Editorial

von Heiner Busch

Die gute Nachricht vorneweg: Anlässlich des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU in Kopenhagen am 13. und 14. Dezember 2002 demonstrierten mehrere Tausend Personen „für ein anderes Europa“. Während die Zeitungen immer noch darüber rätseln, ob sie Europa-Meldungen auf der Inlands- oder Auslandsseite unterbringen sollen, haben die Treffen des Europäischen Rates im linken und bürgerrechtlichen Terminkalender nunmehr einen festen Platz gefunden. Die DemonstrantInnen haben realisiert, dass politische Entscheidungen längst nicht mehr nur auf nationaler Ebene getroffen werden. Sie verhalten sich europäischer, als es der EU und den Regierungen der Mitgliedstaaten recht ist: Sie stellen – zumindest im Ansatz – eine europäische Öffentlichkeit her.

Genau das ist keineswegs selbstverständlich. Die Bauern waren über lange Jahre die Einzigen, die ihre Forderungen an „Brüssel“ auf die Straße trugen. Ansonsten bestand der gesellschaftliche Einfluss auf die EU-Politik im stillen aber effizienten Druck von Interessengruppen aus der Industrie, die hier gerade wegen der fehlenden Öffentlichkeit günstigste Bedingungen vorfanden. Dass auch Nicht-Regierungsorganisationen mittlerweile eine Lobbyarbeit vor allem bei der EU-Kommission betreiben, ändert an diesem generellen Befund nur wenig. Obwohl die Zuständigkeiten der Europäischen Union seit Mitte der 80er Jahre enorm ausgedehnt wurden, ist die Öffentlichkeit in den Mitgliedstaaten nach wie vor auf den nationalen Rahmen fixiert und behandelt die EU-Politik allenfalls als Randerscheinung. Die EU bietet damit ein ideales Feld für die Exekutive: Es bedarf nur selten einer öffentlichen Rechtfertigung, man bewegt sich im Freiraum der Ignoranz und kann ungestört von kritischen Nachfragen seiner Geschäfte walten.

In der Innen- und Justizpolitik ist dieser Mangel an Öffentlichkeit besonders deutlich: Europäische Großprojekte wie Europol wurden allenfalls bei ihrer Lancierung Anfang der 90er Jahre, beim abschließenden Gerangel um die Unterzeichnung der Konvention 1994/95 und schließlich bei deren Inkrafttreten 1999 zur Kenntnis genommen. Der Verhandlungsprozess um die Konvention sowie derzeit um ihre Generalüberholung blieb bzw. bleibt im Dunkeln. Mit Eurojust befassten sich die Massenmedien anlässlich des Gipfeltreffens in Tampere 1999, seitdem taucht die zukünftige EU-Staatsanwaltschaft nur noch in Fünfzeilern auf. Der Prozess der EU-Erweiterung läuft formell seit 1997 – trotzdem spielt die damit verbundene Verlagerung der Außengrenzen nach Osten in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle. Die Entscheidungsfindung im innen- und justizpolitischen Bereich bleibt im wild wachsenden Gestrüpp der Arbeitsgruppen des Rates verborgen. Das Europäische Parlament befasst sich in der Regel erst mit den fertig ausgehandelten Entwürfen und muss darüber hinaus auch nur konsultiert werden. Es könnte den Rat nicht stoppen, selbst wenn es dies wollte, was immer weniger der Fall ist.

Bürgerrechte & Polizei/CILIP dokumentiert diese Entwicklung seit Jahren – mit eigenen Schwerpunktheften zu EU-Themen, mit einer regelmäßigen Rubrik „Meldungen aus Europa“, mit zusätzlichen einzelnen Beiträgen. Unsere britischen KollegInnen von Statewatch produzieren nicht nur ein zweimonatliches Bulletin, das sich zu großen Teilen mit der Politik der Inneren Sicherheit in der EU befasst, sondern darüber hinaus auch online-Nachrichten und eine umfangreiche Homepage (www.statewatch.org). Analysen und Materialien können aber eine breite Öffentlichkeit nicht ersetzen, sondern sie nur unterstützen. Es kommt darauf an, Europa zu verändern.

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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 74 (1/2003) erscheint im April und wird sich im Schwerpunkt mit „Wirtschaftskriminalität, Geldwäsche und Finanzermittlungen“ befassen.

Mit dem neuen Jahrgang runden auch wir unsere Preise auf etwas glattere Euro-Beträge auf, nachdem wir sie zur Euro-Umstellung exakt umgerechnet hatten. Dadurch verteuern sich Abonnement- und Einzelheftpreise ganz geringfügig um nur wenige Cent, die Preise für Solidaritätsabonnements werden hingegen deutlich abgerundet. Die neuen Preise sind im Impressum abgedruckt.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.