Weltpolizist Bundeskriminalamt – Von Interpol Wiesbaden zur Vorverlagerung nach Berlin

von Eric Töpfer

Seit 1951 ist das Bundeskriminalamt (BKA) Scharnier zwischen den (Kriminal-)Poli­zeien der Länder und jenen des Auslands. Mit der zunehmenden Internationalisierung seiner Arbeit hat sich das Amt zu einem wichtigen Akteur der bundesdeutschen Außen- und Sicher­heitspolitik entwickelt.

Als erster Bereich der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung startete die Kriminalpolizei am 1. Oktober 2009 einen Bachelor-Studiengang. Seither qualifiziert sich der Nachwuchs in Bologna-konform modularisierter und angeblich international vergleichbarer Weise für den gehobenen Dienst beim BKA. Das Studium, so eine Pressemitteilung, vereine „wissenschaftliche und kriminalpraktische Disziplinen mit den Anforderungen an eine enge Zusammenarbeit der Polizeidienststellen auf europäischer und internationaler Ebene“.[1] Zum Konzept gehören auch Sprachschulungen und Praktika im Ausland. Das Amt reagierte mit dem neu strukturierten Studium also nicht nur auf die Vorgaben zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums, sondern nutzte die Chance auch zur Anpassung der Ausbildung an die wachsende Internationalisierung seiner Arbeit.

Seit seiner Gründung zur „Bekämpfung des gemeinen Verbrechers“ ist das BKA nicht nur Zentralstelle der bundesdeutschen Polizei(en), sondern auch die Schnittstelle für deren Kontakt mit dem Ausland. Der „notwendige Dienstverkehr mit ausländischen Polizei- und Justizbehörden ist dem Bundeskriminalamt vorbehalten“, heißt es in § 7 des BKA-Gesetzes vom 8. März 1951.[2] War nach Aussagen des ehemaligen BKA-Präsidenten Paulinus Dickopf bereits vor der Gründung des Amtes „ein lebhafter Auslandsverkehr im Gange, der für den norddeutschen Raum über das Kriminalpolizeiamt der Britischen Zone lief und in den übrigen deutschen Ländern von den dort entstandenen Zentralstellen besorgt wurde“, stellten die Kriminalpolizeien der Länder ihren Auslandsverkehr „allmählich“ auf das BKA um, nachdem die Bundesrepublik 1952 der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (heute Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation, „Interpol“) beigetreten war.[3]

Bereits im Jahr zuvor hatte das Amt den internationalen Polizeifunkverkehr aufgenommen. Angesiedelt war dieser in der damaligen Abteilung „Verwaltung und Hilfsdienste“, wo Ende der 50er Jahre sechs Funker ihren Dienst taten.[4] Zuständig war ihr Referat auch für den Fernschreibverkehr mit dem Ausland. Insgesamt verzwölffachte sich die Zahl der im Rahmen der grenzüberschreitenden Polizeikooperation ein- und ausgehenden Schreiben, Fernschreiben und Funksprüche in den ersten beiden Jahrzehnten: Sie stieg von 9.447 im BKA-Gründungsjahr auf 56.380 im Jahr 1959 und schließlich auf 115.848 im Jahr 1970.[5] Anfang der 60er Jahre machte der Auslandsverkehr nach Schätzungen Dickopfs etwa fünf Prozent der Vorgänge, aufgrund des höheren Bearbeitungsbedarfs aber ca. 10-12 Prozent des Arbeitsvolumens des BKA aus.[6]

Kern der internationalen Zusammenarbeit war die 1953 geschaffene Abteilung „Ausland“, die für Grundsatzfragen und den Erfahrungsaustausch im Rahmen von Interpol ebenso zuständig war wie für die Betreuung ausländischer Besucher und Stipendiaten, die „kriminalpolizeiliche Entwicklungshilfe“, den Fremdsprachendienst und den internationalen Schrift- und Rechtshilfeverkehr. Allerdings war die internationale Kooperation trotz dieser besonderen Zuständigkeit schon immer eine Querschnittsaufgabe für das ganze BKA. So war das Auslands-Referat „Rechts­hilfe und Schriftverkehr“ zwar für die Prüfung und Bewilligung von in- und ausländischen Ersuchen für Fahndungen, Personenfeststellungen oder sonstige Auskünfte zuständig, die entsprechenden Informationen lieferten aber z.B. die Zentralfahndung, der Erkennungsdienst oder die Kriminaltechnik, während der Dauerdienst der Abteilung „Inland“ die Steuerung der Kommunikation mit bundesdeutschen Polizeidienststellen übernahm. Mitte der 70er Jahre wurde die Auslandsabteilung aufgelöst und ihr Personal wanderte als Gruppe IP (Interpol) in den Stab der BKA-Leitung,[7] um schließlich 1994 in die neu geschaffene Abteilung „Zentrale kriminalpolizeiliche Dienste“ (ZD) überführt zu werden. Als Gruppe ZD 3 war die „Internationale Zusammenarbeit“ nun mit zentralen Zuträgern der internationalen Rechtshilfe – der Fahndung, der Personenerkennung und dem Kriminaldauerdienst – unter einem Abteilungsdach zusammen gerückt. Das blieb so bis zum Jahre 2004.[8]

Gleichzeitig allerdings haben sich die Zuständigkeiten, das Volumen des Auslandsdienstverkehrs und damit auch die Zahl des unmittelbar involvierten Personals multipliziert: Mittlerweile ist das BKA nicht mehr nur Nationales Zentralbüro der Bundesrepublik für Interpol, sondern auch Nationale Stelle für den Kontakt zum europäischen Polizeiamt Europol sowie Kopfstelle für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch im Rahmen des Schengener Abkommens und der Prüm-Be­schlüs­se sowie eine der Anlaufstellen für Anfragen entsprechend der „Schwedischen Initiative“. 1976 waren in der Gruppe IP kaum mehr als 50 Leute beschäftigt, davon elf im Referat Rechtshilfe und Schriftverkehr und 31 beim Sprachendienst.[9] Heute arbeiten knapp 70 Personen allein im BKA-Referat für das deutsche SIRENE-Büro, das im Falle von Treffern im Schengener Informationssystem Zusatzinformationen liefert.[10]

Wie eng die Entwicklung der „Internationalen Zusammenarbeit“ beim BKA mit der Entstehung der Institutionen der europäischen Polizeikooperation verknüpft war (und wohl immer noch ist), illustriert die Vita von Jürgen Storbeck, dem ersten Europol-Direktor: Storbeck kam 1977 zum BKA, war für das Amt drei Jahre als Kontaktmann zu Interpol abgeordnet, übernahm 1983 die Leitung des BKA-Referates „Internationale Rechtshilfe und Fahndung“, wurde 1991 Leiter des Nationalen Zentralbüros von Interpol in Wiesbaden und zugleich Leiter der Gruppe „Internationale polizeiliche Zusammenarbeit“. 1992 wechselte er nach Den Haag in den Aufbaustab Europols, wo er bis 2004 Direktor war.[11]

Verändert hat sich mit der teilweisen Automatisierung der Rechtshilfe auch die Qualität der Arbeit. 1982 wurden die Interpol-Funker überflüssig, als ein automatisiertes Funkübermittlungssystem in Betrieb ging,[12] und auch die Prüfung und Bewilligung zahlreicher Anfragen und Ersuchen des innereuropäischen Rechtshilfeverkehrs hat sich seit der Inbetriebnahme des Schengen-Informationssystems 1995 erübrigt. Was bleibt, sind die Verwaltung von hunderttausendfachen Einträgen in international vernetzten Datenbanken und die Übermittlung von Zusatzinformationen im Falle von „Treffern“ in selbigen. Mit diesem Wandel des BKA zu einer elektronischen Schaltstelle der internationalen Polizeikooperation hat nicht zuletzt die Abteilung „Informationstechnik“ an Bedeutung gewonnen. Ihr Leiter, der „Chief Information Officer“ des BKA, ist mittlerweile ein willkommener Gast bei Treffen zur Zukunft der europäischen Architektur für den polizeilichen Informationsaustausch.

In der Etappe der Vorverlagerung

Weitaus bedeutender für die international orientierte Arbeit des BKA – und damit auch für das Amt als Ganzes – war allerdings die Expansion seiner Vollmachten seit den 70er Jahren. Nachdem die Bundesregierung 1970 in ihrem „Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung“ angekündigt hatte, „die Lücken zu schließen, die durch den Anstieg der schweren Kriminalität mit internationaler Ausdehnung entstanden sind“,[13] folgte 1973 die Neufassung des BKA-Gesetzes. Damit erhielt das Amt erstmals originäre Er­mitt­lungs­vollmachten u.a. „in Fällen des international organisierten ungesetzlichen Handels mit Waffen, Munition, Sprengstoffen oder Betäubungsmitteln und der international organisierten Herstellung oder Verbreitung von Falschgeld, die eine Sachaufklärung im Ausland erfordern“.[14]

Auf- bzw. ausgebaut wurden in der Folge der neu gewonnenen Kompetenzen nicht nur Staatsschutz und Terroristenfahndung, sondern auch die Drogenbekämpfung – beide mit besten Kontakten ins Ausland. Insbesondere im Rahmen der europäischen TREVI-Kooperationen entwickelten sich die neu formierten BKA-Abteilungen für Staatsschutz und Terrorismus in den 70er Jahren zur Anlaufstelle für ausländische politische Polizeien, während sie selbst „Zielfahnder“ gegen die RAF ins Ausland schickten. Parallel dazu mauserte sich das in der gleichfalls neu geschaffenen Abteilung „Ermittlung und Auswertung“ angesiedelte kleine Referat für die Drogenbekämpfung bis Mitte der 80er Jahre zu einer Gruppe mit vier Referaten und 83 Planstellen, bevor 1986 die eigene Abteilung „Rauschgift“ gegründet wurde.[15] In der seit 1973 beim BKA angesiedelten „Ständigen Arbeitsgruppe Rauschgift“ arbeiten die DrogenfahnderInnen des Amtes nicht nur mit inländischen KollegInnen von Landeskriminalämtern, Zoll und Grenzschutz zusammen, sondern auch mit einer Reihe von Polizeibehörden aus dem benachbarten Ausland sowie den Verbindungsbüros des US-amerikanischen Zolls und der Drogenpolizei DEA, der kanadischen Polizei und Interpol-Vertre­te­rIn­nen. Daneben ist das BKA auch an nachgeordneten regionalen und bilateralen Arbeitsgruppen, wie der AG Südost oder der der Deutsch-Niederländische Arbeitsgruppe, beteiligt.[16] 1997 wurde mit der zweiten Neufassung des BKA-Gesetzes auch die längst bestehende Praxis verrechtlicht, dass im Rahmen der neuen Kooperationen nicht mehr nur mit ausländischen „Polizei- und Justizbehörden“ zusammengearbeitet wurde, sondern auch mit „sonstigen insoweit zuständigen öffentlichen Stellen anderer Staaten“.[17] Verwies die Bundesregierung in ihrer Begründung der Gesetzesnovelle noch auf Kooperationen mit dem US-Büro für Waffen, Alkohol und Tabak,[18] wurde spätestens seit dem 11. Sep­tem­ber 2001 deutlich, dass es auch um Kontakte zu ausländischen Geheimdiensten ging, was angesichts der wachsenden Verlagerung kriminalpolizeilicher Arbeit ins Vorfeld nur konsequent ist.

Neben der internationalen Gremienarbeit entwickelte sich die Entsendung von BKA-Personal ins Ausland. Bereits 1972 entsandte das Amt einen Beamten nach Istanbul, 1978 folgten Rom und 1980 Madrid.[19] Den eigentlichen Durchbruch für das Modell der „Kriminalisten mit Diplomatenpass“ brachte aber erst die „Vorverlagerungsstrategie“, die auf den „Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmissbrauchs“ von 1980 zurückgeht und 1990 im „Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan“ festgeschrieben wurde. Ziel dieser Strategie, so die Bundesregierung, ist „die Verlagerung der polizeilichen Abwehrlinie in die Ursprungs- und Transitländer grenzüberschreitender Kriminalität“; damit „soll Kriminalität bereits vor den deutschen Grenzen bekämpft und deren Auswirkungen auf Deutschland reduziert werden“.[20] In diesem Sinne nahm der erste „Rauschgiftverbindungsbeamte“ 1983 an der deutschen Botschaft im thailändischen Bangkok seinen Dienst auf.[21] Bis 1991 war die Zahl bereits auf 38 BeamtInnen angestiegen, die in 25 Ländern akkreditiert waren.[22] Heute dient die Vorverlagerungsstrategie nicht mehr nur der Drogenbekämpfung, sondern umfasst „alle Kriminalitätsbereiche einschließlich der Terrorismusbekämpfung“, so dass seit 1998 nicht mehr zwischen Rauschgift-, Staatsschutz- oder allgemeinen Verbindungsbeamten unterschieden wird.[23] Entsprechend umfassend ist damit der Auftrag von aktuell 65 BKA-Verbin­dungs­be­am­tInnen (an 53 Standorten in 50 Staaten auf vier Kontinenten).[24] Zudem ist die Entsendung bundesdeutscher VerbindungsbeamtInnen keine Ein­bahn­straße. Als Pendant zu den BKA-Leuten in Rom und Madrid beherbergte das Amt bereits in den 80er Jahren Dauergäste aus Italien und Spanien. Unklar ist, wie viele ausländische Polizisten heute im BKA resi­dieren, aber bereits 1998 waren es 51 Repräsentanten aus 22 Ländern.[25]

Auch die zweite Säule der Vorverlagerungsstrategie, die polizeiliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe, hat BKA-Leute zahlreich ins Ausland geführt, ebenso wie internationale Gäste ins BKA. Internationaler Erfahrungsaustausch und Schulungen haben Tradition in Wiesbaden: 4.200 ausländische BesucherInnen hatten das BKA in den ersten 20 Jahren seines Bestehens besucht, davon blieben fast 350 länger als zwei Monate zu Ausbildungszwecken.[26] In den 70er Jahren zogen Horst Herolds Visionen und Computer Neugierige aus aller Welt an. Man vermittelte auch schon mal einen pensionierten Abteilungsleiter zur Ermittlungshilfe nach Island.[27] Mit dem Aktionsprogramm zur Drogenbekämpfung wurde die Nachhilfe dann systematisiert. 1982 erhielt das BKA erstmals einen eigenen Haushalt für die „Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität im Ausland“, der bis 1990 von zwei auf mehr als vier Millionen DM anwuchs.[28] Es scheint aber, dass der Posten seitdem weitgehend stagnierte und mittlerweile auch nicht mehr vor dem Rotstift sicher ist. Nachdem das BKA-Budget für „Unterstützungsmaßnahmen für ausländische Polizeien zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus“ im Jahr 2004 mit mehr als 2,5 Millionen Euro einen Spitzenwert erreicht hatte, sank die Ausstattung in 2010 auf knapp 1,4 Millionen Euro.[29]

Finanziert wurden und werden aus diesem Topf die Entsendung von BKA-„Kurzzeitexperten“ für Schulungen vor Ort, die Ausbildung von Auslandsstipendiaten beim BKA sowie die Lieferung von technischem Gerät. Jährlich etwa 100 solcher Lehrgänge organisierten das BKA (und die Bundespolizei) zwischen 2000 und 2006, in der Regel vermittelt von den eigenen VerbindungsbeamtInnen. Auf dem Lehrprogramm für Polizisten etwa aus Kolumbien, Oman oder Nigeria steht dabei z.B. das Führen verdeckter Ermittler, Verhandlungen mit Geiselnehmern oder die Identifizierung von Anschlagsopfern. Im gleichen Zeitraum durchliefen 132 Polizisten aus 55 Ländern die zehnmonatige Ausbildung als Auslandsstipendiaten des BKA, unter ihnen viele aus ost- und südeuropäischen EU-Beitrittsländern, aber auch aus Ländern wie Ägypten, Marokko, Weißrussland oder Usbekistan.[30] Zum Stipendium gehören neben intensiven Deutsch-Kursen auch die Fachausbildung in den BKA-Abtei­lung für „Schwere und Organisierte Kriminalität“ oder „Staatsschutz“. Er­reicht werden sollen „Verständnis für die Anfragen der deutschen Polizei in den Heimatländern der Stipendiaten, Kontaktmöglichkeiten für den BKA-Verbindungsbeamten vor Ort, schnellere Informationswege, Unterstützung in konkreten Verfahren“ und allgemein die „Verbesserung und Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit“, denn, so eine Presseinformation auf der BKA-Website, die „Hilfsmaßnahmen sind keine Einbahnstraße“, sondern mit einer deutlichen „Erwartungshaltung“ verknüpft.[31] Dabei setzen Innenministerium und BKA auf „Nachhaltigkeit“ im Sinne einer „dauerhaft effektiven Verbrechensbekämpfung“. Im Klartext heißt das auch, dass Ausstattungshilfe – von Mobiltelefonen oder Funkstationen zur verbesserten Anbindung an Interpol, über Fahrzeuge und Polizeicomputer, bis zu Überwachungsgerät und Spurensicherungstechnik – nur mit flankierender Schulung geliefert wird.[32] Angesichts dieser kriminalpolizeilichen Realpolitik erweisen sich die Bekenntnisse des Bundesinnenministeriums zu Menschenrechten und Rechtsstaat dabei nicht selten als Makulatur.

Hinzu kommt seit 1994 die Polizeihilfe im Rahmen von UNO- oder EU-Missionen zur etatistischen Stabilisierung von Bürgerkriegsgesellschaften. Allerdings bleiben BKA-BeamtInnen dabei eher im Schatten der Bundespolizei und diverser Landespolizeien. So dienten im Sommer 2010 nur acht BKA-Leute in vier der zwölf internationalen Missionen, an denen insgesamt 344 deutsche PolizistInnen beteiligt waren.[33]

Innenpolitische Folgen der Internationalisierung

Es besteht also reger Verkehr zwischen Wiesbaden-Meckenheim-Berlin und dem Rest der Welt – auch jenseits von Funksprüchen und Fernschreiben. Wie es scheint, war es damit entsprechend schwer geworden, den Überblick über die zahlreichen Auslandsaktivitäten zu behalten und die gewonnenen Informationen zu bündeln. Waren die ersten Beamten europäischer Partner bis Mitte der 80er Jahre noch der Gruppe IP im Leitungsstab des BKA angegliedert, wurden die ausländischen Verbindungsbeamten in einer zweiten Stufe der Kooperation direkt den Abteilungen für „Rauschgift“ oder „Terrorismus“ bzw. später für „Organisierte und Allgemeine Kriminalität“ oder „Staatsschutz“ zugeordnet, wo sie auch selbstverständlich an Lagebesprechungen teilnahmen.[34] Ebendiese Abteilungen und ihre jeweiligen Regionalreferate übernahmen auch die Führung der BKA-Leute im Ausland.[35] Doch mit der hausinternen Spezialisierung und Ausdifferenzierung des Verbindungsbeamtenwesens wuchsen auch die Schwierigkeiten, unterschiedliche Erwartungen und Anforderungen von z.B. OK-Ermittlern und Staatsschützern sowohl an die ausländischen Dauergäste als auch an die in der Regel nur mit einer Person besetzten Verbindungsbüros unter einen Hut zu bringen. Damit drohte, so darf vermutet werden, die Vorverlagerungsstrategie in der Konkurrenz der Abteilungen zerrieben zu werden. Den Befreiungsschlag sollte die Reorganisation des BKA im Gefolge des 11. Septembers bringen.

Am 1. Januar 2005 wurde in Wiesbaden die neue, neunte Abteilung „Internationale Koordinierung“ (IK) gegründet.[36] Zentralisiert wurde damit nicht nur die Aufsicht über die BKA-Verbindungsbeamten im Referat IK 13, sondern auch die Anbindung ausländischer Verbindungsbeamter im Referat IK 21. Zugleich wurde die Gruppe „Internationale Zusammenarbeit“ der Abteilung „Zentrale kriminalpolizeiliche Dienste“ (ZD) aufgelöst und in wesentlichen Teilen in die neue Abteilung überführt. Bei ZD verblieben das SIRENE-Büro sowie die internationale Fahndung und Rechtshilfe, die seitdem in der neu eingerichteten Gruppe „Präsenzdienste“ noch enger mit dem Kriminaldauerdienst und der allgemeinen Fahndung verzahnt sind. IK hingegen erhielt die Zuständigkeit für alle Grundsatzfragen der Zusammenarbeit im Rahmen von Interpol und der EU (u.a. Europol, Schengen, Police Chiefs Task Force) und die entsprechende Bund-Länder-Abstimmung. Ebenfalls koordinieren soll IK die „internatonale Unterstützung“ in Form von polizeilichen Auslandseinsätzen, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe, aber auch durch die Beteiligung des BKA an EU-Projekten zur „Aufbau- und Stabilisierungshilfe“ in Ostmitteleuropa, dem Balkan oder den GUS-Staaten.[37]

Die Gründung der neuen Abteilung, so ihr ehemaliger Leiter Johann Kubica, sei „nicht nur eine organisatorische Entscheidung, sondern auch eine programmatische Aussage“: Das Amt betone damit „noch deutlicher seine internationale Positionierung und Schwerpunktsetzung“. Aufgrund des besonderen Stellenwertes der internationalen Ausrichtung ist die Abteilung IK damit zugleich federführend bei der Entwicklung der „Amtsstrategie“. In dieser Rolle soll insbesondere das „Strategiereferat“ IK 11 Informationen aus allen erdenklichen Quellen vernetzen, regionale und bereichsspezifische Analysen erstellen, Handlungsperspektiven entwickeln und grundsätzliche (kriminal‑)politische Bedarfe auch rechtlicher Art artikulieren.[38] 2007, so weiß BKA-Vize Jürgen Stock zu berichten, wurde zu diesem Zweck „erstmals eine Umfeldanalyse erstellt, in der in den sechs Themenfeldern Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Technik, Umwelt und Recht mit wissenschaftlicher Methodik Trends herausgearbeitet wurden, die sich auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken können und somit zukünftige Aufgabenstellungen für das BKA erkennen lassen“.[39] Insofern lag es nahe, dass die Abteilung IK nach einer Aufbauphase im April 2006 nach Berlin umzog, wo sie schließlich – inklusive der geführten VerbindungsbeamtInnen – auf 265 Leute angewachsen ist. Tür an Tür mit den BKA-Personenschützern sowie der Staatsschutzgruppe rund ums „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ gehört sie dort zur Speerspitze des Amtes im Zentrum der politischen Macht: „Die Abteilung IK ist zugleich direkt und indirekt ein Instrument der Politikberatung durch das BKA“, so Kubica.[40]

Legitimierte sich der Machtzuwachs durch die Internationalisierung des BKA bereits in den 70er Jahren signifikant durch hauseigene Trendanalysen, so dürfte sein Einfluss auf Entscheidungen nicht nur des Innenministeriums, sondern auch des Auswärtigen Amtes und des Kanzleramtes durch die „Expertise“ der „Internationalen Koordinierung“ zukünftig zunehmen. Eine kritische Prüfung ihrer Quellen und „wissenschaftlichen Methodik“ durch gewählte Regierungsvertreter und Parlament dürfte allerdings selbst bei bestem Willen unmöglich sein. Damit könnten die Szenarien und Antworten der Glaskugelschau des BKA-Berlin leicht zur sich selbst erfüllenden und den Machtansprüchen des Amtes genügenden Prophezeiung werden, gebremst höchstens von der sicherheitsbürokratischen Konkurrenz um das Gehör und die Gunst der Regierenden.

[1] Pressemitteilung des BKA v. 1.10.2009
[2] Einzige Ausnahme ist der „kleine Grenzverkehr“ von Länderpolizeien mit angrenzenden Regionen in Nachbarstaaten auf Grundlage von § 3 Abs. 3 BKA-Gesetz v. 7.7.1997.
[3] Dickopf, P.: Die Stellung des Bundeskriminalamtes im Rahmen der internationalen Verbrechensbekämpfung, in: Zachert, H.-L. (Hg.): 40 Jahres Bundeskriminalamt, Wiesbaden 1991, S. 38-48 (43)
[4] ebd., S. 45
[5] ebd., S. 44; Dickopf, P.; Holle, R.: Das Bundeskriminalamt, Bonn 1971, S. 86
[6] Dickopf a.a.O. (Fn. 3), S. 47
[7] Übersicht über die Personalanforderungen des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden, Anlage zum Entwurf des Bundeshaushaltsplans 1976, Titel 0610
[8] vgl. BKA-Organigramm bei Aden, H.: Das Bundeskriminalamt. Intelligence-Zentrale oder Schaltstelle des bundesdeutschen Polizeisystems?, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 62 (1/1999), S. 6-17 (9)
[9] Übersicht über die Personalanforderungen des Bundeskriminalamtes (Fn. 7)
[10] EU-Ratsdok. 5171/09 v. 19.2.2009; SIRENE = Supplementary Information REquest at the National Entry
[11] www.internetwache.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=420119
[12] Chronik, in: Zachert a.a.O. (Fn. 3), S. 233-239 (238)
[13] BT-Drs. 6/1334, abgedruckt in: Dickopf; Holle a.a.O. (Fn. 5), S. 119 ff.
[14] § 5 Abs. 2 BKA-Gesetz v. 29.6.1973
[15] Busch, H.: Grenzenlose Polizei? Neue Grenzen und polizeiliche Zusammenarbeit in Europa, Münster 1995, S. 165 ff.
[16] Busch, H.: Polizeiliche Drogenbekämpfung – einer internationale Verstrickung, Münster 1999, S. 95 ff.
[17] § 3 Abs. 2 BKA-Gesetz vom 7.7.1997
[18] BT-Drs. 13/1550 v. 31.5.1995
[19] Schenk, D.: BKA – Polizeihilfe für Folterregime, Bonn 2008, S. 152
[20] BT-Drs. 16/326 v. 28.12.2005
[21] Busch a.a.O. (Fn. 15), S. 169
[22] BT-Drs. 12/1255 v. 7.10.1991
[23] BT-Drs. 16/326 v. 28.12.2005; www.bka.de/profil/verbindungsbeamte.html
[24] BT-Drs. 17/2845 v. 3.9.2010
[25] Schenk a.a.O. (Fn. 19), S. 161 ff.
[26] Dickopf; Holle a.a.O (Fn. 5), S. 85
[27] Der Spiegel 39/1979 v. 24.9.1979, S. 46 ff.
[28] Busch a.a.O. (Fn. 15), S. 168
[29] Bundeshaushalt Kapitel 610 (BKA), Titel 687 01
[30] Schenk a.a.O. (Fn. 19), S. 220; BT-Drs. 16/7699 v. 10.1.2008; s. auch www.bka.de/
pressemitteilungen/hintergrund/ikpo_4.pdf
[31] www.bka.de/pressemitteilungen/hintergrund/ikpo_1.pdf
[32] www.bmi.bund.de/cln_183/SharedDocs/Standardartikel/DE/Themen/Sicherheit/Polizei /IntPolizeilicheAusstattungshilfe.html?nn=247018
[33] BT-Drs. 17/2845 v. 3.9.2010
[34] Schenk a.a.O. (Fn. 19), S. 161 ff.
[35] Busch a.a.O. (Fn. 15), S. 169
[36] Kubica, J.: Neuorganisation im Bundeskriminalamt bei der internationalen Zusammenarbeit, in: Kriminalistik 2006, H. 3, S. 167-169
[37] www.bka.de/profil/bka_organigramm.pdf (Stand: 1.10.2009)
[38] Kubica a.a.O. (Fn. 36), S. 167
[39] Stock, J.: Internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Gefahren für die Wirtschaft, in: Die Kriminalpolizei 2008, H. 3, S. 85-89 (87)
[40] Kubica a.a.O. (Fn. 36), S. 169