Militär, Polizei und die „neuen“ Kriege – Eine Einleitung

von Albrecht Funk

Die Ausrufung des Notstandes und der Einsatz militärischer Gewalt im Innern der westeuropäischen und nordamerikanischen Staaten ist nicht wahrscheinlich. Dennoch: der „Krieg gegen den Terrorismus“ hat die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit, von Polizei und Militär verwischt.

Vor 35 Jahren strömten Hunderttausende auf bundesdeutsche Straßen, um gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu demonstrieren. Das Militär sollte, so die Forderung der Demonstrierenden, auch im Krisenfall der Regierung nicht als überlegene Gewaltressource zur Verfügung stehen; im Staatsinneren sollte es seine logistischen Fähigkeiten allenfalls in Katastrophenfällen zum Einsatz bringen. Die Notstandsgesetze waren dem Denken des Kalten Kriegs verhaftet: Sie lebten von der Erwartung des gewaltsamen Aufstandes einer fünften Kolonne Ulbrichts. Von 1989, vom definitiven Ende des Kalten Krieges her betrachtet, erhält die Notstandsdebatte von 1968 fast surreale Züge. Selbst die zugrunde gehende Regierung der DDR verzichtete darauf, das Militär gegen jene Demonstrationen einzusetzen, die ihr Ende herbeiführten.

Zugleich war die Notstandsdebatte das letzte Glied der weit ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Bemühungen, das Militär in „die Kulissen des Alltags“ zu verbannen und demokratischer Kontrolle unterzuordnen.[1] Als Gewalt, deren Aufgabe es ist, im Falle eines Angriffs den äußeren Feind zu bekämpfen und zu vernichten, ist das Militär nicht nur funktional ungeeignet für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Jede militärische Gewaltanwendung im Inneren stellt vielmehr die Idee einer prinzipiell befriedeten bürgerlichen Ordnung in Frage. Diese mag zwar durch Kriminelle und Störer bedroht werden. Doch die Legitimität der Ordnung beruht auf der von der Mehrheit der BürgerInnen geteilten Überzeugung, dass Gefahren und Störungen ohne die vernichtende Gewalt des Militärs bewältigt werden können: durch eine in ihren Eingriffsbefugnissen limitierte und dem Recht untergeordnete Polizei, deren Beamte im 19. Jahrhundert auch als „Friedensoffiziere“ bezeichnet wurden.

Im Rückblick ist klar: Die Debatte um die Notstandsgesetze war die letzte Schlacht, eine hart umkämpfte historische Trennlinie zu halten; eine Schlacht, die von Erfolg gekrönt war – wenn auch aus Gründen, die wenig mit der Gesetzgebung zu tun haben. Mit den Notstandsgesetzen wurde zwar der innere Einsatz des Militärs legalisiert. Ein militärischer Gewalteinsatz gegen die eigenen BürgerInnen ist jedoch heute in der Bundesrepublik wie in allen anderen westeuropäischen Staaten unvorstellbar. Und selbst die traditionell militärisch organisierten Truppenpolizeien sind in der Zwischenzeit zu hoch professionellen, flexibel operierenden „riot police forces“ umgestaltet worden.

Der Rückblick auf die Notstandsdebatte macht jedoch zugleich klar, dass die Trennlinien zwischen Militär und Polizei heute immer unschärfer werden. Innerhalb der Staaten Europas und Nordamerikas wird die Bekämpfung des Terrorismus zu einer neuen Form der Territorialverteidigung im Alltag. Die Bundesregierung will Einsätze der Bundeswehr auch in „Extremfällen Innerer Sicherheit“ erlauben und diese in einem Luftpolizeigesetz neu regeln.[2] Die Nato hat „die Bekämpfung des Terrorismus“ zu einer ihrer originären Aufgaben erklärt. Weil die aus dem Kalten Krieg stammenden „riesigen Arsenale von Kampfpanzern, statischen Hauptquartieren und inflexiblen Soldaten“ für die neue Aufgabe nicht taugen, hat man begonnen, die Streitkräfte des Bündnisses zu reorganisieren.[3] In den USA schließlich hat der 11. September dazu geführt, dass zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte neben den vier „Regional Central Commands“, die für den Rest der Welt zuständig sind, ein fünftes für Nordamerika eingerichtet wurde.

Außerhalb dieser geordneten Welt westlicher Nationalstaaten finden sich deren Soldaten mehr und mehr mit Aufgaben konfrontiert, die US-Militärs schlicht als „military operations other than war“ (MOOTW) bezeichnen. Sie reichen von der Zerschlagung von Aufständen über die Suche nach Terroristen und die Jagd auf Drogendealer bis hin zum Verteilen „humanitärer Hilfe“ und zur Reaktivierung einer irakischen Öl-Raffinerie. Und sie finden in den Einsätzen von Polizeikräften, Zivilbeamten und Geheimdienstlern in militärisch zumindest teilweise befriedeten Krisengebieten ihre Fortsetzung – in Bosnien und in Kosovo, in Afghanistan und, so hoffen die Militärbefehlshaber, bald im Irak.

Die Folge dieser operativen und institutionellen Veränderungen zeigt sich in zunehmenden Überschneidungen von Aufgaben, die zuvor im Militär, Polizeien und Strafverfolgungsbehörden sowie Geheimdiensten funktional und rechtlich separiert waren. Das Militär gewinnt eine Aufgabe zurück, die einst zu den Kernfunktionen absolutistischer Armeen in Friedenszeiten gehörte: Es soll das Territorium und die Grenze vor potenziell feindlichen Eindringlingen schützen und wird dadurch zum unersetzlichen Partner ziviler Institutionen – sei es des Bundesgrenzschutzes in Deutschland, der Police de l‘Air et des Frontieres in Frankreich oder der Küstenwache in den USA. Dort stehen in der Zwischenzeit Militärjets in Dauerbereitschaft, um entführte Flugzeuge notfalls abschießen zu können.

Je mehr die Unterschiede zwischen inneren und äußeren Gegnern, militärischen Feinden und Rechtsbrechern zu verschwinden scheinen, desto umfangreicher wird das „data sharing“ zwischen militärischen, Auslands- und Inlandsgeheimdiensten sowie Strafverfolgungsbehörden – eine Informationsgemeinschaft, die man traditionell schon aus institutionellem Eigeninteresse begrenzt hatte. In den USA wird das Pentagon zur treibenden Kraft in der Suche nach neuen Technologien und Strategien der elektronischen Überwachung und der „Datenfusion“ – für das Militär wie für den zivilen Bereich. Über die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) finanziert das US-Verteidigungsministerium mehr Forschung als jede zivile Organisation und ist zugleich der wichtigste Abnehmer von modernen Sicherheitstechnologien.

Diese tiefgreifenden Veränderungen führen nicht – wie während der Notstandsdebatte 1968 – zu einer breiten Diskussion des Verhältnisses von Militär und innerstaatlichen Sicherheitsinstanzen. Wir sind im Krieg, in einem allerseits als „neu“ titulierten Krieg, auch wenn europäische Regierungschefs dieses Wort zu vermeiden suchen. Nato-Generalsekretär George Robertson stellt jedoch explizit klar, dass der von Europäern bevorzugte Terminus der „Bekämpfung“ des Terrorismus einem Krieg gleich komme, in dem das Militär eine wichtige Rolle spielt: „Die klare Unterscheidung zwischen Terrorismus und Kriegsführung“ sei ebenso hinfällig wie „die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit“. Schließlich sei es auch nicht möglich „unsere Bevölkerung gegen terroristische Attacken nur mit defensiven Methoden zu beschützen.“[4]

Die neuen Kriege sind die alten

Was ist nun wirklich neu an diesem Krieg? Knapp zwei Jahre nach den Terrorakten des 11. September hat sich der Krieg, den die USA gleich darauf erklärten, zur Kenntlichkeit entwickelt. Im Rauch der Trümmer auf Ground Zero waren Ziel, Form und Logik dieses Krieges zunächst nur schemenhaft auszumachen. Der US-Präsident schwankte zwischen dem Schwur, die Terroristen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, und der martialischen Drohung, dass die USA die Täter samt ihren Helfershelfern, wo immer sie sich auch versteckten, ausräuchern und vernichten würden. In den Augen des damaligen deutschen Verteidigungsministers Rudolf Scharping stellte der Afghanistan-Krieg eine „Polizeiaktion mit den Mitteln des Militärischen“ dar.[5]

Nun versichern uns Militärstrategen und -„philosophen“ wie Herfried Münkler, dass die Anschläge „eine neue Erscheinungsform des Chamäleon Krieges“ markieren: den Trend zu dessen Entstaatlichung und Privatisierung.[6] Geführt von klandestinen Terrorgruppen, angeheizt von Warlords und genährt von Schurkenstaaten erwüchsen den geordneten Nationalstaaten des Westens aus diesen als „neu“ deklarierten Kriegen asymmetrische Herausforderungen. Wo hochgerüsteten Militärmächten nicht mehr feindliche Armeen, sondern lose Netzwerke von Terroristen gegenüberstünden, seien Formen konventioneller Kriegsführung nur von begrenztem Nutzen. Der militärische Angriff auf die „Wurzelstellen terroristischer Netzwerke“ könne nur der notwendige Anfang des „Krieges gegen den Terrorismus“ sein.[7]

Diese Wahrnehmung neuer asymmetrischer Bedrohungen, die neue Formen der Kriegsführung erforderten, ist mittlerweile in den westlichen Industriestaaten zu einer hegemonialen Ideologie des „Krieges gegen den Terrorismus“ geworden – auch wenn die USA und viele Staaten Westeuropas unterschiedliche Schlussfolgerungen daraus ziehen. Die Logik von Aktion und Reaktion mag zwar auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, beruht jedoch auf einer fatalen Verkürzung der Konflikte und Kriege seit dem Ende des Kalten Kriegs.

Terrorismus als Metapher I: Die Totalität des Krieges

Der Zusammenbruch der Twin Towers wird im neuen Krieg zum bildlichen Ausdruck von Bedrohungen, die weit über die unmittelbare Furcht vor neuen Attacken der Al Qaida oder anderer Terrorgruppen hinausgeht. Terrorismus wird zum Inbegriff aller „asymmetrischen Bedrohungen“, die der nationalen Sicherheit der Industriestaaten Nordamerikas, Europas und Asiens entgegenstehen könnten: von Regimen, die nach Massenvernichtungsmitteln streben, von Bürgerkriegen und Warlords, vom Zusammenbruch staatlicher Ordnungsstrukturen oder von den Epidemien auf der Südhalbkugel des Globus. Terroristische Netzwerke und Tyrannen, so US-Sicherheitsberaterin Condolezza Rice in ihrer Begründung des Irakfeldzuges,

„… sind verschiedene Gesichter desselben Übels. Terroristen brauchen einen Platz zum planen, trainieren und organisieren. Mit Terroristen verbündete Tyrannen können die Reichweite ihrer tödlichen Machenschaften erheblich vergrößern. Mit Tyrannen verbündete Terroristen können sich Technologien aneignen, die es ihnen erlauben, in einem immer massiveren Ausmaß zu morden. Jede dieser Bedrohungen vergrößert die Gefahr der anderen. Der einzige Weg zur Sicherheit ist, beide – Terroristen wie Tyrannen – effektiv anzugreifen.“[8]

Es sind nicht die Diffusität asymmetrischer Bedrohung oder die Organisation der Feinde in Netzwerken, die den „Krieg gegen den Terrorismus“ auszeichnen, sondern vielmehr die Unbestimmtheit der Feindbestimmung und die systematische Verwischung von zivilen Formen der Terrorismusbekämpfung und Friedenstiftung einerseits und des Krieges andererseits.

Terrorismus als Metapher II: Die Entscheidung für Krieg

Die USA und die Nato traten nach dem 11. September nicht in einen „neuen Krieg“, sie führten ihn schon. Das Datum markiert nur den historischen Zeitpunkt, an dem der Westen erstmals seit dem Ende der Kolonialkriege in die „gnadenlose Umlaufbahn der Hasspartikel“ geriet, die in den Kriegen der Warlords, der Schutzgeld erpressenden Guerillagruppen und der ideologisch motivierten und mietbaren Terrorunternehmer zuhauf produziert werden.[9] Viele dieser Kriege lassen sich weit in den Kalten Krieg zurückverfolgen, wie in Afghanistan, am Horn von Afrika oder in Indonesien. Diese Kriege werden jedoch, wie Rufin in seinem hellsichtigen Essay schon 1991 warnte, nicht verschwinden, sondern ohne den zähmenden Einfluss und das Interesse der Supermächte weitergehen – unkontrollierter, brutaler, kostenreicher für die betroffenen Menschen und zur selben Zeit unbeachtet von den reichen Staaten des Nordens, die nur dort intervenieren, wo sie ihre Sicherheits- (und Wirtschafts-)Interessen unmittelbar bedroht sehen.

Diese Entwicklung hatte schon in den neunziger Jahren dazu geführt, dass „sich die US-Regierung bei ihrer Außenpolitik in wachsendem Maße von ihrem Militär abhängig machte … lange vor dem 11. September“, wie die „Washington Post“-Journalistin Dana Priest ausdrücklich betont.[10] Sichtbarster Ausdruck dessen ist, dass die Special Forces der US-Armee seit Beginn der neunziger Jahre in 125 Staaten operierten. Aber auch die Bundeswehr-Einsätze in Krisenregionen häufen sich – in Somalia, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Afghanistan und jetzt im Kongo.

Diese neue Rolle hat das Militär nicht etwa inne, weil es sich danach drängte, sondern weil es den westlichen Regierungen am ernsthaften politischen Willen fehlt, Strategien für eine gerechte internationale Ordnung zu suchen. Den regionalen Commanders in Chief wuchs faktisch die Rolle von „Prokonsulen“ zu, die die „unter ihren Füßen brodelnden unterirdischen Konflikte“ mit Gewalt, Diplomatie aber auch der logistischen Unterstützung von humanitären Hilfsorganisationen zu entschärfen suchen.[11] Einer solchen Ordnungspolitik sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Und im Gegensatz zu den sie aussendenden Politikern formulieren viele Soldaten und Offiziere diese Grenzen auch sehr offen und selbstkritisch: Militärische Operationen eignen sich weder dazu, tragfähige Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Friedensordnung zu schaffen. Noch hat das Militär die für einen solchen Versuch notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten.[12]

Terrorismus als Metapher III: Asymmetrie als Chance

Der Krieg gegen den Terrorismus mag lange dauern und aufgrund seines asymmetrischen Charakters nie zu gewinnen sein. Doch sobald man den Blick von den Raub- und Beuteökonomien des Südens weg wendet und nach Washington, London oder Brüssel schaut, zeigt sich der neue Krieg als ein alter: als Instrument, mit überlegenen Mitteln der Gewaltsamkeit Politik zu machen und damit Macht auszuüben.

Das Gesetz des Handelns liegt bei den überlegenen Militärmächten. Die Entscheidung für Krieg eröffnet ihnen ungeahnte Handlungschancen – und zwar gerade weil diese Bedrohungen asymmetrisch sind. „Asymmetrische Konfrontationen haben in der Geschichte Entscheidungen herbeigeführt, während symmetrische Konfrontationen zur Entkräftung tendieren.“[13] So resümiert eine vom Stab des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld in Auftrag gegebene Studie über die Lehren, welche die USA aus der Geschichte vergangener Weltreiche ziehen könnten. Anders ausgedrückt: Wer militärisch überlegen ist, kann die strategische Gunst der Stunde nutzen, den Ausgang der Entscheidung bestimmen und seinen Willen durchsetzen. Die überlegenen Mächte des Nordens bestimmen, wo es in ihrem Sicherheitsinteresse liegt, militärisch zu intervenieren, einen Regimewechsel herbeizuführen und Ordnung zu schaffen. Alleine sie sind aufgrund ihrer überlegenen Gewaltmittel in der Lage, den „decision outcome“ potentieller Militäraktionen zu kontrollieren und die internationale Umwelt in ihrem Sinne zu gestalten. Die Liste möglicher militärischer Neuordnungen war lang, schon bevor die Schlacht im Irak gewonnen wurde. Sie ist seitdem nur länger geworden.[14]

Die Rückkehr des Militärs als Instrument „guter Policey“

Die Rede von den „neuen“ Kriegen geht an der Realität des Krieges gegen den Terrorismus vorbei und erfasst auch nicht dessen Folgen für das Verhältnis von Militär und Polizei. Auch lässt sich der Irak-Krieg nicht als „Theaterkrieg“ bezeichnen. Erhellender ist dagegen ein Rückgriff auf die Funktion des Militärs im vormodernen Staat, in dem dieses das exklusive Mittel zur Durchsetzung und zum Erhalt der Herrschaftsordnung war. Das Bemühen der Landesherren ihr Gebiet zu „polizieren“ war bestimmt von ihrem Interesse, sich die materiellen Ressourcen für Militär und Bürokratie zu sichern, offene Subordination zu unterbinden und Hungerkrisen zu vermeiden. Der Einsatz militärischer Gewalt durch periodische Militärstreifen blieb selektiv und arbiträr und nahm auf die Bedürfnisse und Rechte der polizierten Subjekte nur in sehr begrenztem Umfange Rücksicht.

Das Engagement des Militärs in MOOTW-Aktivitäten heute zeichnet sich – wie schon das imperiale „Policing“ der britischen Kolonialarmeen – durch eine ähnliche Form des selektiven, willkürlichen Gewalteinsatzes aus. Dies gilt nicht zuletzt dort, wo dieser Einsatz als „Peace-keeping Mission“ oder „Befriedungsaktion“ legitimiert wird. Solche Interventionen retten fraglos Menschenleben. Sie erleichtern in vielen Fällen auch das Überleben der leidenden Bevölkerung. Doch sie zielen nicht darauf ab, auch nur die minimalsten sozialen, ökonomischen und politischen Voraussetzungen für eine Befriedung und damit für eine stabile Ordnung zu schaffen. Die Intervention bleibt beliebig, vom Interesse des Westens bestimmt, regionale Krisenherde zu limitieren. Die Aufbietung einer UN-Truppe für den Kongo (wie schon in Sierra Leone) belegt dies in krasser Weise. Aus Kostengründen und der Furcht eines „overstretching“ verzögerte sich die Entsendung dieser am Ende nur symbolischen Truppe um Monate, während die Okkupation des Irak bis zu einer Milliarde Dollar pro Tag verschlingt.

Der Innere Frieden beruht auf gesellschaftlichen Voraussetzungen, die in den meisten Staaten Afrikas und Asiens nicht gegeben sind und auch durch ein völlig umgestaltetes Militär nicht hergestellt werden können. Dessen Mission bleibt darauf begrenzt, „das Ungleichgewicht und die Konfrontation in Schranken“ zu halten. „Direkt am Limes angesiedelte Konflikte lösen eine massive Intervention des Nordens aus. Die übrigen liefern der gleichgültigen Öffentlichkeit das kostenlose Schauspiel von Gemetzeln, bei denen nichts auf dem Spiele steht.“[15]

Bei der Auseinandersetzung um die neue Rolle des Militärs und dessen Verhältnis zur Polizei geht es nicht um neue Notstandsgesetze, gar um einen drohenden neuen Totalitarismus im Namen des Krieges gegen den Terrorismus. Die deutschen oder amerikanischen BürgerInnen werden vom Krieg und auch von den Anti-Terror-Gesetzen nur am Rande betroffen. Ihre Sicherheitsängste dem Staat überantwortend, dürfen sich die EU- oder die US-BürgerInnen ihrer individuellen Freiheiten erfreuen, im Sinne des von George W. Bush formulierten Rates: „Unite, consume and fly.“[16]

Innerhalb der Territorien des Empire sind es die Nicht-BürgerInnen, die als Fremde oder gar als „feindliche Kombattanten“ ausgegrenzt und zum Überwachungsobjekt eines Maßnahmestaates werden. Außerhalb sind es die geschundenen Opfer des Terrors und der Armut, die – wie einst die Bauern und Vaganten – die Segnungen und den Fluch von „Militärstreifen“ über sich ergehen lassen müssen.

Die Auseinandersetzung, die ansteht, geht deshalb zuallererst um die willkürliche Form militärischer Polizierung. Sie kann sich nicht mehr nur an den Sicherheitsinteressen der BürgerInnen des Nordens ausrichten, sondern muss den Interessen, Rechten und Bedürfnissen der Menschen des Südens gleiches Gewicht einräumen. Das setzt die Aufkündigung des von Rufin attackierten Herrschaftspaktes voraus, der die Sicherheit des Nordens durch den Verzicht auf Gerechtigkeit für den Rest der Welt erkauft. Erst dann wird der Krieg gegen den Terrorismus ein Ende finden.

Albrecht Funk ist Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und lebt derzeit in Pitsburgh (USA).
[1] Elias, N.: Der Prozess der Zivilisation, Frankfurt 1976, Bd. 2, S. 325 f.
[2] Financial Times v. 1.3.2003
[3] Robertson, G.: The Role of the Military in Combating Terrorism, in: International Affairs Vol. 49, 2003, p. 37
[4] ebd., p. 36
[5] vgl. die Regierungserklärung zum Kriegsbeginn v. 11.10.2001, BT-Plenarprotokoll 14/192, S. 18697
[6] Münkler, H.: Sind wir im Krieg? Über Terrorismus, Partisanen und die neuen Formen des Krieges, in: Politische Vierteljahresschrift 2001, H. 4, S. 581-589 (582, 584)
[7] ebd., S. 589
[8] Rice, C.: Dr. Condolezza Rice Discusses President’s National Security Strategy, Rede v. 1.10.2002, www.whitehouse.gov/news/releases/2002/10/20021001-6.html
[9] Rufin, C.: Das Reich und die neuen Barbaren, Berlin 1993, S. 117 ff. (franz. 1991)
[10] Priest, D.: The Mission. Waging War and Keeping Peace with America’s Military, New York, London 2003, p. 14
[11] ebd., p. 32
[12] Priest (ebd., p. 54) zitiert John Shalikashvili, Generalstabschef unter Clinton, anlässlich des Kosovokrieges 1999: „Was wir mit unseren diplomatischen Fähigkeiten machen, ist kriminell. Wir zerfetzen sie und sind dadurch noch weniger fähig, Desaster wie in Somalia oder Kosovo zu vermeiden und werden deshalb immer häufiger gezwungen sein, militärische Gewalt anzuwenden.
[13] ebd., p. 399
[14] Neben dem Iran und Nordkorea als verbleibende Mächte der „Achse des Bösen“ umfasst die Liste Syrien, Libanon, Somalia, Sudan, Cuba und Libyen als Staaten, die terroristische Gruppen unterstützen; vgl. Drew, E.: The Neocons in Power, in: New York Review of Books Vol. 50, 2003, No. 10 (12.6.2003), p. 22
[15] Rufin a.a.O. (Fn. 9), S. 26 f.
[16] zitiert nach Sheldon, W.: Inverted Totalitarianism, in: The Nation, May 19/2003

Bibliographische Angaben: Funk, Albrecht: Militär, Polizei und die „neuen“ Kriege. Eine Einleitung, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 75 (2/2003), S. 6-14