Braune Wurzeln – Der lange Weg des BKA zur eigenen Geschichte

Interview mit Dieter Schenk

„Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit“, erklärte die Bundesregierung noch 2001, als Dieter Schenks Buch über die „braunen Wurzeln“ des Bundeskriminalamts erschien. Sechs Jahre später nahm das Amt mit drei Kolloquien endlich den Anlauf, sich seiner Geschichte zu stellen.[1]

Herr Schenk, was war der Anlass für Ihr Buch über die braunen Wurzeln des BKA?

Ich war von 1981-89 beim BKA. In dieser Zeit habe ich zwar immer wieder von den „Charlottenburgern“ gehört. Das seien Altvordere des Amtes gewesen, die aus der NS-Zeit belastet waren. „Charlottenburger“ hießen die deshalb, weil der Kern dieser Gruppe einen gemeinsamen Kommissarslehrgang an der SS-Führerschule in Charlottenburg absolviert hatte. Wenn ich mehr über diesen Kreis wissen wollte, konnte oder wollte man mir nichts sagen; über diesen Leuten lag ein Grauschleier. Als ich dann Mitte der 90er Jahre mit der Biografie über Horst Herold begann, wollte ich den „Charlottenburgern“ auch ein Kapitel widmen, weil sie schließlich zur Geschichte des BKA gehören. Ich habe dann in Erfahrung gebracht, dass es von Paul Dickopf, Herolds Vorgänger als BKA-Präsident, einen umfangreichen Aktennachlass gibt. Dickopf starb 1973. Er hat alles mögliche penibel gesammelt – das sind 68 Bände im Bundesarchiv in Koblenz.

Bundesarchiv, Bild 146-2007-0205 / Doff / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 146-2007-0205, Paulinus Dickopf, CC BY-SA 3.0 DE
Bundesarchiv, Bild 146-2007-0205 / Doff / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 146-2007-0205, Paulinus Dickopf, CC BY-SA 3.0 DE

Der Chef der Abteilung Verwaltung des BKA hat diesen Bestand 1975 ans Bundesarchiv abgegeben mit einer Sperrfrist von 25 Jahren. Damit hat man die Nazi-Vergangenheit des BKA während eines Vierteljahrhunderts praktisch zu einer Geheimsache erklärt. Eine Ausnahmegenehmigung für den Zugang zu diesem Fundus lehnte das BKA ab. Das sei wohl „nicht im Sinne des verstorbenen Herrn Dickopf“. Ich musste also bis zum Ablauf der Sperrfrist im Jahre 2000 warten. Inzwischen habe ich dann andere Sachen geschrieben. Mit den Dickopf-Akten lernte ich einen Umfang der Verstrickung des BKA kennen, die ich so nicht für möglich gehalten habe. Sie waren für mich der Ausgangspunkt weiterer Recherchen über den leitenden Dienst – das waren 47 Beamte von der Gründung des BKA 1951 bis Anfang der 70er Jahre.

Bleiben wir einen Moment bei den Schwierigkeiten der Recherche. Sie haben mehrfach betont, dass Sie für Ihr Buch kein einziges offizielles Papier des BKA einsehen konnten.

Das ist richtig. Als ich mit den Arbeiten anfing, habe ich den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily schriftlich um Akteneinsicht gebeten, was dieser auch per Erlass bewilligte – und zwar sowohl für die Bestände des Bundesinnenministeriums (BMI) als auch für die des BKA. Bei einem ersten Gespräch im BKA schien man da auch ganz offen. Als ich nach Monaten trotzdem keine Unterlagen bekam, habe ich das angemahnt. Um es kurz zu machen: Über mehr als ein Jahr hinweg haben das BKA und sein damaliger Präsident Ulrich Kersten beamten- und datenschutzrechtliche Probleme vorgeschoben, um mir Akten zu verweigern; und das, obwohl Schily mir schwarz auf weiß die Genehmigung erteilt hatte und ich im Bundesarchiv die BMI-Akten einschließlich Personalentscheidungen, Beurteilungen von Beamten etc. einsehen konnte. Anfangs dachte ich, mein ganzes Projekt würde scheitern. Aber insgesamt kam mit den Akten aus dem Dickopf-Nachlass und zahlreichen Unterlagen aus Bundes- und Landesarchiven sowie aus Polen mehr als ausreichend Material zusammen.

Sie sagten, Sie haben das Ausmaß der Verstrickung nicht für möglich gehalten. Was meinen Sie damit?

Von den 47 Leuten in Leitungsfunktionen waren alle bis auf zwei NSDAP-Mitglieder gewesen. Das hatte ich mir schon gedacht, denn die waren ja auch vorher schon in entsprechenden Positionen im Polizeidienst. Nicht vermutet hatte ich jedoch, dass etwa die Hälfte von ihnen unmittelbar in Nazi-Verbrechen involviert war. Teils waren sie als Angehörige des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) für die so genannte vorbeugende Verbrechensbekämpfung und damit für den Erlass von Vorbeugungshaftbefehlen und die Einweisung in Konzentrationslager zuständig. Eine größere Zahl von ihnen war als Mitglieder von Einsatzgruppen oder gar in führender Position unmittelbar an Exekutionen in Polen und der Sowjetunion beteiligt. Bernhard Niggemeyer, der dritte Mann in der Hierarchie des BKA, war Leitender Feldpolizeidirektor der Heeresgruppe Mitte in Russland. Unter seiner Regie standen zwölf Gruppen der Feldpolizei, die als Gestapo der Wehrmacht galt und massenhaft in Exekutionen involviert war. Das Bild war plötzlich ganz deutlich: Das BKA ist von ehemaligen Nazi-Tätern aufgebaut worden.

Welche Rolle spielte Dickopf in diesem Kontext?

Er war die Vaterfigur für die „Charlottenburger“, zu denen im engeren Sinne sieben Leute gehörten, die mit ihm 1938/39 im selben Lehrgang waren. Bis 1942 sind dann noch weitere an der SS-Führerschule ausgebildet worden, die als seine Vertrauten im BKA Stellen erhielten, insgesamt waren es 24 SS-Führer. Dickopf nahm für sich in Anspruch, ein Widerstandskämpfer geworden zu sein, nachdem ihn die Militärische Abwehr in die Schweiz geschickt hatte. Das haben ihm auch die aufeinander folgenden Innenminister abgenommen. In der Schweiz konnte ich mit einer Sondergenehmigung geheime Akten einsehen. Die damaligen Untersuchungen gegen Dickopf machen klar, dass er ganz offensichtlich ein Doppelspion war. Es gibt eine Zeugenaussage, wonach er seine Berichte über die Vatikan-Botschaft nach Berlin weitergeleitet hat. Und es gibt eine ganze Reihe von weiteren Beweisen. Er hat in Lausanne bei François Genoud gewohnt, einem schweizerischen Nazi, der ihn auch nach dem Krieg weiter unterstützte – unter anderem 1968 bei der Wahl zum Interpol-Präsidenten. Dieser Genoud hatte nach dem Krieg auch Verbindungen zu arabischen Staaten, die er beeinflusst haben soll, für Dickopf zu stimmen.

Sicher ist auch, dass Dickopf in der Schweiz über eine Reihe von falschen Papieren verfügte, über Geldmittel, die ganz eindeutig mit seiner Aufgabe für die Abwehr zusammenhingen. Kurz vor Toresschluss, im Januar 1945, hat er sich dann mit der US-Gesandtschaft in Bern in Verbindung gesetzt und scheinbar sein Wissen offenbart, wobei er gar keine Namen nannte, sondern nur Organisationsstrukturen schilderte. Das hat aber ausgereicht, dass er sich bei den Amerikanern als Fachmann für die Kriminalpolizei Vertrauen erwerben konnte und zumindest bis 1951 Mitarbeiter des CIA wurde. Auf diese Weise wurde er dann zunächst im BMI für den Aufbau des BKA zuständig, ab 1952 war er Vizepräsident und ab 1965 Präsident des Amtes.

Wie hat man beim BKA und bei den politisch Verantwortlichen auf das Buch reagiert?

Die PDS hat im Bundestag kurz nach Erscheinen des Buches eine Anfrage gestellt. In der Antwort der Bundesregierung finden sich die Sätze: „Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden.“[2] Wenn ich das bei Veranstaltungen zitiert habe, gab es immer ein hämisches Lachen. Mein Verlag Kiepenheuer und Witsch schlug damals vor, beim BKA und unter dessen Regie eine Podiumsdiskussion zu veranstalten. Die Antwort lautete, das sei nicht die geeignete Methode, die Sache zu erhellen. Das war im Jahre 2001. Letzten Endes hat erst Jörg Ziercke, der 2004 das Präsidentenamt antrat, mit dieser Linie gebrochen. Dass es ihm ein Anliegen ist, die Geschichte der Polizei unter den Nazis aufzuarbeiten, hat er schon in Schleswig-Holstein gezeigt. Er sorgte dafür, dass vor einem Polizeigebäude, das früher eine Gestapo-Dienstsstelle war, ein Denkmal errichtet wurde. Und er hat auch ein Buch über die Tätigkeit der Polizei des Landes während der NS-Zeit initiiert.[3]

2007 veranstaltete das BKA auf Zierckes Initiative drei Kolloquien unter dem Titel „Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte.“ Wie bewerten Sie die?

Dass Ziercke es damit ernst meinte, davon bin ich überzeugt. Das zeigte sich an seinen eigenen Beiträgen. Auch dass er Leute wie Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma einlud, schien mir keine Alibi-Übung, denn der war ja kein bequemer Redner, sondern hat sehr eindeutig dargestellt, wie man mit Sinti und Roma unter den Nazis, aber auch noch in der Nachkriegszeit umgesprungen ist. Ziercke lehnte allerdings meinen Vorschlag ab, die aktuellen Menschenrechtsverletzungen im Alltag der internationalen Verbrechensbekämpfung auf die Tagesordnung zu setzen mit der Konsequenz, dass weiterhin Folterregime mit millionenschwerer Polizeihilfe durch das BKA unterstützt werden.

Eine andere Frage ist außerdem, wie die BKA-Abteilungs- und Referatsleiter und schließlich auch die 5.000 Bediensteten auf so etwas reagieren. Während des Kolloquiums sagte Ziercke, alle Abteilungsleiter hätten das gebilligt. Ich bezweifle jedoch, dass die Mehrheit der BKA-Leute diesem Thema gegenüber aufgeschlossen ist. Während und nach den Kolloquien waren da auch ganz andere Töne zu hören – teilweise auf Stammtischniveau: Man hätte das Geld auch anders ausgeben und eine Fortbildung machen können. Jemand hat geschrieben: Dies ist nicht mehr mein BKA. Völlig unverständlicherweise hat auch die Gewerkschaft der Polizei Ziercke vorgeworfen, das Amt unter einen Nazi-Generalverdacht zu stellen. Das ist völlig blamabel für eine Gewerkschaft, die unter den Nazis Schlimmes erlitten hat und auch in den ersten zwanzig Jahren des BKA unter den „Charlottenburgern“ keinen Boden unter die Füße bekam.

Die Präsenz der „Charlottenburger“ und anderer Seilschaften im Amt zeigt zunächst die personelle Kontinuität zur NS-Zeit. Wie sah das bei der Organisation und den Arbeitsformen aus?

Ich habe ja auch die Akten des Kriminalpolizeiamtes der Britischen Zone ausgewertet, das eine Vorstufe des BKA war und dessen Mitarbeiter alle übernommen worden sind, einschließlich von 80 ehemaligen Angehörigen des Reichskriminalpolizeiamtes. Rolf Holle, der Leiter des Grundsatzreferates war, hat dort innerhalb eines halben Jahres Richtlinien zu allem möglichen erstellt: über Falschgeld, über Fahndung, über Meldedienst, Erkennungsdienst und so weiter. Ich habe mich gefragt, wie das möglich war, in so kurzer Zeit das alles im Detail zu regeln. Erst als ich die entsprechenden Richtlinien des RKPA prüfte, wurde mir klar, dass er die neuen Richtlinien einfach da abgeschrieben und nur die Nazi-Terminologie und vor allem die Konzentrationslager rausgelassen hatte.

Beim BKA ging das weiter. Dickopf hat häufig gefragt: Wie haben die das denn früher, also im RKPA, gemacht? Und so wie früher wurde dann auch verfahren. Man übernahm alle möglichen Richtlinien bis hin zu Formularen. Der Personenschutz der Sicherungsgruppe wurde nach dem Muster des Reichssicherheitsdienstes aufgebaut. Das BKA war ein Abklatsch des RKPA in Bezug auf die Vorschriften und vor allem in Bezug auf die Organisation. Man findet im Organisationsschema des BKA alle wichtigen Gliederungen des RKPA wieder, das ja das Amt V des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), der Terrorzentrale in der Prinz-Albrecht-Straße, gewesen war.

Allerdings verfügte das BKA nicht über die zentralistischen Kompetenzen des RKPA.

Dickopf hat zwei politische Ziele nicht erreicht: die Weisungsbefugnis gegenüber den Ländern und die uneingeschränkte Ermittlungsbefugnis der Zentralstellen, die das RKPA bzw. die Organisation der Kripo im Nationalsozialismus kennzeichneten. Diese beiden Punkte waren wegen des Grundgesetzes und vor allem wegen des Widerstandes der Länder nicht durchsetzbar. Noch 1971 haben Dickopf und Holle eine Broschüre herausgebracht – „Das Bundeskriminalamt“ – und das Fehlen dieser beiden Elemente kritisiert. Dort findet sich auch der Satz, dass die Sicherheitspolizei nicht deshalb schlecht und verdammenswert gewesen sei, weil sie zur Zeit der Naziherrschaft das Licht der Welt erblickt hat.

Die vorbeugende Verbrechensbekämpfung und das Bild vom Berufs- und Gewohnheitsverbrecher bildeten seit den 20er Jahren den Kern der scheinbar unpolitischen, professionellen Ideologie der Kriminalpolizei. In der NS-Zeit zeigte sich aber gerade hier die Einbindung in die Vernichtungsmaschinerie.

In der NS-Zeit ist das eindeutig so. Die mehrere hundert Seiten starke Erlasssammlung des RKPA zeigt das ganz klar. Die BKA-Schriftenreihe – die auch dem Vorbild des RKPA folgte – und Vortragsreihen befassten sich in mehreren Publikationen mit Fragen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Eine von 1962 heißt: „Der Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“. 1964 gab es auch eine Arbeitstagung zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Die wollte man wieder aufgreifen – einschließlich der Sicherheitsverwahrung, wobei man diskutierte, ob dafür überhaupt eine richterliche Entscheidung notwendig sei, weil doch nur die Kripo über den polizeilichen Sachverstand verfüge. Leute wie Niggemeyer hatten für „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ KZ-Haft im Kopf und wollten es jetzt Sicherheitsverwahrung nennen. In der Realität konnte das nicht umgesetzt werden. Unter dem Titel vorbeugende Verbrechensbekämpfung lief insbesondere die Verfolgung von Sinti und Roma – unter den Nazis hießen sie Zigeuner, in den 50er und 60ern wurden sie dann umgetauft in „Landfahrer“. Ein BKA-Referatsleiter namens Dr. Josef Ochs, der im RKPA an der Stelle saß, die die Vorbeugungshaftbefehle gegen „Zigeuner“ ausstellte, machte sich Mitte der 50er Jahre auf einer BKA-Tagung dafür stark, diese „notorischen Verbrecher“ stringenter zu verfolgen.

Der Mythos des unpolitischen kriminalistischen Handwerks spielt auch in der internationalen Zusammenarbeit eine Rolle, wo das BKA seit langem eine große Bedeutung hatte.

Das zeigt sich daran, dass man auch heute wie in der Dickopf-Ära an Menschenrechtsverletzungen keinen Anstoß nimmt, wenn es um die internationale polizeiliche Zusammenarbeit geht. Eine deutsche Polizeibehörde, die die Geschichte der Polizei im Nationalsozialismus verstanden hat, müsste auch sensibel sein für die Rolle der Polizei in Diktaturen in anderen Regionen der Welt. 106 von 186 Interpol-Mitgliedstaaten, mehr als die Hälfte also, foltern und misshandeln, davon über 80 systematisch. Systematisch heißt, dass Folter und Misshandlung seitens der Regierung des jeweiligen Staates entweder toleriert oder gar angeordnet werden. Für mich ist es unbegreiflich, dass das BKA dem in der Zusammenarbeit nicht Rechnung trägt. Das war eines der wichtigsten Motive für mein neues Buch.

1969 hatte das BKA etwa 900 Mitarbeiter. Heute hat es 5.000 und außerdem viel mehr Befugnisse. Ist es nicht so, dass das Amt unter den „Charlottenburgern“ über das Ideologische hinaus kaum eine Rolle spielte?

Herold hat beklagt, das BKA sei, als er es 1971 übernommen hat, eine bloße Briefkastenbehörde gewesen, die ein Fahndungsbuch herausgab, das schon beim Erscheinen überholt war, wo ein Meldedienst existierte, der keine sinnvollen Ergebnisse lieferte etc. In der Tat war man um den Kreis der ehemaligen Nazi-Täter bestrebt, keine Außenwirkung zu haben. Man wollte nicht auffallen. Man duckte sich weg, um Ermittlungsverfahren, die ja immer wieder auftauchten und Leute aus dem Amt gefährdeten, mit heiler Haut zu überstehen und dann in Ruhestand zu gehen. Dickopf hatte seine Schäfchen unter sich – auch in der Weise, dass die sich gegenseitig nicht belasteten, dass sie gedeckt und auch aus der Schusslinie genommen wurden, indem man sie, wie in einem Fall, kurz zum Statistischen Bundesamt abordnete und dann später wieder zurückholte. Aber zum Schluss sind sie alle befördert worden.

Die Sicherungsgruppe spielte da eine andere Rolle. Erstens waren die ja räumlich getrennt in Bad Godesberg, später in Meckenheim. Und zweitens wurden Leute rekrutiert, die sich selbst als Verteidiger des westlichen Gedankenguts und den Feind wie auch früher im Osten sahen. Das ging praktisch gegen alles, was links von deren eigener Sichtweise war. Die Sicherungsgruppe hat sich besonders in der Bekämpfung von „Spionen“ darin gefallen, eine Außenwirkung zu haben.

Die Mehrheit der „Charlottenburger“ ging bis Anfang der 70er Jahre in Ruhestand, mit satten Pensionen – im Gegensatz zu den Opfern, wenn sie überlebt hatten. Mit Herold begann eine neue Ära. Das BKA sollte nun nicht mehr kleckern, sondern klotzen, es hat dann einen bis dahin ungekannten personellen Zuwachs gehabt. In seiner Antrittsrede stellte Herold zwar die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als Schwerpunkt dar. Dazu ist er nicht gekommen, was er immer bedauerte. Er wurde sofort in den Strudel der RAF-Bekämpfung reingerissen. Die hat er auf eine Weise betrieben, die seiner Fähigkeit, strategisch und technisch zu denken, entsprach. Das betraf insbesondere die Datenverarbeitung. Die Kritik an seiner Person, aber auch seine Verdienste und die entwürdigende Behandlung nach seinem Rauswurf habe ich in seiner Biografie beschrieben.

War die Tradition der alten Nazi-Seilschaften nach dieser Wende im BKA noch spürbar?

Das ließe sich nur durch betriebssoziologische Untersuchungen zuverlässig beantworten. Ohne Zweifel folgte der Nachwuchs in der Justiz den aus der Nazi-Zeit belasteten Ziehvätern, was sich an freisprechenden Urteilen und Verfahrenseinstellungen ablesen lässt. Herold hat sich mehrfach sehr kritisch über den Geist der BKA-Abteilungsleiter geäußert, die er sinngemäß als eine ihm feindlich gesinnte Mafia empfand. Ich habe in den 80er Jahren insgesamt einen autoritären Führungsstil, rechtslastige Aufgabenerfüllung und ein reaktionäres Klima im Amt erlebt, das sich auch in Witzen und Anekdoten niederschlug. Da kam ein Referatsleiter aus dem Bereich Terrorismus aus Frankreich zurück, wo eine Frau aus dem Randbereich des Terrorismus festgenommen worden war. Der erzählte dann bei einer Tasse Kaffee: Die XY wollte nicht mal sagen, wie sie heißt. Da hat ihr der französische Kollege mal in die Fresse gehauen, und dann hat sie das plötzlich wieder gewusst. Man merkte, dass er zwar selbst nie so handeln würde, aber er fand das ganz wirkungsvoll und gut. Nach meinen Eindrücken aus dieser Zeit wirkte das alte Gedankengut weiter. Einen Beweis, in welchem Umfang das der Fall war, habe ich natürlich nicht, denn nicht ohne Grund wurden mir die Akten verweigert. In solchen steht zum Beispiel – wie ich später erfuhr – dass das Bundeskanzleramt das Bundesinnenministerium anwies, sich vor solche „alten Kameraden“ zu stellen, die wegen ihrer Nazivergangenheit in die öffentliche Kritik geraten waren.

Die Mauer des Schweigens war ein halbes Jahrhundert Regierungspolitik. Ich bin nicht der Auffassung, dass heute noch im BKA der Geist alter Nazis weht. Vielmehr verhinderte ein Korpsgeist innere Demokratie. Sich schützend vor solche Mitarbeiter zu stellen, geschah mit zudeckender Loyalität und hat denselben Ursprung wie die Ignoranz gegenüber Folter in der internationalen Verbrechensbekämpfung. Damit macht sich das BKA zu stillen Komplizen von Folterern, auch wenn es selbst niemals Folter anwenden würde.

Dass nunmehr der renommierte Historiker Prof. Patrick Wagner den Auftrag erhalten hat, die Kontinuitäten aufzuspüren, begrüße ich sehr. Hoffentlich erhält er die Akten in den BKA-Abteilungen, die Präsident Ziercke geöffnet haben will.

Dieter Schenk, Berlin und Schenklengsfeld, ist Publizist und Honorarprofessor für die Geschichte des Nationalsozialismus an der Universität Lodz.
[1] Schenk, D.: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Köln 2001, 2. Auflage (als Taschenbuch) Frankfurt/M. (Fischer) 2003; BKA (Hg.): Das Bundeskriminalamt stellt sich seiner Geschichte, Köln 2008
[2] BT-Drs. 14/7733 v. 5.12.2001
[3] Freundeskreis zur Unterstützung der Polizei Schleswig-Holsteins (Hg.): Täter und Opfer unter dem Hakenkreuz – Eine Landespolizei stellt sich der Geschichte, Kiel 2001