Archiv der Kategorie: CILIP 071

(1/2002) Überwachung neuer Kommunikationstechnologien

Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot

Seit Mitte Januar wird über sie geredet: Zuerst war’s einer. Dann wurden es zwei, drei, schließlich fünf. Gemeint sind die V-Leute, die angeblich strikt im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes die NPD ausspähten. Dazu waren und sind diese in der Wolle gefärbten NPD-Schafe trefflich geeignet.

In der Zwischenzeit weiß man eines ganz genau: dass nämlich niemand die Zahl der doppelten Lottchen, der gleichzeitigen V- und NPD-Leutchen ganz genau kennt. Und niemand scheint mehr genau zu wissen, worin nun der Skandal besteht. Darin, dass V-Leute als ‚gestandene‘ NPD-Leute „enttarnt“ wurden; darin, dass dem Verfassungsgericht diese ‚beiläufige‘ Information nicht weitergeben wurde; darin, dass selbst der zuständige Innenminister keine Ahnung hatte; darin, dass V-Leute im amtlichen Verfassungsschutz eine solche Rolle spielen; darin, dass NPD und Verfassungsschutz V-Leute-kräftig zusammenarbeiten; darin, dass ein solcher in seinen V-Leuten und nationaldemokratischen Verflechtungen unübersichtlicher „Verfassungsschutz“ die Verfassung als demokratisch grundrechtliche nicht schützen kann; oder darin – das ist die größte Sorge der BefürworterInnen und BetreiberInnen des NPD-Ver­botsantrags –, dass das Verbot der NPD durch diese Affäre gefährdet werden könnte? Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot weiterlesen

Editorial

von Heiner Busch

Junge, gutaussehende und wohlhabende Freizeitmenschen tummeln sich mit ihren Handys in der freien Natur. Wichtige Träger von Verantwortung und Designerklamotten sind permanent erreichbar. Boris Becker ist im Internet „drin“. Glaubt man der Werbung der Anbieterfirmen, dann ist die schöne, neue, allseitig und grenzenlos kommunizierende Welt voll von nützlichen Informationen und spaßiger Unterhaltung. Die Kluft zwischen dieser Wunderwelt und den Warnungen von Polizei, Geheimdiensten und SicherheitspolitikerInnen könnte größer nicht sein. Die grenzenlose Freiheit der Kommunikation verwandelt sich im Handumdrehen in einen Abgrund von Kinderschändern, Drogenhändlern, Terroristen und sonstigen Staatsfeinden. Dank modernster Technik laufen die Halunken den staatlichen Ordnungshütern wieder einmal davon. Editorial weiterlesen

Cybercrime – Die Zukunft elektronischer Überwachung

von Albrecht Funk

Die neuen digitalen Informationstechnologien, mit deren Hilfe wir in der virtuellen Realität des Internets kommunizieren und konsumieren, recherchieren und Geschäfte abwickeln, haben ihre Unschuld verloren. Polizei und Geheimdienste wittern hinter der angeblichen Anonymität des Netzes Kriminelle und fordern neue Überwachungsmöglichkeiten.

Nicht mehr die neue Ökonomie der Informationsgesellschaft macht Schlagzeilen, sondern Kriminelle, die bei der Tatbegehung von den Segnungen digitaler Telekommunikation profitieren: Päderasten, die Kinderpornographie in internationalen Usergroups austauschen, Drogenschmuggler, die ihre Geschäfte über Mobiltelefon nur noch verschlüsselt betreiben und dabei die neueste Krypto-Software verwenden – und natürlich Terroristen, die – so die Vermutung von „Experten“ – geheime Botschaften in unschuldige Webseiten postierten und so weltweite Netzwerke steuern. Auch die Hacker und Cyberpunks, die in der Vergangenheit die Rolle der Bösewichte, die das Gute fördern, spielten, büßen ihren Robin-Hood-Nimbus ein. Cybercrime – Die Zukunft elektronischer Überwachung weiterlesen

„Etwas von Folter …“ – Tödlicher Brechmitteleinsatz in Hamburg

von Fredrik Roggan

Dass der Eindruck habe entstehen können, beim Einsatz von Brechmitteln handele es sich um eine „alltäglich anzuwendende abschreckende Strafe statt um notwendige Beweissicherung“, das ertrage er nicht. So begründete der Leiter des Hamburger Landeskriminalamtes am 16. Januar 2002 das Rücktrittsgesuch an seinen Vorgesetzten. Wenige Tage zuvor war ein 19-jähriger Kameruner an den Folgen eines solchen Brechmitteleinsatzes gestorben.[1]

Achidi J. war am 9. Dezember 2001 unter dem Verdacht des Drogenhandels festgenommen und ins Rechtsmedizinische Institut des Hamburger Universitätskrankenhauses Eppendorf gebracht worden. Da die Polizei davon ausging, dass er die Drogenportionen verschluckt hatte, wurde der Einsatz des Brechmittelsirups Ipecacuanha angeordnet. Achidi J. warnte, dass er sterben werde. Dennoch hielten vier Polizisten den sich heftig wehrenden Mann fest, während eine Ärztin ihm – nach zwei vergeblichen Versuchen – insgesamt 30 Milliliter Brechmittelsirup und 800 Milliliter Wasser durch eine Magensonde einflößte. Danach war der junge Mann zu Boden gerutscht und regungslos liegen geblieben. Nach dreitägigem Koma war er am 12. Dezember 2001 verstorben.[2] „Etwas von Folter …“ – Tödlicher Brechmitteleinsatz in Hamburg weiterlesen

Summaries

Cybercrime – the future of electronic surveillance
by Albrecht Funk
The much-recited mantra that cybercrime is an abuse of the internet is misleading. Behind the moralising crusades against child pornography and „Islamic terrorism“ are interest coalitions of private and public actors, who are trying to create the future order of public rights and public wrongs in their image and at any cost. Summaries weiterlesen

Planungen für das SIS II

Mit dem Wind des 11. Septembers im Rücken hat die SIS-Arbeitsgruppe des Rates die Planungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation erheblich vorangetrieben. Das System wird technisch von der EU-Kommission entwickelt und über den Gemeinschaftshaushalt finanziert. Der Rat nahm hierzu am 6. Dezember eine Verordnung (1. Säule) und einen Beschluss (3. Säule) an.[1] Planungen für das SIS II weiterlesen

EU-weite Rasterfahndung

Um einen Export heimischer Methoden auf die Ebene der EU bemüht sich auch die BRD.[1] Bereits im Oktober forderte sie den Aufbau eines EU-weiten und jeweils nationaler Ausländerzentralregister. Über eine solche Datenbank verfügt außer Deutschland bisher nur ein EU-Staat (Luxemburg). Weitere Vorschläge wurden in Deutschland in dem am 1. Januar in Kraft getretenen „Terrorismusbekämpfungsgesetz“ verankert: Verwendung von Eurodac-Daten (Fingerabdrücke von Flüchtlingen) für polizeiliche Zwecke, Visa-Entscheidungs-Da­teien mit polizeilichem und geheimdienstlichem Zugriff, neue Methoden der „Identitätssicherung“. EU-weite Rasterfahndung weiterlesen

Terrorismus-Definition und die Folgen

Die am 6. Februar auch vom Europäischen Parlament gebilligte Terrorismus-Definition der EU zwingt die Mitgliedstaaten zur Einführung eines Tatbestandes der „terroristischen Vereinigung“ und erlaubt es, ty­pische Handlungsformen militanten Protests (u.a. Haus- und Platzbesetzungen) als „terroristisch“ zu kriminalisieren.[1] Bürgerrechtliche Kritik an diesem Rahmenbeschluss hatte der Rat durch hastig eingebaute Bekundungen abzufedern versucht: „Grundrechte wie die Versammlungs-, Vereinigungs- oder Meinungsfreiheit“ würden nicht geschmälert. Terrorismus-Definition und die Folgen weiterlesen

Fernmelde- und Postkontrolle nach dem G 10-Gesetz

Im Februar dieses Jahres legte das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestages seinen jährlichen Bericht über die Post- und Fernmeldekontrolle durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) vor (BT-Drs. 14/8312). Durch die Neufassung des G 10-Gesetzes, die am 29.6.2001 in Kraft trat, ist das PKG nicht mehr nur verpflichtet, über die Anordnungen im Bereich der strategischen Fernmeldeüberwachung durch den BND zu berichten, sondern auch über Art und Umfang der individuellen Post- und Fernmeldekontrollen durch die drei Geheimdienste. Fernmelde- und Postkontrolle nach dem G 10-Gesetz weiterlesen

Todesfall nach Pfeffersprayeinsatz in Hamburg

In der Nacht zum 8. März 2002 verstarb in Hamburg ein Mann nach einem Polizeieinsatz. Die wegen einer Schlägerei in einer Wohnung alarmierten Polizeibeamten hatten Reizgas und Pfefferspray eingesetzt, um einen Widerstand leistenden Mann zu überwältigen. Dieser ging zu Boden, worauf ihm die Beamten Handfesseln anlegten und ihn auf den Bauch drehten. „Plötzlich begann er zu verkrampfen und kollabierte“, heißt es in der Erklärung der Polizeipressestelle. Todesfall nach Pfeffersprayeinsatz in Hamburg weiterlesen