„Verfassungsschutz“ Berlin-West – Auf Ihr Auskunftsersuchen teilen wir Ihnen mit …

Von Otto Diederichs*

Seit rund einem Jahr gibt es in Berlin die Möglichkeit, beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Auskunft und gegebenenfalls Akteneinsicht in die über die eigene Person angelegten Vorgänge zu beantragen. Nicht einzuschätzen ist die Zahl jener, die keinerlei Auskunft oder Einsicht erhalten wollen, sondern lediglich darauf drängen, ihre Daten aus den Speichern des Verfassungsschutzes tilgen zu lassen. Nach Auskunft von LfV-Bediensteten soll ihre Zahl nicht unbeträchtlich sein. Nach wie vor gering ist jedoch die Zahl der Auskunftsbegehren. In diesem Jahr haben bis Mitte September ca. 650 Leute wissen wollen, was das Amt über sie gesammelt hat. Dies ist angesichts der weit über 100.000 Erfaßten äußerst wenig. Etwa 300mal wurden die Ersuchen beantwortet, im selben Umfang keine Auskunft erteilt.

1. Das Leid der Verfassungsschützer

Gleichwohl bedeutet jede Anfrage für die Beschäftigten des LfV eine – neben der sog. normalen Arbeit zu leistende – beträchtliche Belastung.
Im Herbst ’89, wenige Wochen nachdem die neue Auskunftsregelung in Kraft gesetzt war, klagte eine „Schützerin“ dem Verfasser ihr Leid bezüglich der Vorbereitung derartiger Auskünfte und Akteneinsichten, um schließlich mit dem Stoßseufzer zu enden: „Hoffentlich kommt demnächst nicht auch noch eine Postkartenaktion.“ Davon in Kenntnis gesetzt, solche standardisierten und vorformulierten Karten würden gerade gedruckt, blickte sie bekümmert in ihr Kirschwasser. Die Zahl der Anträge lag seinerzeit bei etwa 50.

Was die Dame schier zur Verzweiflung trieb, war nicht in erster Linie ein ideologisierter Geheimhaltungsfimmel (obwohl es sicher auch den gibt) als vielmehr das Wissen um den Arbeitsaufwand, den jede einzelne Auskunft bedeuten würde.

Anfänglich hatte man im LfV versucht, es sich leicht zu machen, und bei jedem Ersuchen lediglich die Daten des NADIS-Computers aufgerufen (NADIS = Nachrichtendienstliches Informationssystem). Dieses, auf den ersten Blick einleuchtende Vorgehen hatte allerdings einen gravierenden Fehler: NADIS als Fundstellendatei kann nur Auskünfte erteilen, wenn der/ die Auskunftsuchende ein eigenes Aktenzeichen beim Berliner LfV besitzt. Dies ist jedoch trotz der hohen Zahl von Erfaßten nur bei relativ wenigen der Fall; der weitaus größere Teil findet sich bunt durcheinander gewürfelt in sog. Sachakten.

Die Anfragenden erhielten zunächst dann auch die folgerichtige Auskunft, „… auf Ihre Anfrage vom … teilen wir Ihnen mit, daß vom LfV über Sie keine Daten im Nachrichtendienstlichen Informationssystem gespeichert sind.“ Ende Juli ’89 war es mit diesem, für das LfV erträglichen Verfahren vorbei, als einer von Berlins Autonomen eben diese Auskunft erhielt. Da gegen ihn zu diesem Zeitpunkt noch ein sog. 129a-Verfahren anhängig war, mochte er diesem Bescheid berechtigterweise nicht glauben. Des Rätsels Lösung fand sich schnell – in der Anschrift. Hier hatte sich im Namen ein Tippfehler eingeschlichen.

Für das LfV waren die Folgen schwerwiegender: mit der bisherigen schnellen Form der Auskunftserteilung war es vorbei. Seither praktiziert man nun jenes Verfahren, welches die Dame vom Amt mit Schrecken erfüllte: bei jedem Auftrag sind nun die in Frage kommenden Aktenvorgänge Seite um Seite nach Daten über die anfragende Person durchzusehen!

2. Das interne Verfahren des LfV

Hatte der erste Durchgang mit Peinlichkeiten für das Amt geendet, so begann die Verfahrensumstellung zunächst mit Irritationen bei den FragestellerInnen. „Zu Ihrem Ersuchen können wir erst Stellung nehmen, wenn Sie uns Ihr Auskunftsinteresse näher darlegen. Deshalb teilen Sie uns bitte mit, weshalb Sie annehmen, beim LfV erfaßt zu sein …“ lautet seither häufig die Rückfrage. Was zunächst einmal verdächtig nach neuerlicher Ausforschung klingt (wie es in Berlins autonomer Szene denn auch gleich die Runde machte), hat einen simplen Hintergrund. Ohne konkrete Anhaltspunkte, innerhalb welcher Sachkomplexe man die Suche aufnehmen solle, war das LfV häufig objektiv nicht in der Lage, die Betreffenden aufzufinden.

Zum wichtigsten Suchkriterium wurde hier oft – so unglaublich dies auch klingt – das Gedächtnis der jeweiligen SachbearbeiterInnen. Haben die Auskunftsbegehren schließlich diese Hürde genommen und dem LfV mitgeteilt, daß sie aufgrund einer Mitgliedschaft und/ oder Mitarbeit in der ALTERNATIVEN LISTE, der SEW, einer Mieterinitiative oder Knastgruppe, wegen früherer Hausbesetzungen, Teilnahme an verbotenen Demonstrationen etc. eine Speicherung vermuten müßten, beginnt in den Archiven des LfV die staubträchtige Arbeit. Die in Frage stehenden Vorgänge sind Blatt für Blatt zu sichten. Findet sich der/ die Anfragende darin, so muß die Mel-dung entnommen und kopiert werden. Sodann sind sämtliche weitere Personen aus dem Bericht zu entfernen. Hierbei ist man mittlerweile dazu übergegangen, diese Drittdateien zu „weißen“, da sich dies als psychologisch sinnvoller erwiesen hat, als die vorher üblichen, allzu sehr ins Auge fallenden Schwärzungen. Die solchermaßen bereinigten Meldungen werden anschließend erneut kopiert und zur Akteneinsicht vorbereitet.

Nehmen Betroffene dann u.U. gemeinsam Akteneinsicht, wie dies im Falle der CILIP-Redaktion geschehen ist, so kann es durchaus zu Situationen mit hohem Unterhaltungswert kommen. Im vorgenannten Fall saßen sich etwa zwei Redaktionsmitglieder, die früher einmal eine gemeinsame Wohnung unterhalten hatten mit der gleichen Meldung gegenüber; nur fehlte bei beiden der jeweilige Mitbewohner – nebeneinandergelegt ergab sich natürlich die komplette Meldung.

Aus: Frankfurter Rundschau, 7.9.’90
Daß die CILIP-Mitglieder in ihren Akten u.a. Protokolle des Fachbereichsrates des FB 15 der FU Berlin, polizeiliche Festnahmeberichte und die üblichen VfS-Spitzelberichte vorfanden, sei am Rande angemerkt.

Meldungen, die aufgrund erhöhten „Quellenschutzes“ nicht vorgelegt werden (z.B. weil die Einsehenden durch die vorgelegten Informationsinhalte auf die V-Person rückschließen könnten) oder die „nicht der Verfügung des LfV Berlin unterliegen“ (dies sind sämtliche Anfragen und/ oder Übermittlungen von übrigen VfS-Ämtern), werden durch sog. Fehlblätter ersetzt. Das gleiche gilt für Vorgänge, die „es eigentlich gar nicht gibt“, wie ein LfV-Beamter es einmal ausdrückte, sprich also Vorgänge mit alliiertem Bezug.

Die solcherart aufbereitete Akte wird den Betreffenden anschließend von zwei BeamtInnen (von wenigen Ausnahmen abgesehen) in Räumen außerhalb des LfV zur Einsicht vorgelegt.

Auskünfte der Geheimdienste an Bürger sind absolutes Neuland. Dementsprechend fehlte auch in Berlin zunächst jede klare Vorstellung davon, wie so etwas zu bewerkstelligen sein könnte. Mit fortschreitender Zahl der Auskünfte änderte sich einiges im Ablauf.
Zu Beginn der Auskunftspraxis im Sommer ’89 erhielten die Anfragenden noch relativ ausführliche Auskünfte/ Einsichten; teilweise wurden ihnen auf Wunsch auch einzelne Ablichtungen mitgegeben, bzw. zugesandt. Helle Aufregung löste dann jedoch im Januar ’90 ein gewitzter Rechtsanwalt aus, der im Auftrag von Mandanten die Akteneinsicht durchführte. Gestützt auf 29 Verwal-tungsverfahrensgesetz bestand er darauf, daß Akteneinsicht auch das Recht auf Abschriften umfasse und ihm daher das Kopieren mittels eines mitgeführten Kleinkopierers zu gestatten sei. Dieser Überraschungscoup gelang allerdings nur dieses eine Mal; der nächste Termin endete bereits nach wenigen Minuten, als er begann, zumindest handschriftlich den Akteninhalt zu notieren.

Auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der AL-Abgeordneten Lena Schraut antwortete Berlins Innensenator Pätzold (SPD) am 27. Januar ’90:
„Ein Anspruch auf Einsicht in Unterlagen des LfV besteht weder allgemein noch aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen, insbesondere nicht nach 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Diese Vorschrift regelt nur die Einsicht in Akten eines Verwaltungsverfahrens. VfS-Akten sind keine Verwaltungsverfahrensakten. Ein Anspruch auf Fertigung von Abschriften oder Ablichtungen amtlicher Unterlagen besteht in den vom Gesetz oder von der Rechtsprechung ausdrücklich zugelassenen Fällen. Bezüglich der VfS-Akten ist ein derartiges Recht nicht eingeräumt. Das LfV wird keine Voraussetzungen zur Vervielfältigung insbesondere solcher Unterlagen schaffen, die ohnehin vernichtet werden sollen, weil sie sach- oder rechtswidrig gesammelt worden oder für die gesetzmäßige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind.“ Es gibt keinen Rechtsanspruch.

Dem LfV selbst war dieser Vorfall jedenfalls letzter Anstoß, die Auskunfts- und Einsichtspraxis nun generell zu regeln. Sie wird seither kontinuierlich restriktiver gehandhabt. Wurde anfänglich neben der „bereinigten Einsichtsakte“ auch noch die Orginalakte bereitgehalten, um bei Rückfragen u.ä. entsprechende Auskünfte geben zu können, so ist dies inzwischen nicht mehr durchgängig der Fall; auch die Zahl der Fehlblätter wächst. Wurde den Einsichtnehmenden früher im Anschluß an den jeweiligen Termin eine Erklärung vor-gelegt, mittels derer sie der Vernichtung ihrer Unterlagen zustimmen sollten, so hat sich dies seit Februar 1990 geändert. Auskunftsbegehren werden seither überwiegend knapp beschieden, wie beispielsweise: „Ihre persönlichen Daten sind im Rahmen der Extremismusbeobachtung in Dateien des LfV gespeichert. Diese Datenerfassung steht im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen alliierte Vorschriften am 22. Juni 1985 sowie Ihrer vorläufigen Festnahme al. des sog. Tauentzienkessels am 12. Juni 1987 (Reagan-Besuch)“ (April 1990). Oder noch kürzer:

„Ihre persönlichen Daten sind in Dateien des LfV gespeichert.“ (Mai 1990). Akteneinsicht wird häufig gar nicht erst an-geboten; statt dessen teilt man den FragestellerInnen mit: „Die Löschung bzw. Vernichtung wird unverzüglich erfolgen, sobald der Senator das Löschungs- und Vernichtungsverbot aufgehoben hat,“ – so Antworten ab März 1990. Dieses Verbot wurde erlassen, damit relevante Vorgänge vor einer Aufklärung der jahrelangen, euphemistisch „Fehlentwicklungen“ genannten Praktiken des VfS nicht erfolgt). Erst wenn die Betroffenen diesem Verfahren widersprechen, wird ein Akteneinsichtstermin vereinbart. Ohnehin ist die Qualität der erteilten Auskünfte in erster Linie abhängig von der Beharrlichkeit der Auskunftssuchenden. Sie entscheidet letztlich, ob und in welchem Umfang Mitschriften gefertigt werden dürfen oder (in Einzelfällen immer noch) Kopien übersandt werden.

Dem Verfasser dieses Beitrages gelang es nur aufgrund ständiger Nachfragen, mehr Licht in seine eigene Erfassung zu bringen. Eine erste Einsichtnahme förderte lediglich einen Dreizeiler innerhalb einer VP-Meldung aus dem Jahre 1979 zutage: „OTTO DIEDRICHS erwähnte gesprächsweise, daß vor einigen Tagen auf dem U-Bahnhof Gneisenaustraße ein KPD-Mann von GRAUEN WÖLFEN überfallen wurde.“ Nachgehakt entwickelt sich die Angelegenheit inzwischen im umgekehrten Prinzip der allseits bekannten russischen Puppe. Aufbauend auf die genannte Lappalie fanden sich als nächstes Observationsfotos aus dem Jahr 1981; danach ein dreibändiger Sachvorgang betr. den einstigen Berliner Stadtteilladen „Chamisso-Laden“. In dieser Akte wiederum fand sich ein Hinweis auf die Anti-Reagan-Demonstration von 1982 (7 Ordner). Ein „Jour fixe“ zwischen Autor und LfV wird seitens des Amtes bislang abgelehnt.
Ein weiterer, in neueren Briefen des LfV enthaltener Passus erhält in diesem Licht durchaus seine Berechtigung: „Wir machen allerdings darauf aufmerksam, daß Ihr Name auch nach der Löschung Ihrer persönlichen Daten und der Vernichtung der über Ihre Person vorhandenen Unterlagen noch in den Akten erwähnt sein könnte. Sollten nach der Löschung/ Vernichtung Anfragen zu ihrer Person gestellt werden, kann das Amt aufgrund der fehlenden Suchkriterien lediglich antworten, daß über Sie keine Erkenntnisse vorliegen.“ (seit April/Mai 1990)

3. Auskunftsverweigerungen

Generell keine Auskünfte erhalten bisland Anhänger des sog. orthodoxen Kommunismus, wie etwa Mitglieder der SEW u.ä., wobei auch hier gewisse Unterschiede gemacht werden. So erhalten beispielsweise Angehörige einer der SEW nahestehenden Studentenvereinigung (ADS) Auskünfte, wenn ihre Aktivitäten länger als 2 Jahre zurückliegen. Gleichermaßen wenig Chancen auf Auskunft haben Personen, die „in einem fortdauernden Verdacht stehen, der linksextre-mistischen autonomen Szene anzugehören“, wie dies dem eingangs Erwähnten mitgeteilt wurde. Über seine Petition an den parlamentarischen Ausschuß für VfS ist noch nicht entschieden worden.

Seit dem 20.September ’90 ist eine Anweisung des Innensenators in Kraft gesetzt, nach der nur noch dann Auskunft verweigert werden darf, wenn „eine Geheimhaltungsbedürftigkeit angenommen werden muß“. Es wird sich zeigen, wie bedürftig das Berliner Amt sich fühlt.

Die Aufforderung zur Anskunft ist zu richten an:
Landesamt für Verfassungsschutz
Auf dem Grat 2
1000 Berlin 33

* Hochschulfreier Polizeiexperte, z.Z. Mitarbeiter der AL-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin; vgl. zur Auskunftspraxis auch CILIP 35, S. 61