Mit seinem Urteil vom 16. Februar 2023 hat das Bundesverfassungsgericht polizeirechtliche Regelungen zur automatisierten Datenauswertung im Grundsatz für zulässig erklärt, ihre Anwendung aber strengeren Kriterien unterworfen. Damit wurden zugleich Leitplanken für eine zukünftige, bundesweite Verwendung von Software für das „predictive policing“ geschaffen. Grundsätzliche Fragen bleiben ungeklärt.
Schon seit über zehn Jahren wird in der Bundesrepublik der Einsatz von algorithmenbasierter Analysesoftware in der Polizei erprobt. Diese soll ihre Arbeit im Bereich der Kriminalitätsprävention und der Strafverfolgung unterstützen. Zu unterscheiden sind dabei zwei grundsätzlich unterschiedliche Ansätze: die allgemein unter dem Begriff „predictive policing“ entwickelten Anwendungen, die unter Auswertung von polizeilichen Falldaten und z. T. mit Hinzuziehung von soziodemografischen, sozialstatistischen und georeferenzierten Daten die Eintrittswahrscheinlichkeit von Wohnungseinbruchsdiebstählen (WED) durch professionell vorgehende Täter*innen prognostizieren und zur Steuerung des Ressourceneinsatzes bei der Bestreifung herangezogen werden können. Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen setzten dabei ab 2015 das kommerzielle Produkt PRECOBS vom Institut für musterbasierte Prognosetechnik (IfmPt) oder Eigenentwicklungen ein. Der Betrieb wurde in den meisten Ländern wieder eingestellt, weil ein Erfolg nicht nachweisbar war.[1]Getrübter Blick in die Glaskugel: Polizeiliches Data-Mining muss beschränkt werden weiterlesen →
Über sechs Jahre waren seit der Erhebung der ersten Verfassungsbeschwerde vergangen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 20. April 2016 sein Urteil zum BKA-Gesetz verkündete. Die Anti-Terror-Maßnahmen des BKA fanden also während eines langen Zeitraums auf der Basis teilweise verfassungswidriger Regelungen statt. Die Entscheidung versteht sich als Grundsatzentscheidung in Sachen Polizeirecht.
Das Gespenst der Vorratsdatenspeicherung geht um in Europa. Die Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, nationale Gesetze zu erlassen, die die Erfassung aller Daten von Internet-, Telefon- und Handyverbindungen für eine Mindestdauer von sechs Monaten festschreiben.[1]
Eigentlich hätten die Mitgliedstaaten die Richtlinie bis zum 15. September 2007 für Telefon- bzw. bis zum 15. März 2009 für Internetdienste umsetzen müssen. Dass die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor nicht EU-weit verankert ist, verdankt sich einem breiten Protest. Vor allem Bürgerrechtsbewegte stellen den angeblich zu erwartenden Ermittlungserfolgen eklatante Grundrechtseinschränkungen gegenüber. „Data retention is here to stay!“ – Der andauernde Streit um die Vorratsdatenspeicherung weiterlesen →
Das Internet hat Polizeien und Geheimdiensten eine Serie neuer Methoden beschert – von der Auswertung allgemein zugänglicher Quellen bis hin zur gezielten Einschleusung von Schadsoftware auf den Computer einer Zielperson.
„Die Täter nutzen die neuesten technischen Möglichkeiten.“ So erklärt das Bundeskriminalamt (BKA) auf seiner Homepage. „Damit die Entwicklung nicht nur auf der falschen Seite Fortschritte macht, wurden im Bundeskriminalamt schon frühzeitig Einheiten aufgebaut, die im Internet ‚Streife surfen‘, die verdächtige Auftritte und Angebote sichern und national wie international die Strafverfolgung einleiten.“[1] In der BKA-Abteilung „Schwere und Organisierte Kriminalität“ ist heute das Referat SO 43 zuständig für „Auswertungen/Ermittlungen IuK-Kriminalität“. Daran angegliedert ist auch die 1999 nach einem entsprechenden Auftrag der Innenministerkonferenz eingerichtete „Zentralstelle für die anlassunabhängige Recherche in Datennetzen“ (ZaRD). Der Staat surft mit – Ermittlungen von Polizei und Geheimdiensten im Internet weiterlesen →
Im November 2010 wurde erneut hochradioaktiver Müll aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich ins Zwischenlager Gorleben transportiert. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Proteste gegen den Castortransport und das Vorgehen der Polizei beobachtet.
In verschiedenen Politikbereichen entsteht der Eindruck, dass sich die Regierungen mit Arroganz über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzen und nicht einmal mehr versuchen, ihre politischen Entscheidungen zu vermitteln. Das ruft breite Empörung hervor. Erfahrungen mit polizeilicher Gewalt gegen die Protestierenden führen – wie unlängst das Beispiel „Stuttgart 21“ zeigte – nicht zum Rückzug, sondern zur Haltung „jetzt erst recht“. Dies hätte auch das Motto der Demos und Aktionen gegen den jüngsten Castor-Transport sein können. Kurz zuvor hatte die Bundesregierung mit der Atomlobby eine Laufzeitverlängerung für die bestehenden Atomkraftwerke ausgehandelt. Gegen die Aufkündigung des „Atomkonsenses“, den die KritikerInnen wegen der noch viel zu langen Restlaufzeiten nie als Atomausstieg werten wollten, mobilisierte die Antiatombewegung seit längerem. Castortransport ohne Grundrechte – Böse Schotterer und gute Sitzblockierer? weiterlesen →
Mit eindringlichen Worten hat das Bundesverfassungsgericht die im Luftsicherheitsgesetz enthaltene Ermächtigung, „terrorverdächtige“ Flugzeuge abzuschießen, für verfassungswidrig erklärt. Regierungspolitiker reagierten darauf – fast schon wie gewohnt – mit Forderungen nach einer Verfassungsänderung oder schlicht nach Anwendung von Kriegsrecht in Deutschland.
Es ist nicht eben häufig, dass die schmale Bürgerrechtsbewegung in der Bundesrepublik einen durchschlagenden Erfolg ihres Engagements in einer wichtigen Grundrechtsfrage feiern kann. Zu diesen Fällen zählt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz, das im Juni 2004 von der damaligen „rot-grünen“ Regierungsmehrheit im Bundestag verabschiedet worden war.[1]Abwehr eines Grundrechts-GAUs – Karlsruhe verbietet den „Rettungsabschuss“ weiterlesen →
Schon seit einigen Jahren erscheint das Bundesverfassungsgericht als das letzte Verfassungsorgan, das den Schutz der Grundrechte gegen staatliche Überwachungsangriffe noch ernsthaft betreibt. Einige jüngere Entscheidungen des Gerichts erinnern die Gesetzgeber an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen und engen die Telekommunikationsüberwachung durch Polizei und Geheimdienste ein.
Während der 90er Jahre konnten sich die Gesetzgeber sicher sein, dass die Gesetzgebung zur Telekommunikationsüberwachung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) keine substantiellen Einschränkungen erfahren würde. Im Zuge der Erweiterung geheimdienstlicher Überwachungseingriffe hatten sogar Maßnahmen Bestand, die zuvor verfassungsrechtlich ausgeschlossen schienen. Neue Grenzen für die Überwacher? Zur jüngsten Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung weiterlesen →
Mit den Entscheidungen zum Lauschangriff und zur Telekommunikationsüberwachung deutet sich beim Bundesverfassungsgericht eine Wende gegenüber seiner früheren affirmativen Rechtsprechung zu heimlichen Überwachungsmaßnahmen an. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern zeigen allerdings wenig Neigung, die ihnen aufgetragenen Hausaufgaben gewissenhaft zu erledigen.
Der 15. Dezember 1970 endete für bürgerrechtlich Bewegte mit einer bitteren Enttäuschung: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärte die massive Schwächung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses durch eine Änderung des Art. 10 Grundgesetz (GG) sowie die Verabschiedung des „G 10“ im Jahre 1968 für im Wesentlichen mit der Verfassung vereinbar. Dieses erste Abhörurteil aus Karlsruhe versuchte mit gewundenen Argumentationsfiguren zu begründen, dass die „Effektivität des Verfassungsschutzes“ nun einmal die heimliche Überwachung von Kommunikationsvorgängen ohne richterliche Kontrolle erforderlich mache. Den mithörenden Verfassungsschützern billigte es dabei sogar einen Vertrauensvorschuss zu: Bei der Auslegung und Würdigung einer Norm sei davon auszugehen, „dass sie in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie korrekt und fair angewendet wird“.[1]Unerwünschte Hausaufgaben – Die Gesetzgeber ignorieren die Vorgaben aus Karlsruhe weiterlesen →
von Norbert Pütter, Wolf-Dieter Narr und Heiner Busch
In den letzten Jahren erklärte das Bundesverfassungsgericht mehrfach polizeiliche Eingriffsbefugnisse für verfassungswidrig. Die bürgerrechtliche Genugtuung hierüber weicht jedoch schnell der Erkenntnis, dass den Urteilen neue Gesetze folgen, die die gewünschten Befugnisse auf anscheinend verfassungskonforme Weise regeln.
Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis von Verfassungsgericht und Parlamenten unproblematisch: Als „Hüter der Verfassung“ überprüft das Gericht auf Antrag, ob eine gesetzliche Regelung mit den Bestimmungen des Grundgesetzes (GG) in Einklang steht. Falls das Gericht eine Norm für verfassungswidrig erklärt, befasst sich das Parlament erneut mit dem Problem und sucht nach einer Lösung, die den im Urteil entwickelten Kriterien entspricht. Das Gericht sorgt so gleichermaßen für den Bestand wie für die Weiterentwicklung der Rechtsordnung. Bekämpfungs-Recht und Rechtsstaat – Vorwärtsverrechtlichung in gebremsten Bahnen? weiterlesen →
Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Großen Lauschangriff gehe „ein wenig an der Rechtspraxis vorbei“, beklagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK).[1] Tatsächlich hat das Gericht nach sechs Jahren „Praxis“ jene Voraussetzungen eingefordert, um deren Formulierung sich der Gesetzgeber 1998 gedrückt hat.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 betrifft im Kern den Schutz der Intimsphäre vor heimlichen akustischen Ausforschungen innerhalb von Wohnungen.[2] Das Gericht definiert dabei einen Kernbereich des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG), der dem staatlichen Zugriff schlechthin entzogen ist. Selbst schwerwiegende Belange der Allgemeinheit könnten Eingriffe in diesen engeren Bereich der Privatsphäre nicht rechtfertigen. Unerhört?! Große Lauschangriffe nach dem Verfassungsgerichtsurteil weiterlesen →
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