von Wil van der Schans
Jährlich werden von der niederländischen Regierung 500 Menschen offiziell ‚eingeladen‘ und erhalten ohne weiteres Verfahren den Flüchtlingsstatus. Parallel dazu wurde für all jene, die nicht zu dieser kleinen exklusiven Gruppe gehören, sondern auf eigene Faust in die Niederlande flüchten, eine Reihe äußerst restriktiver Maßnahmen eingeführt, die selbst die schlimmsten Befürchtungen noch übertreffen. „Schlicht – doch human“, so umschreibt Justizstaatssekretär Kosto die von ihm betriebene Asylpolitik in den Niederlanden. Die große Zahl von Zwischenfällen bei der Aufnahme von Asylsuchenden während des vergangenen Jahres hat jedoch ein großes Fragezeichen hinter die Humanität dieser Politik gesetzt. Dennoch ist die Botschaft der Regierung deutlich: Holland ist voll! Der Strom der Asylsuchenden muß eingedämmt werden!
Ebenso wie im übrigen Europa hat auch in den Niederlanden die Zahl der Asylsuchenden rapide zugenommen. Suchten hier 1982 noch 1.214 Menschen Asyl, waren es 1992 insgesamt 20.346. Da der überwiegende Teil der Anträge jedoch abgewiesen wurde, fällt das derzeitige Zahlenverhältnis zu den Einheimischen mit einem Asylbewerber auf 544 Niederländer immer noch eher niedrig aus. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist dies wenig: So betrug das Verhältnis im Jahre 1990 in Deutschland 1:520, in Belgien 1:388 und in Frankreich 1:289. Dänemark führte diese Liste seinerzeit mit 1:154 an.
Länderlisten
Anfang 1992 trat eine neue Regelung für die Aufnahme von Asylsuchenden in Kraft. Ziel war die schnellere Bearbeitung von Anträgen und eine zügigere Form der Abschiebung von abgelehnten AsylbewerberInnen. Bereits bei Einreichen des Asylantrages wird nun entschieden, ob die BewerberInnen auf eine Anerkennung ihrer Anträge hoffen können oder ob sie von vornherein chancenlos sind. Die Mehrzahl der Asylanträge wird schnell als aussichtslos beurteilt. Das individuelle Schicksal des Flüchtlings spielt dabei eine immer geringere Rolle, denn die Vorsortierung erfolgt anhand von Länderlisten, die das Justizministerium führt. Zusammengestellt werden sie von den niederländischen Auslandsvertretungen. Diese entscheiden darüber, ob ein Gebiet oder ein Land als sicher genug gilt, um jemanden dorthin zurückschicken zu können. Offiziell gilt dabei die Menschenrechtssituation in diesen Ländern als Maßstab. Tatsächlich jedoch spielt das politische Verhältnis zwischen den Niederlanden und dem jeweiligen Land bei der Beurteilung die größere Rolle. So kommt etwa ein Kurde aus der Türkei, ungeachtet der dort herrschenden erbärmlichen Menschenrechtssituation, für einen erfolgreichen Asylantrag kaum in Frage. Die gesamte Politik ist vor allem darauf gerichtet, den ‚Asylstrom‘ einzudämmen und in Bahnen zu lenken, die zu einer schnellen Ausweisung führen können. Als erster Schritt dazu ist 1991 auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol – der wie andere europäische Großflughäfen auch zu einem Bestandteil der Außengrenzen erklärt wurde – die Grenzkontrolle verschärft worden.
Die ‚Koninklijke Marechaussee‘
Eine erste ‚Auswahl‘ unter den potentiellen Flüchtlingen auf Schiphol trifft zunächst die ‚Koninklijke Marechaussee (Kmar)‘, der traditionell die Grenzkontrolle obliegt. „Passagiere, die aus einem Land kommen, bei dem Visumspflicht für die Niederlande besteht, durchleuchten wir genauer als bspw. eine Kroketflucht[1] aus Mallorca.“ Gemeint sind damit vor allem Flüchtlinge aus westafrikanischen Staaten wie Nigeria und Ghana. Solche Flugpassagiere werden noch an der Gangway auf gültige Papiere kontrolliert.[2] Inhaber falscher oder gar keiner Papiere werden direkt wieder abgeschoben. Auch Flüchtlinge die dabei ausdrücklich um Asyl bitten, werden regelmäßig wieder ins Flugzeug gesetzt. Auf diese Art wurden 1992 ca. 6.000 Menschen kontrolliert. Ziel dieser Kontrollen ist es, genau festzustellen, welche Fluggesellschaft die betreffenden Personen befördert hat, da diese dann gesetzlich verpflichtet ist, solche Ausländer auf eigene Kosten wieder zurück in das Herkunftsland zu befördern.
Wegen ihres brutalen Auftretens bei solchen Kontrollen ist die Kmar im vergangenen Jahr regelmäßig ins Gerede gekommen. Zahlreiche Beispiele für Behinderungen und Schikanen von Asylbewerbern, die trotz eines deutlichen Asylwunsches lediglich auf unwilliges Verhalten der Marechaussee stießen, finden sich in den Berichten des ‚Niederländischen Flüchtlingswerks‘. In der Folge werden Asylsuchende dann wie ein Spielball in verschiedene Länder zurückgeschickt – wo sie dann allerdings ebensowenig willkommen sind. Ein Beispiel: Ein palästinensischer Asylbewerber erhielt zunächst die Auskunft, daß Palästinenser in den Niederlanden kein Asyl erhalten würden. Ein Gespräch mit einem Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerkes wurde ihm verweigert. Am nächsten Tag wurde er nach Indien abgeschoben, wo ihn die Einreisebehörde vier Tage lang festhielt, bevor sie ihn in die Niederlande zurückschickte. Nun wollte ihn die Marechaussee nach Ägypten abschieben, was aufgrund fehlender Reisedokumente jedoch nicht möglich war, so daß er schließlich doch in Holland bleiben konnte. Der Phantasie sind damit jedoch noch lange keine Grenzen gesetzt. So wurde im März 1993 bekannt, daß die Kmar in mehreren westafrikanischen Ländern die Passagiere bereits vor dem Einchecken kontrolliert. In der Praxis heißt dies, daß die Grenze damit bis unmittelbar in ein potentielles Flüchtlingsland vorverlegt wird. Dies geschieht auf Wunsch der Fluggesellschaften, darunter auch die staatliche KLM, die auf diese Weise eventuelle Rückführungskosten – die ab 1994 auch für Asylsuchende mit unvollständigen oder ungültigen Papieren erhoben werden sollen – vermeiden wollen. Der Zugang zum Asylverfahren wird dadurch immer unmöglicher.
Neben der Grenzkontrolle erfüllt die Kmar zudem eine wichtige Rolle bei der Beaufsichtigung und Abschiebung von abgewiesenen Asylbewerbern und illegal eingewanderten Ausländern. Auch hier kam sie im letzten Jahr regelmäßig ins Gerede. Personen, die sich gegen ihre Abschiebung wehrten, wurden nicht nur gefesselt – man verklebte ihnen zudem noch den Mund mit Klebeband. Dies führte in einem Fall dazu, daß bei einem Rumämen zweimal ein Herzstillstand auftrat, woraufhin der Mann ins Koma fiel. Durch den dabei aufgetretenen Sauerstoffmangel ist der Mann heute gelähmt und wird den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen müssen. Da dieser Vorfall jedoch kein Einzelfall ist, sah sich das Justizministerium gezwungen, eine Kommission einzusetzen, welche die aufgetretenen Probleme genau erfassen und untersuchen sowie genaue Regeln für die Gewaltanwendung bei Abschiebungen aufstellen sollte. In ihrem Endbericht zeigte sich die ‚Kommission Van den Haak‘ allerdings nicht sehr kritisch gegenüber der Marechaussee: Diese wurde wegen ihrer Einsatzfreude und Pflichttreue gar gepriesen. Schlußfolgerung war denn auch, daß effizientere Methoden nötig seien, um renitente Abzuschiebende ruhigzustellen. Die Praxis, Menschen mit Klebeband zu knebeln, ist in der Folge verboten worden. Um den Widerstand von abzuschiebenden Asylbewerbern zu brechen, stehen der Kmar neben dem Einsatz des Schlagstocks sowie Hand- und Fußfesseln nunmehr auch der Gebrauch von Zwangsjacken und das Festschnallen auf Tragbahren zur Verfügung. Flüchtlinge, deren Widerstand auch damit nicht zu brechen ist, dürfen schließlich mittels einer Injektion betäubt werden.
Daß die Behandlung des genannten Rumänen nicht ein Einzelfall, sondern für die Arbeitsweise der Kmar bezeichnend ist, war spätestens durch den Tod der zairischen Asylbewerberin Jojo Muluta sichtbar geworden. Bei der Ankunft auf dem Flughafen Schiphol am 9.4.92 wurde die Familie Muluta nach dem Gatecheck durch die Marechaussee in einem Aufenthaltsraum festgesetzt. Dort erkrankte die hochschwangere Frau Muluta, ohne jedoch ärztliche Hilfe zu erhalten. Auch nachdem sie einige Tage später in ein Grenzgefängnis verlegt worden war und sich ihr Zustand zusehends verschlechterte, erhielt sie keine Hilfe. Nach acht Tagen durfte die Familie das Grenzgefängnis wieder verlassen und fand Aufnahme im ‚Onderzoeks Centrum Nijeveen‘, einem Sammellager für AsylbewerberInnen. Nach einem Eingangsgespräch wurde sie von dort an einen Arzt des Dorfes überwiesen, den sie schnellstmöglich aufsuchte. Dieser Arzt war über ihren körperlichen Zustand so entsetzt, daß er sie sogleich ins Krankenhaus überwies, wo sie dann wenige Stunden nach ihrer Ankunft starb. Das Gesundheitsamt untersuchte anschließend die näheren Umstände und kam zu dem Schluß, daß ihre Krankheit (eine schwere Blutarmut) und deren Symptome bereits sehr viel früher hätten erkannt werden müssen. Die ‚Rijksrecherche‘, eine besondere polizeiliche Untersuchungsabteilung erhielt daraufhin den Auftrag, die Situation auf Schiphol zu untersuchen. Durch Widerstände und Behinderungen seitens der Kmar konnte sie eine eindeutige Schuld jedoch nicht nachweisen. Die Führung der ‚Koninglijke Marechaussee‘ sah sich dadurch von den Vorwürfen entlastet; ein Urteil, das Staatsekretär Kosto sofort kritiklos übernahm. Gegen mehrere Ärzte allerdings läuft immer noch ein Verfahren vor dem ärztlichen Ehrengericht.
Stationen des Asylverfahrens
Seit Jahresbeginn 1992 hat sich beim Asylverfahren selbst vieles verändert. Alle Asylsuchenden werden zunächst an ein ‚Onderzoek Centrum (OC)‘, vergleichbar einer zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in der BRD, überwiesen. Dort wird binnen eines Monats über den möglichen Erfolg eines Asylbegehrens entschieden. Die Aussichtsreichen werden dann auf reguläre ‚Asielzoekers Centra (AZC)‘ (Asylbewerberheime) verteilt; BewerberInnen ohne jede Chancen verbleiben bis zu ihrer Abschiebung im OC. Die Ordnungsvorschriften dort sind dabei darauf gerichtet, die Menschen soweit wie möglich in ihrer Freiheit einzuschränken: Sie dürfen das OC nicht verlassen. Tun sie dies doch und werden z.B. von der – in der Nähe von OCs stets in größerem Umfange stationierten – Polizei kontrolliert, so können sie hierfür mit einer Gefängnisstrafe bis zu 6 Monaten bestraft werden. Desweiteren müssen sich AsylbewerberInnen, deren Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat, aufgrund eines neu eingeführten Artikels im Ausländerrecht (Art. 18a) zweimal am Tag bei der Ausländerbehörde melden. Noch in diesem Jahr will das Justizministerium eine elektronische Chipkarte einführen, die neben näheren Angaben zur Person zudem einen digitalisierten Daumenabdruck enthalten soll und die dann bei der Meldung vorgelegt werden muß.
Derzeitiges ‚Glanzstück‘ der niederländischen Asylpolitik ist seit April 1992 das in Amsterdam gelegene ‚Grenshospitium‘. In diesem Zentrum, das eher einem Gefängnis denn einem Hospiz gleicht, werden AsylbewerberInnen, die als wenig aussichtsreich eingestuft wurden, aufgrund von Art. 7a des Ausländerrechts festgesetzt. Ihre Abschiebung soll binnen sechs Wochen erfolgen. Die Einrichtung des „Bullebak“ (zu deutsch etwa Buhmann), wie das Zentrum von den Flüchtlingsgruppen genannt wird, zeigt den inhumanen Charakter der niederländischen Asylpolitik am deutlichsten. Von allen Asylsuchenden, die im vergangenen Jahr im „Bullebak“ festgesetzt wurden, wurden ca. 35% schließlich doch an ein OC weitergeleitet; auch die tatsächlichen Abschiebungen sind gemessen an der Gesamtzahl minimal. Die psychologische Abschreckung scheint somit wichtiger zu sein als die sorgfältige Abwägung eines Asylbegehrens. Das geschlossene und straffe System des „Bullebak“ hat unterdessen so viele Zwischenfälle produziert, daß mehrere Parteien auf Distanz zu diesem ‚Hospiz‘ gegangen sind. Die Proteste dort Untergebrachten reichen von Unterschriftenaktionen über Hungerstreiks bis hin zu Brandstiftungen. Mehrmals mußten auch spezielle Polizeieinheiten eingesetzt werden. Gleichwohl setzte Staatssekretär Kosto seine „Bullebak“-Politik fort. Erst seit Juni 1993 erkennt er zunehmend an, daß ein Großteil der dort untergebrachten Menschen eigentlich in das normale Asylverfahren gehört. In Zukunft sollen deshalb vor allem Personen ohne oder mit falschen Papieren im „Bullebak“ festgesetzt werden. Über weitere Veränderungen ist vorläufig nichts zu hören, die nächsten Zwischenfälle sind damit vorprogrammiert.