Gemeindebezogene Polizeiarbeit (Community Policing) in Großbritannien – Historische Entwicklung und Kritik

von Phil Scraton

Am 9. Juli 1829 trat der ‚Metropolitan Police Act‘ in Kraft und leitete die Einrichtung der ersten regulären Berufspolizei Britanniens ein. Damit endeten Jahre einer öffentlichen Kontroverse über die Errichtung eines zivilen Polizeidienstes. Die ersten offiziellen Anweisungen an die Polizisten betonten die „Verhinderung von Verbrechen“ gegenüber einer reaktiven Anwendung der Gesetze. Zu diesem Zweck wurden die Polizisten angehalten, mit den Gemeinden (Communities), in denen sie tätig waren, eng zu ko-operieren. Einer der ersten Polizeichefs, Charles Rowan, formulierte dies so: „Die Macht der Polizei ihre Aufgaben und ihre Funktion zu erfüllen, hängt von der öffentlichen Zustimmung zu ihrer Existenz, ihren Handlungen, ihrem Verhalten und von ihrer Fähigkeit ab, dem öffentlichen Wohl zu dienen und sich öffentlichen Respekt zu verschaffen.“

Ganz ohne Zweifel ist das 19. Jahrhundert die Epoche, in der in Großbritan-nien die Polizei ihre formale Präsenz ausbauen und ihre Kraft als zivile Macht konsolidieren konnte.

Doch genoß sie keineswegs die ungeteilte Kooperation ihrer Communities. Obwohl ihr Ausbau mit der Verhütung von Verbrechen begründet wurde, war es die Kontrolle und Regulierung der öffentlichen Ordnung, von zivilen Unruhen und Auseinandersetzungen im Rahmen der Industrialisierung, die ihre eigentlichen Prioritäten bildeten. Unvermeidlich wurden im weiteren Verlauf die Widerstände immer größer und die Proteste gegen die Polizei zunehmend das wesentliche Merkmal der Beziehungen zwischen Bürgern und Polizei.

Anspruch und Wirklichkeit

Das ursprüngliche Ziel, die Errichtung einer nationalen Polizeimacht, wurde nie verwirklicht. 1881 existierten auf Kreisebene und in den Provinzen be-reits 185 Polizeien, die sich jeweils eigene Verhaltenskodexe und Diszipli-narordnungen geschaffen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch die po-litische Funktion der Polizei fest etabliert. Zwar war die Festlegung von operationellen Grundregeln und Prioritäten durch die Zentralregierung und die Gesetzgebung auf nationaler Ebene beeinflußt worden, in der Auslegung und der selektiven Anwendung solcher Vorgaben jedoch genossen Polizisten große Freiheiten. Wegen der oft aggressiven und gewalttätigen Formen der Aufgabenwahrnehmung, die durch die Autorität staatlicher Macht legitimiert wurde, haben die Arbeitercommunities die Unparteilichkeit der Polizei nie anerkannt, insbesondere nicht im Zusammenhang mit der Sicherung der öf-fentlichen Ordnung. Dennoch hat eine königliche Kommission genau hundert Jahre nach der Einführung der neuen Polizei befunden: „Die Polizei dieses Landes ist weder nach dem Gesetz noch in der Tradition je als eine Macht angesehen worden, die sich von der großen Gemeinschaft der Bürger abgesondert hat. Es herrscht nach wie vor das Prinzip, daß in Übereinstimmung mit dem Gesetz ein Polizist nichts anderes darstellt als ein Mensch, der dafür bezahlt wird, im Rahmen seiner Pflichten Taten zu erbringen, die er viel-leicht auch freiwillig erbracht hätte“.

In dieser Interpretation spiegeln sich die verschiedenen Grundsätze der britischen Polizeiarbeit wider: Polizisten, die in den Communities rekrutiert und eingesetzt werden, sind auch deren Repräsentanten und als solche ‚Bürger in Uniform‘. Dieser liberalen, demokratischen Auffassung liegt die Annahme eines harmonischen Gemeinwesens zugrunde, in dem das Wohl durch eine repräsentative Regierungsform gewährleistet wird. ‚Polizeiarbeit durch Kon-sens‘ ist ein tradierter Grundsatz der britischen Polizei, bei dem sie als Bewahrer gerechter und fairer Gesetze angesehen wird.

Bereits in den 50er Jahren war diese Sichtweise im polizeilichen Selbstbild tief verankert. Nach einem halben Jahrhundert parlamentarischer und örtlicher Demokratie waren, zumindest theoretisch, die kommunalen Polizeien der örtlichen Regierung Rechenschaft schuldig. Die Doktrin der rechtlichen Rechenschaftspflicht vor dem Justizsystem gewann Vorrang vor der politischen Rechenschaftspflicht. Dennoch war – rein technisch – die Polizei auch örtlichen Untersuchungskomitees rechenschaftspflichtig. Das Prinzip der po-litischen Rechenschaftspflicht war jedoch umstritten, weil die Polizei zumin-dest Diskretion, wenn nicht gar Unabhängigkeit in allen taktischen Angele-genheiten, von der Gewaltanwendung bis zu einzelnen Arbeitspraktiken, for-derte.

In operationeller Hinsicht herrschte ein komplettes Durcheinander der Ab-teilungen, wobei der ‚Streifen‘ als das Gebiet festgelegt wurde, das ein Polizist zu Fuß während einer Dienstschicht patrouillieren konnte. In den Städten und Kleinstädten wurden die Wohnviertel fortwährend von uniformierten Polizisten bestreift. In den Dörfern wurden die Polizisten ermuntert, in Häu-sern in unmittelbarer Nähe der Polizeireviere zu wohnen. Die Vertrautheit der Polizisten mit ihrem Streifen oder der Gemeinde, in der sie wohnten, wurde sowohl als Maßnahme der Verbrechensverhütung wie auch als vertrauensbildende Maßnahme zwischen der Community und ihren Polizisten gefördert.

Die umfassende städtebauliche Erneuerung, die sich in den späten 50er und 60er Jahren vollzog, veränderte sowohl das Gesicht der Städte wie auch die Gesellschaftsstruktur. Der Fußstreifendienst wurde durch Streifenwagen ab-gelöst. Dies entzog den Straßen die Polizei und legte das Fundament, auf dem sich allmählich ‚reaktive Polizeiarbeit‘ etablieren konnte. Zunehmende Spezialisierung, unterschiedliche Ausbildungsgänge und Professionalisierung haben die Polizei ihren Communities nicht näher gebracht.

Das Alderson-Modell

1979, nach Einführung der neuen Konzeption des Community Policing in den Landkreisen von Devon und Cornwall, verfaßte der Polizeichef John Alderson eine Denkschrift, in der er die Entwicklung zu reaktiven Strategien in Frage stellte. Er befand, daß sich die Polizei „von ihrer eigenen Brillanz“ habe verführen lassen und der „konfliktfreie Kontakt“ verschwunden war: „Der Verzicht auf menschliche Kontakte, Wissen über die Menschen und Verständnis für die Menschen, das wichtigste Element einer demokratischen Polizei, ist ein zu hoher Preis für die Technik. Die Kluft, die hierdurch entstehen kann, kann aufreißen, wenn die Polizei immer weiter in ihren reaktiven Stil abdriftet.“ Das Ziel, so argumentierte er, bestehe darin, „demokratische Polizeiarbeit auf Gemeindeebene“ aufzubauen und so auf „das Gemeinwohl“ der Communities einzuwirken, damit „demokratischer Frieden und nachbarschaftliches Vertrauen“ entstehen. Solche Gedanken waren nicht neu. Rund 20 Jahre zuvor waren bereits Konzepte zur Einbindung von Wohnsiedlungen und der Einbeziehung örtlicher Institutionen in Glasgow entwickelt worden, die allerdings Gebiete mit „hohen Kriminalitätsraten“ ausklammerten.

Aldersons Modell unterschied sich von anderen nun darin, daß er ausdrücklich die Notwendigkeit anerkannte, daß die Polizei gerade in jenen Communities dem Gesetz Geltung verschaffen müsse, die unter den größten strukturellen und materiellen Nachteilen zu leiden hatten. Er argumentierte, es sei besser, wenn die Polizei „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ fördere, als das Ziel zu verfolgen, sich besondere Zielgruppen vorzunehmen. Die Qualität eines solchen Ansatzes und die potentielle Verbesserung der Lebensqualität in der Community hänge entscheidend vom persönlichen Engagement der Polizisten und ihrer Fähigkeit ab, feste persönliche Bindungen und professionelle Kontakte mit anderen Institutionen in der Gemeinde aufzubauen.

Bei der Schaffung eines geeigneten Klimas für Polizeiarbeit auf kommunaler Ebene, so Alderson, sei die Einbeziehung aller staatlichen Institutionen in den Communities und die aktive Teilnahme der Bürger notwendige Voraussetzung. Dies beinhalte das Prinzip der interinstitutionellen Beratungen mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Community zu erkennen und aufzugreifen. Ein Programm von Beratungen mit Ortsansässigen und anderen Vertretern der Community wurde eingerichtet, um die Prioritäten für die polizeiliche Arbeit festzulegen.

Die Initiative Aldersons stellte eine direkte Herausforderung für den reakti-ven Arbeitsstil der Polizei dar, der sich bei den größeren innerstädtischen Polizeien herausgebildet hatte. Hochrangige Vertreter dieser Polizeien be-zeichneten ihn denn auch als naiven Idealisten, dessen Ideen in Communities, die der Polizei zutiefst mißtrauisch, wenn nicht pathologisch haßerfüllt ge-genüberstanden, keinesfalls funktionieren könnten. Für sie gab es keine Al-ternative zu einer ‚harten Polizei‘.

Die Unruhen der Jahre 1979 bis 1981 lieferten jedoch deutliche Hinweise darauf, daß die harte polizeiliche Linie in (häufig ’schwarzen‘) Wohnvier-teln, die als Gebiete mit hoher Kriminalität galten, die Entfremdung nur noch zu steigern vermochte. Institutioneller Rassismus fügte dem eine weitere Di-mension hinzu. Solche Communities erlebten rücksichtslose Härte und Willkür, die mit Korruption und polizeilichem Fehlverhalten einhergingen. Nach den Unruhen wurde durch das ‚Home Office‘ (Innenministerium) eine Untersuchung unter Vorsitz von Lord Scarman angeordnet. Obwohl er viele Beschwerden über Polizeigewalt und institutionellen Rassismus zurückwies, schlug er dennoch umfassende Reformen vor und äußerte sich zugunsten gemeindenaher Polizeiarbeit.

Nach dem ‚Scarman-Report‘

Nach der Veröffentlichung des Scarman-Reports argumentierten die Polizeien flugs, ihre Konzepte seien längst ‚gemeindebezogen‘ ausgerichtet. Kontakt-programme zur Jugend, Initiativen zwischen Polizei und Schulen und interin-stitutionelle Kooperation wurden als Belege für aufgeklärte Polizeirbeit zi-tiert. In der Folge entstanden dennoch mehrere wichtige Einrichtungen: Spe-zielle Schulungen für die Verbindungsoffiziere zu den Communities; die Rückkehr zu Streifensystemen auf Nachbarschaftsebene; der Aufbau enger Kontakte zu den Institutionen der Gemeinde (Schulen, Jugendklubs, Senio-renklubs); der Aufbau von Selbsthilfegruppen (Beobachtergruppen in den Nachbarschaften, Opferhilfegruppen, Gemeindeinitiativen); Beratungen in ‚Polizei-Community-Verbindungskomitees‘ etc.

Mitte der 80er Jahren dominierte die Rhetorik des Community Policing. Im 1984 erlassenen ‚Police and Criminal Evidence Act‘ wurden Beratungen mit den Communities gar zwingend vorgeschrieben. Verbrechensverhütungsprogramme, die zum Kern der Forderungen der Zentralregierung in London gehörten, wurden von den meisten Kommunalverwaltungen initiiert und finanziert. Unzählige ehrenamtliche oder im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanzierte Stellen zur Förderung der Beziehungen zwischen Polizei und Gemeinden wurden eingerichtet. Es handelte sich hierbei sämtlichst um Stellen für Zivilisten (z.B. Beobachter in den Nachbarschaften, Verbindungsbeauftragte zur Gemeinde und Helfer in den Opferhilfegruppen).

Für den damaligen Londoner Polizeipräsidenten Sir Kenneth Newman war klar, daß aus der Zusammenarbeit zwischen „allen mit Sozialkontrolle befaßten Institutionen“ „neue Strategien zur Bewältigung der Probleme der Ci-tybereiche“ hervorgehen sollten. Statt Community Policing als Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen zwischen Polizei und Community anzusehen, wurde es als Quelle einer neuen Dynamik der Sozialkontrolle begrüßt: Unter dem Mantel der Vorbeugung würde es der Polizei möglich sein, eine öffentlich akzeptierte Legitimierung für weitere Regulierungen und Disziplinierungen in den Communities zu erhalten.

Ein widersprüchliches Programm

Newmans Vision, die von nachfolgenden Polizeichefs und Innenministern weiterentwickelt wurde, bestand darin, daß eine effizientere Arbeit von der Fähigkeit der Polizei abhänge, mehr Zugang zu den Communities und ihren gesellschaftlichen Aktivitäten zu bekommen. Was sich allerdings im Verlauf der letzten zehn Jahre offenbart hat, ist ein grundsätzliches Mißtrauen in diese Initiativen und die damit einhergehenden Absichten. In den empfindli-chen Beziehungen, die für Jugend- und Gemeinwesenarbeit, in der Sozialarbeit sowie in den Schulen unabdingbar sind, kann Vertraulichkeit nicht ge-währleistet werden, wenn die Polizei aktiv beteiligt wird. Innerhalb aller Programme und Initiativen zu gemeinsamer Beratung liegt die Federführung immer wieder bei der Polizei. Auch bei der Gründung von interinstitutionellen Initiativen etwa in der Verbrechensverhütung, dem sexuellen Mißbrauch von Kindern oder in der Katastrophenhilfe ist es immer wieder die Polizei, die die Hauptrolle übernimmt. Während Community Policing, insbesondere wenn es mit den Bemühungen der Verbrechensverhütung gekoppelt wird, zumindest theoretisch allen Gruppen der Gemeinde zugute kommt, nutzt die Polizei die gemeindebezogene Arbeit in Wahrheit dazu, um besondere Zielgruppen zu identifizieren und gegen sie vorzugehen.
Im Kontext der interinstitutionellen Arbeit haben sich die Widersprüche der gemeindebezogenen Polizeiarbeit entlarvt: Polizei kann nicht ‚Sorgender und Kontrolleur‘, nicht ‚Leistungsträger und Regulator‘ zugleich sein.

Diese Widersprüchlichkeit hat sich auch auf die zivilen Mitarbeiter in den Community-Policing-Initiativen ausgedehnt, die dafür häufig das Vertrauen ihrer Gemeinden geopfert haben. Die Menschen schrecken heute davor zurück, Probleme mit den Mitgliedern der Nachbarschaftsgruppen oder den Verbindungsleuten zur Polizei zu erörtern aus Angst, alles, was sie erzählen, werde an die Polizei weitergegeben.

Durch die Rhetorik des Community Policing und die Rückkehr zur Idee der ‚Verbrechensverhütung‘ des 19. Jahrhunderts wurde die eiserne Faust der Polizeigewalt nur in den Samthandschuh des Polizeidienstes gekleidet. Prak-tisch frei von einer Rechenschaftspflicht hinsichtlich operationeller Vorge-hensweisen, Prioritätensetzungen und Alltagspraktiken genießen britische Polizeichefs eine relative Autarkie bei der Handhabung ihrer Macht. Die po-lizeilichen Vollmachten sind in dem drakonischen ‚Public Order Act‘ von 1986 und dem ‚Criminal Justice und Public Order Act‘ zudem drastisch ausgeweitet worden. Während die gegenwärtig existierenden 43 Polizeien noch den Schein von Community Policing wahren, sind viele operationelle Aufgaben längst überregional zentralisiert worden, so daß sie der Mitbestimmung der Community und ihrer Vertreter entzogen sind. Heute umfaßt dies auch die streng vertraulichen Verhandlungen von Polizeien über die internationalen Grenzen hinweg. Die Normalisierung der besonderen Vorkehrungen beim Kampf gegen den Terrorismus, das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel hat zu internationaler Kooperation ohne nationale, geschweige denn örtliche Zustimmung geführt.

Phil Scraton ist Leiter des ‚Centre for Studies in Crime and Social Justice‘ am ‚Edge Hill University College‘ in Omskirk.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.