Keine präventive Wirkung, gerichtlich nicht verwendungsfähige Aufzeichnungen – Die Ergebnisse des Abschlussberichts Body-Cam in Sachsen-Anhalt

Florian Krahmer

Seit einiger Zeit versuchen verschiedene Landespolizeien, Body-Cams als neues Einsatzmittel einzuführen. Hierzu werden in der Regel Pilotprojekte in ausgewählten Polizeirevieren durchgeführt und im Anschluss in einem Bericht ausgewertet. Zwei Beispiele hierfür sind der „Abschlussbericht – Erprobung des präventiven Einsatzes von Körperkameras in der Sächsischen Polizei – Body-Cam“[1] aus dem Jahr 2019[2] und der im August diesen Jahres vorgestellte „Abschlussbericht – Modellversuch Body-Cam“ aus Sachsen-Anhalt[3].

Obwohl beide Evaluationen eine ähnliche Methodik aufweisen und im Grunde zu gleichen Ergebnissen kommen, wurden in der öffentlichen Berichterstattung ihre scheinbar gegensätzlichen Ergebnisse präsentiert. Der sächsische Bericht gilt als Nachweis für die präventive Wirkung von Body-Cams zur Verhinderung von Gewalt gegen Polizeibeamt*innen. Der Bericht aus Sachsen-Anhalt wiederum wurde als Widerlegung dieser präventiven Wirkung dargestellt[4].

Der Grund, weshalb die beiden Berichte scheinbar zu entgegengesetzten Ergebnissen kommen, obwohl man beim genaueren Lesen zu denselben Schlussfolgerungen kommen muss, liegt in den methodischen Schwächen des wesentlichen Indikators beider Studien, die Entwicklung der Straftaten im Bereich „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ nach den Fallzahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die Kritik an der PKS und ihrer eingeschränkten Aussagekraft hinsichtlich des tatsächlichen Kriminalitätsgeschehens ist vielfältig und wird in jeder Veröffentlichung der Kriminalstatistiken der Länder und des Bundes im Vorwort diskutiert. Dennoch werden die Zahlen der PKS regelmäßig als Beleg für Aussagen zur Kriminalitätsentwicklung herangezogen, so wie auch in den Berichten zur Wirkungsweise der Body-Cams in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Im sächsischen Bericht wird die Entwicklung der Fallzahlen der verschiedenen Deliktsgruppen im Bereich „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ in den Einsatzrevieren  der Body-Cams („Projektreviere“), der Entwicklung in den „Vergleichsrevieren“ gegenüber gestellt. Dies führt zu dem Ergebnis, dass die Fallzahlen in den Erprobungsrevieren im Verhältnis zu den anderen Revieren (scheinbar) gesunken sind, woraus eine positive Wirkung der Body-Cams geschlussfolgert wird (Abschlussbericht Sachsen, S. 4ff). Der sachsen-anhaltische Bericht geht indes etwas kritischer mit der Aussagekraft der PKS-Fallzahlen um. Es kann aber nur gemutmaßt werden, dass der Grund hierfür an den gestiegenen Fallzahlen in den Projektrevieren liegt (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 10ff).

Im Grunde ist jedoch die Entwicklung der PKS-Zahlen für die Überprüfung der Wirksamkeit von Body-Cams irrelevant. Dies hat verschieden Gründe. So ist z.B. eine Vergleichbarkeit mit den einzelnen Bundesländern nicht gegeben, da es keine bundeseinheitliche Festlegung gibt, welche Delikte zum Bereich „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ zu zählen sind (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 6). In Sachsen wird z.B. anders als in Sachsen-Anhalt Landfriedensbruch (§§ 125, 125a StGB) und Gefangenenbefreiung (§§ 120, 121 StGB) als „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ gezählt (Sächsische Landtagsdrucksache 6/16942). Hinzukommt, dass die Zuständigkeitsbereiche der Projektreviere in ihrer Struktur und im Einsatzgeschehen mit den übrigen Revieren kaum vergleichbar sind. In Sachsen-Anhalt befanden sich die Body-Cam-Erprobungsreviere in den größeren Städten Magdeburg, Halle und Dessau-Rosslau, während die Vergleichsreviere in dem überwiegend ländlich geprägten Raum Sachsen-Anhalts liegen. Bereits aus diesem Umstand kann eine unterschiedliche Entwicklung der PKS-Zahlen erklärt werden, ganz unabhängig von der Wirkungsweise der Body-Cams. Des Weiteren ist ein Jahresvergleich der Fallzahlen nur bedingt möglich, da sich Straftatbestände verändern: „Der Gesetzgeber hat [2017] den tätlichen Angriff aus § 113 StGB herausgelöst und den neuen Straftatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) geschaffen“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 6). Auch fallen vor dem Hintergrund relativ geringer Fallzahlen besondere Ereignisse außergewöhnlich stark ins Gewicht, wie z.B. Demonstrationsgeschehen oder Fußballspiele (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 41). Vollkommen unterbelichtet bleibt in der Darstellung der zahlenmäßigen Entwicklung der Deliktszahlen, dass während des Untersuchungszeitraums die Zahl der eingesetzten Body-Cams erhöht wurde, einerseits durch die Einbeziehung weiterer Polizeieinheiten in den Modellversuch, andererseits durch die Ausgabe von mehr Body-Cams in den bereits einbezogenen Revieren. Diese diente ausdrücklich der Steigerung der Anwendungszahlen (Bericht S. 3). Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass es sich bei den Straftaten „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte“ um Straftatsverdachtsfälle handelt, die von der Polizei als Geschädigte selbst aufgenommen wurden und schon aus diesem Grund mit Vorsicht zu betrachten sind. Dies gilt gerade hinsichtlich der im laufenden Versuch erhöhten Zahl der Kameras.

Unabhängig vom Versuch, die Wirkung von Body-Cams anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik nachzuweisen, stecken die eigentlich interessanten Erkenntnisse des sächsischen und sachsen-anhaltischen Abschlussberichts in der Befragung der Polizeibeamt*innen und hier sind die Ergebnisse erstaunlich ähnlich und lassen sich kurz zusammenfassen: Die Polizeibeamt*innen schätzen die Wirkung von Body-Cams in den überwiegenden Fällen als bedeutungslos ein und in den Fällen in denen ein Effekt beim „polizeilichen Gegenüber“ festzustellen ist, halten sich deeskalierende und eskalierende Wirkung in etwa die Waage. Bezüglich einer ausführlichen Darstellung der wahrgenommenen Wirkung, unterschieden nach Recording-, Pre-Recording Funktion und den Jahren des Erprobungszeitraums in Sachsen-Anhalt, sei an dieser Stelle auf die Seiten 17-24 im sachsen-anhaltischen Bericht und vergleichend auf die Seiten 20-23 im sächsischen Bericht verwiesen. Zum besseren Überblick werden nachfolgend relevante Teile der Befragung aus Sachsen-Anhalt tabellarisch wiedergegeben. Die Ergebnisse beziehen sich auf die wahrgenommene Wirkung der Recording-Funktion der Body-Cam.

Jahr deeskalierend ohne Wirkung wegen Alkohol und Drogen Keine festgestellt Wirkung eskalierend
2018 12% 12% 72% 4%
2019 10% 21% 55% 14%
Wirkung auf Einzelpersonen in Prozent der Fälle (2018: 606 Fälle, 2019: 179 Fälle) Abschlussbericht Sachsen Anhalt S.19 und 23
Jahr deeskalierend ohne Wirkung wegen Alkohol und Drogen Keine festgestellt Wirkung eskalierend
2018 8% 15% 73% 4%
2019 5% 12% 70% 12%
Wirkung auf Personengruppe in Prozent der Fälle (2018: 180 Fälle, 2019: 81 Fälle) Abschlussbericht Sachsen Anhalt S.19 und 23

Warum sowohl die Einsatzahlen der Body-Cams im Jahresvergleich 2018 und 2019 abnahmen, als auch die Wahrnehmung einer eskalierenden Wirkung zunahm, ist aus den Daten nicht ersichtlich. Die Autor*innen der Studie vermuten, dass die Zunahme der eskalierenden Wirkung damit zu begründen ist, „dass die Bevölkerung eingangs zurückhaltend war und nunmehr die Body-Cam als nicht mehr abschreckend empfindet“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 24). Es sei jedoch nicht eindeutig, ob der Einsatz von Body-Cams zunehmend eskalierend wirkt und aus diesem Grund die Beamt*innen sie seltener einsetzen (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 23), oder ob die Akzeptanz der Beamt*innen gegenüber den Body-Cams generell gesunken ist und deswegen sowohl die Einsatzzahlen zurückgingen, als auch die Wirkung kritischer bewertet wurde. Im Ergebnis der Wirkung kommt der Abschlussbericht aus Sachsen-Anhalt letztendlich zu einer eindeutigen Aussage: „Je nach Aktivierung der Body-Cam kam es beispielsweise zu ausufernden Diskussionen über Sinn und Rechtmäßigkeit der Maßnahme oder zur Steigerung der Aggression des Störers bis hin zum tätlichen Angriff. In Einzelfällen konnte ein aggressives Verhalten sogar nur durch das Ausschalten der Kamera deeskaliert werden.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 36).

Der Abschlussbericht aus Sachsen-Anhalt ging noch einer weiteren wichtigen Frage über die Funktion von Body-Cams nach. Zu überprüfen war, ob die Videoaufzeichnungen zur Beweismittelsicherung geeignet sind. Aber auch hier kommt der Bericht zu einem vernichtenden Ergebnis:

„Zum einen sind Größe und Bauform bei der Befestigung an ballistischen Trägerwesten, beispielsweise bei angelegtem Sicherheitsgurt, störend und hinderlich. Beim Lösen des Sicherheitsgurtes wird die Body-Cam mitunter aus der Halterung gelöst oder verschoben.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 30).

„Bei Verwendung der Magnethalterung an der Brusttasche des Parkas ist die Kamera nicht richtig ausgerichtet. Sie zeigt in Richtung des Himmels.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 31).

„Auf Grund der Art der Befestigung der Body-Cams an den Uniformteilen waren die Bilder oft von minderer Qualität. Es kam vor, dass die Kameras in Angriffs- oder Verfolgungssituationen abfielen und dadurch keine brauchbaren Bilder mehr aufgenommen werden konnten.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 37).

Trotz dieser Ergebnisse möchten die Autoren des Abschlussberichtes aus Sachsen-Anhalt das Projekt Body-Cam jedoch noch nicht gänzlich begraben sehen und machen verschiedene Vorschläge, wie man die Kameras dennoch für die Polizei nützlich einsetzen könnte. Zum einen sprechen sie sich für eine Änderung der Rechtsgrundlage aus, damit Body-Cams auch in Wohnungen und Geschäftsräumen eingesetzt werden können, da an diesen Orten nach polizeilicher Erfahrung die meisten Angriffe auf Polizeibeamt*innen zu verzeichnen seien (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 38f). Sie plädieren des Weiteren dafür, die mangelhafte Qualität der Aufzeichnungen durch eine verbesserte Technik zu beheben, bzw. durch eine „Optimierung des Systems in der Zusammenarbeit mit dem Hersteller“ umzusetzen (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 42). Zur spezifischen Umsetzung werden allerdings keine Angaben gemacht.

Am Ende bleibt ein Problem: Body-Cams scheinen keine deeskalierende Wirkung zu haben. Damit wird der für ihre Einführung maßgebliche gesetzliche Zweck, die Abwehr von Gefahren für die eingesetzten Beamt*innen, massiv in Frage gestellt. Im Abschlussbericht wird sich dafür ausgesprochen, die Akzeptanz für Body-Cams in der Bevölkerung zu erhöhen, damit diese ihre eskalative Wirkung verlieren: „Bei einer Einführung müsste eine mediale begleitende Öffentlichkeitsarbeit stattfinden, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 43). Und bezüglich der Ergebnisse des Modellprojektes in Sachsen-Anhalt hoffen die Autor*innen, dass andere Bundesländer mehr Glück haben. In Sachsen hat das zumindest geklappt: „Zukünftige Erfahrungsberichte, z. B. anderer Länder oder weitere Untersuchungen können mittelfristig Erkenntnisse liefern, welche den erwünschten Nutzen der Body-Cam deutlicher hervorbringen.“ (Abschlussbericht Sachsen-Anhalt, S. 43)

[1] Eine ausführliche Kritik des Autoren am sächsischen Abschlussbericht ist in der November-Ausgabe 2019 der Zeitschrift „Bürgerechte & Polizei“ unter dem Titel: „Body-Cam Studie der sächsischen Polizei“ erschienen.
[2] Ab S. 95 dieses Dokuments http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=60590&dok_art=APr&leg_per=6&pos_dok=&dok_id=254910.
[3] Der Bericht steht unter https://fragdenstaat.de/dokumente/7429-modellversuch-body-cam-landespolizei-sachsen-anhalt/ zum Download bereit.
[4] MDR-Aktuell: „Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht: Bodycams haben sich nicht bewährt“ https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/interview/holger-stahlknecht-ernuechternde-bilanz-bodycams-audio-100.html, zuletzt aufgerufen am 9.9.2020.

Beitragsbild: Polizei Sachsen.

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