SPUDOK-Prozesse: Erster Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg

Vor der 7. Strafkammer des VG Oldenburg fanden am 1.6.1988 zwei zusammengelegte Datenschutzprozesse ein unerwartet schnelles Ende. Gleich zu Beginn stellte das Gericht klar, daß dem Auskunftsbegehren des Klägers gegenüber dem LKA und der Bezirksregierung Weser-Ems stattzugeben sei. Von daher sollten die verklagten Polizeibehörden lieber sofort einem Vergleich zustimmen, in dem sie den Auskunftsanspruch des 24jährigen Studenten Jens A. anerkennen. Nach kurzem Hin und Her stimmten die Vertreter beider Polizeibehörden zu. Doch der Vertreter des LKA behielt sich eine Widerspruchsfrist von 14 Tagen vor, die dann auch genutzt wurde. So wird die von der Berichterstatterin am Gericht dargelegte Meinung, daß SPUDOK inzwischen als eindeutig verfassungswidrig anzusehen sei, jetzt wohl auch ausführlich im schriftlichen Urteil begründet werden. Leider lag das Urteil bis Redaktionsschluß noch nicht vor.

Worum geht es genau?

SPUrenDOKumentationssysteme dienen nach offiziellen Angaben der Polizei der Ermittlung von Straftaten; in diesem Fall ging es um den Verdacht von Brandanschlägen auf Baufirmen und anderem mehr in Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Atomanlagen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Aufbau und Funktionsweise von SPUDOK wurden bereits in dieser Zeitschrift Heft 26 beschrieben. Was in der Kritischen Justiz (KJ Heft 3/83) noch Prognose zur eigentlichen Aufgabe von SPUDOK war, konnte 1985 bewiesen werden. Denn im August 1985 spielten „Vertrauensleute in Behörden und Verwaltung“ der BI Lüchow-Dannenberg Auszüge aus der SPUDOK-Wendland-Datei zu. Aus diesen ging eindeutig hervor, daß hier „ein umfassendes Bild ausgewählter Gruppen, der persönlichen Verhältnisse des einzelnen Gruppenmitglieds sowie seiner sozialen und politischen Kontakte“ gewonnen werden soll (KJ a.a.O., S. 297). Der damalige Pressesprecher der BI Lüchow-Dannenberg, Hannes Kempmann, brachte es auf den Punkt: „Eingespeichert wird alles, was nach Widerstand riecht“ (zit. nach: Atom, Okt./Nov. 1985, S. 10).

Nach dem bundesweiten Medienecho auf die kommentierte Veröffentlichung der SPUDOK-Auszüge (vgl. taz und FR vom 22.8.1985), verlangten 150 Menschen vom LKA Auskunft über die zu ihnen in SPUDOK möglcherweise gespeicherten Daten und darüber, wer diese Daten sonst noch erhalten hatte.

Warum der Prozeß gegen die Bezirksregierung Weser-Ems?

Von sich aus deutete das LKA das Auskunftsbegehren zu SPUDOK so, daß es sich auch auf die sonstigen niedersächsischen Polizeidateien beziehe. Dies war für Jens A. Anlaß, auch gegenüber der für ihn zuständigenden oberen Polizeibehörde, die Bezirksregierung Weser-Ems, ein Auskunftsersuchen zu stellen, das mit fast gleichlautenden Argumenten abgelehnt wurde. Nach dem ablehnenden Widerspruchsbescheid wurde auch hier Klage erhoben. Da die Bezirksregierung Weser-Ems den vom VG Oldenburg vorgeschlagenen Vergleich bedingungslos akzeptierte, gab sie zwei Monate nach der Verhandlung die gewünschte Auskunft. In diesem Fall war nichts gespeichert.

Vorgeplänkel bis zum Prozeß

Im Fall des Antragstellers Jens A. wurde, wie bei anderen auch, in dem ablehnenden Bescheid des LKA von „konkreten Anhaltspunkten“ gesprochen, die auf eine Aktion zur Erforschung des von Ermittlungen betroffenen Personenkreises hinweisen würden. Dazu gehörte auch, daß die BI Lüchow-Dannenberg in der taz und der Elbe-Jetzel-Zeitung einen Antragsvordruck veröffentlicht hätte. Fürwahr, ein schlagender „Beweis“ für eine Ausforschungsaktion.

Weiterhin wurde vom LKA angeführt, daß die Ermittlungen noch liefen und man nach den 12 und 13 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) als Polizeibehörde eh nicht auskunftspflichtig sei.

Hier wandte sich der Antragssteller nun hilfesuchend an einen auf diesem Gebiet engagierten Bremer Rechtsanwalt.

Erst nach dem eingelegten Widerspruch kam das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 ins Spiel, aber nach Lesart des LKA nur soweit, als daß sich der Bürger, trotz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten gefallen lassen müsse und er außerdem gefälligst zu warten habe, bis die Rechtsgrundlagen für staatliches Handeln der neuen Grundrechtsauffassung angepaßt seien. Weiter wurde auf eine vom Berliner Polizeipräsidenten und dem Innensenator festgelegte Vorgehensweise verwiesen, der zufolge bei einzelnen Auskunftsersuchen, wenn sie in „schematischer Abfolge“ gestellt werden, grundsätzlich keine Auskunft erteilt wird. Dies wurde vom Berliner Oberverwaltungsgericht abgesegnet (1 B 45.83). Ein gegenteiliges Urteil vom Verwaltungsgericht Frankfurt vom 17.7.1984 wurde als der herrschenden Rechtsmeinung zuwiderlaufend abgekanzelt; zudem sei es auf einem eindeutig rechtswidrigen Eingriff gegründet, der allein zur Bejahung des Auskunftsanspruchs geführt habe. Damit ließ das LKA durchblicken, daß es SPUDOK deswegen für rechtmäßig hält, weil die Datei zur Aufgabenerfüllung notwendig und die Rechtsgrundlage ja schon in Arbeit ist…

Anfang April 1986 wurde dann Klage gegen das LKA erhoben. Ziel war die Aufhebung der ablehnenden Bescheide und die Neubescheidung unter Beachtung der Gerichtsmeinung. Begründet wurde sie im wesentlichen mit dem fraglichen Geheimhaltungsinteresse des LKA, welches nur gegeben sei, wenn die Auskunft beantragende Person überwacht oder strafverfolgt würde. Sei letzteres nicht gegeben, dann werde durch eine Auskunft die „Effizienz“ der Datei auch nicht gemindert. Damit mußte im Einzelfall geprüft werden, ob Auskunft erteilt wird oder nicht, was bis dahin nicht geschehen war. Zum Antrag auf Klageabweisung benötigte das LKA nur 14 Tage. Aus seiner Sicht war natürlich alles korrekt. Es waren weder Ermessensfehler gemacht, noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden, da dieses seine Grenzen in den 12 und 13 des NDSG finde. Obwohl nicht dazu verpflichtet, habe das LKA seine Er-messenserwägungen dargelegt und sei zum dem Ergebnis gekommen, daß vordringliche Geheimhaltungsinteressen vorlägen.

Darauf erwiderte der Rechtsanwalt, daß ja gerade das Geheimhaltungsinteresse überprüft werden solle und es demnach deshalb nicht als Grund vorgeschoben werden könne, das LKA habe nicht ausgeführt, warum die Auskunft das Ermittlungsverfahren beeinträchtige und eine Ausforschungsgefahrt mit sich bringe. Wegen der erheblichen Nachteile durch möglicherweise eingespeicherte falsche Daten, könne nicht pauschal auf Geheimhaltungsinteressen verwiesen werden. Aus diesem Grund müsse die in Art. 19 Abs. 4 GG festgelegte gerichtliche Überprüfung von widerrechtlichen Eingriffen der öffentlichen Gewalt auch in diesem Fall greifen (Rechtsweggarantie).

Der niedersächsische Beauftragte für Datenschutz segnete derweil das Vorgehen des LKA in einem Parallelfall weitgehend ab. Da höchstrichterliche Urteile nicht vorhanden seien, und die Gefahr einer Ausforschung polizeilicher Ermittlungstätigkeit bestehe, sei die Auskunftsverweigerung aus da-tenschutzrechtlicher Sicht korrekt.

In der Zwischenzeit wurden die 20 anhängigen Verfahren wegen sachlicher Übereinstimmung zunächst zusammengefaßt, um dann aufgrund anderer örtlicher Zuständigkeit wieder getrennt zu werden. Als einziges kam das von Jens A. zum VG Oldenburg, die anderen 19 wurden an das VG Stade, Kammer Lüneburg, abgegeben.

Zur Freude des LKA orientierte sich das VG Stade am 29.5.1987 an der Rechtssprechung des OVG Berlin, das die Auskunftserteilung größtenteils in das Ermessen der jeweiligen Behörde gestellt hatte. Alle KlägerInnen wurden abgewiesen. (Siehe dazu auch in „Der Auskunftsanspruch gegenüber VfS-Behörden und Polizei“ in dieser Zeitschrift Heft 28, S. 87 ff.)

Der Urteilsspruch des VGs Hannover (10 VG A 126/85), wonach ein Übergangsbonus für die Staatspraxis bis zur Anpassung an die geänderte Grundrechtsauffassung bezüglich des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr besteht, wurde vom LKA in bekannter Weise so interpretiert, daß es sich um ein quasi irrelevantes Urteil handele, da es im Widerspruch zur übrigen Rechtsprechung stehe. Um die Polizei handlungsfähig zu erhalten, müßten Polizeidateien bis zur rechtlichen Neuregelung so weitergeführt werden wie bisher. Von Klägerseite folgte der diskrete Hinweis, daß eine Auskunft beantragt worden sei und nicht die Löschung der SPUDOK-Datei, was laut BVerfG eben zu bescheiden sei.

Nach dem Widerruf des Vergleichs

Hatte das LKA ein Jahr vor dem Prozeß auf Anfrage des Gerichts noch mitgeteilt, daß die Ermittlungen mit SPUDOK-Wendland noch laufen würden, die Daten nach Abschluß der Ermittlungen archiviert und letztendlich nach rechtskräftigen Urteilen gelöscht würden, so sah die Argumentation nach erneuter Anfrage etwas anders aus: Zwar sei die Ermittlungsarbeit der Sonderkommission vorläufig beendet, jedoch gebe es bis jetzt keine rechtskräftigen Urteile; in vielen Fällen deswegen, weil die Täter zur Zeit nicht zu ermitteln seien. Dennoch hoffe man beim LKA, daß sich „jederzeit neue Gesichtspunkte ergeben (könnten), die ein erneutes Aufleben der … Ermittlungen zur Folge haben würden.

Ausblick

Nach der bisher vom Gericht geäußerten Rechtsmeinung wird das ohne weitere mündliche Verhandlung ergehende Urteil wohl eindeutig und mit deutlichen Worten den Auskunftsanspruch des Klägers Jens A. bejahen. Dennoch ist die Freude beim Kläger und seinem Anwalt gedämpft. Dennoch in diesem Jahr, spätestens aber im nächsten, soll das niedersächsische Sicherheits- und Ordnungsgesetz novelliert werden. Weiterhin steht die Änderung der Strafprozeßordnung und die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes an, welche insgesamt dann die SPUDOK-Systeme nachträglich legalisieren und die Auskunftsrechte wesentlich verschlechtern statt verbessern (vgl. dazu diese Zeitschrift Nr. 29 und „Die Grünen im Landtag“ (Niedersachsen) Nr. 8, Mai 1988 zum neuen NSOG).
Trotzdem ist dieser Teilerfolg nicht unwichtig. Denn drei der vom VG Stade abgewiesenen Kläger sind vor das OVG Stade gezogen und haben mit dem zu erwartenden Oldenburger VG-Urteil zumindest etwas bessere Chancen. Deswegen erwarten Jens A. und sein Rechtsanwalt auch, daß das LKA gegen das Urteil des VG Oldenburg Berufung einlegen wird. Bleibt nur zu hoffen, daß eine endgültige Entscheidung noch vor der Verabschiedung des „Sicherheitsgesetze-Paketes“ erfolgen wird, weil danach die Chancen, überhaupt eine Auskunft von Polizei oder Verfassungsschutz vor Gericht zu erstreiten, ziemlich gering sein werden.

Welche Nutzen haben die Prozesse?

Natürlich können Polizei und Verfassungsschutz ohne größere Bedenken falsche oder geschönte Auskünfte geben, denn es gibt keine effektive Kontrollinstanz. Die Datenschutzbeauftragten sind personell völlig unterbesetzt und ihre jetzt schon knapp bemessenen Kontrollbefugnisse sollen im sogenannten Sicherheitsbereich noch eingeschränkt werden.

Auch der jetzt schon beschwerliche Weg über die Gerichte wird kaum noch Aussicht auf Erfolg haben, wenn das oben erwähnte Gesetzespaket in der vorgesehenen Form verabschiedet wird.

Trotzdem solle neben verstärktem öffentlichen Druck in Bezug auf die „Sicherheitsgesetze“ der juristische Weg nicht ganz aufgegeben werden. Denn die Folgen eines polizeilichen Datenschattens sind für die Betroffenen so erheblich, daß sich auch ein risikoreicher Prozeß lohnen könnte, so z.B. im Fall einer Oldenburger Studentin. Am Ostersamstag 1986 wurde sie gemeinsam mit 280 anderen Teilnehmern eines Anti-WAA-Camps in Hofenstetten bei Wackersdorf frühmorgens festgenommen. Offizieller Anlaß waren 17 Menschen, die am Freitagmittag auf der Straße zwischen Hofenstetten und Altenschwand eine Barrikade errichtet und eine sich nähernde Polizeistreife sowie zwei Fernsehteams mit Steinen beworfen hatten. Erkannt wurde wegen Vermummung niemand. Trotzdem ging man im Ermittlungsverfahren davon aus, daß sich die Täter im Camp befanden und nahm 281 Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs und vielfach auch wegen schwerer Körperverletzung auf. Alle männlichen Campteilnehmer verbrachten den Rest des Wochenendes im Gefängnis. Wenn auch die Ermittlungsergebnisse gegen Null tendierten, wurden alle Campteilnehmer aufgrund der Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs in die Arbeitsdatei PIOS-Landfriedensbruch eingespeichert. Trotz anderslautender Richtlinien blieb die Studentin nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens in der Datei.

Dieser Datenschatten erwachte anläßlich des Reagan-Besuchs in Berlin wieder zum Leben. Ihr Versuch ebenfalls einzureisen, bescherte ihr 31 Stunden Präventivhaft nach 18 Nr. 1 des Berliner ASOG, da sie wegen einer Ausschreibung als Landfriedensverbrecherin bei Interpol (gemeint war wohl INPOL) und eine mitgeführte Sturmhaube eine erhebliche polizeiliche Gefahr darstellen würde. (Siehe dazu auch: Polizeiliche Zwangsmittel als präventive Polizeistrategie, von Hartmut Wächtler, in: 11. Strafverteidigertag 1987, S. 54-72.)