Mit der Schaffung des EG-Binnenmarktes haben die Exekutiven die bis dahin nationalen Abschottungspolitiken auf europäisches Niveau gehoben. Die Außengrenzen der EG sollen danach insbesondere gegen „unkontrollierte Zuwanderung“ abgeschirmt werden. Im folgenden wird die Vorgeschichte dieser europäischen „Harmonisierung“ und die Folgen dieser Vertragspoltik – auch für die Nachbarländer – näher untersucht.
Seit Anfang der 80er Jahre kamen sich die Länder des nördlichen Westeuropas mit ihrer Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge und ImmigrantInnen immer wieder in die Quere. Man verfolgte zwar das gleiche Ziel, die Begrenzung oder Verhinderung von Zuwanderung vor allem aus der Dritten Welt, betrieb dies aber nach dem St. Florians-Prinzip: Hauptsache, die eigenen Grenzen blieben dicht und die eigenen Asylverfahren wurden nicht überlastet. Die Wirkungen auf den Nachbarstaat, in den die jeweiligen Fluchtbewegungen umgeleitet wurden, und noch mehr: das Schicksal der unmittelbar Betroffenen, interessierten nicht. Europa begann sich zum Verschiebebahnhof für Menschen auf der Flucht zu entwickeln. Das Problem der „refugees in orbit“, der umherirrenden Flüchtlinge, die mit ihrem Antrag auf Anerkennung in keinem Land eine wirkliche Chance hatten, begann sich nach und nach zu vergrößern.
Das Beispiel Schönefeld 1984-86
Mit der sukzessiven Verhängung der Visumspflicht für die Herkunftsländer von Flüchtlingen im nördlichen Westeuropa war der direkte und legale Weg in diese Länder weitgehend verschlossen worden. Die Konsulate stellten keine Einreisevisa für Flüchtlinge aus, der Landweg war für Menschen aus der Dritten Welt ausgeschlossen und die Fluggesellschaften wurden darauf festgelegt, keine Personen zu befördern, die nicht über die notwendigen Einreisepapiere verfügten.
Der Flughafen Schönefeld bildete in dieser Kette ein Loch, dessen Geschichte sehr deutlich das Funktionieren der konkurrierenden einzelstaatlichen Abschottungspolitiken illustriert.
Bis 1985 stellte die damalige DDR, auf deren Territorium Schönefeld lag, problemlos Transitvisa zur Weiterreise in die BRD und Westberlin oder nach Skandinavien aus. Seit dem 1. Halbjahr 1984 nutzten vor allem Tamilen aus Sri Lanka diesen Weg nach Westberlin und ins Bundesgebiet. 1984 konnten so zwischen 100 und 200 tamilische Flüchtlinge monatlich in Helmstedt ihren Asylantrag stellen.[1] Durch ein Abkommen zwischen dem Westberliner Senat und der DDR-Fluggesellschaft „Interflug“ im Juli 1985 wurde diesem Weg zum Asylverfahren ein gesamtdeutscher Riegel vorgeschoben: die DDR stellte Tamilen nur noch dann ein Transitvisum für die Weiterreise in die BRD oder Westberlin aus, wenn sie ein Einreisevisum der BRD vorweisen konnten.[2]
Das Transitloch Schönefeld ließ tamilischen Flüchtlingen von da an nur noch den Weg über die Ostseefähren nach Dänemark und Schweden. Nach einigem Hin und Her kamen diese Länder im Dezember 1985 zu ähnlichen Regelungen mit der DDR, die sich aber nicht nur auf Tamilen, sondern generell auf Menschen aus Südasien sowie dem vorderen und mittleren Orient bezogen. Diese Einreisesperre wirkte so vollständig, daß in den folgenden Wochen kein einziger Asylbewerber mehr den Weg über die DDR nach Schweden und Dänemark fand.[3]
Im Februar 1986 zog die BRD nach und dehnte die zunächst nur für Tamilen getroffene Abmachung mit der DDR auf alle BürgerInnen visumspflichtiger Staaten aus.[4] Ausgeschlossen von dieser Vereinbarung blieb nur Westberlin mit seinem Sonderstatus, um dessen Bedeutung sich im Sommer 1986 ein diplomatisches Tauziehen entwickelte. Im Oktober desselben Jahres gelang es dann, die Halbstadt in das Abkommen einzubeziehen. Das Transitloch Schönefeld war damit endgültig gestopft.[5]
Stunde der europäischen Exekutiven
Daß eine solche Form der Konkurrenz ein Ende haben müsse und eine europäische Lösung des Asylproblems notwendig sei, war auch unter den Kritikern der Abschottungspolitik weitgehend unumstritten. Das Europäische Parlament legte im Jahre 1987 einen Bericht vor und verabschiedete eine Entschließung, die wesentliche Elemente einer humanen Flüchtlingspolitik aufzeigte: Der Bericht des Abg. Vetter hob das Problem der umherirrenden Flüchtlinge und der nur geduldeten De-facto-Flüchtlinge hervor und forderte, den Flüchtlingsbegriff auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu erweitern, EG-weit ein Grundrecht auf Asyl zu verankern, die Visumspflicht nicht zu einem Mittel der Abwehr von Flüchtlingen werden zu lassen, einen europäischen „Lastenausgleich“ zu schaffen etc.[6]
Auch wenn die nationalen Exekutiven, die sich die Zuständigkeit für diese „Harmonisierung“ nicht nehmen ließen, sich immer wieder zu ihren Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingspolitik bekannten und das Problem der „refugees in orbit“ in den Präambeln auftauchen ließen, änderte die Harmonisierung an der Zielrichtung und den Instrumenten der Abschottung nichts. Die im Binnenmarkt geplante Abschaffung der Kontrollen an den EG-Binnengrenzen wurde vielmehr zum Vorwand für die Bekämpfung der „unkontrollierten Zuwanderung“ resp. der illegalen Einwanderung. Den Vorreiter machte dabei die Schengen-Gruppe, die die gemeinsame Visums- und Asylpolitik als „Ausgleichsmaßnahme“ für die mit dem Abkommen bezweckte Aufhebung der Binnengrenzen deklarierte. Die entsprechenden Teile des im Mai 1990 unterzeichneten Schengener Durchführungsabkommens lagen im großen und ganzen bereits 1988 vor.[7]
Die unter den „Zwölfen“ ausgehandelten Abkommen reproduzieren in wesentlichen Teilen die Schengener Regelungen, klammern aber – vor allem aufgrund der britischen Weigerung – die Frage der Binnengrenzen systematisch aus. Statt eines umfassenden Vertrages wie in Schengen, erarbeitet man mehrere einzelne. Bisher liegen vor:
- das Dubliner „Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrages“, das elf Staaten am 15.6.1990 und Dänemark am 13.6.1991 unterzeichneten, und
- das „Übereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über das Überschreiten der Außengrenzen“, das bereits zur Luxemburger Tagung der Innenminister im Juni 1991 vorlag, aber bisher wegen der Streitigkeiten Großbritanniens und Spaniens um Gibraltar nicht unterschrieben wurde.
Wie im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit finden die Verhandlungen auch hier nicht nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sondern auch unter Ausschluß der formellen EG-Gremien als Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regierungen statt. Während die Innen- bzw. Justizminister in Polizeifragen als TREVI-Minister[8] tagen, treffen sie sich in asyl- und ausländerpolitischen Angelegenheiten meist in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang als „für Einwanderungsfragen zuständige Minister der EG-Mitgliedstaaten“. War es in Polizeifragen die TREVI AG 92, der die Vorbereitungen auf den Binnenmarkt übertragen wurden, so ist es hier die von den Ministern 1986 ins Leben gerufene „Ad-hoc-Gruppe Einwanderung“, die diesen provisorisch anmutenden Titel auch jetzt noch führt, obwohl sie mittlerweile einen Rattenschwanz an Unterarbeitsgruppen nach sich zieht (Asyl, Visa, Außengrenzen, gefälschte Dokumente, Aufnahme/ Entfernung, Informationsaustausch). Ausländerpolitik und Polizeipolitik wurden nicht umsonst weitgehend parallelisiert. Überschneidungspunkte gibt es vor allem im Bereich der Überwachung der Außengrenzen und des Informationsaustauschs.
Erst durch den Maastrichter Vertrag erhält die informelle Zusammenarbeit der EG-Exekutiven europäische Weihen und wird als „intergouvernementale Zusammenarbeit“ institutionalisiert.[9] Die EG-Kommission, die bisher schon an den Sitzungen der Ad-hoc-Gruppe teilnehmen durfte, erhält damit im asyl- und ausländerpolitischen Bereich (nicht aber im Bereich der Polizeikooperation) Vorschlagsrechte. Das Europa-Parlament kann nun zwar mit einer etwas ausführlicheren Information rechnen, Mitbestimmungsrechte wird es auch in Zukunft nicht haben.
Visumspolitik/Einreisevoraussetzungen
Die entsprechenden Artikel des Schengener Abkommens und das Außengrenzenabkommen sehen zunächst die Vergabe eines gemeinsamen Visums bzw. bis zu diesem Zeitpunkt die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen nationalen Visa vor. Damit verbunden ist nicht nur die Einigung auf diejenigen Staaten, für deren BürgerInnen in allen Staaten die Visumspflicht gelten soll. 1989 waren dies im Gesamt-EG-Rahmen 59, mittlerweile sind es 73 Staaten. Die „Negativliste“ der Schengen-Staaten belief sich 1992 auf 120 Staaten.[10] Eine weitere Vereinheitlichung unter den Schengen- und EG-Staaten und damit die weitere Ausdehnung der Visumspflicht ist in Aussicht gestellt.
Zu ihrer Durchsetzung bei der Einreise auf dem Luftweg fordern beide Abkommen die Einführung von Sanktionen gegen Transportunternehmen, die Personen ohne Visa in die EG bzw. den Schengener Raum befördern. Solche Regelungen gibt es bereits in Großbritannien, Dänemark, Belgien und der BRD.[11]
Sowohl bei der Vergabe des Visums durch die Konsulate als auch bei der Kontrolle an den Grenzen sollen die beteiligten Staaten auch im Interesse ihrer Partner handeln, denen im Außengrenzenabkommen gar ein Einspruchsrecht gegen die Visumsvergabe eingeräumt wird.
Neben den nationalen Listen zur Einreiseverweigerung soll es zusätzlich eine gemeinsame per Computer geführte Liste geben. Diese Funktion wird das „Schengener Informationssystem (SIS)“ erfüllen, das wie bereits die Fahndungssysteme der nationalen Polizeien ebenfalls die Ausschreibungen zur Zurückweisung von AusländerInnen enthalten soll. Die bundesdeutsche „Sichtvermerkssperrliste“ enthielt 1991 etwa 23.000 Personen.[12] Im Rahmen der Gesamt-EG soll diese Liste im „Europäischen Informationssystem (EIS)“ enthalten sein, das eine Erweiterung des SIS bilden wird. Da das Außengrenzenabkommen nicht einmal rhetorische Datenschutzklauseln enthält, bedarf es hier noch eines Datenschutzabkommens, das bereits in Arbeit ist.
Asylpolitik
Die grundlegende asylpolitische Regelung im Rahmen der EG ist das Prinzip der einzigen Chance, das bereits in der an Kompetenzschwierigkeiten gescheiterten Richtlinie der EG-Kommission enthalten war[13] und den Kern des Dubliner Abkommens der diesbezüglichen Teile des Schengener Abkommens darstellt. Parallel- oder Folgeanträge desselben Asylbewerbers in einem zweiten EG-Staat, oder in den Worten des EG-Kommissionsjuristen Gilsdorf: der „Wanderzirkus“,[14] – soll damit unterbunden werden. Von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, soll jeweils der EG- bzw. Schengen-Staat für einen Asylantrag zuständig sein, über dessen Grenze die betreffende Person in die EG eingereist ist.
Zwischen den Vertragsstaaten funktioniert diese Regelung wie ein Schubabkommen. Ist eine Person als Zweitantragsteller identifiziert oder wird ihr nachgewiesen, daß sie über einen anderen Staat in die EG kam, so kann sie formlos in diesen abgeschoben werden. Voraussetzung für die Umsetzung dieser Regelung ist ein Informationsaustausch zwischen den nationalen Asylverwaltungen. Zu diesem Zweck sollen die „Fingerabdruck-Identifizierungssysteme (AFIS)“ der EG-Staaten in einem gemeinsamen System „EURODAC“ vernetzt werden (siehe S. 36 ff.).
Zuständigkeit für die „Prüfung“ eines Asylantrages bedeutet aber nicht notwendigerweise, daß der zuständige Staat sich tatsächlich mit dem Antrag auseinandersetzen muß, er muß nur nach seinen Gesetzen und Verfahrensvorschriften vorgehen. Dies kann auch bedeuten, daß er den Antrag samt AsylbewerberIn bereits an der Grenze zurückweist, weil er ihn als „offensichtlich unbegründet“ bewertet. Diese Klausel und dazugehörige Listen sicherer Herkunfts- und Erstaufnahmeländer bildeten bereits ein zentrales rechtliches Instrument der nationalen Abschottungspolitiken. Damit verbunden sind regelmäßig Schnellverfahren an der Grenze oder gar die Möglichkeit der sofortigen Zurückweisung. Diese Nichtbefassung mit Asylgesuchen bildet den Kern der faktischen Abschaffung des Asylrechts in der BRD seit Juli dieses Jahres. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten AsylbewerberInnen nur dann zurückgewiesen werden, wenn ihnen ein Aufenthalt von länger als drei Monaten in einem EG-Land, in Schweden, Norwegen, der Schweiz oder Österreich nachgewiesen werden konnte.
Während die Bundesregierung zu Hause die Abschaffung des Asylrechts betrieb, wirkte sie in den Verhandlungen der Ad-hoc-Gruppe bereits seit 1991 auf eine gemeinsame Liste von „sicheren Drittstaaten“ hin.
Eine solche Liste kam indes auf den Londoner und Kopenhagener Ministertreffen vom 30.11.92 und 1.6.93 (noch) nicht zustande. Allerdings einigte man sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei „offensichtlich unbegründeten“ Anträgen, die durch ein Schnellverfahren spätestens nach einem Monat abgeschlossen sein sollen. Danach sind „offensichtlich unbegründet“:
- „Anträge ohne inhaltlichen Bezug zu den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention“, also u.a. Anträge von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, die auch bisher schon als nicht „politisch verfolgt“ galten,
- „Mißbrauchsfälle“, bei denen der Flüchtling die „Mitwirkung am Verfahren“ durch Vernichtung von Dokumenten oder Vorlage von gefälschten, durch die Verweigerung von Fingerabdrücken etc. verweigerte,
- Anträge von Flüchtlingen, die eine „Gefahr für die Sicherheit des Staates gemäß den Bestimmungen des nationalen Rechts“ darstellen,
- Anträge von AsylbewerberInnen aus „sicheren“ Staaten.[15]
Die Möglichkeit des Schnellverfahrens an der Grenze und der Zurückweisung war im Dubliner Abkommen nur implizit enthalten. Durch die Londoner Beschlüsse wird sie zur wahrscheinlicheren Form der „Prüfung“ von Asylanträgen. Das Problem der umherirrenden Flüchtlinge wird damit nicht gelöst, sondern vor die Außengrenzen der EG verbannt.
EFTA-Staaten: Beteiligung im eigenen Interesse
Der Beitritt der EFTA-Staaten zu den Abkommen von Schengen und Dublin scheiterte bisher daran, daß diese Abkommen nur EG-Staaten offenstanden. Das Interesse dieser Staaten wird aus zwei Quellen gespeist:
- Zum einen sind sie an einer Einbindung in den freien Verkehr im EG-Binnenmarkt und an weiterhin relativ offenen Grenzen zu ihren Nachbarstaaten in der EG interessiert. Von einer stärkeren Kontrolle der EG-Außengrenzen befürchten sie eine Isolierung.
- Zum anderen fürchten diese Staaten – wie es der Schweizer Justizminister Koller anläßlich der deutschen Asylrechtsänderung ausdrückte – einen „Zielländerwettbewerb“.[16] Sie wollen nicht zum Auffangbecken von Asylsuchenden werden, die von der EG zurückgewiesen werden.
Insbesondere Österreich, durch das ein großer Teil der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien kommt, die in die BRD wollen, hat hier reale Befürchtungen: Zwischen Österreich und der BRD besteht ein Rückübernahmeabkommen von 1961, nach dem eine Zurückweisung von illegal eingereisten Personen nur im Zeitraum von vier Tagen nach der Einreise möglich ist.[17] Einer Neufassung des Abkommens, auf das die BRD bereits 1992 drang, wollte der Alpenstaat nur zustimmen, wenn vorher eine Einbindung in das Dubliner Abkommen erfolge.[18]
Eine Lösung scheint hier mittlerweile gefunden zu sein. Die „Ad-hoc-Gruppe Einwanderung“ hat auf ihrer Sitzung in Kopenhagen ein Parallelabkommen präsentiert, das den EFTA-Staaten zum Beitritt angeboten werden soll.[19] Auch das Schengener Abkommen soll – sofern die interessierten Staaten gleichzeitig die EG-Mitgliedschaft anstreben – dem Beitritt offenstehen. Die Schweiz, Österreich und Schweden haben ihr Interesse bereits bekundet.[20]
Der östliche Rand
Verhandlungen und Verträge gab es aber nicht nur mit den Staaten, die zu der Abschiebegemeinschaft kooptiert werden wollen, sondern auch mit jenen, die eindeutig jenseits der östlichen EG-Außengrenze liegen und gegen welche diese Grenze durch verschärfte Kontrollen gesichert werden soll. Grenzziehungen werden aber nicht nur durch verstärkte polizeiliche Kontrollen und durch technisches Überwachungsgerät vorgenommen. Die Verhandlungspolitik der Schengener und der EG-Staaten, und insbesondere der BRD, beinhaltet eine Vorverlagerung der Grenzkontrollen und Abschiebungslasten in Richtung Osten.
Noch zu ihren Lebzeiten wurde die DDR in das Schengener Abkommen mit einbezogen. Die Öffnung der innerdeutschen Grenze und die damit verbundenen Befürchtungen der Schengener Partner hinsichtlich einer ungebremsten Zuwanderung von jenseits der Oder verzögerten die Unterzeichnung des Abkommens, das bereits im Dezember 1989 unterschriftsreif vorlag, um ein halbes Jahr. Bis zum Frühjahr 1991 kristallisierte sich schließlich eine gemeinsame Visumspolitik der Schengen-Staaten gegenüber Osteuropa heraus. Gegenüber der CSFR und Ungarn, die entscheidend zum Exodus aus der DDR beigetragen hatten, beseitigte man schon 1990 die Visumspflicht. Für Polen geschah dies erst nach Abschluß eines „Übereinkommens betreffend die Rücknahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt“ am 21.3.91. War die politische Agenda im Umgang mit Osteuropa 1990 noch von der Öffnung der Grenzen bestimmt, so bildet dieses Abkommen die Wasserscheide.
Die „Berliner Konferenz“ der Innenminister der EG, der Schweiz, Österreichs und der ost- und südosteuropäischen Länder am 30./31.10.1991 stand ganz unter dem Ziel, „unkontrollierte Wanderungsbewegungen“ zu verhindern. Bi- und multilaterale Rückführungsabkommen wurden angeregt. Die illegale Einwanderung und die „Schleuserkriminalität“ wurden im Protokoll der Konferenz und in entsprechenden Verträgen der BRD mit Polen, Ungarn, der CSFR und Bulgarien in den Kontext der „organisierten Kriminalität“ gerückt.
Besondere Bedeutung erhielt das am 1.11.92 in Kraft getretene Rücknahmeabkommen mit Rumänien. Wurden bis dahin RumänInnen (insbesondere Roma aus diesem Land) nach einem illegalen Übertritt der polnischen oder tschechischen Grenze zur BRD wieder in diese Länder zurückgewiesen, so werden sie nach dem Vertrag nun direkt nach Bukarest geflogen. Bereits Ende Februar 1993 waren 3.000 Personen zurückgeflogen worden. Im Juni waren es bereits über 15.000. Die vom Bundesgrenzschutz gecharterten Flugzeuge starten fast täglich vom Flughafen Schönefeld.[21] Vor dem Hintergrund des neuen Asylrechts ist ein weiterer Anstieg der Abschiebungen zu erwarten. Konnten diejenigen, denen es gelang einen Asylantrag in der BRD zu stellen, bisher nur nach Abschluß des Verfahrens abgeschoben werden, so kann dies nun sofort erfolgen.
Gleichzeitig werden die angrenzenden Staaten vor die Alternative gestellt, entweder selbst striktere Grenzkontrollen gegen ihre (süd)östlichen Nachbarn einzuführen oder den „Rückstau“ bundesdeutscher Abschiebungen in Kauf zu nehmen. Im Gefolge der Fortsetzung der „Berliner Konferenz“ in Budapest am 15./16.2.93 bemühten sich die Transitstaaten Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei, Slowenien und Österreich um ein multilaterales Abkommen, das sie nicht vollständig dem Druck der deutschen Abschiebungen aussetzen sollte. Die Gespräche hierzu scheiterten im März.[22] Damit war der Weg für bilaterale Abkommen frei. Mit Polen hat die BRD im Vorfeld der Asylrechtsänderung einen erweiterten Rückübernahmevertrag ausgehandelt, bei dem die BRD sich zu Zahlungen von 120 Mio. DM für die Unterbringung von Flüchtlingen und die Verstärkung der Kontrollen an den polnischen Ostgrenzen verpflichtet.[23] Eine ähnliche Regelung mit der Tschechischen Republik wird angestrebt.[24]
Die Sicherung der EG-Außengrenze und die bundesdeutsche Asylpolitik führen zugleich zu einer Verhärtung der Grenzen in Ost- und Südosteuropa. Polen diskutiert schon seit längerem die Einführung der Visumspflicht für die Staaten der ehemaligen UdSSR, Rumänien und Bulgarien. Mit der Ukraine wurde im Mai ein Abkommen geschlossen, das u.a. die Rückschiebung von Personen ermöglicht, die sich illegal in Polen aufhalten.[25] Die Tschechische Republik betreibt die Befestigung der Grenze zur Slowakei[26] und hat mit Polen bereits ein Rücknahemabkommen geschlossen.[27] Ungarn setzt seit geraumer Zeit das Militär zur Kontrolle seiner Grenzen zu Serbien und Rumänien ein.[28]
Die „Rückkehr nach Europa“, die sich die osteuropäische Opposition erhoffte, wird also nicht jedem gestattet: Polen, Ungarn und die nunmehr zerbrochene CSFR haben sich an den Katzentisch des Kontinents gerettet. Bulgarien, Rumänien und das, was von der Sowjetunion und Jugoslawien blieb, wurden vor die Tür gestellt.
Verträge als Auftrag an die Polizei
Die EG-Asylpolitik, die von der Bundesregierung maßgeblich betrieben wurde und in die sich das neue deutsche Asylrecht einordnet, steht nicht nur auf dem Papier, sondern ist eng verbunden mit der polizeilichen Zusammenarbeit. Das informationstechnische Instrumentarium ist ein polizeiliches und auch die Visumspolitik beinhaltet einen permanenten Auftrag an die Grenzpolizeien. Die Aufhebung der Binnengrenzen, die selbst im Schengener Rahmen nach dem Machtwechsel in Frankreich und der dortigen Verschärfung der Einwanderungspolitik erst im Dezember beginnen soll,[29] führt keineswegs zu mehr Freiheiten. Denn auch im Innern der EG-Staaten wird man in Zukunft mit mehr Kontrollen rechnen müssen. Wie sonst sollen die Abschiebungen von Illegalen und abgelehnten Asylsuchenden durchgesetzt werden, wenn nicht durch Kontrollen – deren wichtigstes Kriterium die Hautfarbe sein wird.