Chronologie

zusammengestellt von Britta Grell

Juli 1993

01.07.: Auf der Nord- und Ostsee tritt die neugeschaffene deutsche Kü-stenwache ihren Dienst an. Sie entstand durch die Zusammenfassung von Teilen des Bundesgrenzschutzes, des Zolls und der Fischereiaufsicht.
02.07.: Von einem Zivilbeamten wird in Hannover unter bislang ungeklärten Umständen der kurdische Asylbewerber Halim Dener erschossen. Dener war mit anderen Kurden beim Kleben von ERNK-Plakaten von einem SEK gestellt worden.
05.07.: Die SPD-geführten Bundesländer kündigen an, das im Bundestag bereits verabschiedete BGS-Neuregelungsgesetz im Bundesrat zu blockieren. Am 01.09. einigt man sich im Vermittlungsausschuß. Mit geringfügigen Änderungen kann das Gesetz damit zum 01.11. in Kraft treten.
06.07: Ein Jahr nach der Änderung des Grundgesetzes ist die Zahl der Asylbewerber in der Bundesrepublik um 66 % gesunken. Mit ca. 36.000 Ab-schiebungen hat sich deren Zahl gegenüber 1992 mehr als verdreifacht.
Der Polizeihauptkommissar Roland Schlosser wird vom Amtsgericht Landau wegen Gefangenenbefreiung zu einer Geldstrafe von 2.000 DM verurteilt. Er hatte im Juni 1993 einen Abschiebehäftling wegen menschenunwürdiger Zustände im Polizeigewahrsam bei einem befreundeten Lehrer untergebracht.
7.07.: In ihrem Jahresbericht 1994 weist amnesty international darauf hin, daß es in Deutschland immmer häufiger zu Mißhandlungen von Ausländern durch Polizisten kommt.
08.07.: Deutschland, Belgien und die Niederlande verständigen sich auf eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des ‚Asylmiß-brauchs‘. Polizeibeamte der Nachbarstaaten sollen in den Flüchtlingslagern an den Grenzen eingesetzt werden, um „Scheinbewerber“ aufzuspüren.
Nach einem Überfall auf ein Hotel in Frankfurt wird von einem Polizeibeamten ein Italiener erschossen.
09.07.: Nach entsprechenden Anzeigen der Opfer nimmt die Berliner Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen gegen Polizeibeamte wegen des Verdachts der Mißhandlung von Vietnamesen auf. Im Rahmen gleichartiger Ermittlungstätigkeiten in Brandenburg sind zu diesem Zeitpunkt bereits sieben der Mißhandlung beschuldigte Bernauer Polizeibeamte vom Dienst suspendiert und ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes Biesenthal wegen sexueller Nötigung verhaftet worden. Am 18.08. werden weitere 10 Berliner Beamte wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt vom Dienst suspendiert. Ihnen wird vorgeworfen, drei Skinheads und einen Rumänen mißhandelt zu haben. Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft nun in über 50 Fällen. Am 10.09. erhebt die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/O. Anklage gegen den Biesenthaler Ordnungsamtsmitarbeiter. Am 14.09. werden in Berlin zwei Beamte, die im Dezember 1992 einen Iraner mißhandelt und beschimpft hatten, zu Geldstrafen zwischen 10.500 DM und 12.600 DM verurteilt. Am 01.10. erhebt die Berliner Staatsanwaltschaft erste Anklagen gegen zwei weitere Polizeibeamte. Am 19.10. verurteilt das Gericht zwei BGS-Angehörige, die im November 1992 auf dem Flughafen Schönefeld gegen rassistisch motivierte Randalierer nicht eingeschritten sind, zu Geldstrafen zwischen 4.800 DM und 15.000 DM.
12.07.: Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen 49 Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien unter dem Tatvorwurf der Beteiligung an Kriegsverbrechen.
Trotz entsprechender Weisungen des brandenburgischen Innenministeriums schreiten 100 Polizeibeamte gegen ein Treffen von 900 Neonazis in Rüdersdorf nicht ein. Der für den Einsatz zuständige Polizeirat Wolfgang Schadow wird daraufhin vom Dienst suspendiert.
Im Prozeß gegen die mutmaßlichen Haupttäter der ‚Magdeburger Himmel-fahrtskrawalle‘ bestätigt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, daß seine Behörde im Vorfeld über mögliche Ausschreitungen informiert gewesen sei. Am 10.08. entläßt die neu ins Amt gekommene rot-grüne Landesregierung den verantwortlichen Polizeipräsidenten Antonius Stockmann. Am 14.09. erhebt die Staatsanwaltschaft eine erste Anklage gegen einen der am Einsatz beteiligten Beamten. Ihm wird vorgeworfen, bei der Festnahme und auf dem Revier einen Iraker mißhandelt zu haben.
13.07.: Nach Auskunft der Bundesregierung wurden 1993 insg. 23.318 Ermittlungsverfahren wegen rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Straftaten eingeleitet. 794 Verfahren betrafen Landfriedensbruchfälle, 95 Fälle Mord oder Totschlag; in 1.343 Verfahren wurde wegen Körperverletzung und 344 mal wegen Brandstiftung ermittelt. Insgesamt 16.050 Verfahren wurden wieder eingestellt.
Die Berliner Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den ehemaligen Leiter einer Operativ-Dienststelle des MfS wegen eines versuchten Stasi-Auftrag-mordes an einem Westberliner Ehepaar.
14.07.: In Wiesbaden wird von einer Polizistin ein Bulgare erschossen. Der Mann hatte zuvor ihre Kollegin mit einem Messer lebensgefährlich verletzt.
16.07.: Die Karlsruher Bundesanwaltschaft gibt bekannt, daß sie seit Oktober 1990 insgesamt 5.464 Ermittlungsverfahren wegen Spionage und Agententätigkeit eingeleitet hat.
18.07.: Im Streit zwischen dem niedersächsischen Datenschützer Thilo Weichert und dem Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt das Oberverwaltungsgericht Münster ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. Die Weiterleitung eines Dossiers über Weichert an eine ehemalige brandenburgische FDP-Landtagsabgeordnete stellt damit eine rechtswidrige Übermittlung dar. Die Abgeordnete hatte die Unterlagen 1991 benutzt, um die Wahl Weicherts zum brandenburgischen Datenschutzbeauftragten zu verhindern.
Die Berliner Innenbehörde hat bisher 312 Polizisten wegen früherer STASI-Kontakte entlassen. Insgesamt wurden durch die ‚Gauck-Behörde‘ erst 1.950 von insgesamt 8.450 übernommenen Volkspolizisten überprüft.
21.07.: Im Streit um die Speicherung ihrer Daten hat eine Münchener Journalistin einen jahrelangen Rechtsstreit gegen den Bayerischen Verfas-sungsschutz verloren. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hebt damit ein Urteil des Verwaltungsgerichtes auf (Az: 5 B 93.803).
22.07.: Im Mordprozeß Sedlmayr hat der Bundesgerichtshof in einem Re-visionsurteil die Einsatzmöglichkeiten von V-Leuten und die Verwertung ihrer Aussagen ausgeweitet (Az: 1 StR 83/84).
Die ‚Republikaner‘ werden im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht erstmals als rechtsextremistische Partei aufgeführt.
25.07.: Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald wird von Skinheads geschändet und eine Angestellte mit dem Verbrennungstod bedroht. Im Vorfeld des Überfalls ist die 22-köpfige Gruppe von der Polizei überwacht worden. Am 04.08. räumt das thüringische Innenministerium Fehler der Polizei ein. Gegen mehrere Beamte werden Disziplinarmaßnahmen eingeleitet.
26.07.: In Kassel beendet ein Einsatz der GSG 9 eine Revolte von etwa 40 Abschiebehäftlingen in der Untersuchungshaftanstalt. Die hauptsächlich aus Algerien stammenden Männer hatten mit der Geiselnahme eines Aufsichtsbeamten versucht, ihre Ausreise nach Frankreich zu erzwingen.
27.07.: Zwölf der inhaftierten RAF-Mitglieder treten in einen befristeten Hungerstreik. Sie fordern die Freilassung von Irmgard Möller.
28.07.: Etwa 100 GSG 9- und SEK-Beamte durchsuchen in Berlin-Kreuzberg die Räume von neun kurdischen Einrichtungen wegen des Verdachtes der Spendengelderpressung für die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK).
Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof beginnt die mündliche Verhandlung um die Verfassungsmäßigkeit des 1990 verabschiedeten bayerischen Polizeiaufgabengesetzes. Die Klage der SPD-Opposition richtet sich gegen den Einsatz ‚Verdeckter Ermittler‘  und von Abhörgeräten. Am 20.10 weist das Gericht die Klage ab.

August 1994

04.08.: Auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Grüne teilt die Bundes-regierung mit, daß in der BRD im Jahr 1993 in insg. 3.964 Fällen Telefone abgehört wurden.
06.08.: Nach einer Verfolgungsfahrt wird in Hagen von einem Polizeibeamten ein aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Mann im Auto erschossen.
07.08.: Die Polizei reagiert auf die sog. ‚Chaos-Tage‘ in Hannover mit Festnahmen von 600 meist jugendlichen Punks. In einer Pressemitteilung verbreitet sie die Falschmeldung, im Vorfeld der Versammlung sei dazu auf-gerufen worden, „Hannover in Schutt und Asche zu legen“.
In einem bekanntgewordenen, bisher unveröffentlichten BKA-Bericht heißt es, die Beteiligung von Ausländern an schweren Straftaten sei gestiegen. Das Bundesinnenministerium lehnt eine Stellungnahme hierzu ab.
Im öffentlichen Dienst gilt der besondere Kündigungsschutz von Personalräten auch für Ex-STASI-Mitarbeiter. Dieses Urteil fällt das Bundesarbeitsgericht (Az: BAG 8 AZR 209/93).
10.08.: Dem NPD-Bundesvorsitzenden Günter Anton Deckert wird in der Urteilsbegründung der 6. Strafkammer des Landgerichts Mannheim eine charakterstarke und verantwortungsbewußte Persönlichkeit attestiert. Dekkert, der wiederholt in der Öffentlichkeit den Holocaust geleugnet hatte, war am 22.06. wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Das Urteil erregt heftige Proteste.
Auf dem Münchner Flughafen wird der bisher größte Fall von Plutoniumschmuggel aufgedeckt. Am 14.08. entpuppt sich das Ganze als Auftragsgeschäft des BND. Die Bundesregierung gibt am 13.09. an, daß im ersten Halbjahr 1994 mehr als 90 Fälle entdeckt worden seien.
11.08.: Vor dem Verfassungsgerichtshof in Leipzig reichen die Landtags-fraktionen von SPD und Bündnis 90/Grüne gemeinsam Klage gegen das sächsische Polizeigesetz ein.
14.08.: Nach einem Pressebericht soll die Zentrale des Bundesnach-richtendienstes (BND) drei Monate lang vom Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) abgehört worden sein, weil ein BND-Mitarbeiter in den Verdacht des Geheimnisverrats geraten war.
15.08.: In einem Frankfurter Bordell wird ein sechsfacher Mord entdeckt. Die Polizei geht von einer Tatbeteiligung der „osteuropäischen Mafia“ aus. Am 19.08. wird der Fall aufgeklärt, der Mafia-Verdacht bestätigt sich nicht.
Im Prozeß gegen das RAF-Mitglied Adelheid Schulz sagen die RAF-Aussteiger Ralf Friedrich und Werner Lotze als Kronzeugen aus. Danach soll Schulz 1978 an einer Schießerei in Kerkrade beteiligt gewesen sein, bei der zwei niederländische Zollbeamte getötet und einer verletzt worden waren.
16.08.: Illich Ramirez Sanchez, alias ‚Carlos‘, einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, wird im Sudan festgenommen und an Frankreich aus-geliefert. Auch die Berliner Justiz, die gegen ihn wegen des Anschlags auf das ‚Maison de France‘ 1983 ermittelt, bemüht sich um eine Auslieferung. Am 28.10. wird in Wien der mutmaßliche Sprengstofflieferant ‚Carlos“, der ehemalige syrische Botschafter in Ost-Berlin, Faisal Summak, festgenommen. Die Bundesanwaltschaft betreibt wegen der mutmaßlichen Verstrickung in den Anschlag auch dessen Auslieferung.
Die Telekom verstößt gegen das Fernmeldegeheimnis. Nach Ansicht des Bremer Oberverwaltungsgerichts ist die Praxis der Telekom, Rufnummern bis zu 80 Tage zu speichern, verfassungswidrig. (Az: OVG 1 BA 30/92)
17.08.: Laut Tätigkeitsbericht des BGS ist die Zahl der Aufgriffe illegal einreisender Ausländer im ersten Halbjahr 1994 mit 19.943 gegenüber 38.680 im Vorjahr auf fast die Hälfte gesunken.
Ein ehemaliger Berliner Polizeianwärter wird von einem Jugendgericht wegen Volksverhetzung zu 400 DM Geldstrafe verurteilt. Der Mann hatte die Polizei „auf eigenen Wunsch“ verlassen.
22.08.: Nach einer Statistik des Bundeskriminalamtes geht die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten in den alten Bundesländern zurück. Am stärksten war der Rückgang in den ersten sechs Monaten des Jahres danach in Bremen (- 7,4%) und in Niedersachsen (- 8,8%).
23.08.: Wegen der Mißhandlung von vier Vietnamesen und einem deutschen Jugendlichen verurteilt das Leipziger Landgericht einen Polizisten zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Drei weitere Beamte erhalten Bewährungs- und Geldstrafen.
27.08.: Der renommierte DDR-Forscher Dietrich Staritz bestätigt Pres-semeldungen, wonach er von 1961-72 ‚Inoffizieller Mitarbeiter‘ der STASI gewesen ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, so Staritz, sei hierüber informiert gewesen.
30.08.: Der Nigerianer Kola Bankole stirbt während seiner Abschiebung auf dem Frankfurter Flughafen. Während die Staatsanwaltschaft als offizielle Todesursache Herzversagen infolge einer Betäubungsspritze angibt, erklärt die Organisation ‚Internationale Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs‘, Bankole sei an einem Knebel erstickt. Der Bundesgrenzschutz bestätigt daraufhin am 05.10., Bankole sei ein sog. „Beißschutz“ angelegt worden.

September 1994

01.09.: Der Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Paul Münstermann, wird in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Hintergrund sind Unstimmigkeiten zwischen dem Kanzleramt und Münstermann.
07.09.: Auf eine Kompetenzerweiterung für EUROPOL haben sich die Innen- und Justizminister der EU-Staaten bei einem Treffen in Berlin geeinigt. In Zukunft sollen auch der internationale Terrorismus, Menschenhandel, Nuklearschmuggel und Schleuserkriminalität zu den Aufgabengebieten des Amtes gehören.
08.09.: Der Berliner Landesverband der ‚Republikaner‘ kündigt eine Klage gegen den Verfassungsschutz an. Hintergrund ist die Einstufung der REP als „extremistisch“ im Verfassungsschutzbericht 1993. Am 24.09. wird die Klage eingereicht und am 14.10. vom Verwaltungsgericht abschlägig beschieden.
Rund 5.000 Polizisten sichern in Berlin den ‚Großen Zapfenstreich‘, mit dem die Alliierten aus Deutschland verabschiedet werden.
Die frühere Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) wird zur neuen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts gewählt.
Die Bundesregierung und Bulgarien unterzeichnen ein Rückübernahmeabkommen für illegal nach Deutschland eingereiste Personen. Am 09.09. treffen auch die Tschechische Republik und die BRD ein solches Abkommen. Für die Sicherung der Grenzen will die Bundesregierung der Tschechischen Republik insg. 60 Mio. DM zur Verfügung stellen.
09.09.: In Bremen wird bekannt, daß Polizeipräsident Rolf Lüken einen seiner Beamten vom Dienst suspendiert hat, der als Kandidat für die ‚Republikaner‘ für den Bundestag kandidiert. Es ist bereits der dritte Versuch, den Beamten loszuwerden.
10.09.: In Hamburg wird – acht Monate nach dem Vorfall – die Mißhandlung eines Senegalesen durch zwei betrunkene Polizeibeamte bekannt. Polizeiführung und Justiz hatten versucht, den Vorfall zu vertuschen und die Beamten in einem nichtöffentlichen Schnellverfahren zu einer Geldstrafe von jeweils 5.400 DM verurteilt und auf eine andere Dienststelle versetzt. Durch die Anzeige eines Polizeibeamten wird bekannt, daß im Polizeirevier am Hamburger Hauptbahnhof ausländische Gefangene regelmäßig mißhandelt und geschlagen werden sollen. 27 Beamte eines Einsatzzuges werden daraufhin vom Dienst suspendiert. Am 12.09. tritt Innensenator Werner Hackmann (SPD) wegen des ‚Hamburger Polizeiskandals‘ zurück. Justizsenator Hardraht (SPD) kündigt an, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die alle in den vergangenen Jahren eingestellten ähnlich lautenden Verfahren noch einmal untersuchen soll. Am 16.09. schießen Unbekannte dem Anwalt der beschuldigten Beamten in die Beine. Am 21.09. wird Hartmut Wrocklage (SPD) zum neuen Innensenator gewählt. Er hebt die Suspendierungen wieder auf. Am 18.09. erklärt der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Innenminister Alwin Ziel (SPD), die IMK werde sich auf ihrer Sitzung im November mit der Frage der Ausländerfeindlichkeit bei der Polizei befassen. Am 05.10. setzt die Hamburger Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuß wegen der Vorfälle ein.
Gegen zwei Mitarbeiterinnen der früheren Frankfurter ‚Infostelle für politi-sche Gefangene in der BRD‘ verhängt die Bundesanwaltschaft Beugehaft wegen Aussageverweigerung. Die Frauen stehen im Verdacht, im April 1993 das Treffen zwischen Birgit Hogefeld und Klaus Steinmetz in Bad Kleinen vermittelt zu haben.
12.09.: Nach Pressemeldungen soll der Fall des ehemaligen Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Johannes Vöcking, der im April 1992 einer Journalistin Geheimdienstmaterial gegen den seinerzeitigen SPD-Kanz-lerkandidaten Björn Engholm zugesteckt hatte, per Strafbefehl erledigt wer-den.
Das niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz verschickt künftig Rechnungen für geleistete Amtshilfe an andere Behörden.
13.09.: Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zum Anschlag der RAF auf die im Bau befindliche Justizvollzugsanstalt Weiterstadt im März 1993 sagt der SPD-Kanzlerkandidat und seinerzeitige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping aus, die Verfassungsschutzbehörde habe durch ihren V-Mann Siegfried Nonne keine Vorabinformation über den Anschlag erhalten. Am 22.09. stellt das Frankfurter Oberlandesgericht unter Anwendung der Kronzeugenregelung das Verfahren gegen Nonne ein.
Im Vermittlungsausschuß des Bundesrates einigen sich die Parteien auf einen Kompromiß beim ‚Verbrechensbekämpfungsgesetz‘. Das Gesetz, das u.a. einen Einsatz des Bundesnachrichtendienstes bei der Strafverfolgung vorsieht, kann damit zum 1.12.94 in Kraft treten. In einer gemeinsamen Resolution kritisieren die Datenschutzbeauftragten mehrerer Bundesländer am 16.09. die geplante Neuregelung heftig. Der Berliner Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) verliert nach einem Senatsbeschluß die Zuständigkeit für den Verfassungsschutz. Die Dienst- und Fachaufsicht soll nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes auf den Regierenden Bürgermeister übergehen.
14.09.: In Frankfurt/Oder erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen zwei Zollbeamte. Ihnen wird vorgeworfen, im Juni 1993 am deutsch-polnischen Grenzübergang einen ägyptischen Geschäftsmann brutal geschlagen und rassistisch beschimpft zu haben. Am 16.09. beginnt der Prozeß. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder seit Mai 1992 ca. 120 Anzeigen wegen Gewalttätigkeiten gegen Ausländer registriert; mehr als 90% wurden wieder eingestellt.
16.09.: Das Bundeskriminalamt (BKA) wirbt in einer bundesweiten An-zeigenkampagne AusländerInnen für einen Einsatz als verdeckte Ermittler an.
Ein Asylbewerber aus Ghana wird in Berlin von Skinheads mit Messerstichen verletzt und aus der fahrenden S-Bahn geworfen. Der Mann erleidet le-bensgefährliche Verletzungen. Drei Wochen später werden vier mutmaßliche Täter aus Oranienburg festgenommen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz meldet einen Rückgang rechtsextremer Gewalttaten. In den ersten neun Monaten 1994 wurden 961 Taten gezählt; dies bedeute einen Rückgang um 27%.
Laut einem Beschluß des Berliner Landgerichtes können STASI-Opfer keinen Schadensersatz von DDR-Richtern und Denunzianten verlangen (Az: 30 0 508/93).
17.09.: Das Ermittlungsverfahren gegen Erich Mielke und sechs Mitarbeiter der STASI wegen Beihilfe zu RAF-Anschlägen wird eingestellt. Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens wird Mielke am 18.10. für generell verhandlungsunfähig erklärt.
Die Bundesanwaltschaft will „ernstzunehmende Hinweise“ besitzen, daß die terroristische Palästinenser-Gruppe Abu Nidal Anschläge auf jüdische und israelische Einrichtungen in Deutschland plant. Daraufhin werden höchste Sicherheitsstufen für jüdische Einrichtungen angeordnet.
18.09.: Das BKA meldet einen Anstieg antisemitischer Aktivititäten in Deutschland. Im ersten Halbjahr 1994 seien 701 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund registriert worden.
Das Berliner Landgericht eröffnet das Hauptverfahren gegen den ehemaligen DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel wegen des Verdachts der mehrfachen Erpressung.
20.09.: Begleitet von Protesten und scharfen Sicherheitsvorkehrungen beginnt in Berlin der Prozeß gegen sieben Angeklagte, denen Mord an dem ehemaligen Funktionär der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, Gerhard Kaindl, vorgeworfen wird. Im Laufe der Verhandlung wird deutlich, daß der Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes nicht haltbar ist, da sich die Aussagen des Hauptbelastungszeugen als nicht verwertbar erweisen.
23.09.: Das Düsseldorfer Oberlandesgericht eröffnet das Verfahren gegen den mutmaßlichen NATO-Spion ‚Topas‘. Dem Angeklagten Rainer Rupp wird vorgeworfen, in den 70er und 80er Jahren geheimes Material an STASI und KGB geliefert zu haben.
27.09.: Rund 330 Teilnehmer einer verbotenen Kurden-Demonstration in Mannheim werden festgenommen. Bei einer Kundgebung vor dem Rathaus entwendet ein Kurde einem Polizeibeamten die Waffe und schießt auf ihn. Ein Kundgebungsteilnehmer wird dadurch schwer verletzt. Mehrere Brandanschläge auf Polizeidienststellen in Baden-Württemberg werden in Zusammenhang mit den Ereignissen in Mannheim gebracht.
Durch den ‚Schalck-Untersuchungsausschuß‘ werden neue Geheimkonten aufgefunden. Deren Existenz war von Schalck-Golodkowski zuvor stets be-stritten worden.
29.09.: Die Berliner Innenverwaltung gibt bekannt, daß von Juli 1993 bis Ende Juni 1994 insgesamt 474 Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte durchgeführt wurden. 227 Verfahren wurden eingestellt, 14 mal kam es zu einer Verurteilung und in 72 Fällen wurden Disziplinarmaßnahmen erlassen.

Oktober 1994

01.10.: Die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität beim Berliner Kammergericht hat in den vier Jahren ihres Bestehens insg. ca. 3.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 1.450 davon wurden erfolgreich abgeschlossen, 1.350 mal wurden die Ermittlungen eingestellt.
03.10.: Während der Feierlichkeiten zum ‚Tag der deutschen Einheit‘ in Bremen kommt es trotz eines allgemeinen Demonstrationsverbotes zu Zusammenstößen zwischen 2.000 Demonstranten und der Polizei. 350 Personen werden festgenommen. Insgesamt sind zum Schutz der offiziellen Einheitsfeiern 2.500 BGS- und Polizeibeamte im Einsatz.
06.10.: In Brandenburg beginnen 38 PolizeischülerInnen ausländischer Herkunft mit ihrer Ausbildung an der Landespolizeischule Basdorf.
07.10.: Die Staatsanwaltschaft Schwerin lehnt es ab, das Verfahren um die Tötung von Wolfgang Grams in Bad Kleinen trotz Beschwerde der Eltern wieder aufzunehmen. Grams Eltern stützen sich auf ein Gutachten, wonach Grams die Waffe vor dem Todesschuß entwunden wurde.
Das Bundesverfassungsgericht beschließt, daß Anwälten auch in OK-Verfahren Akteneinsicht zu gewähren ist (Az: BVerfGE 2 BvR 777/94). Die Vereinigung Berliner Staatsanwälte protestiert heftig gegen dieses Urteil.
Der Polizeichef von Helgoland wird wegen Nötigung zu 9.900 DM Geldstrafe verurteilt.
Der in mehrere Polizeiaffären verwickelte Geheimagent Werner Mauss wird vom Landgericht Velden von der Anklage der Beihilfe zur Verfolgung Unschuldiger freigesprochen.
09.10.: Nach einer bisher geheimen Lageanalyse des Bundesamts für Ver-fassungsschutz aus dem Jahre 1993 hat der Iran seine Botschaft in Bonn zur Europa-Zentrale seines Geheimdienstes ausgebaut. Der Mord an vier opposi-tionellen Iranern im Berliner Restaurant ‚Mykonos‘ 1992 sei vermutlich „unter Federführung der Residentur vorbereitet und durchgeführt worden“. Im Prozeß um diesen Mord tritt am 15.10. der Verfasser des Berichtes, der Beamte Klaus Grünwald, auf, dem Bundesinnenminister Manfred Kanther nun eine äußerst eingeschränkte Aussagegenehmigung erteilt hat.
Nach einer Erklärung des Berliner Innensenators Dieter Heckelmann (CDU) wurde 1993 in der Stadt gegen 887 Beschuldigte unter dem Verdacht der Zugehörigkeit zum sog. Organisierten Verbrechen ermittelt.
15.10.: Durch die ‚Antirassistische Initiative Berlin‘ wird bekannt, daß Ende August mindestens sieben Flüchtlinge bei der illegalen Überquerung des deutsch-polnischen Grenzflusses Neisse ertrunken sind. Auf Nachfragen teilt der BGS mit, daß 1994 an den Grenzflüssen 15 Flüchtlinge tot geborgen wurden.
20.10.: Das Landgericht Lübeck legt erstmals in einem Urteil den Grenzwert für eine „nicht geringe Menge“ von Haschisch auf das fast 30fache des bisher üblichen fest. Die Staatsanwaltschaft legt Revision ein.
Nach Auskunft der Bundesregierung haben rechtsextremistische und frem-denfeindliche Straftaten bundesweit 1993 mindestens sieben Todesopfer gefordert.
In Oslo wird die einzige überlebende Entführerin einer Lufthansa-Maschine des Jahres 1977 Soraya Arsani festgenommen. Alle übrigen waren bei der Befreiungsaktion durch die GSG 9 getötet worden. Die Bundesanwaltschaft verlangt ihre Auslieferung.
Der ‚Bund Deutscher Kriminalbeamter‘ verlangt, der Fernsehkommissar Stefan Derrick solle nach 20jähriger erfolgreicher Arbeit endlich befördert werden.
25.10.: In Mülheim werden drei Polizisten vom Dienst suspendiert. Sie stehen unter Verdacht, mutmaßliche Drogenhändler bei einer Razzia im Oktober schwer mißhandelt zu haben.
26.10.: Die frühere RAF-Aktivistin Ingrid Jakobmeister wird nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer 15-jährigen Freiheitstrafe freigelassen.

Britta Grell ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und Mitarbeiterin der ‚Antirassi-stischen Initiative e.V.‘ in Berlin