Gesetzgebung – Geheimdienstgesetze rechtskräftig verabschiedet

Von Heiner Busch/ Falco Werkentin

Seit 1986 wurde um neue Gesetze für das Bundesamt für Verfassungsschutz, für BND und MAD gestritten. CILIP hat die ersten Entwürfe aus dem Dunkel ministerieller Schreibtische gezerrt und öffentlich zugänglich gemacht (vgl. CILIP 21). Über Jahre gelang es Bürgerrechtsgruppen, der Vobo-Bewegung und Datenschützern, einen Entwurf nach dem anderen durch öffentliche Kritik zu kippen. Dann wurde es um diese Entwürfe still. Im Windschatten des Vereinigungsprozesses wurden überarbeitete Entwürfe plötzlich wieder dem Bundestag vorgelegt und in Windeseile mit der Mehrheit der Bonner Koalitionsparteien am 31. Mai d.J. vom Bundestag verabschiedet. Inzwischen haben die Entwürfe auch den Bundesrat passiert und hier nach Retuschen die Zustimmung der SPD gefunden. Am 21.9. d.J. sind die Gesetze nun auch vom Bundesrat mit Rechtskraft verabschiedet worden. Hierzu – und zu weiteren „Sicherheits“-Gesetzen die folgende Übersicht am Ende dieser Le-gislaturperiode.

1. Geheimdienstgesetze und Datenschutz

Am 13. März dieses Jahres einigten sich stellvertretend für ihre Parteien die Mitglieder des Bundestags-Innenausschusses Blens (CDU) und Hirsch (FDP) auf einen Kompromiß in Sachen Geheimdienstgesetze und Datenschutz (zum Inhalt vgl. CILIP 35). Diese Gesetzentwürfe – im einzelnen eine Neufassung des Bundesverfassungsschutz- und des Datenschutz-Gesetzes, erstmalig ein BND und ein MAD-Gesetz – waren seit dem ersten Versuch im Februar 1986 (vgl. CILIP 23) diverse Male überarbeitet worden. Inhalt und politische Zielrichtung der Entwürfe blieben hingegen unverändert. Im Kompromiß zwischen Blens und Hirsch waren einige Zugeständnisse eingegangen:

Im Datenschutzgesetz sind die wesentlichen Einschränkungen der Befugnisse des Datenschutzbeauftragten aus den vorangehenden Entwürfen zurückgenommen. Der Dateienbegriff ist nun auch auf Behörden-Akten anwendbar. Das Datenschutzgesetz wurde damit in wesentlichen Teilen auf den alten Stand zurückversetzt, allerdings bei einer völlig veränderten und der datenschutzrechtlichen Kontrolle weit weniger zugänglichen Realität.

Bei den Geheimdienstgesetzen waren die Zugeständnisse geringer:
– Offenlegung der Zahlen für Haushalt und Personal – dies galt bis 1969 und war von der sozial-liberalen Koalition ab 1970 abgeschafft worden,
– ein – wenn auch schwaches – Auskunftsrecht,
– Aufzählung der nachrichtendienstlichen Mittel in einer Rechtsverordnung des Innenministers,
– ein gewaltiger sprachlicher Aufwand bei der Beschreibung der Zuständigkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Als daß Paket am 31. Mai dem Bundestagsplenum zur Abstimmung vorgelegt wurde , lagen die letzten Detailänderungen dem „Hohen Hause“ nicht einmal als Drucksache vor (vgl. Sten. Bericht 11/ 214 vom 31.5.90). SPD und Grüne stimmten gegen die Entwürfe. So bestand Hoffnung, daß sie im Bundesrat scheitern würden.

In ihrer Sitzung am 22. 6. 1990 (vgl. BT-Drs. 11/7504) verwies die Län-derkammer die Entwürfe an den Vermittlungsausschuß. Unerwartet stimmten die SPD-Vertreter am 12.9. einer Kompromiß-Fassung zu, die – so der CDU-Politiker Blens am 12.9. d.J. – im Kern die Gesetze so beließ, „wie sie der Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen beschlossen hat“ (FAZ, 13.9.90). Von Seiten der SPD waren es die Herren Bull, Schnoor, Penner und Emmerlich, die den faulen Kompromiß aushandelten. Teil des Kompromisses ist ein Entschließungsantrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, für die Sicherheitsüberprüfung im öffentlichen Dienst eine gesetzliche Regelung vorzubereiten und gegenüber den Allierten das Zweckbindungsgebot bei der Übermittlung personenbezogener Daten durchzusetzen – das „JA“ der SPD für ein Linsengericht verkauft. Oder war es die Ernennung eines SPD-Mannes zum neuen Chef des Bundesnachrichtendienstes, die die Sozialdemokraten umstimmte? Am 19.9. übernahm mit Stimmen der SPD der Bundestag den Kompromiß, am 21.9. stimmte abschließend der Bundesrat zu. Damit treten die Geheimdienst-Gesetze in einigen Wochen in Kraft.

Das Ergebnis:

Die Geheimdienste werden wie bisher operieren. Zwischen ihnen, der Polizei und Staatsanwaltschaften gibt es nun auf gesetzlicher Basis eine Verpflichtung zum Datenaustausch. Gleichzeitig wird die gesamte öffentliche Verwaltung („alle Stellen, die amtliche Register führen“) nun per Gesetzesbefehl verpflichtet, auf Nachfrage der Dienste diesen ihre personenbezogenen Informationen zur Ver-fügung zu stellen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel (Video, „Wanzen“ etc.) ist pauschal festgeschrieben.

Zwei Nachbemerkungen:

Das Gesetzespaket erhielt vor einer Zeit den betrügerisch-wirkungsvollen Namen „Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes“. Die Medien ließen sich diesen Etikettenschwindel zur Desinformation der Öffentlichkeit gefallen – von der TAZ bis Tagesspiegel. Wenn überhaupt berichtet wurde, dann unter dem Stichwort „Datenschutz“: „Bundestag verbesserte Rechte der Bürger beim Datenschutz“, titelte z.B. der Tagesspiegel am 1. 6. 1990, während die TAZ am 13.9. meldete „Kompromiß zum Datenschutzgesetz“. Nur die FAZ war zuverlässig und sprach weiterhin von „Sicherheitsgesetzen“ (z.B. FAZ vom 13.9.90). Wie soll aber öffentlicher Widerspruch sich organisieren, wenn selbst die TAZ dem Schwindel aufsitzt?

Und die SPD? Sie verhielten sich wie üblich, wenn es um ihrer „innere Sicherheit“ geht. Der liberalen Öffentlichkeit wird das „mit uns nicht“ im Bundestage vorgespielt. Im Bundesrat, wo es die habhafte Möglichkeit gab, dieses und entsprechende Vorhaben zum Scheitern zu bringen, wird dann brav der Finger gehoben. So war es bereits bei der Wiederaufrüstung 1954/55, als die SPD im Bundestag mit ihrem „NEIN“ die Gegner der Wiederaufrüstung befriedigte, im Bundesrat hingegen mit dem „JA“ der SPD-Länder die Wiederaufrüstung beschlossen wurde. So wurden nicht nur Gegner des Militärs sondern zugleich die in den Startlöchern sitzenden Nazi-Militärs befriedigt – die traditionelle Doppelstrategie der SPD.

2. Strafprozeßordnung

Ähnlich lange wie mit dem obigen Paket geht die Bonner Koalition mit den Veränderungen im Strafprozeßrecht schwanger. Bereits 1986 lagen sog. Arbeitsentwürfe vor, denen Entwürfe des Bundesministers für Justiz 1988 und 1989 folgten – die sog. Strafverfahrensänderungsgesetz-Entwürfe 1988 und 1989. Einerseits geht es um die Absicherung der polizeilichen Datenverarbeitung sowie um die Umwidmung von Strafverfahrens- in Polizeidaten, andererseits wird die Verrechtlichung verdeckter Ermittlungen (V-Leute, verdeckte Ermittler, längerfristige Observation, Einsatz technischer Mittel etc.) angestrebt. Die Entwürfe enthalten damit im wesentlichen dasselbe wie auf der polizeirechtlichen Ebene der „Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes“ der IMK von 1986 und die entsprechenden Länderpolizeigesetze bzw. Entwürfe (vgl. CILIP 24).

Um der schleppenden Verabschiedung nachzuhelfen, trat die IMK unter der Führung des baden-württembergischen Innenministers im März 1990 die Offensive an. An der Polizeiführungsakademie fand am 15.3. d.J. eine „internationale Expertentagung“ statt, bei der vor allem die Notwendigkeit des Einsatzes verdeckter – klarer: geheimer – Polizeimethoden gegen organisierte Kriminelle öffentlichkeitswirksam propagiert wurde.
Es folgten Gesetzentwürfe im Bundesrat von seiten Bayerns (Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels, BR-Drs. 74/ 90) und Baden-Württembergs (… zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, BR-Drs. 83/90). Neben Regelungen zur Abschöpfung illegaler Vermögensgewinne enthalten die beiden Entwürfe im wesentlichen den selben Regelungsinhalt wie ihre Vor-läufer, die Strafverfahrensänderungsgesetz-Entwürfe 1988 und 1989. D.h. im einzelnen:

– die rechtliche Absicherung im Datenverarbeitungsbereich (Rasterfahndung, Beobachtende Fahndung, Umwidmung von Strafverfahrens- in Polizeidaten etc.)
– die Verrechtlichung verdeckter Ermittlungsmethoden, einschließlich er-weiterter Befugnisse zum Abhören von Telefonen und anderen Kommu-nikationsmitteln.
Die beiden Länder-Entwürfe wurden auf Empfehlung der Ausschüsse (vgl. BR-Drs. 74/1/90 vom 2.5.90) am 11.5. d.J. vom Bundesrat mit Zustimmung der Mehrheit der SPD-Länder verabschiedet und damit in den Bundestag eingebracht. Verwunderlich ist diese Zustimmung nicht, haben doch auch SPD-Länder in ihren neuen Polizeigesetzen entsprechende Regelungen eingebaut. Aus Zeitmangel wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr zur weiteren Behandlung dieser Entwürfe kommen.

3. Schengen-Abkommen

Die Aushandlung des zweiten Schengen-Abkommens war im wesentlichen eine Sache der Exekutiven der fünf beteiligten Staaten. In der BRD war nicht einmal der Innenausschuß in größerem Maße beteiligt. Die Unterzeichnung des Abkommens war im Dezember letzten Jahres aufgrund der Ereignisse in der DDR verschoben worden. Am 19. Mai wurde – nachdem sich die Innenminister auf eine Einbeziehung der DDR in das Abkommen geeinigt hatten – die Unterzeichnung nachgeholt.
Da das Europäische Parlament mit einer Mehrheit aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen in zwei Resolutionen vom November ’89 und März ’90 dieses Abkommen als unannehmbar zurückwies, wäre zu erwarten gewesen, daß auch die hiesige SPD – dem Abstimmungsverhalten ihrer Parteifreunde im Europäischen Parlament folgend – das Abkommen ablehnen würde. Aber weit gefehlt: Bereits im Februar beschloß eine „Querschnittsarbeitsgruppe“ der Partei, dem Vertrag zuzustimmen.
Kritisch äußerten sich die SPD-Innenausschußmitglieder hingegen zum Zusatz-Artikel 34a, den die Bundesregierung dem Staatsvertrag mit der DDR einfügte und der sie ermächtigt, mit der DDR vor der Einigung bereits eine Fahndungsunion nach dem Vorbild des Schengen-Abkommens einzugehen. Mit dem am 21.9. von den Parlamenten in Bonn und Berlin (O) beschlossenen Beitritt der DDR zur Bundesrepublik haben sich dieser Vereinbarungen demnächst erledigt.
Zum Schengener Abkommen verweisen wir auf die u.a. von unserer Redaktion mit herausgegebene und vertriebene Broschüre „Die Bullen greifen nach den Sternen“.

4. Geheimdienstgesetze der Bundesländer

Bayern verabschiedete am 4.7.’90 sein Verfassungsschutzgesetz (Bayr. Ltg., Drs. 11/ 14928 vom 2.2.1990), in Hessen liegt ein ähnlicher Gesetzentwurf vor (Hess. Ltg, Drs. 12/6584 vom 8.5.90).
Aber auch das SPD-regierte Schleswig-Holstein bereitet ein neues VfS-Gesetz vor, das trotz einiger Unterschiede in dieselbe Richtung geht. Der Entwurf des Innenministers (Stand 14.3.1990) sieht die Übermittlung von Daten zwischen Polizei und Verfassungsschutz, den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel u.ä. vor, wenn es für die Bekämpfung von „Bestrebungen“ gegen die FdGO erforderlich scheint. Zwar sind für die Übermittlung größere Verfahrenshindernisse als etwa im neuen Bundes-Verfassungsschutzgesetz vorgesehen. Zu einer durchgreifenden Beschränkung kommt es jedoch nicht.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.