von Rolf Gössner
Seit Oktober 2003 läuft beim niedersächsischen Landeskriminalamt (LKA) ein bundesweit einmaliges Projekt, das der Korruptionsbekämpfung dienen soll. Per Internet können Bürger anonym Tipps geben, wer angeblich wen wo schmiert oder welche öffentlichen Leistungen erschleicht. Sein Projekt hat dem LKA eine „tadelnde Erwähnung“ bei den diesjährigen Big-Brother-Awards eingebracht.[1]
In zehn Monaten verzeichnete das LKA bereits 15.000 Zugriffe auf dieses „Business Keeper Monitoring System“.[2] 456 Verdachtsmeldungen seien eingegangen, davon 269 mit angeblich strafrechtlicher Relevanz. Rechtskräftige Urteile gibt es noch nicht. Die Denunziationsquote soll laut LKA bei nur 5 Prozent liegen; das wären etwa 23 Fälle – 23 Fälle zu viel. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Das LKA stellt mit diesem System eine vereinfachte Möglichkeit für Abertausende Internetnutzer zur Verfügung, Mitmenschen vollkommen anonym anzeigen und verdächtigen zu können – nicht nur wegen Korruption. Das System erlaubt es auch, Bezieher von Sozialhilfe anzuzeigen, die angeblich nebenher jobben, zu viel Vermögen oder verdächtig große Wohnungen haben. In Zeiten von Hartz IV hat das LKA ein weites Betätigungsfeld für rachsüchtige Informanten und gemeine Denunzianten geschaffen.
Denunziation heißt, jemanden aus persönlichen, niedrigen Beweggründen anzuzeigen oder anzuschwärzen. Ob eine anonyme Anzeige durch Missgunst oder Rache motiviert ist, dürfte das LKA kaum in allen Fällen herausfinden können. Das LKA kann den Anonymus zwar per Internet weiter befragen, aber auch diese Befragung läuft vollkommen anonym ab. Im Übrigen gibt es eine gehörige Differenz zwischen den Verdachtsmeldungen und den strafrechtlich relevanten Sachverhalten.
Datenschutz wird nur dem anonym bleibenden Tippgeber garantiert – aber nicht den angezeigten oder angeschwärzten Personen, deren personenbezogene, teils intime Daten erfasst und durchaus auch längere Zeit gespeichert werden. Gegen die Betroffenen wird dann auf dieser Datengrundlage polizeilich ermittelt – mit allen möglichen unangenehmen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können.
Ein aktuelles Beispiel: Das renommierte Hydraulik-Unternehmen Lingk + Sturzebecher in Stuhr und sein Geschäftsführer, Diplom-Ingenieur Dr. Carsten Müller, wurden Ende November 2003 über das Internet-System des LKA anonym wegen Subventionsbetrügereien angezeigt. Im März 2004 durchsuchten LKA-Beamte den Betrieb sowie sieben weitere Objekte bundesweit, beschlagnahmten Akten und Datenträger. Lange Ermittlungen folgten. Sechs Monate nach der Durchsuchung musste der zuständige Staatsanwalt bestätigen, dass sich die anonymen Beschuldigungen als haltlos und als bösartige Verleumdungen erwiesen hätten. Gleiches gelte für die Vorwürfe gegen einen leitenden Mitarbeiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Nürnberg sowie einen Mitarbeiter der Bezirksregierung in Hannover, die in dem gleichen Fall angeschwärzt worden waren. Auch bei ihnen hatten Haus- und Bürodurchsuchungen stattgefunden.[3]
Abgesehen von der Rufschädigung entstand dem Stuhrer Unternehmen durch die aufwendigen Ermittlungsmaßnahmen ein Schaden in sechsstelliger Höhe. Die monatelangen Ermittlungen gingen auch an den beiden anderen Betroffenen nicht spurlos vorüber. Der Diplom-Ingenieur Rolf K., das Nürnberger Denunziationsopfer, spricht von wahrem Horror, wenn er an jene Ermittlungsphase zurückdenkt. „Ein Rest von Makel bleibt immer zurück“, befürchtet auch der Betroffene Manfred K. vom Dezernat Wirtschaftsförderung der Bezirksregierung Hannover. Aufgrund der zugesicherten Anonymität sind die Denunzianten vor der Strafverfolgung (etwa wegen falscher Anschuldigung) geschützt.
Anlässlich der Durchsuchungen im März hatte das LKA Hannover ausgerechnet diesen Fall öffentlich zu einem Ermittlungserfolg hochstilisiert, um seine neue Internet-Plattform – ermittlungsintern auch als „Denunzianten-Forum“ bezeichnet – anzupreisen und sich so auf Kosten anderer zu profilieren. Ende September musste man zurückrudern und einen „Nachtrag zur Presseerklärung“ vom März veröffentlichen. Auf das „Business-Keeper“-System hatte diese Ermittlungspanne, bei der die verfassungsrechtlich garantierte Unschuldsvermutung ignoriert wurde und der werbewirksame Übereifer der Ermittler zur Verfolgung Unschuldiger führte, keinen Einfluss.
Anstatt niederschwellige und missbrauchsanfällige Internet-Anreize zum verantwortungslosen anonymen Anschwärzen von MitbürgerInnen oder MitbewerberInnen zu schaffen, sollte Korruption verstärkt dort bekämpft werden, wo die Strukturen in Verwaltung und Wirtschaft diese Art von Kriminalität begünstigen: Ursachenorientierte Korruptionsprävention und mehr Transparenz, etwa bei der Auftragsvergabe, sind wirkungsvoller und demokratischer als der Versuch, die Bevölkerung als Hilfspolizisten heranzuziehen, wie das seit geraumer Zeit verstärkt geschieht.[4]