SitCen – Solanas geheimdienstliches Vorzimmer

von Heiner Busch

Das von dem Briten William Shapcott geführte Gemeinsame Lagezentrum (SitCen) ist Teil der Zweiten Säule, der militärisch-außen­politischen Strukturen der EU also. Es ist eine jener Institutionen, die unmittelbar dem „Generalsekretär des Rates und Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ unterstellt sind – ein Doppelamt, das seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages 1999 von Javier Solana bekleidet wird.

Seinen Auftrag leitet SitCen aus einer Zusatzerklärung zum Amsterdamer Vertrag her, in der sich die Mitgliedstaaten verpflichteten, die damals neu geschaffene „Strategieplanungs- und Frühwarneinheit“ des Ratssekretariats „soweit irgend möglich durch Bereitstellung einschlägiger Informationen, auch vertraulicher Art“ zu unterstützen. Das aus dieser Einheit hervorgegangene Zentrum sei bis zum 11. September 2001 ein „leeres Schneckenhaus“ gewesen, sagte Shapcott im November 2004 in seiner Stellungnahme vor dem EU-Ausschuss des House of Lords.

Erst danach habe Solana die Zeit für reif gehalten, SitCen eine nachrichtendienstliche Funktion zu geben. Man habe sich dann überlegt, welche Dienste bereit und in der Lage seien, „sensitive Informationen“ zu teilen. Anfang 2002 begann die CivilianIntelligenceCell (CIC) des SitCen – „zivil“ in Abgrenzung zur Intelligence Division des ebenfalls im Ratssekretariat angesiedelten EU-Militärstabs – ihre Arbeit. Ursprünglich setzte sie sich zusammen aus drei Offizieren eben dieses Stabes, zwei Diplomaten aus der „Frühwarneinheit“, einer Person aus der Polizeieinheit des Ratssekretariats sowie sieben „Analysten“ – und zwar aus den Auslandsgeheimdiensten Britanniens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Schwedens, Spaniens und Deutschlands (Bundesnachrichtendienst). Mittlerweile sind auch die Dienste von vier weiteren Mitgliedstaaten vertreten (Finnland, Slowenien, Polen, Ungarn).

Laut Shapcott überlassen die Dienste dem Lagezentrum bis heute nur „assessedintelligence“, also bereits ausgewertete Informationen. Mit den Originalquellen („rawintelligence“) habe SitCen nichts zu tun. Aufgrund dieser Materialien habe das Lagezentrum dem Generalsekretär und den außenpolitischen Gremien der EU Berichte vorgelegt.

CIC, CTG, CTC

Mit den Inlandsgeheimdiensten der EU arbeitete SitCen bis 2004 nicht zusammen. Deren Kooperationsgremium steht jedoch außerhalb des EU-Rahmens: Zum Berner Club, 1978 als lockerer Zusammenschluss im Alpenraum (Schweiz, Österreich, Italien, Frankreich, BRD) gegründet, gehören mittlerweile die Dienste sämtlicher EU-Staaten sowie die Norwegens und der Schweiz.

Innerhalb dieses erlauchten Vereins wurde nach dem 11. September 2001 eine „Counter Terrorism Group“ (CTG) gebildet, deren Auftrag laut einer Studie der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik die Erstellung von „Bedrohungsanalysen“ zum islamistischen Terrorismus ist. Die Leiter der Dienste treffen sich alle sechs, die der Terrorismusabteilungen (die „Arbeitsebene“) alle drei Monate. Das von der CTG erarbeitete Material sei aber allenfalls über persönliche Kontakte in die politischen Gremien des Rates eingegangen, erklärte Shapcott in seiner Stellungnahme vor den Lords im November 2004. Mit der Bildung seiner Counter Terrorism Cell (CTC) Ende 2004 habe SitCen – mit Solanas Unterstützung – versucht, einerseits die „künstliche Aufteilung“ der Terrorismusbekämpfung zwischen zweiter und dritter Säule zu überwinden, und andererseits dafür zu sorgen, dass die „gute analytische Arbeit“ der Inlandsgeheimdienste in der CTG in die politischen und strategischen Gremien der EU einfließe.

In der neuen Zelle sind wiederum nicht alle Mitgliedstaaten vertreten. Die CTC führt (wie schon die CIC) keine eigenen InformantInnen und beansprucht auch nicht, das Koordinationsorgan für die operative Zusammenarbeit der Geheimdienste zu werden. Diese findet vielmehr weiterhin auf bi- oder multilateraler Ebene statt. Die CTC soll statt dessen bereits aggregierte Informationen der nationalen Auslands- und Inlandsgeheimdienste („assessed intelligence“) bündeln und wertet zusätzlich „offene Quellen“ aus.

Das „Ziel des ganzen Unternehmens“ – so noch einmal Shapcott – sei es, im Bereich der Terrorismusbekämpfung „die Informationsbasis für die Entscheidungsträger und Strategen auf europäischer Ebene zu verbessern.“ Zum anvisierten Kundenkreis von SitCen gehören daher vor allem die politischen Gremien des Rates – in der zweiten und nunmehr auch in der dritten Säule. Worin die Qualität der „Bedrohungsanalysen“ besteht und was die „Entscheidungsträger“ damit anfangen (können), erfährt die Öffentlichkeit nicht. Auch in dem Punkt folgt SitCen ganz der geheim(dienstlich)en Logik.

Quellen:
Shapcott, W.: Examination of Witnesses, in: House of Lords, European Union Committee: After Madrid: The EU’s response to terrorism, 5th report of Session 2004-05, pp. 53-62
Müller-Wille, B.: The Effect of International Terrorism on EU Intelligence Co-operation, in: Journal of Common Market Studies 2008, No. 1, pp. 49-73
Bendiek, A.: Die Terrorismusbekämpfung der EU, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin August 2006