„Für eine bürgernahe Polizei“ – Rezension des CILIP-Gutachtens

von Waldemar Burghard *

Die Grünen/Alternative Liste haben jetzt ihr „Konzept für einen demokratischen Polizeiumbau“ in Form eines sogenannten Gutachtens vorgelegt und zugleich ihre Hoffnung kundgetan, darüber mit der Polizei ins Gespräch zu kommen. Da sind wir selbstverständlich mit Freuden dabei.

„Wenn es um die Polizei geht, reichen die Positionen der Grünen bekanntlich vom platten ‚Abschaffen‘ bis zu unreflektierter ‚Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols'“. Auf diese Weise hätten sich die Grünen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit „in der Vergangenheit selbst paralysiert“, konstatiert Otto Diederichs für die Al-ternative Liste. – Das soll sich also ändern, denn „man muß die Polizei nicht lieben, um zu erkennen, daß unsere Gesellschaft mit der ihr innewohnenden Gewalt eine Institution wie die Polizei benötigt“. Wohlan denn; irgendwie macht das neugierig, zumal die Grünen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens durch Querdenken zum Umdenken angeregt haben. Da im übrigen eine Partei auf Dauer die Zukunft nicht aus der hohlen Hand politisch gestalten kann, muß sie sich Leitlinien setzen, womöglich ein Programm entwickeln. Das allein ist rundum lobenswert.

Neugier und Lobbereitschaft erhalten indessen schnell die ersten Dämpfer. Manfred Such, gelernter Kriminalhauptkommissar und innenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagt bereits im Vorwort, wo es langgehen soll. „Die ‚Sicherheitslüge‘, die auf immer neuen Vehikeln, von der ‚Terrorbekämpfung‘ über ‚Bekämp-fung der Organisierten Kriminalität‘ bis zur ‚Drogenkriminalitätsbekämp-fung‘ reitet, muß endlich entlarvt werden.“ Worin die Sicherheitslüge bestehen soll, versucht dann das von Busch/ Funk/ Narr/ Werkentin (CI-LIP/FU Berlin) erstellte Gutachten zu verdeutlichen: Der Ausbau der Appa-rate „schafft“ nur mehr registrierte Kriminalität, ohne diese im Sinne der Strafverfolgung bewältigen zu können (S. 28). Und mehr noch: Das Instru-ment der Sicherung war und ist eine Quelle neuer Gefährdungen (S. 33).

Der Wettlauf von Verbrechens- und Verfolgungsorganisationen habe – grünem Durchblick zufolge – dazu geführt, daß die Polizei die neuen Verbrechensformen ein Stück weit mit produzierte. Dies z.B. indem sie direkt – wie im Drogenbereich oder auch in der Terrorismusbekämpfung geschehen – zu illegalem Verhalten anstifte oder durch die Furcht vor V-Leuten und Untergrundagenten nur (!) den Druck zur Konspiration verstärke (S. 38). Daß das organisierte Verbrechen eine ihm entsprechende polizeiliche Gegenorganisation verlange, steche als Einwand überhaupt nicht, weil – so die verquaste Logik – die Polizei an die konstitutiven Bedingungen solchen Verbrechens ohnehin nicht he-rankomme (S. 38). Und überhaupt: Der von der Polizei so fleißig mitbetriebenen Ausweitung ihrer Aufgaben und dem Anspruch, Sicherheit zu planen und Verbrechen „vorbeugend zu bekämpfen“, stehe ihre strukturell begrenzte Reichweite entgegen, die kaum größer werde, wenn die rechtsstaatlichen Grenzpflöcke zur Sicherung der einzelnen vor ungebremster Polizeigewalt versetzt oder herausgerissen werden (S. 37). Indem die Polizei darauf ausgehe, die Bürger vorweg zu sichern, sei sie gezwungen, die Sicherheit der Bürger vor dem polizeilichen Eingriff aufzuheben. Sie zerstöre so vorweg das, was sie zu schützen vorgebe. Sie schütze den Bürger nicht, sie entsichere ihn (S. 38).

Was entnimmt der erstaunte Bürger aus alledem? Richtig: es kommt darauf an, die begrenzte Reichweite der Polizei begrenzt zu halten, wo immer möglich weiter einzuengen. Dabei gibt das Gutachten vor, die Freiheitssphäre des Einzelnen und seine Abwehrrechte gegen staatliche Übergrif-fe als Maßstab an die Probleme der „sogenannten“ (so Such) inneren Si-cherheit und einzelne polizeiliche Maßnahmen zu legen. Dieses im Prin-zip löbliche Vorhaben wird aber stän-dig und überall mit grünen Vorurtei-len zugekleistert. Sicher wäre es zu-viel verlangt, den Denkansatz zu fin-den, in einer liberalen Gesellschaft könnte der einzelne in seinen Rechten durch seine Mitbürger ebenso (oder mehr?) bedroht sein, wie durch seinen Staat. Daß aber die Freiheit sowohl einen sozialen als auch einen sich selbst begrenzenden Bezug hat, hätte aus Gründen der Fairneß gegenüber allen Bürgern wenigstens die Erwähnung verdient. Oder sollte es den Grünen bisher gänzlich entgangen sein, daß die Freiheit des einen auf Kosten eines anderen gehen, Freiheit in einer bestimmten Richtung Unfreiheit in eine andere Richtung produzieren kann? Oder anders: Könnte man angesichts unserer Verbrechenswirklichkeit nicht auf die Idee kommen, daß bestimmte Restriktionen dem Rechtsbrecher, nicht dem rechtstreuen Bürger dienen? Und müßte bei näherem Hinsehen nicht auch den Grünen wenigstens der Verdacht kommen, un-ter dem Schutz des rechtlichen Schirms, der vor allem für die „nor-male“ Bürgerschaft gedacht ist, könn-te sich klamm und heimlich eine be-sonders rücksichtslose, sozial- und ge-meinschaftsschädliche Kriminalität über Gebühr ausweiten? – Eigentlich darf es doch nicht wahr sein, daß solcherart teuflische Folgen kaltschnäuzig und ohne Rücksicht auf Verluste einkalkuliert werden, wenn nämlich die staatliche Strafverfolgungsenergie sukzessive auf die „Kleinen“ minimiert wird, auf jene eben, die mit dem zur Verfügung stehenden polizei-lichen Instrumentarium gerade noch erreicht werden können. Bei aller Freundschaft mögen es mir die Grü-nen nachsehen: Diese Art von Gerech-tigkeit kann und will ich nicht nach-vollziehen.

Jeder Versuch, Sachverhalte und Zustände nicht einfach als feststehend hinzunehmen, sondern sie zu „hinter-fragen“, ist per se begrüßenswert. Dabei ist aber unverzichtbar, daß vor dem Hinterfragen zunächst die Sach-verhalte gewissenhaft analysiert und geklärt werden. Es ist zugegebener-maßen höchst mühselig, sich in die sachlichen Einzelfragen einarbeiten zu müssen. Da ist es ungleich einfacher, eine ideologische Grobsicht vorzunehmen. „Ein Gutachten zur demokrati-schen Neubestimmung polizeilicher Aufgaben, Strukturen und Befugnis-se“ sollte es werden. Wenn man aber unter einem Gutachten die begründete Stellungnahme von Sachkennern ver-stehen will, dann verdient es dieses „Gutachten“, in Anführungsstriche gesetzt zu werden.

Nirgendwo sind die bekannten grünen Vorurteile durch sachverständige Urteile zurechtgerückt. Und schließlich muß auch für grüne „Gutachten“ gelten, daß Schlußfolgerungen nur dann logisch und damit richtig sein können, wenn die Prämissen mit der Wirklichkeit übereinstimmen und wenn jede Schlußfolgerung aus den ihr zugrundeliegenden Prämissen tatsächlich und damit zwingend folgt. Andernfalls liegt ein Trugschluß vor; was prinzipiell zu verzeihen wäre. Oder aber es handelt sich um blanke Verdummdeiwelei; was bei Ideologen immer auch ins Kalkül gezogen werden muß.
Wie immer dem auch sein mag: Niemand und nichts wird Schaden nehmen, wenn dieses „Gutachten“ der Information über grüne Positionen dient und dann im Archiv „abgelegt“ wird.
(Kriminalistik Nr. 11/90)

* Direktor des LKA Nds. a.D.; heute Chefredakteur der „Kriminalistik“