Von Hans Schwenke*
Ein Resümee der Auflösung des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit zu ziehen, kann nichts anderes als ein Versuch sein. Es ist noch viel zu früh dafür. Es fehlt uns nicht nur der dafür notwendige zeitliche Abstand, wir stecken noch mitten in den Geschehnissen. Eines kann man jedoch heute schon sagen: Es ist nicht gelungen, diesen Geheimdienst in einer solchen Weise aufzulösen, daß sich an seiner statt kein anderer mehr etablieren könnte. Diese historische Chance ist vertan. Das politische Umfeld, der Drang ins Deutschland einig Vaterland und die mit der überhasteten Vereinigung einhergehenden wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen und ganz persönlichen Probleme haben die Frage nach dem Sinn eines konspirativ tätigen staatlichen Sicherheitssystems erst gar nicht ins Bewußtsein gelangen lassen.
1. Die STASI wird geopfert
Die Staatssicherheit war das Synonym für ein Herrschaftssystem, das den Menschen von Kindesbeinen an und bis ins hohe Alter hinein reglementierte, ihn einmauerte, von ihm Besitz ergriff und stets versuchte, ihn auch geistig zu vereinnahmen. Dafür bot ihm dieses Herrschaftssystem – Gefolgschaftstreue vorausgesetzt – rela-tive soziale Sicherheit im Rahmen einer Mangel- und abgestuften Privilegienwirtschaft. In diesem, seinem Wesen nach totalitären System überwachte ein die kühnsten Horrorvisionen von Scince-fiction-Autoren übertreffender überdimensionierter Sicherheitsapparat alles und jeden in und außerhalb des Landes. Gegen ihn vor allem richtete sich der Volkszorn in den Herbsttagen des vergangenen Jahres. Klagte man anfangs – erst zaghaft, dann immer lauter – die bürgerlich-demokratischen Freiheiten ein, so forderte man später ganz entschieden die Entmachtung und Zerschlagung des alles beherrschenden Sicherheitsapparates, genannt Ministerium für Staatssicherheit.
Die Führung des ersten „Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ glaubte am 7. Oktober 1989 noch, das Geschehen ungeachtet der Massenflucht seit den Sommermonaten „voll im Griff“ zu haben. Und sie erhoffte sich auch von der Teilnahme Michail Gorbatschows an den Staatsfeierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR einen Popularitätsgewinn innerhalb und außerhalb des Landes. Doch dann trafen Gorbatschows Worte Honecker und Genossen wie Peitschenhiebe: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!
Die Menschen im Lande hingegen, des Drangsaliert- und Eingemauert-seins müde, sie schöpften Mut und Hoffnung. Sie kamen aus den Kellern und Kirchen und gingen auf die Straße.
In den ersten Tagen des Aufbruchs suchten die Herrschenden noch ihre Rettung im Einsatz von Knüppelgarden, Wasserwerfern und Räumtechnik. Als sie gewahr wurden, daß sie damit gänzlich ihr Gesicht verloren, entschieden sie, es nicht zum Blutvergießen kommen zu lassen, und unternahmen erste ungelenke Schritte zum Dialog. Am 9. November dann, nachdem sie entdeckt hatten, daß ihre Glaubwürdigkeit längst verspielt war, öffneten sie ihre Grenzen, hoffend, daß sich die politischen Demonstrationen in der DDR in einen Konsum- und Polittourismus durch West-Berlin und die Bundesrepublik verwandeln würden. Wenig später waren sie sogar bereit, die verhaßte Stasi dem eigenen Überleben zu opfern.
Damit begann die Geschichte eines in der Geschichte wohl einmaligen Vorgangs, den der friedlichen Auflösung eines Geheimdienstes. In den Augen der Herrschenden hatte die Stasi versagt. Sie hatte zwar brav und bieder observiert und fleißig ihre Berichte geschrieben, aber ihre Aufgabe, drohende Gefahr abzuwenden, hatte sie trotz ihrer zigtausend Mitarbeiter, trotz ihres Milliardenetats und trotz ihrer nahezu uneingeschränkten Befugnisse nicht erfüllt.
2. Die kontrollierte Auflösung
Diesen aufgeblähten Apparat, der offenbar nur noch der Selbstbefriedigung diente, dem rebellierenden Volk zu opfern, fiel den Herrschenden deshalb relativ leicht. Erfolgen sollte die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nach dem Willen von Krenz wie von Modrow jedoch in einer Weise, die die Herrschaftsstrukturen im wesentlichen unangetastet ließ, die die bisherige Struktur und Arbeitsweise des MfS verschleierte und effiziente Teile des MfS zur weiteren Herrschaftssicherung rettete. Dies war der Gegenstand des Umstrukturierungsplans, genannt Linie 2000, der Umbenennung des MfS in ein Amt für Nationale Sicherheit (AfNS), zuletzt der Versuch der Etablierung eines „Verfassungsschut-zes“ sowie der Befehle des Mielke-Nachfolgers, des Generaloberst Schwanitz. Am 7. Dezember 1989 ka-belte Schwanitz an alle Bezirksämter des AfNS und alle Paßkontrollein-heiten (PKE) zwei Befehle. Darin konstatierte er, „daß autorisierte Kontrollgruppen aus Vertretern staat-licher Organe sowie von Bürgerrechtsbewegungen … in den BÄ und anderen Diensteinheiten Arbeits- und Kontrollmöglichkeiten erhalten werden“. Es sei jedoch, so heißt es im Befehl CFS 43, „in jedem Fall … zu verhindern, daß unberechtigte Personen Einsicht in Staatsge-heimnisse des Amtes nehmen“. Und im nächsten Befehl (CFS 44): „Können … die Forderungen dieser Gruppen nicht abgewiesen werden, sind die Öffnung von Räumen und Schränken sowie die Einsichtnahme in Dokumente und Unterlagen zu ermöglichen.“ Und weiter: „Es ist zu sichern, daß keine Aufzeichnungen angefertigt und keine Dokumente mitgenommen werden. … In jedem Fall ist Einsicht in geheime Dokumente und Materialien zu verhindern …“. Und heuchlerisch fügte Schwanitz hinzu: „Es ist Bereitschaft zu zeigen, … daß jene Unterlagen und Karteien vernichtet werden, die ‚Überwa-chungsmaßnahmen des ehemaligen MfS‘ enthalten. Auch damit ist zu demonstrieren, daß diese Maß-nahmen vom Amt nicht fortgesetzt werden.“
Tatsächlich wurden mit diesen Befehlen alle Diensteinheiten in den Kreisen und Bezirken angewiesen, alles belastende Material zu vernichten, und zwar selbst noch unter den Augen der Bürgerkomitees und perfiderweise sogar mit deren ausdrücklichen Zustimmung. Die Argumentation, mit der die Bürgerkomitees zur Zustimmung zu bewegen seien, lieferte Schwanitz mit: „damit ist zu demon-strieren, daß …“ (siehe oben). Damit nun begann die kurze Geschichte der Bürgerkomitees in ihrem Zwiespalt zwischen revolutionärem Auftrag und vermeintlicher Wahrung von Gesetzlichkeit. Die Bürgerkomitees rückten in die Kreis- und Bezirksverwaltungen des MfS ein und überraschten die dortigen Mitarbeiter beim Vernichten von Unterlagen.
3. Die Bürgerkomitees und die AG Sicherheit des Zentralen Runden Tisches
Ihren ersten Auftrag sahen sie deshalb darin, der Vernichtung insbesondere belastenden Materials Einhalt zu gebieten. Bald entdeckten sie, daß sie dafür zu wenige waren, insbesondere angesichts der Vielzahl von MfS-Objekten, die nun zutage gefördert wurden. Da gab es zahllose Dienstgebäude und Bunker, sogenannte Ferien- und Schulungsheime, konspirative und Dienstwohnungen, Be-triebe und Dienstleistungseinrichtungen, zum Teil unter Decknamen oder getarnt als Versorgungseinrichtungen anderer Staatsorgane, Staatsbetriebe usw. Während die von den Betrieben freigestellten Mitglieder der Bürgerkomitees, unter ihnen auch Freiberufler und in der Vergangenheit an der Berufsausübung Gehinderte, Objekt um Objekt ausfindig machten und inspizierten, lösten die Mitarbeiter des MfS unter einheitlicher Befehlsgewalt ihre „Firma“ selbst auf. Die Zentrale um die Berliner Normannenstraße blieb wochenlang gänzlich ungeschoren. Zur zivilen Besetzung der Zentrale kam es erst, als das destruktive Taktieren der Generalität und der Regierungsbeauftragten am Zentralen Runden Tisch unerträglich wurde.
Am 15. Januar 1990 rief das Neue Forum zu einer Kundgebung vor der Stasi-Zentrale auf, aus der heraus sich der Sturm auf diese Hochburg entwik-kelte. Unter denen, die die Zentrale stürmten, befanden sich aufgebrachte Bürger, von denen einige in ihrer Wut alles kurz und klein schlugen, andere ihre Akten suchten. Unter ihnen befanden sich Neugierige und auch gut informierte Gruppen, die z.B. zielstrebig ziemlich verstreut liegende Räume eines Bereichs der Spionageabwehr durchsuchten. Im Ergebnis des Sturms auf die Zentrale und unter dem Einfluß eiligst einschreitender Vertreter des Zentralen Runden Ti-sches bildete sich auch in der Berliner Normannenstraße ein Bürgerkomitee zur Auflösung des MfS. Zugleich initiierte der Zentrale Runde Tisch die Bildung einer Arbeitsgruppe Sicherheit, in der sich Vertreter aller am Runden Tisch versammelten Parteien und Bewegungen speziell mit Fragen der Auflösung des MfS befassen sollten. Zwischen dieser AG Sicherheit und dem Bürgerkomitee Normannenstraße gab es von Anfang an Rivalitäten. Dem Bürgerkomitee waren ins-besondere die Vertreter der Blockparteien und adäquater Organisationen in der AG Sicherheit im höchsten Maße suspekt. Wie Recht sie damit hatten, das sollte die Zukunft zeigen. Natürlich war auch das Bürgerkomitee, das sich spontan gebildet hatte, nicht davor gefeit, Mitglieder in seinen Reihen zu haben, die andere Ziele verfolgten als die Auflösung des MfS, die Aufdeckung seiner Strukturen und Arbeitsweisen sowie die Sicherstellung aller Dokumente für spätere Rehabilitationsverfahren und zur wahrheitsgetreuen Aufarbeitung der Geschichte. Doch unübersehbar war, daß die Altparteien und -organisationen vor allem Geheimnisträger (VS- und GVS-Bearbeiter) in die AG Sicherheit entsandten. Sie sahen ihr vornehmstes Anliegen darin, die Geheimhaltung allen MfS-Materials zu sichern. Die Befürchtungen mancher Vertreter der Bürgerbewegungen vor dem Mißbrauch personenbezogener Daten des MfS etwa durch andere Geheimdienste wurden von den Vertretern der Altparteien und zugezogenen „Spezialisten“ nur allzu gerne aufgegriffen. Und unversehens fand man sich in der AG Sicherheit in einer fatalen Gemeinsamkeit, wollte man zunächst und ganz schnell die elektronischen Datenträger vernichten, um einen „raschen Zugriff“ auf personenbezogene Daten durch „Unbefugte“ zu verhindern, und hatte man bereits auch einen Stufenplan zur Vernichtung aller personenbezogenen Akten und Karteien.
Eine besondere Rolle in der AG Sicherheit des Zentralen Runden Tisches (ZRT) spielte deren Operative Gruppe (OG), in der von Beginn an Vertreter der Bürgerrechtsbewegungen, überwiegend junge Leute, unter sich waren. Sie gingen mit einem Eifer ohnegleichen an die Aufdeckung der Strukturen und Arbeitsweisen des MfS und trugen wesentlich zur Entscheidungsfindung in der AG Sicherheit bei. Wenn ihre Arbeit im Rahmen des Zentralen Runden Tisches nicht voll zur Geltung kam, dann darum, weil die Mitglieder der Operativen Gruppe selbst Suchende waren und nicht schon auf alle Fragen eine Antwort wußten. Da waren ihr andere, mit „Fachkompetenz“ ausgestattete überlegen. Sie wußten auf alle Fragen eine Antwort, beschränkten ihre Antworten aber engstens auf die gestellte Frage, wohl wissend, daß man damit der Wahrheits- und Entscheidungsfindung nur bedingt gerecht wurde.
4. Verwandlung in GmbHs
Schon bald wurde sichtbar, daß der Prozeß der Auflösung des MfS/AfNS einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen würde und nicht mit der Au-ßerdienststellung seiner Einrichtungen und der Entlassung seiner Mitarbeiter erledigt sein konnte. Bewegliche und unbewegliche Mittel in Milliardenhöhe sind an andere Nutzer zu überführen. Dabei ist und war Sorge dafür zu tragen, daß mit speziell geheimdienstlichen Anlagen und Material andere keinen Mißbrauch betreiben. Auch galt es zu sichern, daß nicht ganze Komplexe samt ihren Mitarbeitern aus dem ehemaligen MfS/ AfNS herausgelöst wurden und unter neuem Firmenschild ihre Tätigkeit für neue Auftraggeber fortsetzten. Schon diese Aufgabe wurde nur unvollkommen gelöst. Einige Dienstleistungs-einrichtungen des MfS, für die hier der Wissenschaftliche Gerätebau stehen soll, der u.a. spezielle Spionagetechnik herstellte, wurden in eigenständige wirtschaftliche Unternehmen umgewandelt, arbeiten nun „marktwirtschaftlich“ in alter Besetzung und bekamen bestenfalls eine „zivile“ Leitung, zumeist aus den Reihen der Ministerialbürokratie, übergestülpt. So geschehen bei der von der Regierung Modrow/ Luft zum „Pilotprojekt“ erhobenen „Han-dels- und Leasing-GmbH“ auf dem ehemaligen Funkgelände des MfS in Gosen. Als Pendant dazu in-itiierte der damalige Außenminister Oskar Fischer noch kurz vor seinem Aus-scheiden aus dem Amt die „Branden-burgische Anlagenbau GmbH“ auf dem Gelände des einst vom MfS betriebenen Funkbetriebsdienstes des Außenministeriums bei Willmersdorf (Kreis Bernau). Kleinere Einheiten des ehemaligen MfS retteten sich, indem sie sich größeren zivilen Unternehmen, mit denen sie schon immer engste Beziehungen pflegten, anschlossen.
So z.B. die Gruppe „Interport“, eine Gemeinschaftsein-richtung der Hauptverwaltung Aufklä-rung (HVA) des MfS und des Be-reichs KOKO des Herrn Schalck-Golodkowski, die sich mit der Durch-brechung der COCOM-Liste (Embar-go-Liste der NATO-Staaten) befaßte und zur Tarnung wie auch als Nebenerwerbsquelle einen schwung-haften Handel mit Oldtimern betrieb. Diese Gruppe gliederte sich dem Kombinat ROBOTRON an und brach-te auch gleich umfangreiche Liegen-schaften und teure Technik ins neue Mutterunternehmen ein. In dieser Hinsicht hatten jene, die bei Zepernick (Kreis Bernau) eine Schießanlage betrieben, weniger Glück. Diese gut getarnte Anlage, auf der nicht nur die Jagdwaffen der Politbürokraten und ihrer illustren Gäste getestet, repariert und justiert wurden, sondern offenbar auch schwerere Handfeuerwaffen, diese verschwiegene Anlage konnten ihre einstigen Betreiber nicht an sich bringen, obwohl sie sich bereits als Service-Ein-richtung der Suhler Fahrzeug- und Jagdwaffenwerke in Berlin niedergelassen hat. Energischer Bürgerprotest trotzte ihnen und dem Komitee zur Auflösung des AfNS das Gelände und die darauf befindlichen zivil nutzbaren Gebäude für eine Naturschutzwarte ab.
5. Das Innenministerium als neue Heimat
Besonders problematisch waren und sind auch noch heute jene Bereiche, die schon immer getarnt im Post- und Fernmeldewesen, im Innenministerium bis hinunter ins einzelne Volkspolizei-Kreisamt, im Außenministerium, bei der Nationalen Volksarmee sowie bei den Zoll- und Grenzorganen, bei Reiseunternehmen und im Transportwesen, in Außenhandelsunternehmen und in ganz gewöhnlich klingenden Wirtschaftsunternehmen sowie in der Justiz, oder in den Staats- und Parteiorganen tätig waren. Viele dieser Bereiche wurden inner-betrieblich „aufgelöst“, umgewandelt und neu etikettiert.
Die Rolle bestimmter Bereiche in den Staatsorganen sowie in den Apparaten der Massenorganisationen und Parteien (nicht nur der SED) ist bestenfalls andeutungsweise bekannt. In der AG Sicherheit war man vollauf mit jenen MfS-Arbeiten befaßt, die ganz offiziell wegen „Aufgabenerweiterung“ von den Grenz- und Zollorganen, den Or-ganen des Innenministeriums u.a. übernommen wurden. Bei der Volkspolizei gab es zum Beispiel bis dato den Munitionsbergungsbetrieb mit Spezialisten für Fundmunition aus beiden Weltkriegen. Mit modernerer Munition, z.B. Plastiksprengstoffen, befaßten sich Spezialisten der Terrorabwehr des MfS. Die Regierung Modrow delegierte, nachdem all ihre Projekte zum Erhalt einstiger MfS-Strukturen gescheitert waren, etliche Tätigkeitsfelder des ehemaligen MfS an das Innenministerium. Die Kriminalpolizei wurde nicht etwa um die Linie 1 (Politische Polizei) verringert, sondern wegen erweiterter Aufgabenstellung durch einstige Mitarbeiter des MfS personell verstärkt. Der Chiffrierdienst ging komplett an das Innenministerium, desgleichen der Personenschutz. Auch die Terrorabwehr ging an das Innenministerium. Die Überfrachtung des Innenministeriums mit Angehörigen des einstigen MfS löste im Februar 1990 eine Unmutswelle unter Polizisten aus. Ähnliche Unmutsäußerungen kamen auch von Angehörigen der Grenztruppen. Sie sahen sich auf einmal in die unmittelbare Nähe des einstigen MfS gerückt und befürchteten, dadurch ebenfalls, bzw. was die Polizei anlangte, zusätzlich Gegenstand des Volkszorns zu werden. Die AG Sicherheit beauftragte daraufhin das Innenministerium, die Einstellung ehemaliger Mitarbeiter des MfS auf Spezialisten zu beschränken, keine Struktureinheiten zu übernehmen und ehemalige Mitarbeiter des MfS nicht mit Leitungsfunktionen zu betrauen.
Abgesichert werden sollte dies durch die Teil-nahme gewählter Interessenvertreter der Polizei am Einstellungsverfahren und durch Kontrolle seitens der AG Sicherheit. Damit war ein Zeichen auch für andere Bereiche gesetzt. Wenig später ergab eine Kontrolle im In-nenministerium, daß die aus dem einstigen MfS nach dort gelangten „Spezialisten“ der Terrorabwehr im Umgang mit modernen Sprengstoffen unterwiesen werden mußten, daß es sich bei den Übernommenen also um überhaupt keine Spezialisten handelte. Der Beschluß der AG Sicherheit des Zentralen Runden Tisches war ganz offenkundig von der Leitung des Innenministeriums umgangen worden. Danach forderte die AG Sicherheit vom Ministerpräsidenten, seinen Innenminister zur Ordnung zu rufen und die Personalbefugnisse von ihm auf ein Mitglied der AG Sicherheit zu übertragen. Die Zeit bis zu den Wahlen im März und bis zur Ernennung des neuen Innenministers der Regierung de Maizières war viel zu kurz, um die Personalstruktur des Innenministeriums zu bereinigen. Der Versuch blieb im Ansatz stecken und wurde durch den neuen Innenminister Diestel beendet.
6. Das Komitee zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit
Diestel übernahm auch ein Komitee, das von der AG Sicherheit des Zentralen Runden Tisches initiiert und von der Regierung Modrow ins Leben gerufen wurde – das Komitee zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit. Dieses staatliche Komitee wurde Anfang Februar 1990 angedacht, als sichtbar wurde, daß der Prozeß der Auflösung des MfS länger dauern würde, als von ehrenamtlich tätigen Bürgerkomitees sowie einer ehrenamtlich tätigen AG Sicherheit einschließlich ihrer Operativen Gruppe zu leisten war. Der Übergang von der ineffizienten Plan- zur ausschließlich am Gewinn orientierten Marktwirtschaft war eingeleitet, und schon waren erste Betriebe nicht mehr bereit, Mitarbeiter freizustellen und für „gesellschaftliche Tätigkeit“ zu bezahlen. Bereits die Regierung Modrow war aufgefordert worden, den Prozeß der Auflösung des einstigen MfS einschließlich der Konversion aus dem Staatshaushalt zu finanzieren und im Rahmen eines staatlichen Komitees Planstellen für die „Auflöser“ zu schaffen.
Dieses Projekt fand erstaunlich schnell Gegenliebe bei der Ministeri-albürokratie. Aus ihrer Mitte kamen sofort Vorschläge für die Besetzung des Komitees. Ebenso erstaunlich löste dies bei den Initiatoren keinen Argwohn aus. Argwöhnisch wurde das ganze nur von den Bürgerkomitees und einzelnen Vertretern der Bürgerbewegungen, insbesondere den Mitgliedern der Operativen Gruppe der AG Sicherheit betrachtet. Unter der Schirmherrschaft eines „Triumvi-rats“ aus Vertretern der Bürgerbewegung, der Altparteien und der Regierung sowie eines Vertreters der Kirchen konstituierte sich im Februar 1990 das Komitee zur Auflösung des AfNS. Personell setzte es sich zunächst aus Vertretern der Ministerialbürokratie, Mitgliedern von Blockparteien und ehemaligen Angehörigen des MfS sowie einem einzigen Vertreter eines Bürgerkomitees und eines ehemaligen Vertreters des DA (Demo-kratischer Aufbruch) zusammen. Zögerlich bedeckt verhielten sich die Vertreter der Bürgerbewegungen in der AG Sicherheit und ihrer Opera-tiven Gruppe. Sie befürchteten Disziplinierungsversuche und wollten sich deshalb so lange wie möglich in kein Dienst- und damit Unterstellungsverhältnis zur Regierung bege-ben. Binnen kürzester Zeit waren die Schlüsselpositionen im Komitee von „kompetenten“ Mitarbeitern besetzt.
Eugen Roth
Finstere Geschichte
Ein Mensch führt, zu gegebnen Fristen,
brav über andere Menschen Listen.
Ein zweiter Mensch ersieht aus diesen,
daß dies und jenes sei erwiesen.
Ein Dritter, ohne weitres Rühren,
muß drüber wieder Listen führen.
Ein Vierter, sonst nicht ohne Seele,
verfährt damit nach dem Befehle.
Ein Fünfter, selbst nur noch Maschine,
tut seine Pflicht mit kalter Miene.
Sein winzig Stücklein macht ein Sechster,
nun hat den Eindruck schon ein nächster,
es handele sich bei dem Gelichter
um ausgemachte Bösewichter,
die er mit gutem Grunde haßt
und listenmäßig streng erfaßt.
Ganz weniges tut nun ein Achter:
Bei ein paar Namen Häkchen macht er.
Ein Neunter, ohne Zeitverlieren,
läßt diese Namen liquidieren.
Daß auftragsmäßig dies geschehn,
stellt sachlich fest nun Nummer zehn.
Ein Elfter nimmt es zu den Akten.
Und so wird aus dem Mord, dem nackten,
ein Dreh, bei dem man nie entdeckt,
wo eigentlich der Mörder steckt.
Zum Leiter des Bereichs Schriftgut, Archiv und elektronische Datenträger avancierte ein ehemaliger Geheimnisträger (GVS-Stellen-Leiter) mit „langjähriger Berufserfahrung“. In den Bereich für die Koordinierung der Auflösung der Bezirksverwaltungen geriet sogar ein leitender Mitarbeiter der berüchtigten HV XX, die mit der Verfolgung Andersdenkender befaßt war. Die Archive blieben fest in den Händen ehemaliger Mitarbeiter des MfS, und zwar der gleichen, die schon jahrelang in den MfS-Archiven tätig waren. Gleiches gilt auch für die Personaldateien des ehemaligen MfS. Als die MfS-Archive an die Staatsarchive übergingen, wurden auch die damit befaßten Mitarbeiter aus dem Personalbestand des „AfNS in Auflösung“ in die Staatsarchive übernommen. Wen wunderts, wenn angesichts einer solchen Entwicklung die Mißtrauensanträge der Bürgerkomitees und der örtlichen Runden Tische gegen das staatliche Komitee, gegen dessen Leiter und einzelne Mitarbeiter zunahmen?
Als die Vertreter der Bürgerbewegungen ihre Vorbehalte gegen ein Dienst-verhältnis zugunsten des Versuchs stärkerer Einflußnahme auf die Entwicklung des staatlichen Komitees und den Prozeß der Auflösung des MfS/AfNS zurückstellten, da waren alle Schlüsselpositionen im Komitee bereits besetzt, übrig geblieben war ihnen lediglich die Operative Gruppe. Sie ist seither das Refugium der entschiedensten Gegner des ehemaligen MfS im staatlichen Komitee. Ihre Mitglieder suchten von Anbeginn die konstruktive Zusammenarbeit mit den Bürgerkomitees, sowohl in der Berliner Normannenstraße als auch in den Bezirksstädten. Als Mitarbeiter des staatlichen Komitees wurden sie jedoch lange Zeit von den Mitgliedern der Bürgerkomitees beargwöhnt, gleich anderen Mitarbeitern des staatlichen Komitees. Daß die Leitung des staatlichen Komitees nichts unterließ, die Operative Gruppe in ihre Strukturen einzubinden, trug auch nicht gerade zum Vertrauensgewinn bei.
Die Bürgerkomitees standen im übrigen stets neben dem staatlichen Komitee, und dies war auch von den Initiatoren des staatlichen Komitees so vorgesehen. Es war dies wohl einer der entscheidendsten Fehler der AG Sicherheit des Zentralen Runden Tisches, das muß heute unumwunden zugegeben werden. Der Dualismus von Bürger- und staatlichem Komitee entsprang gradlinig dem Kompetenzgerangel zwischen Bürgerkomitees und Rundem Tisch. Die Annahme, die Kompetenzstreitigkeiten damit beilegen zu können, indem ein vom Runden Tisch initiiertes Komitee gewissermaßen die Oberhoheit über alle spontan gebildeten Bürgerkomitees übernahm, führte lediglich zu Legitimationsstreitigkeiten. Der Kompetenzstreit wurde so nur noch verschärft, weil sich von nun an moralisch legitimierbare Bürgerkomitees einem Regierungskomitee gegenüber sahen, das in seiner personellen Zusammensetzung überhaupt nicht moralisch legitimierbar war.
Die Rivalität dieser beiden Institutionen auf zentraler und Bezirksebene begleitete seither den gesamten Auflösungsprozeß bis hin zur erzwungenen Selbstauflösung der Bürgerkomitees im Juni 1990. Nur wenige Mitglieder der Bürgerkomitees wurden ins staatliche Komitee bzw. in die nachgeordneten Bezirksarbeitsstäbe zur Auflösung des AfNS übernommen. Die Hoffnungen der meisten Mitglieder der Bürgerkomitees ruhen nun auf dem Sonderausschuß zur Untersuchung der Arbeit des ehemaligen MfS der aus den Wahlen am 18. März hervorgegangenen Volkskammer der DDR. Eigentlicher Gewinner des Streits zweier sehr ungleicher Institutionen war und ist – wie stets in solchen Fällen – der, wenn auch nicht gerade lachende, Dritte – der Selbstauflösungsapparat und die Interessenvertretung ehemaliger Mitarbeiter des MfS/AfNS.
7. Das „AfNS in Auflösung“
Noch ehe Bürgerkomitess in den MfS-Hochburgen einrückten und sich Runde Tische nebst ihrer AG Sicherheit mit der Auflösung des einstigen MfS beschäftigten und die Regierung Modrow das staatliche Komitee berief, formierten Regierung und Generalität ihren eigenen Apparat zur Auflösung ihrer, wie sie sagen, „Firma“. Und zugleich entdeckten sie für sich „Rechtsstaatlichkeit“ und „Demokratie“, wählten sich die Mitarbeiter des MfS in perverser Anlehnung an die Praktiken der Bürgerrechtsbewegungen ihre „Sprecher“.
Unter Beibehaltung der alten Kommandostrukturen betrieben die linientreuesten der alten MfS-Garde die Beräumung ihrer Objekte und später in Absprache mit der Leitung des staatlichen Komitees die Deponierung oder (und) Vernichtung des Schriftgutes sowie der elektronischen Datenträger. In den ehemaligen Bezirksverwaltungen wurde dieser Prozeß zum Teil recht gut von den Bürgerkomitees kontrolliert. In der Zentrale scheiterte dies schon am Mißverhältnis zwischen der Zahl der Mitglieder der Bürgerkomitees und der Zahl der Objekte von zum Teil gewaltigen Ausmaßen. Auf das Tempo sowie auf die Art und Weise der Reduzierung des Personalbestandes des ehemaligen MfS/AfNS wie auch auf die Überleitung vieler Mitarbeiter in andere staatliche Dienste usw. nahmen Generalität und „Sprecherrat“ gemeinsam Einfluß. Dabei bedienten sie sich des Bereichs „Personelle und soziale Fragen“ im staatlichen Komitee. Dieser Bereich, angedacht, um ausscheidenden Mitarbeitern des ehemaligen MfS soziale und psychologische Hilfen bei der Integration in die Gesellschaft zu bieten, entpuppte sich bald als ein neues Privileg zur weitgehenden Bewahrung alter Privilegien sowie als legitimer Treff der „Ehemaligen“ und ihres „Sprecherrats“. Von hier aus gingen über die Leitung des staatlichen Komitees Empfehlungen an die Regierung, z.B. zur sozialen Gleichstellung ehemaliger Angehöriger des MfS mit Berufssoldaten oder zur Gewährung sogenannter Übergangsgelder von erstaunlicher Höhe, zur forcierten Frühberentung usw. Es ist schon makaber, im Gebäude gleich nebenan, das inzwischen vom Arbeitsamt Berlin bezogen wurde, täglich lange Schlangen Arbeitsloser zu sehen, die im eigentlichen Sinne nachträgliche Opfer des Stasi-Staates und seiner Wirt-schaftsbankrotteure sind und denen derlei Vergünstigungen nicht zuteil werden.
Eine Sonderstellung im Auflösungsprozeß des ehemaligen MfS nahmen die Auslandsdienste ein: die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA bzw. XV) und die Spionageabwehr (HV II).
Für beide Dienste bat sich die Generalität uneingeschränkte Handlungsfreiheit im Auflösungsprozeß aus und begründete dies mit einer beträchtlichen Gefährdung ihrer im Ausland lebenden Mitarbeiter, die möglichst unbeobachtet aus ihren einstigen „Operationsgebieten“ abgezogen werden sollten. Sowohl in den Bürgerkomitees als auch in der AG Sicherheit, auch in der Operativen Gruppe wurde diese Argumentation aus humanistischer Grundhaltung heraus akzeptiert. Beide Dienste lösten ihre Bereiche im wesentlichen unkontrolliert auf – bis Ende März 1990 eine Begehung des Dienstgebäudes der ehemaligen Spionageabwehr in der Berliner Normannenstraße ergab, daß dort Videobänder vernichtet wurden. Auf einigen der vor der Vernichtung bewahrten Videobänder waren Aufnahmen von Verhören, von Treffs von Bürgerrechtlern sowie von den Oktober-Demonstrationen in Berlin gespeichert. Es handelte sich ganz offenkundig um Videobänder der HV VIII (Observierung) bzw. der HV XX (Verfolgung Andersdenkender), die in den Bereich der Spionageabwehr verbracht wurden, um dort unkontrolliert vernichtet zu werden.
Die Forderung der Operativen Gruppe, den für den Vertrauensbruch Verantwortlichen im Bereich der einstigen Spionageabwehr sofort vom Dienst zu suspendieren, wurde seitens der Leitung des staatlichen Komitees nicht einmal beantwortet. Sie stellte sich stets schützend vor die Mitarbeiter des „Amtes für Nationale Sicherheit in Auflösung“, wie sich jene Befehlsstruktur neben dem Regierungskomitee schlicht und einfach nannte. Und sie engte die Kontrollbefugnisse der Mitarbeiter des Komitees wie auch der Bürgerkomitees insbesondere in den Bereichen der ehemaligen HV VIII und XX sowie der Spionageabwehr weitgehend ein. Die HVA galt der Leitung des staatlichen Komitees stets als Tabuzone.
8. Probleme des materiell-tech- nischen Auflösungsprozesses
Vielfach entlädt sich heute der Unmut der Bevölkerung darüber, daß bislang nicht ein einziger Schuldiger zur Verantwortung gezogen wurde, in Vermutungen, daß die Stasi hier und heute, da und dort noch arbeite. In geheimnisumwitterten Wohnungen, Häusern, Büros und Betriebsgeländen gingen nach wie vor dieselben rätselhaften Leute ein und aus, und niemand wisse so recht, was die da treiben. Hinter solchen Reden stehen vielfach nur Frust, alte Ängste, auch ein wenig Klatsch und Wichtigtuerei. Nur gelegentlich ist an solchen Reden etwas dran, weshalb z.B. die Operative Gruppe Hinweisen aus der Bevölkerung grundsätzlich nachgeht. Zumeist stellt sich dann heraus, daß man es mit ehemaligen Angehörigen des MfS zu tun hat, die allein oder mit anderen sich in die wirtschaftliche Selbständigkeit zu retten versuchen. Dagegen läßt sich überhaupt nichts einwenden, wenn damit nicht auch Vermögensfragen verbunden sind. Dann nämlich stellt sich die Frage, was diese Menschen berechtigt, einstiges MfS-Eigentum an sich und als Betriebskapital in ihr Unternehmen einzubringen. Das aber ist eine Frage, die nicht nur ehemaligen Angehörigen des MfS zu stellen ist, sondern all jenen ehemaligen Partei-, Staats- und Wirtschaftsfunktionären, die sich heute gebärden, als wären sie ihr Lebtag nichts anderes als biedere Kapitalisten gewesen.
Daß aber selbst im materiell-technischen Bereich der Auflösung noch vieles im argen liegt, verdeutlicht, daß der Prozeß der Auflösung des MfS/AfNS noch längst nicht abgeschlossen ist. Viel ist – und dies schon seit Monaten – im Komitee und andernorts von Rechtsträgerwechseln die Rede. Gemeint ist die Überführung des Milliardenvermögens des einstigen MfS (Grundstücke, Häuser, Inventar, Technik usw.) an andere Nutzer. Die politisch indifferente, aus-schließlich bürokratische Bewältigung dieser Aufgabe, hat schon viel Empörung im Land hervorgerufen. So z.B. wenn komfortabelste Eigenheime nebst Grundstücken in herrlichster Lage, den Buchstaben des Gesetzes gemäß, ihren bisherigen privilegierten Nutzern zum Billigtarif verkauft wurden. Auch ist man im Komitee bislang davon ausgegangen, daß es als Rechtsnachfolgerin des einstigen MfS über Liegenschaften, die vom MfS genutzt wurden und im Grundbuch als Eigentum des MfS, der Versorgungseinrichtung des Ministerrats (VEM) oder einfach als „Eigentum des Volkes“ deklariert sind, daß es über diese Liegenschaften frei verfügen kann. Nun hat sich jedoch in den ersten Fällen erwiesen, daß „Volkseigen-tum“ etc. u.a. aus in der NS-Zeit arisiertem, aus nach 1945 unrechtmäßig enteignetem, aus ursprünglich kommunalem sowie aus Zwangsverkäufen resultierendem Vermögen gebildet wurde. Der Operativ-Gruppe liegen auch Hinweise vor, die darauf hindeuten, daß in den Jahren nach 1945, insbesondere in den 70/80er Jahren, zielgerichtet Familien zum Verlassen der DDR gedrängt wurden, für deren Grundstücke und Eigenheime sich eine Gruppe von Partei- und Staatsfunktionären nebst leitenden MfS-Angehörigen interessierte.
9. Ausblick
In Sachen Auflösung des einstigen MfS/AfNS ist noch viel zu leisten. Ob das staatliche Komitee in seiner derzeitigen personellen Zusammensetzung dazu im Stande ist, das jedoch ist mehr als fraglich. Immerhin, eine geheimdienstliche Arbeit im Sinne des einstigen MfS können heute die ehemaligen MfS-Mitarbeiter nicht mehr betreiben, dafür fehlt einfach der Auftraggeber. Informationsstrukturen im Interesse des eigenen Überlebens können hingegen an Konspiration gewohnte Leute natürlich jederzeit unterhalten. Da wäre es z.B. wichtig gewesen zu erfahren, ob der Chiffrierdienst zwischen den Berliner Rathäusern und dem Innenministerium noch bis vor kurzem einem solchen Zweck gedient hat.
Auch wäre im Zusammenhang mit möglichen Informationsstrukturen (oder gar mehr) eine stärkere Kontrolle der ins Kraut schießenden Privatdetekteien und Wachgesellschaften etc. geraten. Hier stellen sich Fragen nach den Auftraggebern und den von ihnen verfolgten Zielen. Bislang ist man in der scheidungswütigen DDR ganz gut ohne Detekteien ausgekommen. Was also sind ihre Tätigkeitsfelder?
Von politischer Brisanz scheinen mir aber vor allem die in andere staatliche Dienste, insbesondere in das Innenministerium, übernommenen Einheiten und Personen sowie der „Sprecherrat“ der ehemaligen Mitarbeiter des MfS und dessen legitimer Treff im Bereich „Personelle und soziale Fragen“ des Komitees zur Auflösung des AfNS.
Fassungslos und empört standen Ende letzten Jahres die Menschen der DDR dem Moloch „Stasi“ gegenüber, forderten sie seine Auflösung. Aber sie stellten sich kaum die Frage, was einen Geheimdienst zu einem solchen Gigantum hat werden lassen. Eine solche Fragestellung hätte, von allen Spezifika des „real existierenden Sozialismus“ deutscher Prägung einmal abgesehen, rasch zu der Antwort geführt, daß ein Geheimdienst gleich welcher Coleur seine Eigendynamik hat. Er löst keinen „Gegner“ auf, er paralysiert ihn bestenfalls. Er dringt in die Strukturen des „Gegners“ ein und nutzt ihn zugleich zur eigenen Existenzrechtfertigung. In diesem dialektischen Wechselspiel von Widerstand und Staatsschutz, von Spionage und Gegenspionage schaukeln sich die Kontrahenten gegenseitig hoch. Es entstehen bei denen, die über die dafür notwendigen finanziellen und materiellen Mittel verfügen, geheimdienstliche Overkillpotentiale, ähnlich denen im Rüstungswettlauf.
Nicht nur das Versagen eines der wohl mit den meisten Machtbefugnissen ausgestatteten Geheimdienstes, auch die Mentalität von Geheimdiensten, sich am vermeintlichen Gegner „festzubeißen“, macht die ganze Fragwürdigkeit von Geheimdiensten offenbar. Zur inneren Sicherheit bestehender Herrschafts-strukturen, das beweisen nicht nur die Ereignisse in Osteuropa, vermögen sie bestenfalls temporär beizutragen. Letztlich nützen sie sich nur selbst durch konspirativ abgesicherte Privilegien, die die Gesellschaft und den Steuerzahler immens belasten. Und zugleich belasten nach innen gerichtete, daß heißt gegen die BürgerInnen gerichtete Geheimdienste das gesellschaftliche Klima. Sie verbreiten ein Klima der Angst und des Mißtrauens, in dem demokratische Willensbildung eingeschränkt wird oder überhaupt nicht stattfinden kann. Zur konspirativen Überwachung der BürgerInnen eingerichtete Dienste sind der Tod jedweder Demokratie. Demokratisch verfaßte Gemeinwesen bedürfen zu ihrer inneren Sicherheit keines staatlichen Überwachungsapparates, sondern praktizierter Demokratie mündiger BürgerInnen in einem Klima der Offenheit und Toleranz. Dies zu verwirklichen, diese Chance bestand in der DDR einige wenige Wochen nach dem Sturz des Regimes der Honecker und Mielke. Sie ist vertan. Statt dessen werden sich die BürgerInnen der DDR nach 12 Jahren Gestapo und 40 Jahren Stasi einem neuen Spitzel- und Überwachungsdienst gegenüber sehen.
Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober d.J. wird nicht nur bundesdeutsches Recht im heutigen Gebiet der DDR Gültigkeit erlangen, sondern werden dann auch bundesdeutsche Rechts- und Rechtshilfeorgane ihre Tätigkeit aufnehmen, darunter auch der Verfas-sungsschutz. Er schien bislang gebändigter und nicht annähernd mit solchen Vollmachten ausgestattet wie der einstige Staatssicherheitsdienst der DDR. Doch die sich schon abzeichnenden und auch für bundesdeutsche Verhältnisse ungewöhnlichen sozialen Spannungen und die damit einhergehenden politischen Polarisierungen werden den Ruf nach „mehr Sicherheit“ wohl lauter erschallen lassen. Und wer wird dann noch garantieren wollen, daß sich nicht auch ein bundesdeutscher Verfassungsschutz, zudem angesichts des Hangs der Deutschen nach Perfektion, zum Monstrum auswächst? Quo vadis, Demokratie?
* Mitarbeiter des staatl. Komitees zur Auflösung des MfS/AfNS.