Sicherheitsrisiko Nr. 1 – AusländerInnen als Sündenböcke der „Terrorbekämpfung

von Anja Lederer

Die Rechtspositionen der AusländerInnen werden mit dem zweiten Anti-Terror-Paket erneut massiv verschlechtert. Die Verschärfungen sollen unter dem Deckmantel der „Terrorbekämpfung“ durchgezogen und einer späteren Debatte um das Zuwanderungsgesetz von vornherein entzogen werden.

An vorderster Stelle stehen dabei Ergänzungen der „besonderen Versagungsgründe“. Solche Gründe ermöglichen es, selbst jenen AusländerInnen die Aufenthaltsgenehmigung oder deren Verlängerung zu verweigern, die eigentlich einen Anspruch darauf hätten, etwa weil sie mit Deutschen verheiratet sind. Dies soll nun zwingend auch dann geschehen, wenn die AntragstellerIn „die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zu Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt oder eine derartige Vereinigung unterstützt.“[1]

Die geplante Änderung zielt keineswegs nur auf Personen, die des Terrorismus verdächtig sind. Diesen hätte man auch bisher schon – entsprechende Kenntnis der hierzu berufenen Behörden vorausgesetzt – ein Visum versagen dürfen. Betroffen werden vielmehr – je nach politischem Gutdünken und Tagesaktualität – Angehörige bestimmter revolutionärer Organisationen, die in ihrem Heimatland mit Gewalt für politische Veränderungen kämpfen. Dem Innenausschuss des Bundesrates geht selbst diese Formulierung nicht weit genug.[2] Bei „Gefahren und Bedrohungen von derartigem Gewicht (dürfe) nicht darauf abgestellt werden, ob dem einzelnen Ausländer sein Fehlverhalten ohne jeden Zweifel nachweisbar ist.“ Visa seien schon dann zu verweigern, wenn „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte die Annahme“ einer solchen Gefährdung „gerechtfertigt ist“, wenn also lediglich ein leiser Verdacht besteht. Die Sicherheitsinteressen Deutschlands hätten gegenüber den Interessen der einreise- bzw. aufenthaltswilligen AusländerInnen Vorrang. In solchen Fällen könne auch ein bis dahin rechtmäßiger Aufenthalt nicht weiter hingenommen werden.

Bei Visumsanträgen – etwa zu Besuchszwecken oder zur Familienzusammenführung – will der Bundesratsausschuss durch obligatorische Sicherheitsbefragungen in den deutschen Konsulaten prüfen lassen, ob Versagungsgründe vorliegen. Geht es nach dem Regierungsentwurf, sollen die Ausländerbehörden und Konsulate „nur“ die Möglichkeit erhalten, Daten der AntragstellerInnen und der Einladenden an den Bundesnachrichtendienst (BND), den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst (MAD), das Bundeskriminalamt (BKA) und das Zollkriminalamt (ZKA) zu übermitteln. Das Bundesinnenministerium soll zusammen mit dem Auswärtigen Amt in einer Verwaltungsvorschrift festlegen, in welchen Fällen die Geheimdienste, das BKA und das ZKA diese Daten auch nach Abschluss der Sicherheitsprüfung weiter speichern und nutzen dürfen. Wer eine Sicherheitsprüfung über sich ergehen lassen muss – welche Personengruppen, aus welchen Staaten -, kann die Verwaltung selbst festlegen.

Erweiterte Definition des „Missbrauchs des Gastrechts“

Den neuen Versagungsgründen sollen auch gleiche Ausweisungsgründe entsprechen. Grundsätzlich unterscheidet das Ausländerrecht zwischen „Kann-Ausweisungen“, bei denen die Ausländerbehörden eine Ermessensentscheidung treffen und die Ausweisungsgründe gegen die familiären Bindungen der Betroffenen und ihre Integration in hiesige Verhältnisse abwägen müssen, „Regelausweisungen“, bei denen nur ausnahmsweise von einer Ausweisung abgesehen wird, und „Ist-Ausweisungen“, die zwingend erfolgen.

In den oben genannten Fällen (Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung etc.) will es die rot-grüne Bundesregierung nicht wie bisher bei einer Ermessensentscheidung belassen. Die Ausweisung soll regelmäßig erfolgen. Praktisch können die Behörden schon bei gängigen exilpolitischen Aktivitäten, etwa Botschaftsbesetzungen oder Straßenblockaden, eine „Beteiligung an Gewalttätigkeiten bei der Verfolgung politischer Ziele“ oder eine „Drohung mit Gewaltanwendung“ annehmen. Wie die geplanten Änderungen im Vereinsrecht dient auch die Neuregelung der Ausweisungsgründe in erster Linie der Disziplinierung von AusländerInnen, die hier nicht nur leben, sondern auch politisch aktiv sind.

Eine „Kann“-Ausweisung sieht das „Anti-Terror-Paket“ neu vor, wenn die Betroffenen nicht an „Maßnahmen“ der Behörden mitwirken oder bei falschen Angaben in einer Befragung. Falsche oder unvollständige Angaben über frühere Aufenthalte in Deutschland oder in anderen Staaten oder über Verbindungen zu „terrorismusverdächtigen“ Personen oder Organisationen im Rahmen einer „Sicherheitsbefragung“ sollen in der Regel zwingend zur Ausweisung führen.

Schließlich beabsichtigen Schily & Co. auch, die Rechtsposition politisch Verfolgter weiter zu schwächen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Abschiebung von Flüchtlingen möglich ist, sollen erweitert werden. Die Kriterien sind in gewohnter Weise vage, ihre Konkretisierung bleibt weitgehend der Exekutive überlassen. Abgeschoben werden kann, wer sich „Handlungen“ hat „zuschulde kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“ oder vor der Aufnahme als Flüchtling im Ausland ein „schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen“ hat.

Auch bei den Ausweisungsvorschriften schafft es der Innenausschuss des Bundesrates, über die Vorschläge der Bundesregierung hinaus zu gehen. Eine zwingende Ausweisung erfolgt nach geltendem Recht, wenn der oder die Betroffene zu einer Freiheitsstrafe oder einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt wurde oder wenn sich mehrere Verurteilungen auf insgesamt drei Jahre summieren. Der Ausschuss der Länderkammer will diese Grenze nun auf zwei Jahre absenken. Wenn eine einzelne Verurteilung zwei Jahre Haft überschreitet, sollen selbst anerkannte politische Flüchtlinge ausgewiesen werden. Außerdem müsse bereits „der Verdacht der Unterstützung des Terrorismus … regelmäßig zur Ausweisung führen“; es könne hier „nicht so lange gewartet werden, bis Ermittlungen im Einzelfall zweifelsfrei das genannte Fehlverhalten nachweisen können.“

Dem Innenausschuss des Bundesrates schwebt in diesem Zusammenhang außerdem vor, vollziehbar ausreisepflichtige AusländerInnen in sogenannten „Ausreiseeinrichtungen“ zu internieren und ihren Aufenthalt räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde zu beschränken. Es solle, so die Begründung, „nicht gewartet werden, ob in einem künftigen Zuwanderungsgesetz eine entsprechende Forderung realisiert wird.“ Der Vorschlag setzt „darauf, die Lebensumstände so zu gestalten, dass nicht der Eindruck einer langfristigen Perspektive in Deutschland entsteht“…

Rechtsschutz light

Der Regierungsentwurf sieht auch eine Änderung der Verfahrensvorschriften vor, nach der die bisher bestehende aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen zwingende bzw. Regelausweisung schlechthin abgeschafft werden soll. Dies hätte zur Konsequenz, dass Ausweisungen, die nicht im Ermessen der Ausländerbehörden stehen, ausnahmslos sofort vollziehbar würden. Die Betroffenen wären zukünftig gezwungen, unmittelbar nach Erlass der ausländerbehördlichen Entscheidung gerichtlichen Eilrechtsschutz zu beantragen. Wenn sie das nicht tun oder wenn ihnen das Gericht diesen Schutz versagt, wäre ihre Lebensperspektive in diesem Land zunächst passé. Sie könnten im Normalfall nur noch von ihrem Heimatland aus verfolgen, ob das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung Jahre später möglicherweise zur Aufhebung der Ausweisung führt.

Angesichts der nebulösen gesetzlichen „Vorgaben“ dürfte zwar damit gerechnet werden, dass eine erhebliche Anzahl von behördlichen Ausweisungsentscheidungen der Prüfung durch die Verwaltungsgerichte gerade nicht standhält. Dies käme für die Betroffenen, wenn sie das Verfahren denn überhaupt durchhalten, freilich zu spät. Soweit sich jemand gegen eine Ausweisung aufgrund eines wie auch immer gearteten Bezugs zum „Terrorismus“ juristisch zur Wehr setzt, ist eine Rechtsverteidigung zusätzlich dadurch erschwert, dass die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes normalerweise keinen oder zumindest keinen vollständigen Eingang in das Verfahren finden und die Betroffenen daher hiervon auch keine Kenntnis erhalten können.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich die UrheberInnen des Entwurfs ganz bewusst nicht darauf beschränkt haben, die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen solche Ausweisungen zu beseitigen, die aufgrund einer Nähe zu „terroristischer Betätigung“ im weitesten Sinne erfolgen. Für einen Sofortvollzug derartiger Ausweisungen hätte auch das bisherige gesetzliche Instrumentarium ausgereicht. Den Hauptanwendungsfall der Ausweisungen, gegen die effektiver Rechtsschutz zukünftig nur noch ausnahmsweise möglich ist, stellen vielmehr strafrechtliche Verurteilungen ohne jeglichen politischen Bezug dar. Die rot-grünen GesetzesbastlerInnen glaubten hier nicht einmal mehr so tun zu müssen, als ginge es ihnen um die Abwehr von terroristischen Anschlägen.

Datenerfassung ohne Grenzen

Der strukturelle Rassismus des geplanten Gesetzes offenbart sich speziell bei den vorgesehenen Änderungen zur Erhebung, Übermittlung und Nutzung von Daten hier lebender bzw. hierher strebender AusländerInnen. Bereits jetzt sind im Ausländerzentralregister (AZR) – vergleichbares kennt in der Europäischen Union nur noch Luxemburg – die Daten von mehr als zehn Millionen Menschen erfasst. Die derzeit schon vorhandene Datenflut, die einer Aberkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für AusländerInnen gleich kommt, wird durch die Neuregelungen ins Unermessliche getrieben. Polizei, Bundesgrenzschutz, Zoll, Arbeitsämter, Staatsanwaltschaften u.v.a.m. sollen jetzt online auf den gesamten Datenbestand des AZR zugreifen können – und zwar ohne dass im Einzelfall eine Gefahr bestehen müsste. Dabei ist auch nicht im Mindesten erkennbar, wie diese Datenmengen rein praktisch beherrscht werden könnten, um Anschläge wie die in New York zu verhindern.

Eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes soll zukünftig einen generellen automatisierten Abgleich der Fingerabdrücke von Asylsuchenden mit polizeilichen Tatortspuren ermöglichen. Die Fingerabdrücke sollen generell, unabhängig von dem weiteren aufenthaltsrechtlichen Werdegang, zehn Jahre lang vorrätig gehalten werden. Zum x-ten Mal wird hier eine legislative Stigmatisierung Asylsuchender als per se straftatverdächtig betrieben, die in der öffentlichen Wahrnehmung sicherlich nicht ohne Echo bleiben wird. Ihnen und auch den anderen hier lebenden AusländerInnen wird auch durch weitere Regelungen des Entwurfs überdeutlich gemacht, dass sie bestimmte Rechte schlechterdings nicht beanspruchen können: Wie viele und welche biometrischen Merkmale deutscher StaatsbürgerInnen künftig erfasst und verschlüsselt in Personalausweise und Pässe eingetragen werden, soll in einem zusätzlichen Gesetz festgeschrieben werden. Für die diversen Personalpapiere von AusländerInnen will man dies lediglich in einer Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums festlegen. Eine rein exekutive Entscheidung macht damit AusländerInnen zu Versuchskaninchen, an denen die neue Form von Personalpapieren getestet wird. Im Gegensatz zur deutschen Bevölkerung sollen AusländerInnen auch keinerlei Recht auf Auskunftserteilung über den Inhalt dieser und anderer Personendaten haben. Gleichermaßen nur für die deutschen Staatsangehörigen geplant ist eine Regelung, die die Nutzung der biometrischen Daten auf den Zweck der Identifizierung beschränkt. Dies ist gewiss kein Versehen, sondern hat gesetzgeberische Methode.

Schließlich sollen in Zukunft zu den bereits gängigen erkennungsdienstlichen Maßnahmen die sogenannten „Sprachproben“ ausländischer Menschen hinzukommen, die angeblich zur Bestimmung des Herkunftsstaates bzw. der -region taugen. Auch dies hat mit einer wie auch immer verstandenen Terrorabwehr nichts zu tun, zumal aus den bislang schon durchgeführten „Aufzeichnungen des gesprochenen Wortes“ im Rahmen von Asylverfahren bekannt ist, dass Derartiges zur Aufklärung nichts beiträgt. Dessen ungeachtet wird die Hoffnung beschworen, unliebsame AusländerInnen, deren Herkunft ungewiss ist, mittels solcher Aufzeichnungen schneller abschieben zu können. Im Gegenzug eröffnet die neue Regelung andere Möglichkeiten, nämlich z.B. den Abgleich von Sprachproben mit abgehörten Telefongesprächen.

Geradezu einen Dammbruch stellt eine geplante Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes dar, die einen umfassenden Datenfluss vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) und den Ausländerbehörden zum Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz ermöglicht. Die Asyl- und Ausländerbehörden werden verpflichtet, von sich aus ihnen bekannt gewordene Informationen inklusive personenbezogener Daten über „verfassungsfeindliche“ Bestrebungen oder Tätigkeiten zu übermitteln; das BAFl mutiert damit zum verlängerten Arm des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Dass der Verfassungsschutz derartige Daten gegenüber den Geheimdiensten anderer Staaten nicht geheim hält, pfeifen die Spatzen von den Dächern.

Diese Neuregelung wird dem seit 1993 ohnehin kaum mehr existenten Grundrecht auf politisches Asyl endgültig den Garaus machen. Ohne vollständige und hinreichend konkrete Angaben zu den Asylgründen gegenüber dem Bundesamt gibt es selbstverständlich kein Bleiberecht. Politisch bewusste Asylsuchende, die wissen, was mit ihren Angaben passieren kann, werden sich jedoch hüten, ihre im Heimatland verbliebenen GenossInnen oder Familienangehörigen auf diesem Umweg über die Klinge springen zu lassen. GesetzgeberInnen, die auf diese Weise mit dem Asylgeheimnis umgehen, produzieren damit selbst das Misstrauen der Flüchtlinge und die falschen und unvollständigen Angaben, über die sie sich beklagen.

Gemessen an der vorgeblichen Stoßrichtung, Terrorismus bekämpfen oder verhindern zu wollen, sind die Vorschläge der rot-grünen Regierung – und um so mehr die vom Bundesratsinnenausschuss vorgeschlagenen Änderungen – vollkommen überflüssig. Sie zielen bewusst darauf ab, die permanente Rechtsunsicherheit der hier lebenden ausländischen Bevölkerung weiter zu verstärken und die Tür für staatliche Willkür noch weiter öffnen, als das mit dem bisherigen Ausländerrecht schon der Fall war.

Der fieberhafte legislative Aktionismus gaukelt der deutschen Bevölkerung zugleich vor, der Traum vollendeter Sicherheit ließe sich durch immer neue Gesetze erfüllen. Dabei ist sich die rot-grüne Koalition auch nicht zu schade, einmal mehr ohne Rücksicht auf Verluste das Cliché des ausländischen Sündenbocks zu bedienen. Zum Sturm geblasen wird insbesondere auf diejenigen ausländischen Menschen, die auch im Exil nicht auf politische Betätigung verzichten wollen oder Gewalt gutheißen oder auch nur billigen, um die Unterdrückung in ihren Heimatländern zu beenden.

Es wird der Irrglaube geweckt, mit den nun zur Beschlussfassung anstehenden Regelungen hätten die mutmaßlichen Mitglieder der Al Qaida rechtzeitig vor den Anschlägen vom 11. September als gefährlich erkannt und unschädlich gemacht werden können. Tatsächlich hat schon das bestehende Recht ein irrwitziges Instrumentarium der Überwachung und Einschüchterung der ausländischen Bevölkerung bereitgehalten. Maßnahmen gegen wirklich des Terrorismus Verdächtige wären problemlos möglich gewesen, wenn man denn einen solchen Verdacht gehabt hätte. Die Antwort auf die Fragen, warum dies in Zukunft anders sein sollte und wie die massive Einschränkung von BürgerInnenrechten angesichts dessen zu rechtfertigen ist, muss uns Rot-Grün naturgemäß schuldig bleiben.

Anja Lederer ist Rechtsanwältin in Berlin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] BT-Drs. 14/7386 v. 8.11.2001 (siehe auch unter www.cilip.de/terror)
[2] BR-Drs. 920/1/01 v. 26.11.2001 (siehe auch unter www.cilip.de/terror)

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