Schlagwort-Archive: Justiz

Polizeiliche Todesschüsse 2006

von Otto Diederichs

In insgesamt 27 Fällen hat die deutsche Polizei im vergangenen Jahr ihre Schusswaffen gezielt gegen Personen eingesetzt. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben; 15 weitere wurden verletzt. In zwei Fällen wertet die (bislang noch unveröffentlichte) offizielle Schusswaffengebrauchsstatistik der Innenministerkonferenz (IMK) den Schusswaffeneinsatz als unzulässig.[1]

In fünf Fällen waren die Beamten unmittelbar mit Waffen angegriffen worden.[2] In einem Fall (Nr. 3) überfuhr der Straftäter auf der Flucht zuvor einen Polizisten; diesen tödlichen Schuss wertet die IMK-Statistik nicht wie die übrigen als „Notwehr/Nothilfe“, sondern als Versuch der „Fluchtvereitelung“. Polizeiliche Todesschüsse 2006 weiterlesen

Polizeirecht durch die Bremer Brille – Zum Einsatz beim Hamburger Schanzenfest

von Helmut Pollähne

Die Bremer Polizei hält es für „verhältnismäßig“, festgenommene DemonstrantInnen nicht nur zu fesseln, sondern ihnen zur Desorientierung auch abgedunkelte Brillen aufzusetzen.

Samstag, 9. September 2006: Die Hamburger Polizei hat vorsorglich um Unterstützung aus den benachbarten Bundesländern gebeten. Beim Fußball-Pokalschlager St. Pauli gegen Bayern muss sie die Fans betreuen, und nebenan steigt das alljährliche Schanzenfest. Dort macht eine Bremer Festnahmeeinheit von sich reden, die den Festgenommenen nicht nur, wie üblich, die Hände auf dem Rücken in Plastikfesseln legt: Sie setzt ihnen zusätzlich abgedunkelte Brillen auf, um sie bis zum Abtransport zu „desorientieren“.

Der Vorgang hat einiges öffentliches Aufsehen erregt und Nachfragen im politischen Raum provoziert. Es laufen nicht nur interne Ermittlungen der Hamburger Polizei, gegen die Verantwortlichen ist auch Strafanzeige erstattet worden. Die Ermittlungen gestalten sich offenbar schwierig, die Rechtslage soll sich aber – jedenfalls durch die Brille der Bremer Polizei betrachtet – einfach gestalten. Polizeirecht durch die Bremer Brille – Zum Einsatz beim Hamburger Schanzenfest weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2005

von Otto Diederichs

Dass es zunehmend schwieriger wird, den polizeilichen Schusswaffengebrauch verlässlich nachzuvollziehen und auswerten zu können, ist ein bekanntes und schon häufig beklagtes Problem.[1] Zu den üblichen Schwierigkeiten kam in diesem Jahr die Verstocktheit des sächsischen Innenministeriums.

Die offizielle Schusswaffengebrauchsstatistik erschien Ende Mai 2006 als Pressemitteilung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU), der derzeit als Vorsitzender der Innenministerkonferenz (IMK) waltet.[2] Polizeiliche Todesschüsse 2005 weiterlesen

G8-Gipfel vor Gericht – Juristisches Verwirrspiel um die Repression in Genua 2001

von Anneke Halbroth mit Supporto Legale Genua

Seit dem G8-Gipfel in Genua im Sommer 2001 sind fast fünf Jahre vergangen, und geblieben sind nicht nur die Bilder von kraftvollen Protesten, sondern auch die Erinnerungen an einen Gipfel, der viel Polizeigewalt und Repression mit sich brachte.

Die öffentliche Aufregung hat sich gelegt, in Italien und anderswo; und die Vorgänge der Tage im Juli beschäftigen zur Zeit vor allem die Justiz. Derzeit werden in Genua mehrere Prozesse verhandelt. Davon sind in drei Prozessen Polizisten, aber auch Ärzte und Pflegepersonal angeklagt; in einem vierten Prozess stehen 25 italienische AktivistInnen vor Gericht. G8-Gipfel vor Gericht – Juristisches Verwirrspiel um die Repression in Genua 2001 weiterlesen

Pressefreiheit light – Durchsuchungen als Mittel der Einschüchterung

von Anja Lederer

Mitte der 90er Jahre registrierte die IG Medien „eine Durchsuchungsaktion in Redaktionen und Journalistenwohnungen pro Monat. Mindestens.“[1] Aktuelle Vergleichszahlen fehlen zwar. Fälle aus dem zurückliegenden Jahr zeigen allerdings, dass die Hemmschwelle für staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit keineswegs gestiegen ist.

Nahezu unbemerkt und ohne nennenswertes Echo der deutschen Presse ließ der damalige Bundesinnenminister Otto Schily am 5. September 2005 die kurdische Tageszeitung „Özgür Politika“ (Freie Politik) dichtmachen.[2] Aufgrund einer Verbotsverfügung gegen die seit über zehn Jahren in Frankfurt am Main erscheinende Zeitung beschlagnahmte die Polizei alle 40 PCs der Redaktion, sämtliche Unterlagen, das gesamte Archiv, Mobiliar, Papierkörbe, Grünpflanzen und die Mineralwasservorräte. Das Vermögen der E. Xani-Herausgebergesellschaft in Höhe von 22.000 Euro und 70.000 Schweizer Franken wurde eingezogen. Die formale Begründung des Verbots: Die Tageszeitung „Özgür Politika“ und der dahinter stehende Verlag seien „nachweislich in die Organisationsstruktur der PKK (heute Kongra Gel) eingebunden“, die Zeitung sei als „Sprachrohr der PKK“ einzustufen. Der Zeitpunkt des Verbots ergäbe sich, so die ministerielle Anordnung vom 30. August, „aus der in den letzten Monaten eskalierenden Sicherheitslage in der Türkei“. Pressefreiheit light – Durchsuchungen als Mittel der Einschüchterung weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2004

von Otto Diederichs

Im vergangenen Jahr endeten zehn Fälle polizeilichen Schusswaffengebrauchs tödlich.

Bereits seit rund zehn Jahren muss bei der jährlichen Dokumentation von Fällen polizeilichen Schusswaffengebrauchs mit tödlichem Ausgang festgestellt werden, dass solche Meldungen häufig nicht mehr über die Ebene lokaler Berichterstattung hinaus gelangen und sich somit vielfach einer Erfassung entziehen. Auch die daraufhin im Jahre 1996 geänderten Kriterien für die Erstellung der CILIP-Todesschuss-Statisti­ken und die verbesserten Recherchemöglichkeiten durch das Internet haben daran nicht allzu viel ändern können. Exemplarisch zeigt sich dies an der jetzt vorliegenden Statistik für das Jahr 2004. Polizeiliche Todesschüsse 2004 weiterlesen

Mit Rückenwind der EU – Die spanische Anti-Terror-Politik

von Peio M. Aierbe

Der 11. September 2001 hat die spanische Anti-Terror-Politik nicht grundsätzlich verändert. Eine willige öffentliche Meinung und die gewachsene Kooperationsbereitschaft anderer Staaten ermöglichten der Regierung vielmehr ein schnelleres Tempo auf dem bereits vorgezeichneten Kurs.

Die Anti-Terror-Politik der spanischen Regierung verfolgt seit Jahrzehnten ein grundsätzliches Ziel: die Bekämpfung der bewaffneten baskischen Organisation ETA und ihres Umfeldes. Die dafür notwendigen polizeilichen und geheimdienstlichen Strukturen, rechtlichen Grundlagen und politischen Bündnisse sind seit langem fest etabliert. Mit Rückenwind der EU – Die spanische Anti-Terror-Politik weiterlesen

Die Kette der Vollstrecker – Was zählt das Freiheitsrecht von Nichtdeutschen?

von Silke Studzinsky

Ausländer ohne Aufenthalt, die nach einer strafrechtlichen Verurteilung aus der U-Haft entlassen werden, landen nicht in Freiheit, sondern werden ohne Haftbeschluss noch im Gerichtssaal festgenommen und in den Abschiebegewahrsam verfrachtet.

Die Videoaufnahme wird später zeigen, wie der Algerier A. und sein Bekannter in der Damenabteilung eines Kaufhauses herumspazieren, mehr nicht. Für die Polizeibeamten einer Spezialeinheit, die auf Taschendiebstähle spezialisiert ist, ist dies Verdacht genug, um die beiden Männer festzunehmen. Am 16. November 2003 erlässt der Richter den Haftbefehl. Die Haftprüfung hat keinen Erfolg, A. hat keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Er ist erst drei Tage vorher eingereist und kann nur eine gefälschte französische Identitätskarte vorweisen. Um die Abschiebung aus der Haft zu sichern, hat die Ausländerbehörde nachgedoppelt und zusätzlich einen Abschiebehaftbeschluss bis zum 28. De­zem­ber erwirkt. Die Kette der Vollstrecker – Was zählt das Freiheitsrecht von Nichtdeutschen? weiterlesen