Vorrechte und Immunitäten für Europol – Dokumentation des Zusatzprotokolls zur Europol-Konvention

von Otto Diederichs

Normalerweise erscheint die von Bürgerrechte & Polizei/CILIP zusammengestellte Bilanz polizeilicher Todesschüsse jeweils in der ersten Ausgabe des Folgejahres, während die offizielle Statistik der Innenministerkonferenz (IMK) meist erst im Sommer oder Herbst bekannt gegeben wird. Daß die CILIP-Statistik in diesem Jahr verspätet erscheinen muß, hat indes seinen Grund: Zum ersten Male wies sie für 1995 gravierende Unterschiede zur IMK-Statistik auf, die nicht durch notwendige abweichende Erfassungskriterien zu erklären waren.

Die Nachrecherche ergab, daß das wichtigste Kontrollinstrument, die Presse, nicht mehr ausreichend funktioniert. Vielfach blieben Meldungen in den Lokalteilen der Zeitungen hängen und waren damit einer überregionalen Auswertung entzogen. Der umgekehrte Fall, daß Todesschüsse, die gar nicht stattgefunden haben, gemeldet, jedoch nicht wieder korrigiert werden, ist zwar seltener, hat aber ebenfalls stattgefunden: (1) In der Chronologie in Heft 55 (2/96) hatte CILIP gemeldet, am 6. August 1996 sei es in Bremen zu einem tödlichen Schuß auf einen Jugendlichen gekommen. (2) Das Bremer Polizeipräsidium belegte daraufhin gegenüber der Redaktion, daß es sich lediglich um einen Schuß in den Boden gehandelt hat, bei dem niemand verletzt wurde. (3)

Notwendige Änderungen

Daraus ergibt sich ein Problem: Ausgangsort für Presseverlautbarungen über Schußwaffeneinsätze mit Todesfolge (und alle nachfolgenden Meldungen) sind im Regelfall die ermittelnden Staatsanwaltschaften. Schon in der Vergangenheit war es schwierig, den juristischen Fortgang solcher Vorfälle im Auge zu behalten oder zu rekonstruieren. Unmöglich wird dies natürlich, wenn Presseerklärungen einer Staatsanwaltschaft erst zum Ausgangspunkt der Wahrnehmung werden müßten; gleiches gilt für polizeiliche Pressestellen oder die Redaktionen lokaler Medien, die auch erst dann gezielt angesprochen werden können, wenn man von einem Vorgang zumindest weiß. Am erfolgversprechendsten erschien daher der Weg über die Innenministerien. Eine Nachfrage erbrachte zwar interessante Einblicke in den höchst unterschiedlichen Umgang mit der Öffentlichkeit, jedoch keine brauchbare Klärung.

Die IMK-Statistik hat nun für 1996 neun Fälle von polizeilichem Schußwaffeneinsatz mit tödlichen Folgen gemeldet, (4) die CILIP-Statistik enthält 10 Polizeiopfer: Im Gegensatz zur offiziellen Statistik zählt CILIP auch die tödlichen Folgen sog. „unbeabsichtigter Schußabgaben“, die von der IMK seit 1983 nicht mehr mitgerechnet werden. (5) In der Statistik selbst sind sie jedoch gesondert ausgewiesen; insoweit sind beide Statistiken also doch deckungsgleich. Anhand eines Artikels in der nordrhein-westfälischen Polizeizeitschrift ‚Die Streife‘ ließ sich der Fall identifizieren (CILIP-Statistik Fall 6). (6)
Immer wird das nicht möglich sein. Dennoch wird es nötig werden, die CILIP-Statistik vor ihrer Veröffentlichung zunächst mit jener der IMK abzugleichen, um weiterhin aussagefähige Werte zu behalten. Das bedeutet zugleich, daß die Zusammenstellung künftig nicht mehr wie gewohnt zu Beginn eines Jahres erscheinen kann, sondern abhängig wird von behördlichen Instanzenwegen mit ihren schleppenden Arbeitsabläufen und der Pressepolitik der Innenministerkonferenz.

Ein weiterer Todesschuß

Ein weiterer Fall des letzten Jahres ist allerdings weder in der IMK- noch in der CILIP-Statistik enthalten, da er nicht von der Polizei abgegeben wurde: Bei der Ausführung zu einer Behandlung ist am 8.2.96 in Berlin ein gefesselter Häftling seinen Begleitern entflohen. Einer der Justizbeamten schoß daraufhin nach einem Warnschuß gezielt und erschoß den Mann im Eingangsbereich eines U-Bahnhofes. Eine Passantin wurde am Unterschenkel verletzt. (7) Im Dezember 1996 wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Beamten eingestellt, da der Waffengebrauch gerechtfertigt gewesen sei. (8)

Polizeiliche Todesschüsse 1996

1 2 3 4 5
Name/Alter unbek. Mann
38 J.
Kenan Odabasi
21 J.
Helmut Finkl
25 J.
Deniz K.
25 J.
unbek. Mann
51 J.
Datum 16.01.96 16.01.96 06.02.96 06.04.96 08.04.96
Ort/Land Köln
NRW
Bünde
NRW
Dachau
Bayern
München
Bayern
Hürth
NRW
Szenarium Auf einem Bauernhof sticht ein türkischer Mann mit einem Fleischermesser auf seine Frau ein. Ein Polizeibeamter schießt auf den Mann und verletzt ihn tödlich. Bei dem Versuch, einen psychisch Kranken zu beruhigen, der Familienangehörige mit einem Messer bedroht, sticht dieser plötzlich auf die Polizisten ein. Ein Beamter schießt und trifft den Mann tödlich. Ein Geiselnehmer droht, eine Arzthelferin umzubringen, wenn er nicht von der Polizei getötet werde. Beim polizeilichen Zugriff geben die eingesetzten SEK-Beamten vier Schüsse auf ihn ab, um die Geisel zu retten. Bei einer Drogenrazzia bedroht ein mutmaßlicher Dealer einen Polizeibeamten mit einer Pistole. Dessen Kollege gibt nach eigenen Angaben einen Schuß ab, der den Mann tötet. Das Opfer weist allerdings zwei Schußwunden auf; Zeugen bestätigen ebenfalls zwei Schüsse. Der Hergang ist unklar. Ein geistig verwirrter Mann bedroht seine Eltern und die herbeigerufenen Polizisten mit zwei Säbeln. Bei dem Versuch, den Mann durch Armschüsse zu entwaffnen, wird er getötet.
Opfer mit Schußwaffe? nein (Messer) nein (Messer) ja (Schreckschußpistole) ja (Gaspistole) nein (Säbel)
Schußwechsel? nein nein nein nein nein
Sondereinsatz-
beamte?
nein ja ja nein ja
Verletzte/ getötete Beamte? nein nein nein nein nein
Vorbereitete Polizeiaktion? nein ja ja ja nein
Staatsanwaltschaftl. Ermittlungsverfahren? ja ja ja ? ?
Gerichtsverfahren? ? nein ? ? ?
Otto Diederichs ist Redakteur und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP; freier Journalist in Berlin

(1) Berliner Zeitung v. 7.8.96 (2) Bürgerrechte & Polizei/CILIP 55 (2/96), S. 80 (3) Schreiben v. 16.1.97 (4) Presseerklärung v. 28.4.97 (5) Schreiben der IMK-Geschäftsstelle an die Redaktion v. 5.6.90 (6) Die Streife 3/97, S. 10 (7) Der Tagesspiegel v. 9.2.96 (8) Der Tagesspiegel v. 11.12.96