Schlagwort-Archive: Gefahrenabwehr

„Gefährder“ und „Gefahren“: Forschungsprojekt sucht Unterstützung

Im Rahmen eines Forschungsprojekts beschäftigt sich die Forschungsgruppe „Computergestützte Sozio- und Diskurslinguistik“ (CoSoDi) an der Universität Siegen aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive mit dem sprachlich-diskursiven Umgang mit ‚Risiken‘ und ‚Gefahren‘ im Kontext staatlicher Gefahrenabwehr. Da hierbei vor allem auch der behördliche Fachdiskurs empirisch untersucht werden soll, sucht die Forschungsgruppe nach sprachlichen Rohdaten aus dem juristischen bzw. polizeilichen Arbeitskontext der Gefahrenabwehr und ist dankbar für entsprechende Hinweise.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich sicherheitsbehördliche Maßnahmen im Namen der Gefahrenabwehr immer mehr in das sogenannte Gefahrenvorfeld verlagert. D.h. sie setzen vermehrt zu einem Zeitpunkt an, an dem zwar (noch) keine „konkrete Gefahr“ im Sinne des Gefahrenabwehrrechts vorliegt, die Sicherheitsbehörden aber dennoch von einer potentiellen Bedrohung ausgehen. „Gefährder“ und „Gefahren“: Forschungsprojekt sucht Unterstützung weiterlesen

Achtung: Überkriminalisierung. Das geplante IT-Sicherheitsgesetz 2.0

Einmal mehr soll sich der Bundestag mit dem Schutz von IT-Sys­te­men und den darin gespeicherten Daten befassen. Der Reform des IT-Sicherheitsgesetzes von 2015 soll nun eine weitere folgen. Ein Entwurf des Bundesinnenministeriums (BMI) vom 27. März 2019 befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung.[1]

Bereits vergangene Reformen im Bereich des Informationsstrafrechts wie die Einführung von § 202c Strafgesetzbuch (StGB) (Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten) und § 202d StGB (Datenhehlerei) waren problematisch und sahen sich massiver Kritik ausgesetzt. Sie zeichneten sich durch eine weitgehende Vorfeldkriminalisierung und ausufernde Tatbestände aus, unter welche bisweilen sozialadäquate Handlungen subsumiert werden können. Das Strafrecht wird im IT-Bereich als Mittel der Gefahrenabwehr instrumentalisiert, mit der auf abstrakte und vermeintlich bestehende Bedrohungsszenarien reagiert werden soll. Die gesetzgeberischen Maßnahmen erscheinen dabei mehr als nur ungeeignet, um einen umfassenden Schutz der IT-Sicherheit zu gewährleisten. Damit reiht sich auch die Entwicklung des Informationsstrafrechts immer mehr in eine neoliberale Sicherheitslogik ein. Achtung: Überkriminalisierung. Das geplante IT-Sicherheitsgesetz 2.0 weiterlesen

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt – Die Bodycam-Studie der sächsischen Polizeihochschule

von Florian Krahmer

Der verfassungsrechtlich gebotene Nachweis der Wirkung sogenann­ter Bodycams stößt auf erhebliche Probleme – ein Blick auf das Beispiel Sachsen.

2017 war im Bundespolizeigesetz eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Körperkameras (Bodycams) eingefügt worden. Diverse Bundesländer sind diesem Beispiel inzwischen gefolgt, haben entsprechende Regelungen in ihren Polizeigesetzen verankert oder planen das. Begründet wird die Notwendigkeit der Einführung in der Regel mit der präventiven Wirkung der Bodycams, die den Schutz der sie tragenden Polizeibeamt*innen erhöhen sollen. Der Nutzen und die deeskalierende bzw. präventive Wirkung sind jedoch stark umstritten und es existiert trotz verschiedener Studien keine eindeutige Aussage hierüber.[1] Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt – Die Bodycam-Studie der sächsischen Polizeihochschule weiterlesen

Strafrechtliche Vorverlagerung: Der Wandel zum Präventionsstrafrecht

von Benjamin Derin

Die tradierte Aufteilung polizeilichen Handelns in präventive, polizeirechtliche Gefahrenabwehr und repressive, strafverfahrensrechtliche Strafverfolgung verschwimmt zusehends. Auch das Strafrecht wird heute an seiner Eignung zur Verhinderung von Straftaten gemessen. Dies manifestiert sich in einer stetigen Vorverlagerung sowohl der materiellen Tatbestände als auch der prozessualen Ermittlungsbefugnisse. Damit einher geht ein fortschreitender Verlust von Beschuldigtenrechten.

Strafrecht, das bedeutet eigentlich Strafverfolgung, also die Verfolgung und Bestrafung vergangener Taten. Wer Unrecht begeht, hat hierfür zu sühnen, so entspricht es dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. Gesamtgesellschaftlich verbindet sich mit der Strafe zudem die Hoffnung, durch ihre Wirkung auf TäterIn und Öffentlichkeit lasse sich die Begehung künftiger Taten verhindern. Anknüpfungspunkt des Strafrechts ist die Schuld – die Vorwerfbar- und Verwerflichkeit des eigenen Handelns gemessen an den gesetzlichen Handlungsnormen. Der gesamte Strafprozess mit seinen der Wahrheitsfindung dienenden Beweismitteln ist damit eine von Grund auf vergangenheitsorientierte Veranstaltung. Rekonstruiert werden soll darin, wer in der Tatnacht den Abzug betätigte; zu beurteilen ist, wie schwer diese Tat unter Berücksichtigung der individuellen Umstände wiegt. Strafrechtliche Vorverlagerung: Der Wandel zum Präventionsstrafrecht weiterlesen

Die „drohende Gefahr“: Eine konkrete Gefahr für die Freiheitsrechte

von Michael Lippa

Mit der Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ im Polizeiaufgabengesetz verließ Bayern als erstes Bundesland die bis dahin geltende Dogmatik der Gefahrenbegriffe im Polizeirecht und beruft sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz.[1] Ob dies so richtig ist, muss stark bezweifelt werden.

Die Polizeigesetze gehören klassischerweise zum Gefahrenabwehrrecht. Das traditionelle Gefahrenabwehrrecht bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen Eingriffen in die Grundrechte potenziell Betroffener auf der einen Seite und der Pflicht des Staates zum Schutz der Grundrechte auf der anderen Seite.[2] Schon der Begriff „Gefahren-Abwehr“ macht es deutlich: Keine Gefahr – keine Abwehr (durch Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger)!

Ob eine Gefahr überhaupt vorliegt oder nicht, ist stets im Rahmen der Ermessensausübung durch eine auf Tatsachen beruhende Gefahrenprognose zu ermitteln. Auch wenn mittlerweile eine Vielzahl an qualifizierten Gefahrenbegriffen existiert, wird grundsätzlich zwischen einer konkreten und einer abstrakten Gefahr unterschieden. Die „drohende Gefahr“: Eine konkrete Gefahr für die Freiheitsrechte weiterlesen

Gefahrenabwehr im Wahlkampf: Berlin-Friedrichshain im Ausnahmezustand

von Louisa Zech und Tom Jennissen

Als in den Morgenstunden des 22. Juni 2016 ein Großaufgebot der Polizei das Haus Rigaer Straße 94 in Berlin-Friedrichshain stürmte und die Treppenhäuser und den Dachboden besetzte, kam dies für die BewohnerInnen des Hauses nicht gerade überraschend. Das Haus selbst und der Friedrichshainer Nordkiez insgesamt sind seit geraumer Zeit Objekte zweifelhafter polizeilicher Maßnahmen.

In diesem Jahr hatte es bereits zwei größere Einsätze gegeben, bei denen die Polizei mit fragwürdigen Begründungen in das Haus eingedrungen war. Überraschender als die neuerliche Maßnahme selbst waren ihr vor­rangiges Ziel und ihre Begründung: Während die Polizei das Haus weit­räumig absperrte und Treppenhäuser und Innenhöfe mit zahlreichen BeamtInnen besetzte, drangen Handwerker unter diesem Schutz in die von einem Verein genutzten Räumlichkeiten der „Kadterschmiede“ ein und begannen mit umfassenden Renovierungsarbeiten. Gegenüber den BewohnerInnen des Hauses und den VertreterInnen des Vereins begrün­dete die Einsatzleitung ihr Vorgehen damit, dass sie zur Gefahrenabwehr tätig werde und lediglich anwesend sei, um die Handwerker vor Angriffen zu schützen. Im Übrigen wurde auf die Pressemitteilung der privaten Hausverwaltung verwiesen, wonach die Räume, in denen bislang vor allem Kneipenabende und politische Veranstaltungen stattfinden, in Wohnungen umgebaut und an Flüchtlinge vermietet werden sollten. Gefahrenabwehr im Wahlkampf: Berlin-Friedrichshain im Ausnahmezustand weiterlesen

Verpolizeilichung des Strafrechts: Neue EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung

von Elif Eralp

Mit einem Richtlinienvorschlag vom Dezember 2015 möchte die Europäische Kommission die geltenden EU-Vorschriften zur Strafbarkeit terroristischer Handlungen ausweiten.[1] Einmal mehr bleiben dabei Grundrechte außen vor.

Im Fokus sind vor allem ausländische terroristische KämpferInnen sowie in Drittländern an terroristischen Handlungen teilnehmende Reisende. Die Richtlinie, die die Mitgliedstaaten in ihr nationales Strafrecht umsetzen müssen, enthält Vorgaben, die aus grundrechtlicher Sicht höchst problematisch sind. Sie werden die nicht nur in Deutschland seit Jahren sichtbare Verpolizeilichung des Strafrechts weiter vorantreiben. Verpolizeilichung des Strafrechts: Neue EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung weiterlesen

Ich sehe, was Du denkst – Anschauungsmaterial zur entgrenzten Kontrolle

von Ralf Kölbel und Susanne Selter

Kein Science Fiction: Auf US-Flughäfen müssen Reisende demnächst einen Gesichts-Scan durchlaufen. Kleinste Regungen in der Mimik sollen darüber Aufschluss geben, ob eine Person terroristische Absichten hegt.

Ein „Schläfer“ ist in erster Linie unauffällig. Das war der Ausgangspunkt und zugleich das Ergebnis der erfolglosen Rasterfahndung nach dem 11. September 2001.[1] Da er sich höchst angepasst bewegt und sich nichts zu schulden kommen lässt, wird der „Schläfer“ in keinen polizeilichen Akten oder Dateien geführt. So lange er „schläft“, ist es beinahe unmöglich, ihn zu finden. Umso wichtiger erscheint es daher, ihn nach dem „Erwachen“ frühzeitig ausmachen zu können. Und gerade dabei könnte sein Äußeres helfen – weil es nämlich womöglich seine Pläne enthüllt. Ich sehe, was Du denkst – Anschauungsmaterial zur entgrenzten Kontrolle weiterlesen