Schlagwort-Archive: Datenschutz

Hilfloser Datenschutz – Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung

von Heiner Busch

Die Verrechtlichungsspirale dreht sich unaufhörlich und füllt Polizei- und Geheimdienstgesetze mit datenschutzrechtlicher Poesie. Entpolitisiert droht der Datenschutz zum legitimatorischen Beiwerk zu verkommen.

Privacy International (PI) ist eine in London ansässige internationale Datenschutzorganisation. Sie hat die „Big Brother Awards“, jene Negativpreise für die besten Schnüffler, erfunden, die Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen mittlerweile in vielen europäischen Ländern jährlich vergeben. Anfang Oktober 2006 veröffentlichte PI ihren diesjährigen „International Privacy Survey“, der im Unterschied zu den Big Brother Awards durchaus nicht ironisch gemeint ist.[1] Die Bundesrepublik Deutschland hat dabei nicht nur im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten, sondern weltweit die besten Noten für ihren Datenschutz erhalten. Selbst im Bereich „Law enforcement“ erzielte sie einen Spitzenplatz. Wir gratulieren. Hilfloser Datenschutz – Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung weiterlesen

Böcke als Gärtner – Die EU-Polizeien erarbeiten sich einen Datenschutzrahmen

von Tony Bunyan

Die EU arbeitet derzeit an einem Rahmenbeschluss, der den Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit regeln soll. Da die Diskussion jedoch in einem vom „Krieg gegen den Terror“ bestimmten Klima stattfindet, werden die Rechte der BürgerInnen erneut den Bedürfnissen der Strafverfolgung untergeordnet.

Am 4. Oktober 2005 präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag für einen Rahmenbeschluss „über den Schutz personenbezogener Daten, die bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden“.[1] Der EU-Datenschutzbeauftragte nahm im Dezember 2005 dazu Stellung, und das Europäische Parlament (EP) verabschiedete im September 2006 einen Bericht, in dem es insgesamt sechzig Änderungen empfahl. Fragen der polizeilichen und strafrechtlichen Kooperation, der Dritten Säule der EU, sind ausschließliche Domäne des (Minister-)Rates. Das EP wird hier nur konsultiert. Seine Änderungswünsche kann der Rat theoretisch ignorieren – und das tut er auch in der Praxis regelmäßig. Böcke als Gärtner – Die EU-Polizeien erarbeiten sich einen Datenschutzrahmen weiterlesen

Europäischer Staat (im Aufbau) – Die EU in schlechter Verfassung

von Heiner Busch

Der Verfassungsvertrag ist vorerst politisch erledigt. Die wirkliche Verfassung der EU ist geblieben.

Was würde passieren, wenn von einem Tag auf den anderen alle Bibliotheken abbrennen und sämtliche Exemplare des Verfassungstextes verschwinden würden? So lautete die zentrale Frage in Ferdinand Lassalles berühmter Rede über das „Verfassungswesen“ aus dem Jahre 1862.[1] Die Antwort: Nichts. Die „wirkliche Verfassung“, nämlich die „tatsächlichen Machtverhältnisse“ im Staat, seine Institutionen, seine Armee, bliebe bestehen. Alles ginge weiter seinen gewohnt herrschaftlichen Gang. „Ein König, dem das Heer gehorcht und die Kanonen – das ist ein Stück Verfassung.“ Europäischer Staat (im Aufbau) – Die EU in schlechter Verfassung weiterlesen

Mehr Befugnisse und weniger Regeln – Eine nette kleine Debatte um „Europols Zukunft“

von Ben Hayes

Die Debatten der EU-Gremien über Europol folgen immer dem gleichen Muster: Weil das Europäische Polizeiamt mehr Befugnisse und einen „flexibleren“ rechtlichen Rahmen erhalten soll, müssen kritische Fragen ignoriert werden.

Im Januar 2002 veröffentlichte Statewatch einen umfangreichen Bericht über die Arbeit und die weitere Entwicklung des Europäischen Polizeiamtes (Europol). Dieser Bericht beleuchtete zum einen die Arbeit des Amtes, hinterfragte dessen Effizienz und kritisierte die fehlende politische und justizielle Kontrolle. Zum anderen be Mehr Befugnisse und weniger Regeln – Eine nette kleine Debatte um „Europols Zukunft“ weiterlesen

Falsche Rechtsgrundlage – Rechtswidriger Austausch von Fluggastdaten mit den USA

von Mark Holzberger

Vor drei Jahren hatten die EU und die USA im Rahmen der Terrorismusbekämpfung ein Abkommen über die Weitergabe von Fluggastdaten geschlossen. Dieses ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) rechtswidrig.[1]

Nach dem 11. September 2001 hatten die US-Behörden von Fluggesellschaften, die in die USA oder über deren Territorium fliegen, unter Androhung von Sanktionen Zugang zu deren „Passenger Name Records“ (PNR) verlangt. Nach langen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf 34 zu übermittelnde personenbezogene Daten. Diese sollten die US-Behörden in der Regel dreieinhalb Jahre speichern. Falsche Rechtsgrundlage – Rechtswidriger Austausch von Fluggastdaten mit den USA weiterlesen

Aktenberge bis zum Mond – EU beschließt Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten

von Mark Holzberger

Die Telekom-Firmen sollen sämtliche Verbindungsdaten, die bei elektronischen Kommunikationsvorgängen innerhalb der EU anfallen, bis zu zwei Jahren speichern. Dies beschlossen die Innen- und JustizministerInnen der EU im Dezember 2005 – mit Zustimmung des Europäischen Parlaments.

Dieser Beschluss war im Vorfeld einer intensiven Kritik ausgesetzt – auch im Europäischen Parlament (EP). Vor dessen Plenum hatte der britische Innenminister Charles Clarke am 7. September 2005 darauf hingewiesen, dass sich die Nutzung von Verbindungsdaten für die schnellen Ermittlungserfolge nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 als „äußerst wertvoll“ erwiesen habe.[1] Die britische Regierung kann sich jetzt einen doppelten Erfolg an die Brust heften: Sie hat innerhalb ihres zu Ende gehenden Präsidentschaftshalbjahres eine umstrittene Regelung durchgesetzt, und sie hat das EP einmal mehr zum Anhängsel der Exekutive degradiert. Aktenberge bis zum Mond – EU beschließt Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten weiterlesen

Marianne und ihre Großen Brüder – Videoüberwachung à la Française

von Eric Töpfer und Frank Helten

Mit mehr als 40.000 Kameras, die in etwa 530 Städten öffentliche Straßen und Plätze in den Blick nehmen, gilt Großbritannien zu Recht als Paradebeispiel für exzessive Videoüberwachung. Übersehen wird dabei häufig, dass Frankreich, das alteuropäische Mutterland bürgerlicher Freiheiten, sich inzwischen britischen Verhältnissen annähert.

Bald nach den Unruhen vom Mai 1968, erinnert sich Paul Virilio, tauchten in Paris die ersten Überwachungskameras an Eingängen der Grandes Ecoles und der Universitäten auf; die Überwachung der Boulevards und Straßenkreuzungen in der Hauptstadt wurde ebenfalls mit Hilfe der neuen Geräte sichergestellt.[1] Öffentlicher Raum wird in Frankreich seit mehr als 30 Jahren videoüberwacht, zunächst allerdings in begrenztem Umfang. Erst Ende der 1980er setzte eine Entwicklung ein, die die Videoüberwachung französischer Städte inzwischen immer mehr zur Regel macht. Marianne und ihre Großen Brüder – Videoüberwachung à la Française weiterlesen

Im Schutz der Anonymität – LKA Niedersachsen fördert Denunziation

von Rolf Gössner

Seit Oktober 2003 läuft beim niedersächsischen Landeskriminalamt (LKA) ein bundesweit einmaliges Projekt, das der Korruptionsbekämpfung dienen soll. Per Internet können Bürger anonym Tipps geben, wer angeblich wen wo schmiert oder welche öffentlichen Leistungen erschleicht. Sein Projekt hat dem LKA eine „tadelnde Erwähnung“ bei den diesjährigen Big-Brother-Awards eingebracht.[1]

In zehn Monaten verzeichnete das LKA bereits 15.000 Zugriffe auf dieses „Business Keeper Monitoring System“.[2] 456 Verdachtsmeldungen seien eingegangen, davon 269 mit angeblich strafrechtlicher Relevanz. Rechtskräftige Urteile gibt es noch nicht. Die Denunziationsquote soll laut LKA bei nur 5 Prozent liegen; das wären etwa 23 Fälle – 23 Fälle zu viel. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Im Schutz der Anonymität – LKA Niedersachsen fördert Denunziation weiterlesen