Editorial

von Heiner Busch

Mieterinnen und Mieter kennen das. Die Leitungen des Hauses sind morsch. Der Schimmel wächst vom Keller hoch. Doch die Hausbesitzer lassen die Fassade renovieren. Hauptsache, es sieht sauber aus, die Kinder spielen nicht zu laut auf dem Hof, und ihre Eltern hängen keine Wäsche aus dem Fenster. Dafür, dass letzteres nicht passiert, hat der Hauswart zu sorgen.

Die bundesdeutsche Politik in Sachen Rechtsextremismus scheint sich an diesem Modell zu orientieren. Jahrelang hat man rechtsextreme Gewalt verharmlost und die Zahlen der Opfer schön geredet. Seit dem Bombenanschlag in Düsseldorf am 27. Juli letzten Jahres, der jüdische Einwanderer aus Osteuropa traf und dessen Hintergründe bis heute ungeklärt sind, überschlägt sich die Debatte. Das „Ansehen der Bundesrepublik“ im Ausland stand auf dem Spiel, und die offizielle Politik wollte „Zeichen“ setzen.

Sieht man von den zu nichts verpflichtenden und auch nichts bewegenden Aufständen der Anständigen ab, geschieht das nicht etwa, indem man sich auf die Seite der Opfer stellt – insbesondere der Asylsuchenden und MigrantInnen, aber auch der Obdachlosen, der Homosexuellen, der mit Quasi-Fahndungsaufrufen bedrohten Linken. Zur Debatte steht nicht die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylsuchende und erst recht nicht die Wiedereinführung des Grundrechts auf Asyl, das 1993 – als Antwort auf die pogromartigen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen (!) – bis zur Unkenntlichkeit reduziert wurde. Der Vorstoß für das NPD-Verbot ging von Bayerns Innenminister Beckstein aus. Er repräsentiert eine Partei, die vor nicht allzu langer Zeit massenhaft rassistische Stimmung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit machte und nun deutsche Leitkultur und Stolz auf die Nation verbreitet. Hand in Hand geht er mit dem Bundesinnenminister, der nicht müde wird, die Umwandlung der Reste des Rechts auf Asyl in ein staatliches Gnadenbrot zu fordern. Das „entschlossene“ Vorgehen gegen den Rechtsextremismus und die Verteidigung des Ansehens der Deutschland AG dürfen die Politik gegenüber den Opfern um keinen Deut ändern.

Wer beide Ziele unter einen Hut bringen will, der muss jeden Bezug der rassistischen Gewalt zur offiziellen Politik der Staatsparteien negieren. Das allerdings geht nur, indem man Neonazis und Skinheads zu einem Problem der Sicherheit und Ordnung und eines des politischen Extremismus erklärt. Für solche Angelegenheiten hat auch die BRD ihre Hauswarte.

Dass Polizei und Verfassungsschutz auch auf dem rechten Auge zu sehen beginnen, hat einen Teil der Bürgerrechtsgruppen und der Linken ratlos gemacht. Das gilt nicht nur für den NPD-Verbotsantrag, bei dem sich eine merkwürdige Einigkeit von CSU bis PDS zeigt und zu dem auch in diesem Heft zwei kontroverse Beiträge zu lesen sind. Der Autor dieser Zeilen kann sich dabei nicht des Eindrucks erwehren, dass Teile der Linken nach einem etwas abgeänderten St.-Floriansprinzip handeln. Heiliger staatlicher Florian, verbiete die Parteien der Rechten, aber bitte nicht unsere Organisationen; verbiete ihre Aufmärsche, aber lass uns in Gorleben blockieren, erfasse alle, die auf der Rechten kreuchen und fleuchen, schaffe den „gläsernen Neonazi“, aber wahre unseren Datenschutz. Angesichts der wunderbaren Sehkraft der einstigen Blinden wird vergessen, dass die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“, die Organisationsdelikte im Strafrecht, die verdeckten staatsschützerischen Methoden eigentlich immer für uns gedacht waren, dass unsere Demonstrationen mit den gleichen Gefahrenvermutungen eingedeckt wurden und werden wie heute die Aufmärsche der Rechten.

Gerade die Begründung des NPD-Verbotsantrags durch den Verfassungsschutz müsste all jenen in den Ohren klingeln, die nach dem beschriebenen St.-Floriansprinzip zu politisieren gedenken. Hebt sie doch gerade darauf ab, dass die Gefährlichkeit der NPD an der wachsenden Zahl ihrer Demonstrationen abzulesen sei, aus ihrer Verachtung des Parlaments oder gar der Missachtung staatlicher Gewalt. Wer die verfassungsschützerischen Kommentare liest, wird den Eindruck nicht los, dass sie problemlos auf die außerparlamentarische Linke gemünzt werden können und auch oft genug schon wurden.

Mindestens aus eigenem Interesse haben Bürgerrechtsgruppen, linke Parteien und Bewegungen ihren kritischen Verstand zu behalten, wenn die gerade abgeschaffte Kronzeugenregelung über die Hintertür wieder eingeführt, wenn Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, flächendeckende Erfassung, Razzien, Videoüberwachung und aufgeblasene Dateien als Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus verkauft werden sollen. „Öffentliche Auseinandersetzung statt geheime Überwachung“, hieß das Motto einer Veranstaltungsreihe des Archivs Schnüffelstaat Schweiz zum Rechtsextremismus im Nachbarland. Nichts sollte uns daran hindern, den Versuch der Rechten, die „Straße zu erobern“, mit einer Mobilisierung für mehr Grundrechte und mehr Demokratie zu kontern.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.