Stellungnahme der CILIP-Redaktion
Der Versuch, die NPD durch das Verfassungsgericht verbieten zu lassen, hat in der deutschen Bürgerrechtsbewegung unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die CILIP-Redaktion vermutet, dass auch unsere LeserInnenschaft zwischen dem Abscheu vor der menschenverachtenden Politik der NPD und der Skepsis gegenüber dem Staatsapparat hin und her gerissen ist. Angesichts der Kontroverse, die durch die beiden nachfolgenden Artikel von Wolf-Dieter Narr und Annelie Buntenbach deutlich wird, möchten wir auf einige Gemeinsamkeiten und offene Fragen hinweisen.
Gemeinsam ist wohl allen Positionen in der Verbotsdebatte, dass ein Verbot der NPD weder den Rechtsextremismus noch rechte Gewalt in Deutschland beseitigen wird. Selbst die Antragserfinder aus Bayern und dessen staatsoffizielle Befürworter gestehen dies zu. Immer erscheint das NPD-Verbot als ein Element eines „Bekämpfungskonzepts“. Unterschiede zu explizit bürgerrechtlichen Positionen bestehen hingegen in der Rolle, die den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus, seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Ursachen zukommt. Narr und Buntenbach sind sich darin einig, dass nicht die staatlichen Repressionen die entscheidenden Instrumente im Kampf gegen rechts sind, sondern das Engagement der BürgerInnen gegen den alltäglichen Rassismus und gegen den „Extremismus der Mitte“.
Wer von demokratisch-bürgerrechtlichen Positionen her denkt, wer sich auch nicht auf einfache Feindbeschreibungen einlässt, die staatsschützerisch schon immer Konjunktur hatten, der oder die muss nach den gesellschaftlichen Ursachen dessen fragen, was „bekämpft“ werden soll. Gleich für welche Erklärung rechtsextremer Einstellungen und Handlungen man sich entscheidet: Dass es sich um ein Phänomen einzelner, von Rädelsführern oder von Parteien Verführter handelte, kann niemand ernsthaft behaupten. (Und wer es täte, der müsste erklären, woher denn die Verführbarkeit kommt.) Insofern gilt der aufgeklärte Blick gegen rechts nicht allein dem bürgerschaftlichen Engagement, sondern auch den gesellschaftlichen Bedingungen, die den Rechtsextremismus ermöglichen und befördern. Auch darin sind sich Buntenbach und Narr einig.
Vor diesem Hintergrund weisen die staatlichen Programme, in deren Kontext der Verbotsantrag steht, eine bemerkenswerte Schieflage auf. Der regierungsamtliche „Kampf gegen rechts“ besteht aus drei Säulen: Erstens: Breite Öffentlichkeitskampagnen – von der „Fairständnis“-Plakataktion der Innenministerien über den vom Bundeskanzler ausgerufenen „Aufstand der Anständigen“ bis zur „Gesicht zeigen“-Initiative. Zweitens: Bildungsprogramme, insbesondere für Toleranz und interkulturelles Zusammenleben. Drittens: staatliche Repressionen, von verschärften Strafrechtsnormen und speziellen polizeilich-verfassungsschützerischen Bekämpfungsstrategien bis zu Einschränkungen des Demonstrationsrechts, Vereinigungs- und eben Parteiverboten. Nur ganz wenige Elemente staatlicher Programme verlassen diesen Dreiklang, so dass insgesamt gesellschaftliche Strukturen aus dem „Kampf gegen rechts“ ausgeklammert werden. Am ehesten finden sich noch hilflose Versuche gegen die (Jugend)arbeitslosigkeit. Die neoliberale Deregulierung der bundesdeutschen Gesellschaft, die forcierte Individualisierung, die Durchsetzung kapitalistischer Logik in nahezu allen Lebensbereichen, die Auflösung bestehender Sozialmilieus durch die deutsche Vereinigung, der Verlust an Orientierung durch die allseits beschworene Globalisierung – all dies spielt in der Staatsdebatte gegen rechts keine Rolle. Im Gegenteil: „Modernisierung“ – ein beschönigender Ausdruck für die Ohnmacht der Politik gegenüber der Ökonomie – wird zum Zauberwort der Zukunftsfähigkeit. So verwundert es kaum, dass das Ansehen Deutschlands in der Welt („Exportnation“) eine so große Rolle in der Bekämpfung des Rechtsextremismus spielt. Es entspricht dieser Art von Fortschrittslogik, wenn PR-Arbeit, Aufklärung und Repression die Strategien bestimmen; sie sollen auffangen, was die „Modernisierung“ an unerwünschten Nebenfolgen bewirkt. In diesem Kontext ist das NPD-Verbot ein Element symbolischer Ersatzpolitik: Mit dem Blick auf rechtsextremistische Personen, Gruppierungen und Parteien lenkt sie von den Entstehungsbedingungen rechtsextremer Gesinnungen und Handlungen ab. Ob und mit welchen Erfolgsaussichten Strategien, die ursachenbezogen und gestützt auf bürgerschaftliches Engagement gegen rechts vorgehen wollen, an staatlichen Programmen anknüpfen können, bleibt durchaus fraglich.
Aber die Verbotsanträge sind gestellt. Gleich welche Entscheidung das Verfassungsgericht fällt, die Folgen sind absehbar. Nahezu undenkbar ist der Fall, dass das Gericht die Anträge ablehnte. Angesichts des politischen Drucks, der in dieser Frage erzeugt wurde, wäre das nicht nur eine Schlappe für die antragstellenden Verfassungsorgane, sondern – politisch verheerender – es wäre ein höchst offizieller Persilschein für die menschenverachtende Politik und Propaganda der NPD. Nur weltfremde und radikalliberale Träumer dürfen deshalb hoffen, das Gericht werde ein Verbot ablehnen. Verbietet es hingegen die NPD, setzt es dieses von vielen so sehr gewünschte „Zeichen“ gegen rechts, dann entstehen neue Probleme. Bereits jetzt wird die jüngere Wandlung der NPD dadurch erklärt, dass in den letzten Jahren eine Reihe von rechtsextremistischen Vereinigungen verboten und aufgelöst wurden, deren Anhänger in der NPD eine neue Heimat fanden. Wohin gehen die Rechtsextremisten, wenn die Partei aufgelöst wird? Im Gefolge des NPD-Verbots wird das Organisations- und Gesinnungsstrafrecht eine neue Konjunktur erleben. Der Abschied vom Tat- bzw. die Hinwendung zum Täterstrafrecht setzt sich auf neuem Terrain fort. Polizeilicher Staatsschutz und Verfassungsschutz werden ein reiches Betätigungs- und Legitimationsfeld bekommen. Der Ausbau beider Apparate, Strategien der Vorfeldüberwachung und Infiltration sind als Folgen des NPD-Verbots wahrscheinlich. Während diese bürgerrechtlichen Kosten des Parteienverbots unabweislich scheinen, sind die Wirkungen auf den Rechtsextremismus als eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens mehr als fraglich. So können auch gutgemeinte „Zeichen“ zu Folgen führen, die den Intentionen widersprechen. Wie aber Abhilfe geschaffen werden könnte gegen die weitere – diesmal im Kampf gegen den Rechtsextremismus betriebene – polizeiliche und verfassungsschützerische Durchdringung der Gesellschaft, darüber müssten diejenigen Auskunft geben, die auf den Staat als Verbündeten gegen rechts setzen.