Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2012: Mehr Racial Profiling, weniger aufgeklärte Fälle

von Angelina Weinbender

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2012[1] schien wieder einmal zu bestätigen, dass die Kriminalität zugenommen habe und dafür vor allem die „nicht-deutschen Tatverdächtigen“ verantwortlich seien. Was bleibt von den Gewissheiten, wenn man die Statistik richtig liest?

Die PKS ist ein jährlich vom Polizeipräsidenten herausgegebener Bericht, der polizeiliche Tätigkeitsdaten enthält. Der Bericht für das Jahr 2012 umfasst über 200 Seiten mit über 200 Tabellen und Diagrammen. Er bedarf fünf Seiten an „Vorbemerkung und Begriffserläuterungen“ und bietet eine fünfseitige Zusammenfassung der Kernaussagen.

Im Allgemeinen ist die PKS ein Instrument zur Regulation von Verwaltungshandeln, mit dem Polizeihandeln dokumentiert und zukünftiges Handeln legitimiert werden kann. Die überwiegend tabellarische Darstellung erfordert eine besondere Lesekunst (und ein besonderes Leseinteresse), die auf ein begrenztes Lesepublikum trifft.

Als Textgattung versprechen Tabellen einen hohen Informationsgrad und lesen sich eher sachlich und trocken. Sie erzeugen den Anschein von Wissenschaftlichkeit und verleihen Meinungen und Hypothesen Beweiskraft. Es ließe sich sagen, in Deutschland wird etwas erst dann geglaubt, wenn es sich statistisch erfassen und tabellarisch darstellen lässt.

Ein Großteil aller Tabellen (nicht nur jener der PKS) lässt sich jedoch nur mit Hilfe einiger Erläuterungen wirklich verstehen und ist durch die Verwendung von Kürzeln und Zahlenschlüsseln für die meisten nicht lesbar. Oder wüssten Sie auf Anhieb, was eine „Tatverdächtigenbelastungszahl“ oder eine „Bevölkerungsgefährdungszahl“ ist?

Unlesbare Tabellen sind damit eine Herrschaftstechnik: Sie erzeugen Abhängigkeit von ExpertInnenwissen und den Anschein von Objektivität. Die dazu gelieferten Interpretationen erwecken bei den Lesenden den Eindruck, eine Tabelle vollständig erfasst oder zumindest die wichtigsten Informationen erhalten zu haben. Dabei gilt für Tabellen wie für andere Textgattungen auch, dass es immer mehr als eine „richtige“ Interpretation gibt – entscheidend ist, wer welche Fragen stellt bzw. welche Antworten gesucht werden.

In den meisten Fällen jedoch verstehen wir die uns vorgelegten Tabellen nicht bzw. wir haben nicht die Zeit oder machen uns nicht die Mühe, sie zu verstehen – wir schenken ihnen unseren Glauben.[2]

Am 11. April 2013, noch vor der offiziellen Präsentation der PKS im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, unterzog die Berliner Morgenpost ihre LeserInnen einer solchen Glaubensprüfung: Ihre Tabelle zeigt für 38 Straftaten bzw. Straftatengruppen die registrierten Fallzahlen in zwei Spalten für 2011 und 2012 – letztere fett gedruckt. Dahinter folgen in einer dritten Spalte die Veränderungen in 2012 gegenüber dem Vorjahr in Prozent. In dieser letzten Spalte haben die InfografikerInnen der Zeitung kleine farbige Quadrate hinzugesetzt: hellblau für „keine Veränderung“, lindgrün für „Rückgang“ und ein kräftiges Rot für „Anstieg“.[3] Die Interpretation der Zeitung lautet: „Es sind überwiegend alarmierende Zahlen, die einigen Zündstoff enthalten. Die neue Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) für das Land Berlin belegt in zahlreichen Bereichen erhebliche Zunahmen.“

Die Signalfarbe rot dominiert und die Interpretation der Zeitung scheint sofort einleuchtend. Sie bedarf weder eines genauen Hinsehens noch größerer Denkanstrengung, um als „richtig“ erkannt zu werden. Die Lesenden können sich so ohne größere Unterbrechung des Leseflusses wieder dem Zeitungsartikel widmen. Im Text werden sie auf eine weitere wichtige Kennzahl der PKS aufmerksam gemacht: die Aufklärungsquote. Demnach ist die Zahl der insgesamt registrierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr in etwa gleichgeblieben, die Polizei konnte jedoch viel weniger als 2011 aufklären.

Diese Interpretationen entsprechen der dominanten Lesart, die nicht nur durch die „Berliner Morgenpost“, sondern auch von der Polizeidirektion verbreitet wird. Sie besteht im Wesentlichen aus der Aufzählung einzelner im Jahr 2012 registrierter Straftaten im Vergleich zum Jahr 2011 und lautet in etwa so: Mehr Mord und Totschlag, mehr schwere Körperverletzung, mehr Raub und Sexualdelikte. Weniger Auto- und Ladendiebstähle. Und insgesamt weniger Aufklärung durch die Polizei. Die LeserInnen werden kopfschüttelnd zum nächsten Artikel übergehen – in der Annahme, die Tabelle und die darin enthaltenen Informationen vollständig erfasst zu haben.

„Genau hinsehen und sich nicht dumm machen lassen“

Ein zweiter Blick auf die Tabelle und ein kurzer Blick auf die ersten fünf Seiten des PKS-Berichts zeigen ein anderes Bild. Nämlich:

  1. Es geht bei der Polizei weniger um Mord und Totschlag, sondern vor allem um Diebstahl.
  2. Die PKS ist keine Kriminalstatistik, sondern ein polizeiliches Tätigkeitsregister.
  3. Tatverdächtige sind noch keine TäterInnen, und
  4. ein Fall ist nicht gelöst, nur weil er aufgeklärt ist.

Der Reihe nach:

  1. Nicht Mord und Totschlag, sondern Diebstahl: Wer die Tabelle der Berliner Morgenpost oder ihr Original in der PKS genauer betrachtet und sich dabei statt auf Farben und Steigerungsraten auf die Frage konzentriert, welche Straftaten PolizistInnen in ihrem Arbeitsalltag am häufigsten registrieren, erhält ein ganz anderes Bild als das Mord-und-Tot­schlag-Szenario. PolizistInnen haben es nämlich am häufigsten mit Dieb­stahl (213.012 registrierte Delikte) und anderen Vermögensdelikten (insg. 96.384 registrierte Delikte) zu tun. Sie führen die Rangliste an, dicht gefolgt von „sonstigen Straftatbeständen“ mit 93.023 registrierten Delikten, welche auch immer das sein mögen.

Doch welchen Informationsgehalt haben wir gewonnen, wenn wir wissen, dass PolizistInnen am häufigsten Diebstahlsdelikte registrieren? Oder dass die Anzahl der registrierten Mord- und Totschläge gestiegen ist? Wir wissen weder, wie viel Zeit die BeamtInnen für die Bearbeitung dieser Delikte tatsächlich aufbringen, noch welche Ressourcen dafür erforderlich sind. Obwohl sowohl der Innensenat als auch die Gewerkschaft der Polizei ihre Forderungen nach mehr Polizei mit der PKS begründen, lässt sich aus keiner ihrer 200 Seiten entnehmen, wie viele PolizistInnen in Berlin im Einsatz sind, noch für welche Deliktarten die meisten Ressourcen aufgewendet werden bzw. fehlen.

  1. Nicht Kriminalstatistik sondern polizeiliches Tätigkeitsregister: Gleich zu Beginn, auf Seite 5 des PKS-Berichts ist zu lesen: „Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik wird dadurch eingeschränkt, dass der Polizei ein Teil der begangenen Straftaten nicht bekannt wird.“ Wie groß dieser Teil ist, ist ebenfalls nicht bekannt. Die PKS erfasst demnach nicht die tatsächliche Anzahl von Straftaten oder das tatsächliche Ausmaß an Kriminalität, sondern kann lediglich die von der Polizei registrierten Straftaten wiedergeben. Sie dokumentiert also weniger Kriminalität, als vielmehr das Handeln der Polizei.

Es ist daher ebenso gut möglich, dass die Polizei mehr Straftaten registriert, während die tatsächliche Kriminalität zurückgeht. So ist die Zahl der von der Polizei registrierten Taschendiebstähle zwar von 15.127 im Jahre 2011 auf 17.978 Fälle 2012 gestiegen. In Wirklichkeit könnten sich DiebInnen 2011 auch 70.000 Mal und 2012 nur in 50.000 Fällen aus Hosentaschen oder Rucksäcken bedient haben. Erfassen kann die Polizei nur die Fälle, die ihr angezeigt wurden oder die sie selbst durch Kontrollen aufgedeckt hat.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist also im eigentlichen Sinne keine Kriminalstatistik, sondern vielmehr eine tabellarische Darstellung erledigter (und an die Staatsanwaltschaft abgegebener) Fälle, ein polizeiliches Tätigkeitsregister.

  1. Tatverdächtige sind noch keine TäterInnen: In der PKS werden nicht nur einzelne Delikte, sondern auch die Anzahl der von der Polizei verdächtigten Personen registriert. Wie viele dieser Tatverdächtigen vor Gericht tatsächlich als TäterInnen bestätigt werden, lässt sich nicht feststellen. Ein Abgleich „ist mit der Strafverfolgungsstatistik der Justiz wegen unterschiedlicher Erfassungsgrundsätze, -daten und ‑zeitpunkte“ nicht möglich, heißt es wiederum in den PKS-Vorbemerkungen.

Die PKS ermöglicht demnach keine Rückschlüsse auf TäterInnen oder TäterInnen-Kreise, sondern dokumentiert die Verdächtigungen der Polizei. Wie viele davon tatsächlich berechtigt waren, lässt sich der PKS nicht entnehmen. Mit der PKS können demnach keine Aussagen über TäterInnen gemacht werden, zum Profiling der Polizei allerdings schon.

  1. Ein Fall ist nicht gelöst, nur weil er aufgeklärt ist: Als „aufgeklärt“ gilt ein Fall nach PKS dann, wenn „mindestens ein Tatverdächtiger namentlich“ registriert werden konnte. Unklar bleibt, ob der von der Polizei erhobene Tatverdacht auch tatsächlich zur Anklagerhebung und Verurteilung ausreicht oder ob das Verfahren eingestellt wird. Ein laut PKS aufgeklärter Fall kann damit weiterhin ungeklärt bleiben, in dem Sinn, dass einE TäterIn nicht ermittelt werden konnte.

Was die PKS über das Profiling der Polizei verrät

In der PKS werden Tatverdächtige als TrägerInnen folgender Merkmale dargestellt: Geschlecht, Alter, Wohnort, Staatsangehörigkeit (und bei unter 21-Jährigen der „Migrationshintergrund“). Weshalb vor allem diese vier bzw. fünf Merkmale zur Darstellung der durch die Polizei verdächtigten Personen verwendet werden, ist nicht ersichtlich. Ihre besondere Aussagekraft in Bezug auf Tatverdächtige scheint es jedenfalls nicht zu sein, denn wie es im Vorwort der PKS zu „Tatverdächtigen nach Staatsangehörigkeit“ heißt, sind „weder Staatsangehörigkeit noch Herkunft kriminogene Faktoren … Als relevante soziologische Einflussfaktoren sind beispielhaft der Bildungsstand, mangelnde Sprachkenntnisse, eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit, der Freundeskreis und die finanzielle Situation zu nennen.“[4] Es überrascht daher, dass keiner der relevanten soziologischen Einflussfaktoren bei der Darstellung in der PKS berücksichtigt wird, während nicht-kriminogene Faktoren wie die Staatsangehörigkeit oder Herkunft bei allen Tatverdächtigen erfasst werden.

Bezeichnend ist weiter, dass Prozentangaben sich stets auf den Anteil der „Nichtdeutschen“ beziehen. Zwar bedarf es keiner großen Rechenkünste, um den Anteil der Deutschen herauszufinden. Dennoch ist die einprägsame Wirkkraft nicht zu unterschätzen, wenn immer nur von „nichtdeutschen Tatverdächtigen“ zu lesen ist. Darüber hinaus werden im gesamten PKS-Bericht Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit zwar als „Nichtdeutsche“ bezeichnet; das sollte die Lesenden jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hierunter zahlreiche Menschen fallen, die in Berlin geboren und sozialisiert worden sind.

Der Sinn und Unsinn der Darstellung von „nichtdeutschen“ Tatverdächtigen soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden:

  • Sexueller Missbrauch von Kindern: „Unter den 414 ermittelten Tatverdächtigen waren … 65 (15,7 Prozent) Nichtdeutsche.“[5]
  • Taschendiebstahl: „Es wurden für den Taschendiebstahl insgesamt 670 Tatverdächtige (Vorjahr: 524) ermittelt … Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen betrug 74,0 Prozent (496 TV). 38,7 Prozent der Tatverdächtigen hatten einen unbekannten bzw. nicht festen Wohnsitz (Vorjahr: 38,2 Prozent). Die überwiegende Anzahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen stammte aus Rumänien (179 TV bzw. 36,1 Prozent), Polen (58 TV bzw. 11,7 Prozent) und Bulgarien (35 TV bzw. 7,0 Prozent).“[6]

Wir stellen also fest, dass bei sexuellem Missbrauch von Kindern der Anteil der deutschen Tatverdächtigen mit rund 85 Prozent bei weitem überwiegt, während bei Taschendiebstahl mit 74 Prozent mehrheitlich „nichtdeutsche“, vor allem rumänische Tatverdächtige registriert wurden. Missbrauchen Deutsche also häufiger Kinder als Rumänen, während Rumänen häufiger als Deutsche klauen? Neigen Deutsche von ihrer Kultur her eher zu sexuellem Missbrauch an Kindern als Rumänen, während Rumänen mehr als Deutsche klauen?

„Verkürzt gesagt“

Es ist tatsächlich so, dass … es in den verschiedenen Kulturen einen anderen Umgang mit Gewalt gibt, das kann man so sagen, ich sag‘s mal verkürzt: Manche, wie Asiaten beispielsweise, neigen wenig zu Gewalt, Süd- und Osteuropäer statistisch gesehen etwas mehr; so gesehen ist das schon in gewisser Weise relevant, ich würde auch die gesonderte Erfassung von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund nicht als rassistisch sehen, weil es schon irgendwo etwas aussagt über den Erfolg unserer Präventionsmaßnahmen und der Integration.“

Der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt bei der Vorstellung der PKS am 16. April 2013

Wie oben dargestellt, lassen sich mit den Angaben der PKS keine Schlüsse auf das Ausmaß der „wirklichen“ Kriminalität und darin involvierter TäterInnen ziehen. Die Aufteilung der Tatverdächtigen in Deutsche/Nichtdeutsche ist ebenso willkürlich und genauso wenig aussagekräftig wie eine Aufteilung nach Schuhgröße. Was jedoch nicht über die rassistische Schlagkraft solcher Einteilungen hinwegtäuschen sollte.

Exkurs: Vertrauen in Polizei und Öffentlichkeit

Je nach Deliktsbereich erhält die Polizei auf unterschiedlichen Wegen Kenntnis über eine vorgefallene Straftat. Die Erfassung von Rauschgiftdelikten ist beispielsweise überwiegend vom Kontrollverhalten der Polizei abhängig, während sie im Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf die Anzeigebereitschaft der Opfer angewiesen ist. Dass in diesem Deliktsbereich 85 Prozent der Tatverdächtigen „deutsch“ – im Sinne der Staatsbürgerschaft – sind, heißt nicht, dass „Deutsche“ eher zu sexuellem Missbrauch neigen, vielmehr lässt sich daraus der Rückschluss ziehen, dass die Anzeigebereitschaft „deutscher“ Opfer größer ist, als die „nichtdeutscher“, dass „deutsche“ Opfer also eher darauf vertrauen, dass ihnen Polizei und Öffentlichkeit Glauben schenken und sie einen sensiblen Umgang erwarten können. Denn „eine nicht unbedeutende Rolle spielt der Umgang der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien, mit diesem Kriminalitätsbereich. Opfer trauen sich häufig erst durch das Wissen darum, dass sie nicht alleine betroffen sind und auch nicht alleine gelassen werden, eine entsprechende Anzeige zu erstatten.“[7]

Die Polizei ist in vielen Bereichen ihrer Arbeit vom Anzeigeverhalten der Betroffenen und ihres Umfelds abhängig. Die mangelnde Anzeigebereitschaft von MigrantInnen ist dabei ein deutliches Indiz institutioneller rassistischer Diskriminierung in dem Sinne, dass eine Organisation (hier die Polizei) nicht dazu in der Lage ist, Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Kultur ihre Dienstleistungen angemessen und professionell anzubieten.[8]

Racial Profiling in der Berliner Polizeiarbeit

Interpretieren wir die PKS also nicht als Kriminalstatistik, sondern als polizeiliches Tätigkeitsregister, dann lesen sich die Zahlen beispielsweise zu Taschendiebstahl wie folgt: Die Polizei konnte insgesamt 17.978 Taschendiebstähle registrieren. Zu lediglich 784 Fällen (weniger als 5 Prozent) konnten Tatverdächtige ermittelt werden. In 70 Prozent dieser „aufgeklärten“ Fälle wurden „Nichtdeutsche“ verdächtigt, am häufigsten MigrantInnen aus Rumänien, Polen und Bulgarien.

Interessanterweise erfahren wir bei Taschendiebstählen (und leider bei keinem anderen in der PKS aufgeführten Delikt) Näheres über die Ermittlungen. Bei insgesamt 670 Tatverdächtigen „erfolgten insgesamt 261 Festnahmen. Daraus resultierten 137 Vorführungen, in deren Folge 90 Tatverdächtige einen Untersuchungshaftbefehl erhielten. Neun weitere Tatverdächtige wurden im Rahmen des besonders beschleunigten Verfahrens verurteilt.“[9] Das bedeutet: Bei gerade einmal 15 Prozent der Verdächtigten reichte der Tatverdacht für die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens. Für 85 Prozent blieb es beim bloßen polizeilichen Verdacht.

Die seit 2007 in diesem Bereich kontinuierlich sinkende Aufklärungsquote wirft darüber hinaus Fragen über die Effizienz polizeilicher Ermittlungen auf. Inwieweit ließe sich beispielsweise die Aufklärungsquote erhöhen, wenn der Kreis der Tatverdächtigen nicht hauptsächlich „Nichtdeutsche“ umfassen würde? Verhindern herkunftsbasierte Personenermittlungen (Racial Profiling) der Berliner Polizei die Aufklärung von Taschendiebstählen?

Racial Profiling und verringerte Aufklärungsquote

Es mag wenig überraschen, dass unter dem CDU-geführten Innensenat der Anteil der von der Polizei verdächtigten MigrantInnen der höchste der letzten zehn Jahre ist. Er ist von 25,7 Prozent aller Tatverdächtigen im Jahr 2007 stetig auf 32,7 Prozent im Jahre 2012 angestiegen.

2007 wurde aber nicht nur die niedrigste Quote „nichtdeutscher“ Tatverdächtiger verzeichnet, sondern mit 50,4 Prozent auch die höchste Aufklärungsquote erzielt. Seitdem sinkt sie kontinuierlich. 2012 stellt nicht nur die Spitze der Verdächtigungen gegenüber MigrantInnen in den letzten zehn Jahren dar, sondern ist auch das Jahr, in dem die wenigsten Fälle aufgeklärt werden konnten.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die PKS eine Fülle an Informationen enthält, die sich je nach Interessenlage unterschiedlich präsentieren und interpretieren lassen. Sie ist weniger eine Kriminalstatistik als vielmehr eine Dokumentation polizeilichen Handelns. Sie enthält wenige bis gar keine Informationen über StraftäterInnen.

Aufklärungsquoten und „nichtdeutsche“ Tatverdächtige

Jahr Registrierte Straftaten
insgesamt
Aufklärungsquote Anzahl „nichtdeutscher“ Tat­verdächtiger Anteil „Nichtdeutscher“ an allen Tatverdächtigen*
2003 563.905 49,7 % 44.074 28,6 %
2004 539.667 48,5 % 40.571 28,1 %
2005 509.175 47,8 % 41.695 27,6 %
2006 496.797 50,2 % 41.840 26,1 %
2007 496.163 50,4 % 41.960 25,7 %
2008 482.765 49,5 % 41.470 26,6 %
2009 496.468 49,4 % 44.162 27,7 %
2010 475.021 48,4 % 45.149 29,7 %
2011 494.385 46,1 % 45.255 31,2 %
2012 495.297 44,7 % 43.793 32,7 %

* tatsächlicher Anteil nach Fehleranalyse
Quelle: Der Polizeipräsident in Berlin: Polizeiliche Kriminalstatistik 2012

Sie verrät jedoch viel über die Verdachtsmuster der Polizei. Dabei lässt sich über die Jahre hinweg eine beunruhigende Zunahme an Verdächtigungen gegenüber MigrantInnen beobachten, die 2012 ihren bisherigen Höhepunkt erreichen. Auffällig ist des Weiteren, dass mit zunehmender Anzahl „nichtdeutscher Tatverdächtiger“ die Aufklärungsquote der Polizei sinkt und 2012 entsprechend ihren Tiefpunkt erreicht.

Kurz: Laut PKS 2012 gibt es in Berlin mehr Racial Profiling und weniger aufgeklärte Fälle.

[1]   Der Polizeipräsident in Berlin: Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2012, Berlin April 2013, www.berlin.de/polizei/kriminalitaet/pks.html
[2]   vgl. Brüchert, O.: Tabellen als Text interpretieren: Eine vernachlässigte Kulturtechnik, in: Steinert, H. (Hg.): Zur Kritik der empirischen Sozialforschung. Ein Methodengrundkurs, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M. 1998
[3]   Die Angaben der „Infografik“ sind der „tabellarischen Kurzübersicht über die Fallzahlen“ aus der PKS entnommen, s. Der Polizeipräsident a.a.O. (Fn. 1), S. 13; der Artikel samt Tabelle online: www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article115220570/Mord-Raub-und-Einbrueche-nehmen-in-Berlin-stark-zu.html
[4]   Der Polizeipräsident in Berlin a.a.O. (Fn. 1), S. 120
[5]   ebd., S. 26
[6]   ebd., S. 51; TV = Tatverdächtige
[7]   ebd., S. 27
[8]   vgl. u.a. den „Macpherson-Report“ von 1999 über die Ermittlungen der Londoner Polizei im Falle des rassistischen Mordes an dem schwarzen Studenten Stephen Lawrence im Jahre 1993: Macpherson, W.: The Stephen Lawrence Inquiry, London 1999, www.ar
chive.official-documents.co.uk/document/cm42/4262/4262.htm
[9]   Der Polizeipräsident a.a.O. (Fn. 1), S. 51