Vorbemerkung der Redaktion:
‘Vertrauenspersonen’ werden in der Sprache der Polizeigesetze als jene Personen umschrieben, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist. Bei ihnen handelt es sich um Privatpersonen, die auf Dauer für die Polizei arbeiten, von der Polizei Aufträge entgegennehmen und für ihre geleistete Arbeit von der Polizei bezahlt werden. Abgesehen von wenigen Spezialisten innerhalb der Polizeien weiß niemand, wie viele polizeiliche V-Personen es in Deutschland gibt, niemand kennt die Höhe ihrer Bezahlung, niemand die Art und die Zahl ihrer Einsätze. Ihrer Natur nach handelt es sich bei V-Personen um solche Menschen, die sich im bzw. am Rande des kriminellen Milieus befinden. Denn nur wer Zugang zu jenen Kreisen hat, kann der Polizei Informationen versprechen, die sie glaubt, anders nicht erhalten zu können.
In der Vergangenheit hat sich die kritische Öffentlichkeit vor allem mit den Folgen des VP-Einsatzes für das Ermittlungsverfahren und den Strafprozeß beschäftigt. Vor einiger Zeit wandte sich ein CILIP-Leser an die Redaktion, der uns darauf hinwies, daß VPs auch eine besondere Rolle in den Gefängnissen spielen. Der Leser hat sich bereit erklärt, seine Erfahrungen mit V-Personen in der Haft zu Papier zu bringen. Wir veröffentlichen seinen Text nachfolgend, weil Informationen über VPs in Haftanstalten nur spärlich vorhanden sind und weil wir eine öffentliche Diskussion auch über diese Auswirkungen moderner polizeilicher Methoden für dringend erforderlich halten. Um den Autor zu schützen, verzichten wir auf die Nennung seines Namens.
Erfahrungen eines Strafgefangenen
Es ist sehr schwer, eine zusammenfassende Aussage über die VPs in den Haftanstalten der BRD zu tätigen. Denn die Tatsache der Zusammenarbeit mit der Polizei wird in der Haft solange verschwiegen, bis irgendeines der Opfer (oder dessen Kumpels) die VP wiedererkennt. Von dem Zeitpunkt an wird seitens der Anstalt versucht, den Mantel des Stillschweigens über die „geliebte Person“ zu decken, und die VP versucht, mit Gewalt oder anderen Methoden der Einschüchterung, die „Redenden“ zum Schweigen zu bringen. All das, was ich im folgenden schreibe, sind Erlebnisse in den Knästen, in denen ich schon war – überwiegend hessische Anstalten. Die geschilderten Fälle sind mir mit vollständigen Namen und Aktenzeichen bekannt. Da die Polizei aber kein Interesse hat, daß die Angelegenheiten hinter Gittern öffentlich werden, mache ich keine komplette Angaben, um keine Rückschlüsse auf meine Person zu gestatten.
Beispiele
Einige Beispiele werfen ein bezeichnendes Licht auf die Rolle von V-Personen in Haftanstalten: Z.B. war ein junger Bosnier vor seiner Inhaftierung für die Polizei tätig. Er drehte ein Ding, das die Herren nicht mehr decken konnten, und kam hinter Gitter – für 9 Jahre. Die Polizei besuchte ihn regelmäßig, und er war auch mal für mehrere Tage in anderen Anstalten. Durch die üblichen Zufälle wurde bekannt, daß er früher eine VP war: Eines Tages kam ein Häftling in denselben Bau wie er, erkannte ihn und, bevor man ihn verlegen konnte (denn das Opfer wird sofort verlegt, wenn es denjenigen erkennt, welcher ihn hinter Gitter brachte), erzählte er noch, daß dieser Bosnier als Kronzeuge gegen ihn ausgesagt hätte, obwohl er den Mann nicht kannte. Aber er hatte soviel Detailkenntnisse über den Fall, daß das Gericht zur Überzeugung gelangte … Sein Anwalt war der Meinung gewesen, die Polizei hätte den Bosnier mit Akten und Erzählungen so präpariert, daß er in der Lage war, als Zeuge auszusagen. Nach diesem Vorfall wurde festgestellt, daß die VP noch mindestens sechsmal in anderen Anstalten war, bevor er gegen Türken aussagte, nach 2 1/2 Jahren in Freigang ging, nicht nach Bosnien abgeschoben wurde und eine komplett neue Identität erhielt, so daß er jetzt nicht mehr Luka … heißt, sondern „xyz“.
Eine andere VP wurde Anfang der 90er von Baden-Württemberg nach Hessen verlegt, um hier einen einsitzenden alten „Großschmuggler“ als Freund zu gewinnen, ihn zu einer großen Tat mit dem Flugzeug zu überreden, und seinen V-Mann-Führern in Baden-Württemberg den lang ersehnten „großen Fang“ zu präsentieren. Dafür umschmeichelte diese VP das Opfer über ein Jahr lang im Knast und schwärmte ihm vor, was er für Möglichkeiten hat mit seinem Flugzeug. Und da er jahrelang Gold in die BRD mit seinem Flieger hereingebracht hätte, wären Ladungen aus Pakistan und Südamerika gar kein Problem. Nach der Entlassung bearbeitete er diesen Speditionsfachmann noch weitere zwei Jahre, bevor ihm der „kleine Clou“ gelang und das Opfer zu 9 Jahren verurteilt werden konnte. Dabei war die Ladung durch die VP bestellt, geschmuggelt und an die Polizei ausgeliefert worden. Die „Führungsoffiziere“ ließen die VP zwei Schweizer Kripobeamte als Käufer präsentieren, und das Opfer sollte nur die Waren (gelagert bei der Polizei) an die vermeintlichen Käufer übergeben. Dabei wurde er erwischt … Die im Gefängnis an ihn herangebrachte VP bekam seine Prämie, und das Opfer konnte gar nicht glauben, daß sein „bester Freund“ ihn konsequent über Jahre für eine „spektakuläre“ Verhaftung aufgebaut hatte.
Eine andere VP – ein „albanischer Türke“ namens H… – machte in den zwei Jahren, in denen er hinter Gittern war (bei 7 1/2 Jahren), bevor er in den Freigang ging (Deutsche schaffen dies so früh nie, wenn sie nicht „Liebling des Staatsanwalts“ sind), noch Kontakte zu einsitzenden Türken, Deutschen etc., die demnächst abgeschoben oder entlassen werden sollten. Bei einem Türken vermittelte er den Kurier, der brachte 3 kg Rauschgift aus der Türkei; beide konnten – dank H. – verhaftet werden. Dieser Fall wurde bekannt; wie viele Opfer er sich im Knast insgesamt aussuchte, wissen wir nicht.
Da der überwiegende Teil der Drogentäter (und in zunehmendem Maß auch Täter aus allen anderen „kriminellen Sparten“) durch Provokation oder „Fallen-Stellen“ der VPs hinter Gitter kommt, wird hinter Gittern das „geflügelte Wort“ herumgereicht: „Mache deine eigenen Straftaten und arbeite als VP – dann wirst Du seltener in den Knast gehen als sonst.“ Nur, wenn alle „Verbrecher“ zu VPs umfunktioniert worden sind, dann muß die Polizei ihre eigenen Leute jagen.
Können die Straftaten der VPs nicht mehr durch ihre Führungspolizisten gedeckt werden, müssen auch sie hinter Gitter. In den Haftanstalten werden sie genutzt und geschützt bei ihren Versuchen, Mithäftlinge zu bespitzeln. Aber nicht nur das: Sollte sich einer der Bewacher „korrupt“ verhalten, ist es im Sinne der Staatsanwälte, wenn ein in der Anstalt einsitzender „Vertrauensmann“ sich bemüht, das Vertrauen des Beamten zu gewinnen – um ihn dann anklagegerecht „ans Messer“ zu liefern. Dito passiert es natürlich, wenn man unbequeme Häftlinge „los“ werden will. Die Einsatzmöglichkeiten sind weitreichend …
VPs werden bevorzugt behandelt mit besseren Jobs, haben mehr Freiheiten innerhalb der Ordnung, früheren Urlaub als „Normalos“ [1] und zum Schluß noch weniger Haftjahre. Mit letzteren Vorteilen werden natürlich auch „Normalos“ geködert, um dann im Knast ihre Karriere als Spitzel zu beginnen und anschließend, von der Polizei begleitet, in die Sparte der VPs einzusteigen.
Bevorzugte Behandlung
Es gibt nur zwei Gruppen, für die im Knast der „rote Teppich“ ausgerollt wird. Zum einen für „ganz große Wirtschaftsverbrecher“ und zum anderen für „die freiwilligen Mitarbeiter der Polizei“.
Das typische Beispiel der Sonderbehandlung von VPs in Haftanstalten ist im ‘Focus’ Nr. 49/1996 über Abdullah Karadenizs erschienen. Das, was ‘Focus’ herausbekam, war ein Teil dessen, was Knackis wissen, wenn sie mit solchen Menschen zusammenleben müssen. Die absolute Vorzugsbehandlung im Knast stimmt. Daß er wirklich Parties feiern konnte – hinter Mauern, mit allem, von dem die Normalos hinter Gitter nur träumen –, wurde durch verschiedene Insassen bestätigt. Daß er den besten Job als Hausarbeiter bekommen hat und andere für sich arbeiten ließ, ist auch Tatsache. Daß er als Spitzel des LKA Wiesbaden bei einer Haftstrafe von 9 Jahren schon nach 2 1/2 Jahren (als Ausländer) in den Freigang nach Darmstadt verlegt wurde, ist bekannt. Daß er dort, als Liebling der Anstalt (er sorgte dort für Ruhe, wo die Beamten nicht wollten oder konnten; regelte die Geschäfte, die Geld brachten, etc.) und als der wichtige Mann fürs LKA, schon nach Wochen auf die Flucht ging, hätte ihm sein VP-Führer bestimmt verziehen. Aber daß er dann wieder in Bochum tätig wurde, mit Raubüberfall etc., konnte man nicht decken … Obwohl dieser „Apo“ (Spitzname) durch Bemühungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Vorzugsbehandlungen auf allen Ebenen erhielt, werden die Staatsanwälte diese Geschichte und die anderen, welche ich hier notiere, abstreiten. Der Preußischen Ordnung sei Dank, daß dieselben Herren immer sehr viel Papierkram erzeugen, und anhand ihrer Schreiben können sie der „Mauschelei“ überführt werden.
Weist aber der Normalo nun die Anstalt darauf hin, daß die Ungleichbehandlung zugunsten der „Verräter“ ungerecht ist, dann wird einem bedeutet, doch diese VP-Angelegenheit nicht überzubewerten. Überhaupt wird die ganze Problematik heruntergespielt, genau wie außerhalb der Gefängnismauern. Das gilt auch für das Verhalten der VPs. Als zum Beispiel eine VP einen Mithäftling mit Messern oder mit Schaufeln angriff, wurde das seitens der Anstalt nicht an die vorgeordnete Behörde gemeldet und führte bei ihm zu keiner Disziplinarmaßnahme, wie dies jedoch bei jedem „Normalo“ sofort geschehen wäre. Schreiben der Häftlinge an das Justizministerium und den Petitionsausschuß blieben ohne Erfolg … Solange eine Mauer des Schweigens aufgerichtet bleibt, ist es nachvollziehbar, warum kaum Informationen aus dem Knast nach draußen gelangen. Natürlich hat die Anstalt ein Interesse, möglichst viele „Zuträger“ und VPs auf ihrer Seite zu haben, dafür wird im internen Gespräch auch geworben – nach dem Motto: „Haben sie keine Lust, für uns tätig zu werden?“ Diese Anwerbung erfolgt auch noch nach der Verurteilung durch Polizei und Staatsanwaltschaft, in dem Sinne: „Sie werden zunächst mal hinter Mauern tätig und dann, bei frühzeitiger Entlassung, draußen für uns.“ Dafür tätigen die Vertreter der Exekutive Besuche in Haftanstalten, in denen die Personen einsitzen, von den sie annehmen, daß sie aufgrund ihres Insider-Wissens möglichst viele potentielle zukünftige Opfer ködern können.
Polizeiliche Interessen
Aber wen interessiert die Vorzugsbehandlung von VPs in Freiheit und im Knast? Solange die Polizei ohne rot zu werden behaupten kann, daß diese VPs ihr wertvollstes Instrument im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität sind, aber nicht merken, daß die meisten VPs die Polizei für ihre eigenen Ziele benutzen, wird sich nichts ändern. Wenn immer mehr Provozierte hinter Gitter kommen, weil sie in Gerichtsverhandlungen erleben müssen, daß einem VP alles geglaubt wird, dann stimmt die Statistik, und die Polizei wird weiter mit ihnen arbeiten. Denn die VPs werden benötigt, um das „Bedrohungsszenario durch Kriminelle“ aufrechtzuerhalten und um dadurch wiederum immer mehr Kompetenzen auf Seiten der Exekutive, insbesondere den Polizeistreitkräften, fordern zu können. Das, obwohl die VPs erst die Kriminalität schaffen, welche die Polizei angibt zu bekämpfen. Denn wenn ich wegen Prämien Menschen hinter Gitter bringe, ist es doch egal, ob der andere wirklich was getan hat oder ob man ihn dazu verführte. Das Ergebnis für die Akten ist wichtig und nicht die Menschenwürde oder ein Rechtsstaat, der schon lange ausgehöhlt ist durch die Seilschaften zwischen VPs, VP-Führern und verständnisvollen Staatsanwälten.
Mit den modernen, prämienbezahlten „V-Männern“ und „-Frauen“ unterhöhlt die Exekutive – gedeckt durch die Judikative – den Rechtsstaat; und unterstützt die soziale Veränderung der modernen Gesellschaft zu einer „Gemeinschaft des Mißtrauens und der vorbeugenden Kontrolle“ auf allen Ebenen des Zusammenlebens.