Anfang Oktober sprach der Appellationsgerichtshof in Genua in zweiter Instanz die höchsten je ausgesprochenen Haftstrafen nach Gipfelprotesten aus.[1] Angeklagt waren 25 ItalienerInnen, denen seit 2001 der Prozess wegen „Plünderung und Verwüstung“ gemacht wird. Nachdem bereits die erste Instanz Strafen von bis zu zwölf Jahren verhängen wollte, hat das Appellationsgericht nun die Urteile noch verschärft. Zehn Angeklagte erhielten Haftstrafen von bis zu 15 Jahren. In einigen anderen Fällen gab es dagegen Freisprüche, weil das Gericht den Angeklagten zugestand, aus „Notwehr“ gehandelt zu haben. Sie hatten sich gegen den Angriff einer Polizeieinheit zur Wehr gesetzt, die sich auf eigene Faust vom Funkkontakt mit der Leitstelle abgekoppelt und die genehmigte Großdemonstration der „Disobbedienti“ angegriffen hatte. Diese Attacke war Ausgangspunkt für stundenlange Straßenschlachten zwischen Polizei und Tausenden DemonstrantInnen gewesen, in deren Verlauf auch der 21-jährige Carlo Giuliani erschossen wurde.
Einige weitere Angeklagten profitierten von der Einschätzung, dass ihre Vergehen nicht als „Plünderung und Verwüstung“ zu ahnden seien und damit unter die Verjährungsfrist fielen. Unter ihnen war auch einer der DemonstrantInnen, der zusammen mit Carlo Giuliani ein Polizeifahrzeug angriff, aus dem kurz darauf der bis heute ungeklärte tödliche Schuss abgefeuert wurde.
Mit dem Urteil sind längst nicht alle Verfahren rund um den G8-Gipfel in Genua abgeschlossen. Vermutlich werden die Verurteilten Berufung einlegen. Zudem werden im November Urteile gegen Angehörige der Polizei wegen des brutalen Angriffs auf schlafende AktivistInnen in der Diaz-Schule erwartet. Im Dezember will das Gericht ebenfalls gegen Polizisten und medizinisches Personal wegen Misshandlungen und folterähnlichen Zuständen in der Polizeikaserne Bolzaneto Urteile fällen. Beide Verfahren werden in zweiter Instanz verhandelt, auch hier ist eine Berufung möglich. In erster Instanz waren die Angeklagten beider Verfahren bereits zu Entschädigungszahlungen verurteilt worden. Das Geld sollte, ohne ein Zivilverfahren abzuwarten, an die Opfer gezahlt werden. Während viele NebenklägerInnen im Diaz-Verfahren ein Jahr später ihre Entschädigungen in fünfstelliger Höhe erhalten haben, streiten sich im Bolzaneto-Verfahren die Ministerien für Justiz und Inneres um die Zuständigkeit für die Vorleistung, die im späteren Zivilverfahren von den verurteilten Polizisten zurückzufordern ist. Diese Zivilverfahren werden wiederum Jahre dauern.
Indes hat das Genueser Gericht einen Tag vor seinem Spruch gegen die AktivistInnen den ehemaligen Polizeichef von Genua, De Gennaro, sowie den früheren Chef der politischen Polizei Digos, Spartaco Mortola, freigesprochen. Beide waren von der Staatsanwaltschaft angeklagt, Untergebene zur Falschaussage im Diaz-Verfahren angestiftet zu haben. Damit zerschlug sich ein weiterer Versuch, höhere Ränge der Polizei für das Massaker in der Diaz-Schule zur Rechenschaft zu ziehen.
(Matthias Monroy)