Arbeit, Angst und Attraktionen – Arme gegen Arme und das Bernauer „Modell Bürgerhelfer“

von Volker Eick

1998 lieferte die brandenburgische Stadt Bernau eine neue Variante unter den vielen informellen Kontrollagenturen, die seit den 90er Jahren vor allem auf kommunaler Ebene entstanden sind: Sie ließ sich ihre „Bürgerhelfer“ als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) vom Arbeitsamt finanzieren. Auch andernorts erobert die „Innere Sicherheit“ einen neuen Exerzierplatz: den sog. Zweiten Arbeitsmarkt.

Nach Jahrzehnten der Zentralisierung hat die Politik Innerer Sicherheit in den 90er Jahren die „Gemeinde“ neu entdeckt. Präventionsräte und allerlei Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften schießen wie die Pilze aus dem Boden. Von politischer wie polizeilicher Seite werden gerade die fehlende Formalisierung und die Heterogenität dieser Modelle und Pilotprojekte als besonders wünschenswert herausgestellt, auch von Wissenschaftlern wird gelegentlich einer solchen „Orientierung“ das Wort geredet.[1]

Die neuen informellen Kontrollagenturen finden sich nicht nur in großstädtischen Agglomerationen und ihren „Problemgebieten“, sondern auch auf dem Lande. Es kann deshalb wenig überraschen, dass der Ghetto-Diskurs, der mit der Einrichtung solcher Projekte einhergeht, mittlerweile auch für den ländlichen Raum inszeniert wird.[2] Das vorwiegend ländliche Bundesland Brandenburg hat sich bereits seit 1994 mit seinen „Sicherheitspartnern“ einen Namen bei der Neuausrichtung im Politikfeld Innere Sicherheit gemacht. Die Stadt Bernau fügte 1998 mit ihrem Modellprojekt „Bürgerhelfer“ eine kommunale Facette hinzu, die seit nunmehr zwei Jahren aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit finanziert wird.

Bernau bei Berlin, so die offizielle Bezeichnung der Stadt, gehört mit etwa 25.000 EinwohnerInnen zu den eher prosperierenden und wachsenden städtischen Regionen Brandenburgs. Etwa 5% der Bernauer Bevölkerung beziehen Sozialhilfe (ca. 1.300 Personen), 12,5% sind arbeitslos (2.000 Personen); die Zahl der Obdachlosen wird mit 28 angegeben.[3] Im zuständigen Arbeitsamtsbereich Eberswalde lag die Arbeitslosenquote dagegen im April dieses Jahres bei 19,9%, (32.613 Arbeitslose), im gesamten Bundesland Brandenburg erreichte sie 17,6% (235.268 Arbeitslose).[4]

Auch die Raten der registrierten Kriminalität liegen nicht über den gesamt-brandenburgischen Vergleichsdaten. Die Daten der Sozial- und der Kriminalstatistik ließen die Stadt Bernau jedoch unbeeindruckt. Unterstützt vom Schutzbereich Bernau des Polizeipräsidiums Eberswalde bzw. dessen damaligem Chef, Herbert Hepke, und der damaligen SPD-Landtagsabgeordneten Britta Stark wandte man sich Anfang 1998 mit einem Antrag an das Arbeitsamt, in dem es heißt: „Für das Modellprojekt wurden die Stadt Bernau und das Amt Panketal auf Grund der im Schutzbereich höchsten Kriminalitäts- und Problembelastung ausgewählt. Die Stadt Bernau und das Amt Panketal beantragen jeweils 10 ABM-Stellen.“[5]

An dem Modellprojekt „Prävention durch Präsenz zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls und Steigerung der Lebensqualität im Wohnumfeld“ sind neben der Stadt Bernau fast alle Ämter des Kreises Barnim beteiligt. Nachdem die Genehmigung durch das Arbeitsamt Eberswalde erteilt war, installierte das Ordnungsamt am 1. Juni 1998 im Amt Panketal die ersten zehn „Bürgerhelfer“. Im Juli folgten weitere zehn in Bernau, im September vier in Werneuchen. Die ebenfalls einbezogenen Ämter Wandlitz, Biesenthal und Ahrensfelde/Blumberg hatten zu diesem Zeitpunkt noch keine ABM-Stellen beantragt.[6]

Als Ziele werden die „erhebliche Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls, Verbesserung der Lebensqualität, Ansprechpartner für die Bürger“ genannt, als Adressaten „Randgruppen, Kinder, Behinderte, Senioren, Bürger bei Problemen“. Die „Bürgerhelfer“ sollen „Präsenz“ zeigen, und zwar in „,Angst- und Belästigungsräumen` z.B. einsame Parkplätze, Parkhäuser, nach Kino- oder Theaterbesuchen, Ladenpassagen, Parkanlagen, einsame Wege, Jugendtreffs, Bahnhofsvorplatz“ sowie in „besonderen Problembereichen, z.B. Vergnügungsstätten, Spielhallen, Treffpunkte (von) Problemgruppen (Szenetreff, Süchtige …)“. Daneben sollen sie „Angebote zur Problembewältigung verbreiten und vermitteln“.[7]

Spezielle Befugnisse haben die „Bürgerhelfer“ nicht, und auch hoheitliche Rechte sind ihnen nicht übertragen. Erkennbar sind sie an einer grünen Westen mit der Aufschrift „Stadt Bernau“ bzw. „Amt Panketal“. Ihre Ausstattung besteht in Notizblock, Funktelefon, Taschenlampe, Reizgas und ggf. Fahrrad. Ihre Einsatzzeit liegt im Rahmen einer 36-Stunden-Woche zwischen 6.00 und 22.00 Uhr. „Geschult“ sind die langzeitarbeitslosen Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren in Kommunikation, rechtlichen Fragen und Stressbewältigung.

Ein umfassender Bericht über die Tätigkeit der „Bürgerhelfer“ liegt der Öffentlichkeit nicht vor. In den Antworten auf Anfragen im Stadtrat teilte die Stadtverwaltung nur mit, dass es gemeinsame Streifengänge mit der Polizei – an Badeseen der Region – sowie mit Forstbediensteten gegeben habe.[8] In Bernau seien die Bürgerhelfer auch gemeinsam mit der Polizei gegen Vietnamesen eingesetzt worden, denen illegaler Zigarettenhandel vorgeworfen wurde. Letzterer werde dadurch „verdrängt und verunsichert, nicht beseitigt oder ausgetrocknet.“[9]

Die Langzeitarbeitslosen werden vom Arbeitsamt ausgesucht und erhalten Leistungen nach ABM-Ost. Das ergibt bei 90% der tariflichen Wochenarbeitszeit und 80% des Tariflohns durchschnittlich 2.850 DM brutto Monatsentgelt (inklusive des Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungsbeiträgen). Das Entgelt liegt damit deutlich im Niedriglohnbereich. Etwa 340.000 DM an Jahrespersonalkosten kamen so für die Bundesanstalt für Arbeit zusammen, für die Stadt Bernau etwa 8.000 DM an Sachkosten (Handys, Telefonrechnungen, Westen, Reizgas). Insgesamt schätzt die Stadtverwaltung die Kosten auf 750.000 bis 800.000 DM. Nachdem in Bernau die erste Maßnahme zum 30. Juni 1999 beendet wurde, genehmigte das Arbeitsamt Eberswalde auf Antrag die Verlängerung um ein weiteres Jahr (bis Ende Juni 2000). Eine erneute Verlängerung der Maßnahme wurde nicht beantragt.

An Stadtverwaltung und Gemeinde vorbei

Den Hintergrund dafür, dass man die Maßnahme in Bernau auslaufen ließ, bilden die schon seit ihrem Beginn bestehenden Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Stadtverwaltung einerseits und den InitiatorInnen des Projekts, Britta Stark und Herbert Hepke, andererseits. Die gebürtige Bernauerin Stark war bis zu den Landtagswahlen im September 1999 Abgeordnete für den Wahlkreis Bernau und saß für die SPD im Innenausschuss. Sie wolle „Sicherheit und Arbeitsplätze durch mein Projekt ‚Bürgerhelfer'“ fördern. „Wählen Sie die Zukunft“, so warb sie noch im Mai auf ihrer Homepage, zu deren Aktualisierung sie offenbar keine Zeit mehr fand, bevor sie einen Monat nach der Wahlniederlage – ohne Stellenausschreibung – auf dem Posten der Abteilungsleiterin „Studium und Ausbildung“ an der Fachhochschule der Polizei in Basdorf landete.[10] Schon im September war ihr Hepke dorthin als Dozent vorausgegangen.[11] Nach dem Abgang der beiden Personen, die das Projekt maßgeblich forciert hatten, war die Stadtverwaltung an dem intern als „Wahlkampf-Ei“ der SPD kritisierten Projekt nicht mehr interessiert.

Diese Wende ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die Polizei des Schutzbereiches Bernau noch wenige Monate zuvor die kriminalpräventiven Wirkungen der „Bürgerhelfer“ hervorgehoben hatte. Gegenüber der Berliner Morgenpost wies Polizeirat Arne Feuring darauf hin, dass im Halbjahresvergleich 1998 die Zahl der Fahrraddiebstähle in Bernau um 21% und die der Diebstähle von und aus Autos um 37% gesunken sei. Im benachbarten Panketal seien die angezeigten Diebstähle gar um 60% zurückgegangen.[12] Aktuellere Zahlen für diese Deliktsbereiche liegen nicht vor. Ein bereits verabredetes Interview, bei dem es u.a. um die Erfolgsbilanz des Projekts gegangen wäre, sagte der Verantwortliche in der Stadtverwaltung in letzter Minute wieder ab.

Die in der Morgenpost veröffentlichten Zahlen aus Bernau und Panketal decken sich mit dem Brandenburger Trend. Die „Zurückdrängung der Diebstahlskriminalität“, so argumentierte das Innenministerium 1998, habe einen „großen Anteil am Rückgang der Straftaten“ insgesamt.[13] Schon aus diesem Grund kann die rückläufige Entwicklung der angezeigten Straftaten in Bernau schwerlich als Erfolg der „Bürgerhelfer“ ausgegeben werden.

Dieser Eindruck bestätigt sich um so mehr, wenn man die kriminalstatistischen Daten des Schutzbereiches Bernau mit denen des Polizeipräsidiums Eberswalde, zu dem dieser Schutzbereich gehört, vergleicht. Wie in Brandenburg insgesamt zeigt sich auch im Gebiet des Polizeipräsidiums Eberswalde ein Rückgang der angezeigten Straftaten. „Im Jahr 1997 wurden für den Bereich des PP Eberswalde insgesamt 34.815 Straftaten registriert. Davon entfielen auf den Schutzbereich Bernau 10.381 Straftaten. Das waren 29,8% aller Straftaten. 1998 entfielen von den insgesamt registrierten 31.537 Straftaten 31,1% gleich 9.817 auf den Schutzbereich Bernau. Im Jahr 1999 hatte der Schutzbereich Bernau einen Anteil von 9.037 Straftaten an der Gesamtzahl von 29.470 registrierten Straftaten, das sind 30,7%.“[14] Der Anteil des Schutzbereichs Bernau lag also 1998 und 1999 sogar leicht höher als 1997, dem Jahr vor Beginn des Projektes. Die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik belegen wenn überhaupt irgendetwas, dann sicherlich keine überdurchschnittliche Reduktion der sog. Kriminalitätsbelastung aufgrund des Einsatzes der „Bürgerhelfer“.

Eine solche gewagte Spekulation über Erfolge ist auch nur deshalb möglich, weil eine wissenschaftliche Begleitung des Projektes nicht erfolgte. Auf die Anfrage im Stadtrat, warum diese fehle, erklärte die Stadtverwaltung: „Weil die Konzeption diese nicht vorsieht, vermutlich, da die Konzipienten dafür keine Notwendigkeit gesehen haben.“[15]

Während das Projekt in Bernau eingestellt ist, wurde es 1999 in den Ämtern Panketal und Werneuchen (noch) praktiziert und kommt als arbeitsmarktpolitische Maßnahme auch in Prenzlau (Kreis Uckermark) sowie in den mecklenburg-vorpommerschen Städten Neubrandenburg und Wismar zum Einsatz.[16] Was in Bernau aus parteipolitischer Profilierungssucht geboren wurde und daran auch wieder zugrunde ging, setzt sich im übrigen Brandenburg und auch in anderen Bundesländern fort. Es handelt sich darüber hinaus um einen bundesweiten Trend, ganz zu schweigen von Entwicklungen im internationalen Kontext: Das „Modell ABM-Sheriff“ greift in der einen oder anderen Variation zunehmend Raum und verknüpft so Kontroll- mit Arbeitsmarktpolitik.

Workfare: Arme gegen Arme

Stark und Hepke argumentierten für ihr Projekt „Bürgerhelfer“ stets mit der Verknüpfung von bestehender Massenarbeitslosigkeit auf der einen und den subjektiven Unsicherheitsgefühlen der Bevölkerung auf der anderen Seite. Man wolle in den als „Belastungsräumen“ bezeichneten städtischen Quartieren „Leute mit wachem Auge und gesundem Bürgersinn“ einsetzen. Die Verknüpfung von Innerer Sicherheit und Arbeitsmarktpolitik liege nahe: „Einerseits gibt es immer mehr Arbeitslose, andererseits haben die Menschen immer öfter das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein.“[17] Vorausgegangen war dem Modellprojekt eine als Expertenbefragung zum subjektiven Sicherheitsgefühl bezeichnete Fragebogenaktion, die im ersten Halbjahr 1998 durchgeführt wurde. Zu den Befragten zählten BürgermeisterInnen, VertreterInnen der Kirchengemeinden, LehrerInnen und Gewerbetreibende. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten in der Stadt Bernau und den Ämtern Panketal, Wandlitz, Biesenthal, Werneuchen und Ahrensfelde/Blumberg mehr Polizeipräsenz wünschte. Weil dies auf personelle Grenzen stoße, sei, so ein Bernauer Polizeikommissar, der Gedanke geboren worden, „auf die Mithilfe engagierter Bürger zurückzugreifen“.[18]

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt seit Sommer 1997 auch die Stadt Stuttgart, die sogenannte „Gelbe Engel“ durch die Straßen und Parks patrouillieren lässt. Das gemeinsam von der Stadt Stuttgart, dem Caritas-Verband und dem Beschäftigungsträger Neue Arbeit GmbH im Rahmen eines breiteren Arbeitsmarktprogramms entwickelte Projekt beschäftigt SozialhilfeempfängerInnen, die im öffentlichen Raum Serviceleistungen für die Bevölkerung erbringen sollen und als Privatpolizei gegen Obdachlose und BettlerInnen vorgehen.[19] „Das hat sich“, so Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster auf einem Fachkongress zu Konzepten kommunaler Kriminalprävention, „nicht zuletzt auch deshalb bewährt, weil manche von ihnen vorher selbst auf der Parkbank saßen. Dies ist für mich auch ein sozialpolitisches Zeichen. Das ist sehr viel besser, als weiter Sozialhilfe zu zahlen und dann die Diskussion zu führen, ob Betteln erlaubt sein soll oder nicht.“[20] Schuster hebt hier auf einen Trend ab, Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen als „Armenpolizei“ mit spezifischen Quartiers- und Milieukenntnissen, als Selbstregulativ von Armutspopulationen zum Einsatz zu bringen.

Auch in Berlin werden Sicherheitsdienstleistungen über aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt. Hauptakteure sind hier freie Träger, also dem Bereich des sog. Dritten Sektors zugerechnete Non profit-Organisationen, die sich so ein neues Handlungsfeld erschlossen haben. Aber auch kommerzielle Anbieter beginnen in dieses Marktsegment einzusteigen. So hat die mit 2.500 Beschäftigten bundesweit zu den Marktführern im privaten Sicherheitsgewerbe gehörende IHS Industrie- und Handelsschutz GmbH[21] in Berlin eine eigene gemeinnützige Gesellschaft (gGmbH) gegründet, die u.a. im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) tätig ist und mittlerweile knapp 300 Personen als Sicherheits- und Servicepersonal beschäftigt. Finanziert werden die Stellen aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit als Strukturanpassungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (SAM, ABM).

Dritter Sektor: Exklusion durch Inklusion [22]

Weitere 700 Personen finden bei freien Trägern Berlins in ABM-Stellen oder Maßnahmen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auf dem Zweiten Arbeitsmarkt Beschäftigung. Sowohl die zuständigen Verwaltungen als auch die freien Träger knüpfen daran Erwartungen, dass der Zweite Arbeitsmarkt seine „Brückenfunktion“ in den ersten wiedererlangen könne. Gerade in den Branchen Sicherheits-, Sauberkeits- und Ordnungsdienstleistungen – also in den als Dienstleistungsperipherie zu bezeichnenden Bereichen – ließen sich, so das Kalkül, neue Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen. Die bisherigen Vermittlungsquoten der TeilnehmerInnen bieten dafür allerdings keinen Beleg. In Ermangelung valider Daten schätzt man die Vermittlungsquoten in diesen Bereich auf etwa 5-8%.

Zu den Aufgabenfeldern der Berliner Akteure gehören Sicherheitsdienstleistungen, Parkaufsichts- und -betreuungsleistungen, Stadtbildpflege, „Kontrolle der öffentlichen Park- und Grünanlagen“ sowie die „Herstellung von Sauberkeit und Ordnung auf öffentlichen Freiflächen“.[23] Nur für 50 von insgesamt 721 TeilnehmerInnen (Oktober 1999) sind die Maßnahmen mit zusätzlicher Qualifizierung verbunden. Deutlich werden zunächst zwei Sachverhalte: Mit der angestrebten Selbstregulation sog. Problemgruppen durch den Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumentarien ist ein lukrativer Markt entstanden, auf dem insbesondere freie Träger miteinander um Maßnahmen konkurrieren. Das Politikfeld Innere Sicherheit wird so für staatliche, kommerzielle und private Arbeitsmarktakteure interessant.[24]

Die Arbeitsmarktakteure des Dritten Sektors, also vor allem die freien Träger mit ihrem sozialarbeiterischen Anspruch, gelten weithin als innovativ. Sie nehmen allerdings nicht wahr bzw. nehmen billigend in Kauf, dass mit ihren Sicherheits- und Ordnungsprojekten eine Informalisierung und Fragmentierung von Recht sowie kleinräumige Kontrollpolitiken verbunden sind. Die Planung, Anleitung, Begleitung und Umsetzung sowie Evaluation solcher Projekte und Maßnahmen wollen sie denn auch keineswegs als Exklusionspolitik verstehen, sondern im Gegenteil als Beitrag zur Integration.[25] So wird explizit auf Integration abgehoben, wenn etwa (jugendliche) Migranten in Quartieren mit hohem Ausländeranteil als Sicherheitsstreifen (kommerziell wie kommunal) eingesetzt werden.

Die Verknüpfung von – hier im weiteren Sinne gebrauchten – Konzepten kommunaler Kriminalprävention mit Arbeitsmarktmanagement führt so zu einer Politik, die Arme gegen Arme in Anschlag bringt und den so betroffenen Personengruppen erstens Räume zuweist, ihnen zweitens – ohne dass sie gegen strafrechtliche Normen verstoßen hätten – Verhaltensweisen oktroyiert und damit drittens die Ausgrenzung keinesfalls ent-, sondern verschärft.

Volker Eick ist Politikwissenschaftler und arbeitet in Berlin.
[1] vgl. etwa: Pütter, N.; Diederichs, O.: Polizei und Gemeinde. Präventionsräte als Chance?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 57 (2/97), S. 47-52, die „möglichst viele verschiedene Modelle an möglichst vielen und verschiedenen Orten“ für erforderlich halten; vgl. in breiterer Perspektive Kury, H. (Hg.): Konzepte Kommunaler Kriminalprävention, Freiburg i. Br. 1997
[2] vgl. Willisch, A.: Drogen am Eichberg oder Feuer im Ausländerheim. Die Ghettoisierung ländlicher Räume, in: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Dezember 1999/Januar 2000, H. 6, S. 73-87; kritisch zur Berliner Situation vgl. Veith, D.; Sambale, J.: Wer drinnen ist, ist draußen. Warum auch in Berlin neuerdings über „Ghettos“ diskutiert wird, in: Knecht, M. (Hg.): Die andere Seite der Stadt. Armut und Ausgrenzung in Berlin (alltag & kultur, Bd. 5), Köln, Weimar, Wien 1999, S. 42-59
[3] Stadt Bernau (Hg.): Statistische Daten der Stadt Bernau, Stand: Dezember 1999
[4] Arbeitsamt Eberswalde: www.arbeitsamt.de/eberswalde/statistik/; Brandenburg insgesamt: www.arbeitsamt.de/hst/dienststellen/laaberlinbrandenburg/
[5] Modellprojekt „Prävention durch Präsenz zur Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls und Steigerung der Lebensqualität im Wohnumfeld“ (Abschrift des Antragschreibens), Stadt Bernau, 1998, S. 1
[6] Berliner Zeitung v. 9.10.1998
[7] Modellprojekt „Prävention durch …“ a.a.O. (Fn. 5), S. 2
[8] Stadt Bernau: Stellungnahme zur Anfrage der Alternativen Jugend-Liste AJL (Amt 30), 29.9.1999; Berliner Zeitung v. 28.5.1999, Berliner Morgenpost v. 6.7.1999
[9] Stadt Bernau: Anfragen zur ABM „Bürgerhelfer“ (Amt 30), 28.4.1999, Berliner Zeitung v. 9.10.1998
[10] http://www.spd-brandenburg.de/ub/bar/wahl.html [Der Link funktioniert leider nicht mehr]; Berliner Morgenpost v. 6.10.1999
[11] Berliner Morgenpost v. 31.8.1999
[12] Berliner Morgenpost v. 3.7.1999
[13] Brandenburg, Ministerium des Innern: Pressemitteilung Nr. 18/98 v. 4.3.1998
[14] Polizeipräsidium Eberswalde, Antwort auf die Anfrage zur PKS für den Schutzbereich Bernau v. 15.6.2000, S. 1
[15] Stadt Bernau: Stellungnahme … a.a.O. (Fn. 8), S. 3
[16] Berliner Morgenpost v. 3.7.1999, das zuständige Arbeitsamt lobte zudem die Maßnahme ausdrücklich, vgl. Berliner Zeitung v. 9.10.1998.
[17] zit. n. Berliner Morgenpost v. 17.3.1998
[18] zit. n. Berliner Zeitung v. 9.10.1998
[19] Stuttgarter Zeitung v. 14.11.97; der Artikel spricht von 16 „Gelben Engeln“.
[20] Schuster, W.: Kommunale Kriminalprävention – der Stuttgarter Weg, in: Baden-Württemberg, Innenministerium (Hg.): Kommunale Kriminalprävention (Dokumentation des Fachkongresses vom 21.7.1998), Stuttgart 1998, S. 19-24 (24), vgl. Filkorn, M.: Privatisierung öffentlicher Räume verdeutlicht an den Beispielen Stuttgart und Tübingen (Diplomarbeit), Geographisches Institut der Eberhard-Karls-Universität, Tübingen 1998
[21] vgl. Eick, V.: Neue Sicherheitsstrukturen im „neuen“ Berlin. Warehousing öffentlichen Raums und staatlicher Gewalt, in: ProKla 1998, H. 110, S. 95-118 (111)
[22] Zur Exklusionsdebatte vgl. mit weiteren Nachweisen: Eick, V.: „Sagen Sie doch B.O.S.S. zu mir…“ – Private Sicherheitsdienste zwischen Konsum und Quartier, in: Reader zum Arbeitstreffen „Ausgrenzung, Entbehrliche, Überflüssige“ am Hamburger Institut für Sozialforschung, 17. und 18. Februar 2000, Hamburg
[23] Berlin, Senatsverwaltung für Arbeit (Hg.): Transparenzbericht, Berlin Oktober 1999; der halbjährlich veröffentlichte Bericht vermittelt einen Überblick über die in der aktiven Arbeitsmarktpolitik tätigen und geförderten freien Träger.
[24] Für weitere Berliner Akteure in diesem Politikfeld vgl. Veblen, E.: Workfare: Wenn auch der Sheriff vom Sozialamt kommt, in: MieterEcho. Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft 2000, Nr. 279, S. 20f.
[25] vgl. Eick, V.: Zwischen Europol und „Rundem Tisch“. Glokalisierung als Entgrenzung Innerer Sicherheit (unv. Manuskript), Berlin 1998. Bedauerlich ist die fehlende Problematisierung solcher Art von vermeintlicher Inklusion in der wissenschaftlichen Debatte, vgl. für viele Kronauer, M.: „Soziale Ausgrenzung“ und „Underclass“: Über neue Formen der gesellschaftlichen Spaltung, in: Leviathan 1997, H. 1, S. 28-49; Bremer, P.; Gestring, N.: Urban Underclass – neue Formen der Ausgrenzung in deutschen Städten?, in: ProKla 1997, H. 106, S. 55-76 sowie den in Fn. 22 genannten Reader. Zu denken ist hier in (stadt-)räumlicher Perspektive an das Berliner Quartiersmanagement ebenso wie an das kürzlich aufgelegte Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“.

Bibliographische Angaben: Eick, Volker: Arbeit, Angst und Attraktionen. Arme gegen Arme und das Bernauer „Modell Bürgerhelfer“, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000), S. 39-47