Polizisten gestellt. Die Beamten schießen auf ihn, als er seine Waffe zieht und zielt. Von zehn Schüssen treffen vier. Er stirbt im Krankenhaus. Ob der Täter geschossen hat, ist unklar. Schmauchspuren werden nicht gefunden. Ein angetrunkener Autofahrer flüchtet bei einer Polizeikontrolle und umfährt dabei vier Straßensperren. Die verfolgenden Beamten stellen ihn vor seiner Garageneinfahrt. Aus ungeklärten Gründen schießen sie auf den im Wagen sitzenden Mann, dabei durchschlägt eine Kugel seinen Kopf.
Opfer mit
Schußwaffe?
nein nein ja nein
Schußwechsel? nein nein widersprüchliche Angaben nein
Sondereinsatz-
beamte?
nein nein nein nein
Verletzte/ getötete Beamte? nein nein nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? ? ja nein nein
Staatsanwalt-
schaftliches Ermittlungs-
verfahren?
? ja ja ja
Gerichts-
verfahren?
? ? nein ?
5 6 7 8
Name/
Alter
unbekannter Bankräuber
29. J.
Ernst H.
34 J.
unbekannter Einbrecher
35 J.
unbekannter Einbrecher
Alter unbekannt
Datum 8.4.1997 24.7.1997 23.8.1997 15.9.1997
Ort/
Land
Stuttgart
Baden-Württemberg
München
Bayern
Berlin
Berlin
Bremen
Bremen
Szenarium Als Polizisten bei der Fahndung nach einem Bankräuber den Fluchtwagen stoppen, schießt der Täter mit einem Schrotgewehr und verletzt einen der Beamten. Sein Kollege schießt daraufhin zurück, der Mann stirbt im Krankenhaus. Als ein Streifenwagen zu einer Suiziddrohung gerufen wird, bedroht der geistig verwirrte Mann einen Polizisten und seine Kollegin auf kurze Distanz mit einem Fleischermesser. Daraufhin schießt die Beamtin und trifft den Mann in den Hals. Er stirbt im Krankenhaus. Drei Einbrecher versuchen, auf einem Industriegelände einen Polizisten mit einem Transporter zu überfahren. Daraufhin schießt er auf die Fahrerkabine. Als das Fahrzeug zum Stehen kommt, flüchten zwei Täter; der dritte bricht getroffen zusammen und stirbt noch am Tatort. Bei der Verfolgung eines Bankräubers schießt der Täter mit einer abgesägten Schrotflinte auf die Beamten, diese schießen zurück. Als der Mann schließlich in einem Hinterhof gestellt wird, kommt es erneut zu einem Schußwechsel. Der Täter wird tödlich getroffen.
Opfer mit
Schußwaffe?
ja nein (Fleischmesser) nein ja
Schußwechsel? ja nein nein ja
Sondereinsatz-
beamte?
nein nein nein nein
Verletzte/ getötete Beamte? ja (verletzt) nein nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? nein nein nein nein
Staatsanwalt-
schaftliches Ermittlungs-
verfahren?
? ? ja ?
Gerichts-
verfahren?
? ? ? ?
9 10 11 12
Name/
Alter
Herbert Geil
Alter unbekannt
unbekannter Mann
39 J.
unbekannter Mann
43 J.
unbekannter Mann
70 J.
Datum 16.10.1997 19.12.1997 20.12.1997 28.12.1997
Ort/
Land
Breidscheid
Hessen
Egelsbach
Hessen
unbekannt
Bayern
Ingolstadt
Bayern
Szenarium Während einer Zwangsräumung erschießt ein Mann den Gerichtsvollzieher mit einer Pump-Gun und flüchtet. Bei der Verfolgung durch die anwesenden Polizisten kommt es zu einem Schußwechsel. Als der Täter seine Waffe wegwirft, schießt ein Beamter bei der Festnahme in den Rücken des Mannes und tötet ihn. Bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt schießt der Ehemann auf einen Polizisten, als der andere Beamte mit der Frau den Raum verlassen hat. Als dieser nachsieht, liegt sein Kollege am Boden, während der Mann nun auf ihn zielt. Der Beamte tötet den Mann mit zwei Schüssen. Der verletzte Polizist stirbt im Krankenhaus. Bei einem Polizeieinsatz gegen einen Randalierer wird der Mann von einem Beamten erschossen. Die näheren Umstände sind unklar. Die Polizei wird von einer Frau um Hilfe gebeten, da ihr Mann randaliert. Als die Beamten eintreffen, greift er einen Polizisten mit einem Messer an. Dieser schießt ihm daraufhin in “eindeutiger Notwehr³ in den Oberschenkel. Der Mann stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus.
Opfer mit
Schußwaffe?
ja ja ja (Schreckschußpistole) nein (Messer)
Schußwechsel? ja nicht unmittelbar unbekannt nein
Sondereinsatz-
beamte?
nein nein nein nein
Verletzte/ getötete Beamte? nein ja nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? nein nein unbekannt nein
Staatsanwalt-
schaftliches Ermittlungs-
verfahren?
ja ? ? ja
Gerichts-
verfahren?
? ? ? ?
Otto Diederichs ist freier Journalist in Berlin.
(1) Presseinformation der IMK v. 20.5.98
(2) Schreiben der IMK-Geschäftsstelle an die Redaktion v. 5.6.90
(3) vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97), S. 76
(4) Fall 2 der CILIP-Statistik
(5) tel. Auskunft des Innenministeriums v. 27.5.98
(6) Fall 10 der CILIP-Statistik
(7) tel. Auskunft v. 27.5.98
(8) Frankfurter Rundschau v. 24.6.97
(9) Berliner Zeitung v. 3.7.97

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