Von Falco Werkentin
Sie leben von der Suggestion politischer Bedrohungen – Geheimdienste in Ost und West, in Nord und Süd. So brach bei den Bundesdeutschen Panik aus, als nicht nur der zentrale gegnerische Dienst – das MfS – sondern zugleich auch noch das von ihm gestützte politisch-soziale System unter den friedlichen Schlägen der Bürgerbewegungen in Agonie zerfiel. Als in der DDR jedoch alsbald nicht mehr „Wir sind das Volk“, sondern „Wir sind ein Volk“ erklang, kam in bundesdeutschen Ämtern neue Freude auf. „Verfassungsschützer“ stürzten sich in neue Arbeit, Pläne galt`s zu schmieden. Daß sie nun vorbereitet sind, neue Horizonte zu erobern, zeigen Auszüge aus einem Dokument, das dieser „verfas-sungsschützerischen“ Euphorie nüchtern bürokratisch Ausdruck gibt. Autor Boeden, Präsident des Bundesamtes für „Verfassungsschutz“, wirkt auf Fotos und in Talk-shows – anders als Herr Mielke – so sympathisch, daß man ihm die intimsten Geheimnisse anvertrauen möchte. Doch „Vorsicht: Falle“ – so der Titel einer bundesdeutschen Fernsehserie.
1. Goldene Wachstumszeiten für bundesdeutsche „Ämter“
Wieviel Fleiß und Mühe hatten sie doch von den frühen 50er Jahren an darauf verwandt, um den öffentlichen Ruf der Ämter zu demontieren, die Männer und Frauen des „Verfassungsschutzes“ – bis vor kurzem ein nahezu vergebliches Unterfangen, schaut man auf die personellen Wachstumsringe, die bundesdeutsche Parlamentarier diesen Behörden von Jahr zu Jahr spendierten.
Geheimdienste leben von der Bedrohung. Zum einen von jener, die sie in wechselseitiger Kumpanei in Form von Spionage unmittelbar selbst in Szene setzen – zum anderen jener, die sich aufbläht, weil immer mehr „Ver-fassungsschützer“ naturgemäß immer mehr „Verfassungsfeinde“ mit der Schrotflinte des Verdachts erlegen und in Registraturen archivieren. Die müssen beobachtet, verwaltet und gepflegt werden. Und so verdoppelte sich in den letzten 20 Jahren die Zahl bundesdeutscher „Extremisten“, da sich die Zahl der „Schützer“ der Verfassung verdoppelte und verdreifachte. Doch Fürchterliches passierte im November letzten Jahres. Nicht nur wurde ein gegnerischer Geheimdienst aufgelöst, für sich schon eine Katastrophe für BND und MAD, für die Landesämter (LfV) und für’s Bundesamt zum Schutze der Verfassung.
Personalstärke der Ämter für Verfassungsschutz 1970 und 1990
(ohne V-Leute, d.h. inoffizielle gesellschaftliche Mitarbeiter)
Land/ Regierungs- Personalstärke Vf-Schützer pro angekündigte
Partei(en) 1970 1990 100.000 d. Bevölkerung Reduzierung
Bayern, CSU 193 460 4,2 30
Berlin (W), SPD/AL 220 300 15,8 ja/nein
NRW, SPD 212 279 1,7 ja
Baden-Württ., CDU 185 400 4,4 100
Bremen, SPD 43 82 13,7 35
Hessen, CDU 93 258 4,6 keine
Hamburg, SPD/FDP 140 200 12,5 ?
Saarland, SPD 74 92 9,2 ja
Schleswig-Holst.,SPD 110 107 4,1 30
Niedersachs.,SPD/GRÜN 123 378 5,3 78
Rheinland-Pf.,CDU/FDP 70 160 4,3 keine
Bundesamt f. VfS 1.016 2.361 3,9 ?
Bund und Länder
insgesamt ca.: 2.480 5.100 8,1
2. November ’90 in der DDR – Ängste bei bundes- deutschen Geheimdiensten
Ein ganzes gegnerisches politisches System brach da zusammen und mit ihm eine bundesdeutsche „extremistische Organisation“, der Ideologie und Geld ausgingen. Nicht nur der Gegner jenseits bundesdeutscher Grenzen war verschwunden, selbst noch die „5. Kolonne“ in der BRD verfiel der Agonie – böse Zeiten für bundesdeutsche Geheimdienste!
In dieser Situation wechselseitig bedrohter Arbeitsplätze schickte voller Mitgefühl für die Kollegen in der DDR die Fachgruppe „Verfassungsschutz“ der ötv, der organisatorische Zusammenschluß von 700 „Linksradikalen“ in den bundesdeutschen Ämtern, den MfS-Kollegen brüderliche Grüße, kaum hatten die Ostler ein neues Türschild angepappt bekommen: „Amt für nationale Sicherheit“. Die Freude bei den West-Kollegen steigerte sich, als das Türschild am 15. Dezember erneut gewaschen ward und nun ein gar vertrauter Begriff die Diensteingänge zieren sollte: „Verfassungsschutz“.
Zu jener Zeit ließ sich die DDR-Bevölkerung von Türschildänderungen noch nicht betrügen. Es begann der Sturm auf die neuen „Verfassungsschutz“-Zentralen und setzte diesem Spuk ein Ende, wie es schien.
Die Probleme für die Denker und Lenker der bundesdeutschen Geheimdienste wurden dadurch nicht geringer. Woher so schnell die neuen Feinde nehmen?
Als Begründung für das Weiterführen bundesdeutscher Geheimdienste in un-veränderter Stärke nur eine „RAF-Kommando-Ebene“ anzubieten, würde der Öffentlichkeit kaum ausreichen, auch wenn Anschläge mit RAF-Bekennerschreiben zumindest öffentlichkeitswirksam wie bestellt vorführten, daß in diesen harten Zeiten Gott sei Dank nicht alle Bedrohungen schwinden. Doch als Gefahr blieb, daß die bundesdeutsche Öffentlichkeit angesichts dieser historischen Wende zu-mindest auf Personalabbau bei den Diensten drängen würde.
Personalstärke bundesdeutscher Geheimdienste
(ohne V-Leute, „freie“ Mitarbeiter“)
Bundesnachrichtendienst (BND) ca. 8.500
Militärischer
Abschirmdienst (MAD) ca. 2.000
„Verfassungsschutz“:
Bund u. Länder ca. 5.100
Insgesamt: ca. 15.600
Daß dank des Vereinigungsprozesses in Windeseile ganz neue Pioniertaten für bundesdeutsche Dienste am Horizont sich abzeichnen würden, war zu Jahresbeginn ’90 so deutlich nicht erkennbar. Ein Gespenst ging um, das Gespenst des Personalabbaus mangels ausreichender Bedrohungen.
3. Eine interne Lageeinschät- zung des „Bundesamtes für Verfassungsschutz“ vom 2. März ’90
In einem Memorandum für die Klausurtagung der Leiter der Ämter für „Verfassungschutz“, datiert vom 2. März ’90, formuliert denn auch der Präsident des Bundesamtes für „Verfassungsschutz“ eine Lageeinschätzung zum Thema „Auswirkung der politischen Veränderungen in der DDR und der osteuropäischen Staaten …“.
Daß so manche Aufgabe entfallen sei und Personal frei würde, dem vermag der Präsident so ganz sich nicht zu verschließen. So bedürfe es nicht mehr der geheimdienstlichen Überwachung des Post- und Telefonverkehrs der „Ständigen Vertretung der DDR“, unleugbar sei auch die abnehmende Bedrohung durch das orthodox-linksextremistische Spektrum (gemeint sind DKP/SEW und Umfeld). Nur: man müsse doch auch wissen, wohin die DKPisten schwinden würden – und das verlange weiterhin entsprechendes Fachpersonal.
„Allerdings bleibt beobachtungsbedürftig, wohin die mit dem neuen Weg unzufriedenen Kommunisten drängen, ob zu Neugründungen extremistischer Organisationen oder zur Stärkung der Neuen Linken.“
Ja – und die Spionage. Auch ihre Abwehr verlange weiterhin verfassungs-schützende Mannen noch und noch.
„Die HVA (Hauptabteilung Aufklärung des MfS) ist ihrerseits an Straffreiheit für hauptamtliche ND-Angehörige und deren Quellen interessiert. Ein entsprechendes Straffreiheitsgesetz ist bereits geplant. Dabei muß aber erreicht werden, daß als Gegenleistung zumindest die hochrangigen Quellen genannt werden.“
Wie wir nun täglich in der Zeitung lesen können, sind die Gegenleistungen bereits erbracht. Die Agentenführer erkaufen sich die Amnestie mit dem Verrat der Angeworbenen.
aus: Tagesspiegel, 13.9.’90
Also keine Gefahr östlicher Spionage mehr – nur noch zeitlich begrenzte Aufräumarbeiten? Weit gefehlt:
„Durch die Verselbständigung der bisherigen Satellitenstaaten verliert die Sowjetunion ihr Vorfeld. Der bisherige Informationsverbund mit diesen Ländern wird in Wegfall kommen. Daher wird das Aufklärungsbedürfnis steigen.
Man muß davon ausgehen, daß Ausspähaktivitäten der früheren Satelliten-ND nicht wesentlich zurückgehen werden. So hat z.B. Polen wegen der noch nicht endgültig geklärten Grenzfrage ein erhebliches Aufklärungsinteresse im politischen Bereich.“
Nun, und dann die Ausländer: hier sei naturgemäß eine „effiziente Perso-nalaufstockung aus freiwerdenden Personal anderer Abteilungen“ dringlich.
Und hoffnungsvoll schimmert Gesamtdeutschland am Horizont. Daß der „sicherheitspolitische“ Anschluß so schnell daherschreiten würde, war am 3.März noch nicht so abzusehen. Gleichwohl:
„Zur Zeit ist noch nicht übersehbar, ob bei der Einrichtung von Verfas-sungsschutzbehörden in den neuen Bundesländern zusätzliche organisatorische Aufgaben auf die Abteilung Z zukommen“.
Aber immerhin:
„Konsequenz:
Wegfall von 39 KW-Stellen der Observation im DDR-Bereich.“
Dies selbstverständlich nur beim Bundesamt für „Verfassungsschutz“, das nur Inlandsaufgaben zu erfüllen hat. Der BND hatte/ hat andere Batallione in der DDR.
Und dann erst die „Beschulung“ künftiger Mitarbeiter!
„Bei einer Vereinigung der beiden Teile Deutschlands wird dieser Aus- und Fortbildungsbedarf (insbesondere für die neuen Bundesländer) ansteigen.
Auch die komplizierter werdende Arbeit des Verfassungsschutzes erfordert eine entsprechende Fortbildung.“
Nehmt doch die alten Stasi-Leute, um Gottes Willen. Sie sind bereits beschult, sind im striktesten Gehorsam großgeworden und recht radikale Linienänderungen haben sie auch unter Honnecker und Mielke immer wieder gut verkraftet. Da werden neue Dienstanweisungen auf freiheitlich-demokratischer Grundlage zur Anwerbung von Spitzeln oder zum Einsatz von „Wanzen“ ihnen auch keine Lernschmerzen mehr bereiten.
Und identisch sollte man mit den „inoffiziellen gesellschaftlichen Mit-arbeitern“, mit den OibE usw. verfahren. Denn besser sie für die alte/ neue Arbeit nutzen, als den Charakter noch nicht verbogener Neu-Bürger ab 3. Oktober ’90 neu zu malträtieren.
Wie klagten doch die Stasi-Leute in ihren von Christina Wilkening gesammelten Rechtfertigungsschriften darüber, daß ihr Amt vor Jahren schon die Öffentlichkeitsarbeit eingestellt habe und so die Tätigkeit des MfS ins falsche Licht geraten sei. Da ist Herr Boeden klüger.
Auch das Pressereferat bedürfe der Personalaufstockung, so der Präsident, gehe es doch demnächst darum, dem Stasi-geschädigten Teil Deutschlands die Versprechungen eines freiheitlich-demokratischen Spitzelapparates mundgerecht zu machen, wenn neue „inoffizielle Mitarbeiter“ angeworben werden, um die Spreu vom Weizen, den Freund vom Feind zu trennen.
„Interessierte Gruppen versuchen, den Verfassungsschutz und seinen gesetz-lichen Auftrag mit dem Unterdrückungsapparat und seinen rechtsstaatswidrigen Praktiken gleichzusetzen.
Dem muß mit einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit begegnet werden. In einem vereinten Deutschland wird das besonders in den neuen Bundesländern verstärkt erforderlich sein.“
Dabei muß besonders herausgestellt werden, daß sich die Arbeit des Ver-fassungsschutzes nicht gegen das Volk richtet, sondern vielmehr zum Ziele hat, den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und damit vor allem die Freiheitsrechte des Volkes zu sichern.“
Gewiß, Herr Boeden, diesen Ämtern wollen wir ans Zeug. Nur sind wir so geschichtsblind nicht, GESTAPO, Stasi und die bundesdeutschen Ämter in ihrer Macht und ihrem Wirken gleichzusetzen. Eher sind’s die Staatsschützer selbst, die, ist das alte System zusammengebrochen, auf der Jagd nach neuen Arbeitsplätzen von Gemeinsamkeiten sprechen. Und so war der Gruß der ötv-organisierten „Schützer der Verfassung“ an die MfS-Kollegen mehr als ein alkoholbedingter Ausrutscher. Die Gewißheit, im Prinzip mit professionellem Ehrgeiz nur die gleiche Arbeit geleistet zu haben wie die Kollegen in der Bundesrepublik, sie durchzieht auch die bereits erwähnten Recht-fertigungstexte, von Christina Wilkening herausgegeben. Und in der Früh-geschichte dieser Bundesrepublik?
„Professionelle“
„Zweck und Ziel der politischen Polizei ist von jeher die Sicherung des Staates durch Bekämpfung der staatsfeindlichen Kräfte mit polizeilichen Mitteln. Polizeilicher Staatsschutz – so kann man wohl am knappesten den Begriff der politischen Polizei definieren… Für das Wesen der politischen Polizei kommt es nicht darauf an, welche Staatsform in einem Lande besteht. Freiheitlich organisierte Gemeinwesen bedürfen der politischen Polizei ebenso wie Diktaturen und Despotenherrschaft geknechteter Länder. Für jeden Staat, der sich behaupten will und der mit staatsfeindlichen Strömungen zu rechnen hat, ist die politische Polizei nicht nur nützlich, sondern unentbehrlich.“
Die 1953 da so sprachen, waren die Männer der GESTAPO, eilfertig drängend in die Ämter für „Verfassungsschutz“, in den BND und in die politischen Kommis-sariate der Länderpolizeien. Und sie wurden angenommen. Gute Aussichten für Boedens Stasi-Mitarbeiter mit „Widerstandsvorlauf“ (siehe unten)?
Und falls die bundesdeutsche Öffentlichkeit noch immer nicht zu überzeugen wäre, daß die Dienste personell ungerupft davonzukommen hätten, so hat Boeden folgendes im Angebot – eine Offerte, die SPD-Politiker wie Götterspeise verschlingen und nun mit Engelszungen selbst darbieten:
„Neue Aufgaben für den Verfassungsschutz
Lageeinschätzung
Die organisierte Kriminalität läßt in zunehmendem Maße Ansätze für die Entstehung mafioser Strukturen erkennen. Die Entwicklung wird sich auf das vereinte Deutschland ausdehnen.
Zur Ausweitung und Sicherung ihrer Macht und ihres Einflusses versuchen diese kriminellen Vereinigungen durch Korrumpierung von Funktionsträgern in Politik, Verwaltung und Justiz einzudringen. Damit greifen sie die „verfaßte Gesellschaft“ und letztendlich den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat an.
Diesen Angriffen darf nicht nur im Einzelfall mit strafrechtlichen Mitteln begegnet werden; eine planmäßige Bekämpfung dieser kriminellen Vereinigungen ist vielmehr bereits im Vorfeld erforderlich.
Die Vorfeldarbeit kann von der Polizei nicht oder nur unzureichend geleistet werden, da sie entweder Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr (Prävention) oder aber einen entsprechenden Verdacht einer Straftat (Repression) benötigt, um handeln zu können. Deshalb sollte die Vorfeldbeobachtung einer Institution zugewiesen werden, die nicht über exekutive Befugnisse verfügt.
Konsequenz: Die Vorfeldarbeit im Bereich der organisierten Kriminalität (insbesondere beim Rauschgift) könnte den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zugewiesen werden. Der bisherige Aufgabenbegriff des Staatsschutzes/ Verfassungsschutzes für diese Behörden muß erweitert werden. Zu denken wäre an den Begriff „Amt für innere Sicherheit“.“
4. Die verfassungsschützerische Betreuung der neuen „östlichen Bundesländer“
Der Angliederung der DDR gewidmet ist ein eigener Abschnitt. Er ist es wert, als Ganzes dokumentiert zu werden.
„14. Lageeinschätzung für einen Verfassungsschutz in einem vereinten Deutschland und daraus folgende Konsequenzen
14.1 Lageeinschätzung
Wesentliches Element der Machtkontrolle in einem vereinigten Deutschland wird der föderative Aufbau des Staates sein. In den östlichen Bundesländern werden neue Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden müssen, die wahrscheinlich mit dem Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik deckungsgleich sein werden.
Es ist davon auszugehen, daß nach der Vereinigung beider deutscher Staaten der Verfassungsschutz als ein Instrument der wehrhaften Demokratie notwendig bleiben wird.
Aufgrund der 40jährigen Erfahrung in der Bundesrepublik mit dem Verfas-sungsschutz, dessen Aufgaben und Befugnisse gesetzlich geregelt sind und der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, bietet es sich an, dieses Modell in den neuen Bundesländern einzuführen. Danach werden neue Landesbehörden für Verfassungsschutz einzurichten sein. Eine Bundesoberbehörde als Zentralstelle ist beizubehalten, die aus dem jetzigen BfV und zusätzlichen Kräften der Bundesländer bestehen sollte.
Die Praxis parlamentarischer Kontrolle
Bei realistischer Betrachtung der Situation in der jetzigen DDR wird die personelle Besetzung dieser neuen Landesbehörden Schwierigkeiten bereiten.
Die Verwendung von Mitarbeitern des ehemaligen Ministeriums für Staats-sicherheit wird – abgesehen von Einzelfällen mit nachgewiesenem Wider-standsvorlauf – aus politischen und psychologischen Gründen nicht in Betracht kommen.
„Die Verwendung von Mitarbeitern des ehemaligen MfS wird – abgesehen von Einzelfällen mit nachgewiesenem Widerstandsvorlauf – aus politischen und psychologischen Gründen nicht in Betracht kommen“.
Der Aufbau dieser neuen Landesbehörden kann und darf nicht durch die Übernahme von ehemaligen Angehörigen der Staatssicherheit der DDR belastet werden. Die neue Institution Verfassungsschutz würde sonst von vorneherein auf breite Ablehnung bei der Bevölkerung stoßen. Dies hat zur Folge, daß das benötigte Personal aus der Bevölkerung auch ohne fachliche Qualifikation gewonnen werden muß. Das bedeutet, daß die Behörden für Verfasungsschutz in der Bundesrepublik (Bund und Länder) begleitende Hilfen in den neuen Landesbehörden leisten müssen.
Konsequenz:
Das BfV und die LfV in den westlichen Bundesländern müssen sowohl personelle als auch fachliche Hilfe leisten, für die ausreichende qualifizierte Kapazitäten vorgehalten werden müssen.“
5. Ein schöner Ausblick?
Gewiß, für bundesdeutsche „Verfassungs“schützer ergeben sich ganz neue Karriere-Chancen. Der Beförderungsstau wird abgebaut, sie können in die Hände spucken und mit Pioniergeist Aufbauarbeit leisten. So erklärt sich auch, wo jene „Verfassungsschützer“ bleiben werden, die in unserer Tabelle unter der Rubrik „angekündigte Reduzierungen“ fallen. So hat denn auch Berlin (W), das Bundesland mit der höchsten Zahl an „Verfassungsschützern“ pro Kopf der Bevölkerung im gesamten Bundesgebiet, bereits angekündigt, eine geplante Personalreduzierung um 20 Stellen zurückzunehmen, da es nun darum ginge, auch den Osten dieser Stadt verfassungsschützerisch zu betreuen. Freiwerdende Beamte aus den anderen Bundesländern werden gleichermaßen als verfassungsschützerische Entwicklungshelfer auftreten, dabei unterstützt von Stasi-Mitarbeitern mit „Widerstandsvorlauf“, wie es so bürokratisch-elegant im Boeden-Papier umschrieben ist. Wer denkt da nicht gleich an Herrn Schnur?
Und wenn es in den neuen „östlichen Bundesländern“ einiger Fachkräfte mehr bedarf, die intime Personen- und Ortskenntnisse haben – und sich die kalkulierten Schwierigkeiten zeigen, daß DDR-Bürger ohne Stasi-Vergangenheit für die neue Schmutzarbeit nicht zu finden sind – so können unsere Ämter auf ihre alte Behörden-Praxis zurückgreifen. In den 50er und 60er Jahren arbeiteten sie mit doppelter Personalbuchhaltung, als es galt, die Fähigkeiten jener Experten aus dem Reichssicherheitshauptamt zu nutzen, die offiziell einzustellen zu problematisch war. Kamen dann etwa britische Besatzungsoffiziere zur Kontrolle des „Bundesamtes für Verfassungsschutz“, mußten diese SD-Altvorderen fix in die nächste Eck-Kneipe eilen, bis die Gefahr ihrer Identifizierung wieder gebannt war.
Zehn Monate zu früh
Schöne Aussichten also für Verfassungsschützer aus der BRD und Stasi-Beschäftigte mit „Widerstandsvorlauf“ aus der DDR.
Nur – welche Aussichten gibt es für die Bürger in den „östlichen Bundes-ländern“? Die Freiheit von Arbeitsplätzen bekommen sie schon jetzt zu spüren. Und ob dieser Freiheitsmaßstab nur Ergebnis vorübergehender Anpassungsprobleme ist, muß sich nicht erst zeigen. Für ca. 2 Mio. arbeitsplatzfreier MitbürgerInnen in der BRD war die Frage schon beantwortet, bevor DDR-Bürger Anlaß hatten, sie zu stellen.
Und auch die angenehmere, selbst erkämpfte Freiheit vor des Nachbars Spitzeldiensten, des geheimdienstlichen Blickes in die Kader-Akte oder in die persönlichen Unterlagen des neuen Arbeits“losen“-Amtes – sie war von kurzer Dauer, ein kleiner Sonnenstrahl in euphorischen Zeiten.
Rechtzeitig vor und zur Vereinigung hat der Bundestag Geheimdienstgesetze verabschiedet, die den künftig bundesdeutsch-gesamtdeutschen „Äm-tern“ den Blick in alle „amtlichen Register“ öffnen – die der „Anstalten öffentlichen Rechts“ mit eingeschlossen.
Gesamtdeutsch gibt es für uns viel zu tun: packen wir es an!
HUMANISTISCHE UNION : Weg mit dem „Verfassungsschutz“
T H E S E N
1. Der Schutz einer freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Ver-fassung ist ein hohes Gut. Er kann aber nur gewährleistet werden durch ein freiheitlich, demokratisch, rechtsstaatliches gesinntes Volk, nicht durch eine Behörde.
2. Der Verfassungsschutz hat durch seine vierzigjährige Tätigkeit zum Schutz der Verfassung nichts beigetragen. Er hat vielmehr durch seine sy-stembedingten, unvermeidbaren Übergriffe und Skandale und durch die Erzeugung von demokratischer und freiheitlicher Unsicherheit die Verfassung geschädigt.
3. Ein Verfassungsschutz, der sein Ziel (Schutz der Verfassung) nicht er-reicht, sondern es schädigt, ist überflüssig und muß abgeschafft werden.
4. Die Beobachtungen extremistischer Bestrebungen ist keine Staatsaufgabe. Arbeiten sie meinungsbildend in vertraulichen Zirkeln, sind sie ohnehin unschädlich und gehen den Staat nichts an. Treten sie an die Öffentlichkeit und werben um Zuwachs, brauchen sie nicht durch einen Geheimdienst beobachtet zu werden – man sieht sie. Wenden sie Gewalt an oder begehen sie sonstige Straftaten, sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig.
5. Spionageabwehr, Terroristenbekämpfung und Sicherheitsüberprüfung waren auch bis 1972 nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, sondern entweder – wenn es sich um die Verfolgung von Straftaten handelte – Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden oder der einstellenden oder sonst um Sicherheit bemühten Stellen selbst, seien es Behörden oder Unternehmen. Diese werden auch in Zukunft – wie bis 1972 – sich der Aufgabe ohne den Verfassungsschutz gewachsen zeigen.
6. Die Mitwirkung des Verfassungsschutzes bei der Einstellung in den öf-fentlichen Dienst hat zu mehr Unsicherheit als Sicherheit geführt. Sie war bis 1972 entbehrlich und ist es auch heute.
7. Eine Aufgaben- und Befugnisüberleitung vom Verfassungsschutz etwa auf die Polizei ist nicht erforderlich.
8. Bei Abschaffung des Verfassungsschutzes sind die Informationssammlungen und Datenbestände zu löschen. Bei Akten mit personenbezogenen Daten sind die Betreffenden zu informieren und es ist ihnen volle Akten-einsicht zu gewähren.
Hinweis:
Für DM 3,- inklusive Porto kann von der HUMANISTISCHEN UNION, Bräuhausstr.2 , 8000 München 2, die Broschüre „Weg mit dem Verfassungsschutz“ bezogen werden. Bitte möglichst den Betrag auf das HU-Konto: Postgiroamt München 10 42 00 – 807 mit Stichwort „VfS-Broschüre“ voraus überweisen.