Literatur

Zum Schwerpunkt

Dass deutsche PolizstInnen mittlerweile nahezu weltweit aktiv sind, hat bislang nur verhaltenen Niederschlag in Veröffentlichungen gefunden. Eindeutig dominieren die Berichte von beteiligten BeamtInnen; nur selten äußern sich Externe zu dem Thema. Und nach wissenschaftlichen Untersuchungen aus der jüngeren Vergangenheit sucht man vergebens – das gilt sowohl für die diversen Auslandsmissionen, aber auch für die Tätigkeiten der Verbindungsbeamten, die direkten bi-, multilateralen oder europäisierten Zusammenarbeitsformen, die Besuchs-, Ausbildungs- und Ausstattungsprogramme oder die polizeilichen „Patenschaften“, die die Bundesländer mit fremden Ländern pflegen. Im Folgenden können deshalb nur einige Hinweise auf vereinzelte Veröffentlichungen zum Thema des Schwerpunkts gegeben werden.

Deflem, Mathieu: Policing World Society. Historical Foundations of International Police Cooperation, New York 2002

Diese Studie über die historische Entwicklung der internationalen (kriminal)polizeilichen Kooperation, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzt, ist zwar auf die Entwicklung von Interpol konzentriert, sie liefert jedoch zugleich eine wichtige Perspektive, um die Internationalisierung der Polizeiarbeit angemessen verstehen zu können. Ausschlaggebend für diesen Prozess, so Deflem, ist der Grad der bürokratischen Selbstständigkeit der Polizei sowie der (polizeiliche) Glaube an den internationalen Charakter des Verbrechens. Internationalisierung folgt demnach einer primär bürokratischen Logik, die sich auf technische Mittel der Zusammenarbeit stützt. Derart blieben nationale Unterschiede durchaus bestehen; aber innerhalb dieser Differenzen bilde sich ein Selbstverständnis „professioneller Polizeiarbeit“, das länder- und regimeübergreifende Kooperation erlaube, weil nicht die Frage nach Demokratie oder Menschenrechten im Zentrum stünden, sondern die gemeinsamen „kriminalistischen Standards“.

Lemieux, Frédric (ed.): International Police Cooperation. Emerging issues, theory and practice, Portland 2010

In 16 Beiträgen werden in diesem aktuellen Sammelband verschiedene Aspekte der internationalen polizeilichen Kooperation untersucht. Das Spektrum reicht von regionalen Studien (Maas-Rhein-Euroregion, Taiwan-China) über die Untersuchung von Polizeiarbeit im Kontext von Bürgerkriegen (Afrika, Osttimor, Salomon-Inseln) oder gegenüber einzelnen Deliktsbereichen (Drogenhandel, organisierte Kriminalität, Terrorismus) bis zu den Feldern europäischer (Europol u.a.) und transatlantischer (EU-USA) Kooperation. Neben den lesenswerten Einzeldarstellungen – etwa über die Wandlung von Europol oder über „private policing“ im Kontext der Internationalisierung – gibt der Band auch Hinweise auf mögliche Erklärungen und zukünftige Entwicklungen internationaler Polizeiarbeit.

Röhrl, Markus: Internationale und europäische polizeiliche Zusammenarbeit, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik 2010, H. 3, S. 289-298

In diesem Aufsatz wird ein knapper Überblick über den gegenwärtigen Stand internationaler polizeilicher Zusammenarbeit mit deutscher Beteiligung gegeben. Es handelt sich um eine problemignorante Einführung für Unbedarfte, deren Botschaft lautet: „Es bleibt noch vieles zu tun, ohne dass Regelungsmaximierung und Totalangleichung realistische Ziele sein sollten.“

Baumann, Mechthild; Bretl, Carolin: EU-Polizeimissionen. Force Generation und Training im deutschen Kontext, Berlin 2010

Diese von Mitarbeiterinnen des Berliner Instituts für Migrations- und Sicherheitsstudien im Auftrag der Grünen Europa-Abgeordneten Franziska Brantner erstellte Studie plädiert für eine „kohärente“ und verlässliche Interventionsstrategie, da nur so das gewünschte außenpolitische Gewicht der EU und Deutschlands gewährleistet werden könne. Der darstellende Teil ist informativ im Hinblick auf die europäischen Übereinkünfte für internationale Missionen sowie die politischen Entscheidungs- und polizeilichen Vorbereitungsprozesse. Leider werden weder die Prämissen der „Weltgeltungspolitik“ (um nicht Imperialismus zu schreiben) hinterfragt, noch werden die Wirkungen der Polizeimissionen betrachtet.

Burchard, Ansgar: 1989-2009: 20 Jahre Auslandseinsätze der deutschen Polizei, in: Polizei – heute 2009, H. 1, S. 17-20

Ein Beispiel von vielen, die den Problemen der deutschen Polizeiarbeit im Ausland durchaus nicht gerecht werden: Die Bedeutung für die Kriegführung – Befriedung im Nachkrieg – wird als Selbstverständlichkeit eingeführt; lediglich beim Anti-Terroreinsatz gebe es Interessen der Entsenderstaaten, ansonsten geht der Autor naiverweise davon aus, Demokratie und Menschenrechte seien das Hilfs- bzw. Interventionsmotiv. Burchards Bilanz von zwei Jahrzehnten sieht das größte Problem der Auslandseinsätze in der fehlenden Manpower – sowohl der im Ausland eingesetzten BeamtInnen als auch der von diesen ausgebildeten Sicherheitskräften. Damit die deutschen Polizisten schneller Afghanistan verlassen könnten, schlägt er deshalb vor, die Afghanen massenweise in Deutschland auszubilden.

Schürmann, Jan: Polizei- und Justizreform in Afghanistan – eine Stichprobe, in: Deutsche Polizei 2010, H. 3, S. 15-19

Bund Deutscher Kriminalbeamter: Polizeiausbildung in Afghanistan bleibt Stückwerk. Das weitere Scheitern ist vorprogrammiert, in: Der Kriminalist 2010, H. 3, S. 30-32

Zwar zieht Polizeidirektor Schürmann am Ende seines Beitrags ein hoffnungsvolles Fazit, weil er Veränderungen in die richtige Richtung feststellt. Aber seine Erfahrungen als Berater der afghanischen Regierung, die er zuvor anschaulich schildert, widersprechen diesem Optimismus deutlich. Polizei und Justizpraxis sind weit entfernt von den Standards westlicher Demokratien. Korruptive Praktiken (Bezahlung von Polizeieinsätzen durch deren private Nutznießer), Anwendung und Drohung mit Polizeigewalt oder willkürliche Rechtsprechung bestimmen den Alltag. „Das Land ist instabiler als je zuvor“, schreibt er. Das Land ist weit entfernt von einem Rechtsstaat westlicher Prägung: Kultur, Mentalitäten, Tradition stehen dem entgegen, was die polizeilich-justiziellen Entwicklungshelfer des Westens im Land etablieren möchten. Allenfalls, so Schürmann, könne die westliche Welt darauf hoffen, dass das Land nach dem Abzug nicht (wieder) zum terroristischen Stützpunkt werde.

Seit sich in Deutschland herumgesprochen hat, dass die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich schlechter geworden ist, nehmen auch die polizeilichen Sorgen gegenüber dieser Art von Auslandseinsätzen zu. Verständlich, aber zugleich auch symptomatisch für die Reaktion der polizeilichen Interessenvertretungen ist die Position des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK): Nicht am Sinn des westlichen Polizei-Exports wird gezweifelt, kein Gedanke wird an die geopolitischen Kalküle verschwendet, die Afghanistan den Krieg brachten. Besorgt ist der BDK vielmehr vor allem um die Sicherheit der eingesetzten KollegInnen. Statt in den Police Monitoring Teams die angelernten Afghanen in der Polizeipraxis zu begleiten, sollte das (weil zu gefährlich) wie bei den Amerikanern von privaten Sicherheitsfirmen oder Soldaten übernommen werden.

Schumacher, Tim: Lex paciferat – Das Gesetz wird Frieden bringen, in: Ausdruck 2010, H. 4, S. 18-23 (http://imi-online.de/download/TM-AUSDRUCK-EGF.pdf)

In den vergangenen Jahren ist mit der „Europäischen Gendarmerie Force“ (EGF) eine uniformierte paramilitärische Polizeieinheit gebildet worden. Noch gehört Deutschland diesem Zusammenschluss von Polizeien aus sechs EU-Mitgliedstaaten nicht an. Aber die Analyse Schumachers legt nahe, dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis die rechtlichen und politischen Bedenken gegen eine deutsche Beteiligung schwinden werden. In der „Internationalen Einsatzeinheit“ (IEE) der Bundespolizei sind institutionelle Ansätze durchaus sichtbar. Schumacher skizziert Entstehungsgeschichte, Aufgaben und bisherige Tätigkeiten der EGF. Sie stellt die organisatorische Basis für sogenannte „robuste“ Polizeimandate im Auslandseinsatz auf europäischer Ebene dar. Ihre Einheiten sollen zum Einsatz kommen, wenn das Gewaltniveau die zivile Polizei überfordert, der Einsatz des Militärs wegen dessen zu grobschlächtiger Gewalthaftigkeit (Werkentin) nicht tunlich ist. Folglich gehört zum Kernbereich der EGF die „Aufstandsbekämpfung“. Allein 19 Polizeiübungen zur Aufstandsbekämpfung listet der Autor in den vergangenen zwei Jahren im Kosovo auf. Die Bedeutung der EGF wird nicht nur in der paramilitärisch ausgelegten „crowd and riot control“ gesehen, sondern auch darin, dass sie zu einem weltweit einsetzbaren Instrument europäischer „Krisenintervention“ sowie zu einer Instanz weltweiter Gendarmerie-Ausbildung werden soll. Weil die EGF den Gewalteinsatz auf einem im Vergleich zum Militär niedrigeren Niveau verspreche, werde vermutlich, so Schumacher, die Zahl ihrer Einsätze und zugleich deren Permanenz zunehmen.

Aus dem Netz

www.imi-online.de

Pflichtlektüre für alle, die sich über die Entwicklung der Bundeswehr und der westlichen Expansions- und Militärstrategien kritisch informieren wollen, ist diese Homepage der in Tübingen ansässigen „Informationsstelle Militarisierung e.V.“. Dass die Unterschiede zwischen „äußerer“ und „innerer Sicherheit“ immer geringer würden, gehört nicht nur zu den Standardüberzeugungen derjenigen, die den starken, repressiven Staat auch gegenüber der eigenen Bevölkerung schützen wollen; diese Behauptung ist zugleich auch zur handlungsleitenden Maxime für die Entwicklung der Sicherheitsapparate geworden. Wegen dieses doppelten Zusammenhangs muss sich der Blick der „Informationsstelle“ zunehmend auch auf die „Militarisierung“ der inneren Sicherheit richten.

Auch wer nicht vom kostenlosen Abonnement der „IMI-List“, einem Mailverteiler, der regelmäßig auf die neuesten Publikationen des Vereins hinweist, Gebrauch machen möchte, findet auf der Homepage eine Vielzahl interessanter Berichte und Analysen – in der Regel sind alle Texte kostenlos und im Volltext. Exemplarisch sei für die engeren Fragen der inneren Sicherheit etwa auf die „IMI-Studien“ aus diesem Jahr zur Europäischen Gendarmerie Force (s.o.), zur Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe oder aus dem vergangenen Jahr zur Entwicklung „weniger tödlicher Waffen“ hingewiesen.

Die Systematik der Seite erlaubt die Suche nach Informationen auf verschiedenen Wegen. Wegen der Fülle der bereits auf der Startseite präsentierten Detailangaben wird die Navigation ein wenig erschwert. Hinter der schlichten Überschrift „Sonderseiten“ ist ein systematischer Zugang zu großen Teilen des Bestandes versteckt. Wer hier etwa die Punkte „Militarisierung der Inneren Sicherheit“ oder „Zivil-militärische Zusammenarbeit“ anklickt, wird mit einer reichen Auswahl an Texten belohnt. Durchweg fußen die Beiträge auf soliden und zum Teil aufwändigen Recherchen der IMI-MitarbeiterInnen. Um den Wandel des staatlichen Gewaltmonopols, die Verschränkung seiner bewaffneten Organe sowie die Wirkungen und Rückwirkungen globalisierter Sicherheitsproduktion im Detail und in kritischer Perspektive verfolgen zu können, gehört der Blick in „imi-online“ zur 1. Wahl.

(alle: Norbert Pütter)

Sonstige Neuerscheinungen

Tsokos, Michael: Dem Tod auf der Spur. Zwölf spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin, Berlin (Ullstein Buchverlage) 2009, 240 S., EUR 16,90

Tsokos, Michael: Der Totenleser. Neue unglaubliche Fälle aus der Rechtsmedizin, Berlin (Ullstein Buchverlage) 2010, 252 S., EUR 8,95

Mit seinen gerade einmal 43 Jahren hat der Autor bereits eine beachtliche Karriere hingelegt: Als Mitglied der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamtes war er 1998 in Bosnien dabei, als dort die Massengräber ausgehoben wurden; auch nach dem Tsunami 2004 in Südostasien war Michael Tsokos dabei. Mehrere nationale und internationale Auszeichnungen hängen schon an seiner Wand. Seit gut drei Jahren ist er nun der Chef der Berliner Rechtsmedizin. Der Mann ist zweifellos eine Koryphäe auf seinem Gebiet – doch er ist auch geplagt von Eitelkeit. Rund 900.000 Todesfälle ereignen sich pro Jahr in Deutschland, gut drei Prozent davon sind „nicht-natürlicher Art“. Also durch Unfall, Suizid oder Mord verursacht. Das ist eine ganze Menge – und immer dann kommen Tsokos und seine KollegInnen ins Spiel. Arbeit gibt es also genug. Dennoch findet Michael Tsokos – neben sonstigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten – noch Zeit, populistische Bücher über sein Gewerbe zu schreiben.

Im erstgenannten beschreibt er zwölf solcher Fälle und räumt dabei ganz nebenbei noch mit schlampigen Kripo-Ermittlungen und Krimi-Stereotypen auf. Dieses Buch muss man nicht unbedingt lesen – aber man kann. Jedenfalls wenn man es aushält, denn aus den Seiten dringt Leichengeruch.

Für das aktuelle Buch gilt dies leider nicht. Schon der Titel „Der Totenleser“ klingt nach einem billigen Krimi, und der Inhalt korrigiert diesen Eindruck leider nicht. Immer wieder greift Tsokos auf mehr oder weniger bekannte Theaterszenen oder Gedichte zurück, um so seine Geschichten aufzupeppen (?) und seine Befunde in einen historischen Kontext zu stellen. Selbst die alte Fernseh-Serie „Raumschiff Enterprise“ muss dafür herhalten. Dieses Buch muss man definitiv nicht lesen.

Möllers, Rosalie: Wirksamkeit und Effektivität der Europäischen Agentur FRONTEX, Frankfurt/M. (Verlag für Polizeiwissenschaft) 2010, 146 S., EUR 15,90

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat sich im Zuge der Konsolidierung und Erweiterung der EU die gemeinsame Grenzschutzagentur FRONTEX mit Sitz in Warschau entwickelt. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse zeichnet die Autorin deren Gründung und Fortentwicklung nach. Hierzu hat sie akribisch alle relevante Literatur, EU-Protokolle und sonstige Informationen herangezogen und ausgewertet. Allein diese Fleißarbeit verdient schon Lob. In konzentrierter und faktenreicher Form lässt sich hier die fortschreitende Vernetzung der europäischen Sicherheitsarchitektur nachvollziehen, welche die EU zunehmend als internationalen Akteur, insbesondere in den Bereichen Asyl- und Migrationspolitik auftreten lässt. Deutlich wird dabei auch, dass die Schaffung einer verwaltungsmäßigen Agentur aus Sicht der europäischen Sicherheitsjongleure durchaus Sinn ergibt. Die Agenturen stehen „nicht so sehr im Zentrum, sondern verbleiben ‚jenseits des Potentials öffentlicher Skandalisierung, im Schatten demokratischer Kontrolle‘. Denn die nationalen Gerichte und nationalen Parlamente besitzen bei FRONTEX überhaupt keine Kontrollrechte, die Kontrolle des EP beschränkt sich im Wesentlichen auf die Mitbestimmung des Haushalts …“. Die Wirksamkeit und Effektivität von FRONTEX unter Beachtung der Menschenrechte sei daher noch schwer einzuschätzen, so das Fazit der Autorin.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, dem aufgrund seines wissenschaftlichen Duktus die öffentliche Wahrnehmung jedoch ebenfalls weitgehend versagt bleiben wird. Das ist bedauerlich.

(alle: Otto Diederichs)

Coaffee, Jon; Murakami Wood, David; Rogers, Peter: The Everyday Resilience of the City. How cities respond to terrorism and disaster, Houndmills, Basingstoke (Palgrave Macmillan) 2009, 330 S., EUR 55,–

In zwölf Kapiteln, von Sparta (S. 39) über Los Angeles (S. 81) bis nach Newcastle (S. 206), mithin vom Altertum (Kapitel 2) bis hin in die jüngste Vergangenheit (Kapitel 12), setzen sich die drei Autoren mit den neuen Sicherheitsherausforderungen, so auch der Titel der Serie, in der dieser Band erschienen ist, auseinander. Jon Coaffee und seine Kollegen gehen davon aus, dass die von ihnen umfangreich nachgewiesene, alles durchdringende Überwachung – der Schwerpunkt der Analyse liegt auf Großbritannien – unseres Alltags als ‚vernünftig‘ gerechtfertigt wird, weil sie, aus Sicht der Regierenden, im Interesse der ‚nationalen Sicherheit‘ und auch der Ordnung in den Nachbarschaften liege. Diese vermeintlichen Rechtfertigungen hätten, so ihre Schlussfolgerungen, auch dazu gedient, dass diese Maßnahmen ohne eine kritische zivilgesellschaftliche Diskussion durchgesetzt werden konnten. Die Mobilisierung von ‚Sicherheit‘ mit angeblich drohenden Risiken und Gefahren sei zwar nicht neu, aber „the potential impact, broadening scale and unquantifiable nature of impending ‚new‘ global risks“ (S. 256) stellten eine neue Qualität dar. Weiter setze sich, was der britische Journalist Simon Jenkins im Jahr 2006 als ‚schleichenden Autoritarismus‘ bezeichnet hat, deshalb durch, weil die Regierenden ‚erfolgreich‘ behaupten können, sie hätten spezifisches und – leider – als geheim einzustufendes Wissen.

Die Stadt – sie steht im Mittelpunkt des Buchs (Kapitel 3, 5, 6, 10) –, die Gesellschaft und die Nationalstaaten, werden mit Blick auf den aus der ökologischen und psychologischen Forschung entlehnten Begriff der ‚resilience‘ hin analysiert. Der Begriff – sinnvolle Übersetzungen sind ‚Belastbarkeit‘, ‚Widerständigkeit‘, ‚Strapazierfähigkeit‘ oder ‚Nachgiebigkeit‘ – wird metaphorisch gewendet und bildet entsprechend den theoretischen Unterbau (Kapitel 7). Die Bedeutung der Metapher liege darin, dass sie auf Kontinuität setze und zugleich „the affirmation of a positive and proactive outcome – the return to a ‚new normality‘ – subsequent to an event of perturbation“, beinhalte (S. 132). Die Autoren zeigen dabei anschaulich, dass die Produktion von ‚Sicherheit‘ und einer ‚neuen Normalität‘ dabei sowohl alltägliche Eventualitäten erfassen soll wie die Terrorbekämpfung, Krisen- und Katastrophenpläne und ‑reaktio­nen (‚natürliche‘ Katastrophen ebenso, wie ‚gemachte‘). Der Band teilt die Schwäche vieler Security und Surveillance Studies der jüngeren Vergangenheit – von der neuen (urbanen) Ökonomie im globalen Neoliberalismus lassen sie sich, sagen wir, nicht irritieren.

Wohlnick, Alexander: Tätigkeit, Auswirkungen und Wahrnehmung privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum, Köln (Carl Heymanns Verlag) 2007, 344 S., EUR 89,–

Ziel dieser Doktorarbeit, die an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln angenommen wurde, ist es, herauszufinden, welche Auswirkungen die private Kontrolle öffentlicher Räume auf vom Autor als „Randgruppen“ bezeichnete Personen hat (S. 41). Unter anderen wurden dazu Obdachlose und Konsumenten illegalisierter Drogen rund um den Düsseldorfer Bahnhof befragt; aber auch telefonische Stichprobenbefragungen der Bevölkerung und Expertengespräche kamen in dieser von der Securitas AG geförderten Studie zum Einsatz. Einige der Ergebnisse müssen als eher banal bezeichnet werden. Denn dass ein privater Sicherheitsdienst die Nutzung von Räumen, für die ihm das Hausrecht übertragen worden ist, dann „versagt, wenn die Obdachlosen und Drogenabhängigen dem Kundenprofil ausdrücklich widersprechen“ (S. 113), „dass Personen mit dem Lebensmittelpunkt auf der Straße häufiger vertrieben werden als die übrige Bevölkerung“ (S. 122) und dass die genannten Gruppen „einen gewissen Respekt vor der Polizei haben“ (S. 306), das hatten wir uns irgendwie schon gedacht.

Interessanter sind Befunde, die zeigen, dass die privaten Sicherheitsdienste „nicht unbedingt flexibler und unbürokratischer als die staatlichen Sicherheitskräfte handeln“ (S. 290), dass „die vollständige und dauerhafte Vertreibung mithilfe privater Sicherheitsdienste nicht zu erreichen ist“, und diese „auch nicht in der Lage“ sind, einen „Treffpunkt der Drogenszene zu zerschlagen“ (S. 307), was sie im Übrigen, wie der Autor weiß, auch nicht dürften. Zudem kann der Autor weder eine Entlastung der Polizei – eher noch das Gegenteil – oder einen signifikanten Beitrag des Gewerbes zur Senkung der Kriminalitätsbelastung erkennen (S. 308), dafür aber viel Konfliktpotential durch den Einsatz Privater. Er plädiert daher in seiner Gesamtschau für eine Beschränkung der Tätigkeit privater Sicherheitsdienste auf Bereiche, „in denen der unmittelbare Dialog mit der Bevölkerung keine notwendige Einsatzvoraussetzung ist“ (S. 309). Unklar bleibt der Autor dann aber darin, wo er eine Grenze ziehen möchte; ob er sich zum Beispiel, wie – zumindest nach seinen Umfrageergebnissen – die Bevölkerung, mehr Polizei auf den Straßen wünscht und was sie da soll. Denn die auch von Wohlnick rezipierte Forschungsliteratur zeigt, dass mehr Grün auf den Straßen nicht mehr Sicherheit bedeutet.

Fernandez, Luis A.: Policing Dissent. Social Control and the Anti-Globali­zation Movement, New Jersey and London (Ruttgers University Press), 2008, 192 S., EUR 17,50

Dem Grunde nach ist das Procedere völlig selbsterklärend: (Selbsternannte) Politische oder ökonomische Eliten planen ein internationales Treffen, (lokale) Gruppen und Einzelpersonen wollen dagegen protestieren und laden andere Kritiker zu Informations- und Gegenveranstaltungen, zu Demonstrationen und Kundgebungen sowie zu direkten Aktionen ein. Polizei, Militär und Geheimdienste bereiten Gegenmaßnahmen vor, veranlassen mit Politikern und Medien im Vorfeld die Kriminalisierung des Protests – und wenn die Teilnehmer des transnationalen Protests Glück haben, ist nach dem Event kein Demonstrant tot.

Fernandez, der von 2002 bis 2003 an fünf solcher Events auch als Aktivist teilgenommen hat – u.a. dem G8-Treffen (Calgary, Ottawa), der Weltbank- und IWF-Versammlung (Washington, D.C.), dem WTO-Tref­fen (Cancún/Mexiko) – fasst seine Erfahrungen in diesem Band zusammen und analysiert sie, unter Rückgriff auf Foucault und Hard/Ne­gri, aus neomarxistischer Perspektive.

Die Auseinandersetzung zwischen den globalen Eliten, der „Globalokratie“, und der von ihm „Anti-Globalisierungsbewegung“ genannten „Multitude“, beschreibt Fernandez als von beiden Seiten hoch organisiert, strategisch geplant und taktisch ausgeklügelt. Für das „Mutterland“ des Neoliberalismus zeigt die Studie – das macht eine ihrer Stärken aus – wie effektiv gegen die Repräsentanten des Neoliberalismus mobilisiert werden kann – und wie diese Repräsentanten sich organisieren (S. 42 ff.). Eine zweite Stärke besteht darin, dass der Aktivist Fernandez zeigt, dass keineswegs alles ‚rund‘ läuft und Mobilisierungstreffen „dull and exhausting“ sein können (S. 61). Drittens hat Fernandez als Forscher mit einer Vielzahl polizeilicher Entscheidungsträger sprechen können, die in aller Offenheit darlegen, worum es ihnen zu tun ist: Protestierende wahlweise wie Lepra oder Pest zu behandeln (S. 170), sie also vom eigentlichen Protestgegenstand fernzuhalten und zu isolieren oder sie physischer, psychischer, juristischer und sozialer Kontrolle zu unterwerfen – lange vor, während und selbst nach Protesten. Schließlich, vierte Stärke, verdeutlicht Fernandez, wie intensiv Polizeiorganisationen, Geheimdienste und die jeweiligen Militärs global kooperieren, voneinander lernen und selbst Unternehmensberatungen und Medienfirmen in ihre Propagandabemühungen einschließen (S. 140 ff.).

Auf beiden Seiten der Barrikade war der Autor über zwei Jahre hinweg unterwegs. Dass er dabei nicht alle aktuelle Literatur zu transnationalen Protestbewegungen und ihrer Bekämpfung gesichtet und in seine Analyse eingespeist hat, schmälert den Ertrag nicht; einer Referenz zur „Multitude“ allerdings hätte es nicht bedurft.

Patterson, Malcolm Hugh: Privatising Peace. A Corporate Adjunct to United Nations Peacekeeping and Humanitarian Operations. New York (Palgrave Macmillan) 2009, 260 S., EUR 67,80

Im Juni 2010 waren rund 100.000 Blauhelme aus 117 Nationen an 16 Standorten im Einsatz. Dass die UN-Blauhelmtruppen nicht gerade ein Musterbeispiel an Effektivität bei der Friedenssicherung sind, darf als Allgemeinplatz gelten, und die Kritik an den diversen Missionen ist vielfältig. Ob bei den so genannten Beobachter- (Sierra Leone), Friedens- (Zypern, Libanon) oder den von der UN an einzelne Staatengruppen oder die NATO delegierten Friedenserzwingungsmissionen (Koreakrieg, 2. Golfkrieg/Kuwait, Kosovo, Afghanistan) – oft fehlen den Truppen klare Mandate, echte Unterstützung der großen Staaten oder schlicht zugesagte Soldaten und Waffen; kritisiert wird auch die Bürokratie, so etwa 1994 in Zusammenhang mit den Massakern in Ruanda. Auch politisch waren und sind die Missionen höchst umstritten: Ob 1995 beim so genannten Massaker von Srebrenica, ob im Fall des Angriffs auf Afghanistan nach 9/11 oder bei der Zerschlagung Jugoslawiens im Kosovokrieg 1999, der vom Sicherheitsrat zwar nicht mandatiert, aber auch nicht verurteilt wurde. In der Regel stellen vor allem ärmere Länder den Großteil der Truppen, zahlreiche Einsätze gehen mit der Zunahme von Zwangsprostitution und Frauenhandel einher, stellen also Menschenrechtsverletzungen dar.

All dies ist dem australischen Rechtsanwalt Patterson durchaus bekannt (wenn ihm auch die politischen Implikationen nicht immer klar zu sein scheinen), aber es ficht ihn nicht an, wenn er vorschlägt, die militärischen Operationen der UN an private Militärfirmen zu vergeben: Der „evolving international military labour market“ (S. 39) sei eine unhintergehbare Tatsache, aber die UN, kritisiert Patterson, „has yet to demonstrate a coherent grasp of the modern private security phenomenon as a logic ally“ (S. 59). Private Militärfirmen seinen billiger und effektiver einsetzbar, hätten keine nationalen Interessen und trügen so zur aus seiner Sicht wünschenswerten Entpolitisierung von Konflikten (auch an der ‚Heimatfront‘) bei. Ein ‚gefallener‘ Söldner hat den Vorteil, dass seine Nationalität „would remain more or less anonymous“ (S. 64), somit ‚zu Hause‘ also auch weniger Auseinandersetzungen zu erwarten seien. Letztlich läuft der Vorschlag Pattersons auf das Outsourcing von politischen Widersprüchen und Konflikten hinaus – fast, als sei es ihm gar nicht um Frieden (was immer das sei), sondern um Friedhofsruhe zu tun.

(alle: Volker Eick)