Kooptierte Kameras – Hybride Netzwerke der Videoüberwachung

von Eric Töpfer

Im Vergleich zu zahlreichen anderen Ländern nimmt sich die polizeiliche Videoüberwachung in der BRD bescheiden aus. Der Blick auf die Zahl polizeieigener Kameras verschleiert aber den Umstand, dass die Nutzung fremder Überwachungssysteme durch die Polizei vielfältige Formen hat und undurchsichtige technische und informelle Netzwerke der Überwachung im Wachstum begriffen sind.

Die Aufnahmen, die die bewaffnete Verlegertochter Patricia Hearst beim Überfall der „Symbionese Liberation Army“ auf die Hibernia Bank in San Francisco 1974 zeigen, sind eine „Ikone“ aus den frühen Tagen der Kameraüberwachung. Dass sie erhalten geblieben sind, ist nicht nur den Investitionen der Bank zu verdanken, sondern auch den gesetzlichen Auflagen, die die Installation von Videokameras für US-amerikanische Geldinstitute bereits in den 60er Jahren zur Pflicht machten.[1]

In der alten Bundesrepublik gab es solche Gesetze nicht, allerdings forderten und förderten Politik und Sicherheitsorgane auch hierzulande die Expansion der „optischen Raumüberwachung“ – zum Teil gegen erbitterten Widerstand. Mehr als sechs Jahre hatte eine „Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Banküberfälle“ unter Vorsitz des Bundeskriminalamtes (BKA) verhandelt, bevor sich das Kreditgewerbe im „Heißen Herbst“ 1977 mit dem damaligen Bundesinnenminister Werner Maihofer auf ein millionenschweres Maßnahmenpaket zur Bankensicherung einigte. Zuvor hatte das BKA Marktstudien erstellt, Kameras in seinen eigenen Eingangshallen getestet und Leistungsanforderungen definiert. Als „optimale Lösung“ wurde ein kombiniertes Fernseh- und Fotoüberwachungssystem vorgeschlagen, das sowohl innerbetriebliche Überwachungsfunktionen als auch polizeiliche Interessen an verwertbaren Fahndungsbildern bedienen sollte. Diskutiert und vereinzelt getestet wurde bereits damals die Aufschaltung von Bankenkameras in polizeiliche Einsatzzentralen. Doch die geschätzten Kosten für die Aufrüstung der damals 44.000 Kassenstellen – mehr als 500 Millionen DM – ließen die Banken zögern. Erst nachdem SPD-Fraktionschef Herbert Wehner im Oktober 1977 gepoltert hatte, die Banken seien „Selbstbedienungsläden zur finanziellen Ausstattung von Terroristen“ und die Drohung mit gesetzlichen Maßnahmen im Raum stand, verpflichtete sich der Zentrale Kreditausschuss, selbst tätig zu werden: Alle Geldinstitute der Bundesrepublik sollten Kameras einbauen und zwar Einzelbildkameras, weil diese die besten Fahndungsfotos garantierten. Terroristenfahndung und polizeiliche Interessen hatten ob­siegt, und angesichts der folgenden Massenbestellungen halbierten sich die Stückkosten für Anlagen zur Raumüberwachung in wenigen Wochen.[2]

Die Indienstnahme Privater und ihrer elektronischen Augen für Zwecke staatlicher Verbrechensbekämpfung hat also durchaus Tradition. Allerdings hat sie sich mit der Normalisierung der Überwachung und dem Siegeszug der Netzwerktechnik sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht deutlich gesteigert. Unterscheiden lassen sich drei Formen der polizeilichen Nutzung fremder Überwachungsinfrastruktu­ren: die Verwertung von Videoaufzeichnungen zur Strafverfolgung, die technische Aufschaltung zur Echtzeitüberwachung und die persönliche Vor-Ort-Indienstnahme eines Systems durch PolizistInnen.

Sachbeweissammelmaschinen

Rechtlich ist es für die Polizei kaum ein Problem, nicht-polizeiliche Videoaufzeichnungen für die Strafverfolgung zu nutzen. Gebietet § 94 der Strafprozessordnung die Sicherstellung von Beweismitteln, ergänzt § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), dass Bilddaten aus der Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume für andere als die festgelegten Zwecke nur dann genutzt werden dürfen, „soweit dies zur Abwehr von Gefahren, für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist“. Und dies auch dann, wenn die Überwachung selbst unrechtmäßig war, wie der spektakuläre Fall des Nagelbombers von Köln illustriert. Nach diesem wurde im Sommer 2004 mithilfe von Aufnahmen einer Kamera des Privatfernsehsenders VIVA gefahndet, die – den Grenzziehungen durch § 6b BDSG zum Trotz – öffentliches Straßenland filmte.[3] Doch selbst in weniger schwerwiegenden Fällen scheint die Abwägung zwischen effektiver Rechtspflege und den Interessen der Betroffenen vor Gerichten in der Regel zuungunsten der letzteren auszufallen.[4]

Private Kameras, die öffentlich zugängliche, aber private Räume und vielfach auch – wenngleich illegal – öffentliche Straßen und Plätze überwachen, gehören heute zur Normalität. Mit ihrer massiven Verbreitung erschließt sich der Polizei zumindest theoretisch eine bedeutende Ressource. Bereits 2002 erklärte der damalige sächsische Innenminister Klaus Hardraht (CDU) auf einer Arbeitstagung zur Zusammenarbeit von Polizei und Sicherheitsgewerbe die Videoüberwachung zu einem beispielhaften Kooperationsbereich: Bei einer Überwachung durch Private seien die verfassungsrechtlichen Bedenken, die bei einem staatlichen Einsatz bestünden, geringer.[5]

In der Praxis ist die Nutzung fremder Videoaufnahmen für die Polizei allerdings nicht ohne Probleme. Sie ist konfrontiert mit unzureichender Qualität von Bildmaterial, der Inkompatibilität von Dateiformaten, der mangelnden Kenntnis von Kamerastandorten oder dem Zeitaufwand, den das Einsammeln und Auswerten von Videomaterial erfordert. Um Abhilfe zu schaffen, beteiligen sich Polizeivertreter an der Entwicklung technischer Normen und Richtlinien, empfehlen entsprechend konforme Anlagen und zertifizierte Errichterfirmen. Kriminaltechniker arbeiten an der digitalen Aufbereitung und Verbesserung von schlecht auswertbaren Bildern,[6] und Informatiker entwickeln Technologien zur Metadatierung von digitalem Videomaterial, damit die Bilderfluten leichter zu durchforsten sind. Und so gehören Videoaufzeichnungen längst nicht mehr nur bei Schwerverbrechen zum Standardrepertoire der Strafermittlung. Die Berliner Polizei forderte im Jahre 2010 allein vom Verkehrsbetrieb BVG fast dreitausendmal Videoaufzeichnungen an.[7]

Überwachungsnetze

2007 ließ die Polizei Baden-Württemberg einen „Videoatlas“ von 4.202 Überwachungskameras an 536 Objekten erstellen und machte damit einen ersten Vorstoß zur systematischen Kartierung von Kamerastandorten.[8] Vorbilder hierfür finden sich in Großbritannien, wo die London Metropolitan Police als Reaktion auf IRA-Anschläge bereits Mitte der 90er Jahre im Rahmen der „Operation Rainbow“ begann, eine Datenbank zu „CCTV locations“ anzulegen.[9]

Inzwischen ist die Londoner Met allerdings deutlich weiter: C3I, Command-Control-Communication-Information, heißt das Projekt, mit dem die Hauptstadtpolizei 33 Bezirksleitstellen durch drei vernetzte Kommandozentralen ersetzt hat und damit nicht nur den Zugriff auf die zahlreichen Kameras kommunaler „open-street“-Systeme integriert, sondern sich auch anlassbezogen auf mehr als 30.000 Kameras anderer Betreiber aufschalten kann.[10] Zwar ist London sicherlich Spitzenreiter in Sachen vernetzter Überwachung, allerdings beschränkt sich der Trend zur polizeilichen Aufschaltung in Videosysteme anderer Betreiber keineswegs auf die britische Hauptstadt. Als Reaktion auf die fragmentierte und als ineffizient wahrgenommene Überwachungslandschaft entwickelten das Innenministerium und die Association of Chief Police Officers 2007 eine „National CCTV Strategy“. Sie wünschen sich darin nicht nur eine Datenbank zur Registrierung aller existierenden Überwachungssysteme, sondern auch die umfassende Vernetzung von Systemen für die polizeiliche Echtzeitaufschaltung und den Online-Zugriff auf Videoaufzeichnungen.[11]

In vergleichbarer Weise wird in Frankreich seit der Novelle des Antiterrorgesetzes („Loi Antiterrorisme“) im Jahre 2007 versucht, technische Standards durchzusetzen und auf diese Weise zumindest die Systeme großer Einzelhandels- und Verkehrsunternehmen für den polizeilichen Zugriff zu öffnen.[12] Der „Heimatschutz“ hat auch in den USA, wo staatliche Videoüberwachung lange Zeit nur ein nachrangiges Thema war, zu einem Boom der Vernetzung von Systemen geführt: Bilder tausender Kameras aus Nahverkehr, Shopping Malls, Schulen und Wohnanlagen können in den zentralen nach dem Vorbild der „Kriegstheater“ des US-Militärs modellierten Kontrollraum der Polizei von Washington, D.C. aufgeschaltet werden; ähnlich ist die Situation in New York, Chicago und vermutlich zahlreichen weiteren US-amerikanischen Großstädten.[13] Angesichts dieser Entwicklung warnt die American Civil Liberties Union eindringlich vor einer „dritten Welle“ der Videoüberwachung: „Bereits jetzt beobachten wir den Beginn eines weiteren radikalen Wandels der Nutzung von Überwachungskameras, in denen die Privatkameras der ersten Welle in die zentralen staatlichen Systeme der zweiten Welle integriert werden. Zugleich beobachten wir erste Schritte der Behörden, die Installation privater Kameras zur Pflicht zu erklären … Und da die alten Analogkameras durch neue digitale Modelle ersetzt werden, wird es immer preiswerter und leichter, enorme Überwachungsnetze zu knüpfen und die in diesen Netzwerken generierten Daten zu nutzen und zu missbrauchen.“[14]

Auch in Deutschland werden Pläne zur Ausweitung der Überwachung mit Notwendigkeiten der Terrorismusbekämpfung gerechtfertigt. Im Gefolge der gescheiterten Kofferbombenanschläge von Dortmund und Koblenz sprach sich die Innenministerkonferenz im September 2006 dafür aus, „das Instrument der Videoüberwachung stärker als bisher zu nutzen“, insbesondere zur „gezielten Beobachtung von Gefahrenschwerpunkten“ z.B. im Bereich von Bahnhöfen, Flughäfen und Häfen.[15] Unterstützung erhielten die Innenminister von europäischer Seite: Die Terrorismus-Arbeitsgruppe des Rates der Europäischen Union gab im Oktober desselben Jahres eine Studie zur Nutzung von Videoüberwachung in Auftrag. Die Ergebnisse wurden 2008 präsentiert, und zwischenzeitlich war sogar eine Schlussfolgerung des Rates zum Thema im Gespräch – ein Plan, der aber verworfen wurde. Was bleibt, ist die klare Aussage: „Es besteht die Notwendigkeit, alle verfügbaren Ressourcen einzusetzen, um Konvergenz, Interoperabilität und in bestimmten Fällen die gemeinsame Nutzung der von allen Anlagen generierten Mittel zu fördern.“[16]

Der oben erwähnte „Videoatlas“ Baden-Württembergs diente denn auch nicht allein der Kartierung der Kameras, sondern zielte auf die Vernetzung der kartierten Systeme mit der Polizei. Hierzu fehlte allerdings die rechtliche Grundlage, und der Koalitionspartner FDP blockierte bei der Novellierung des Landespolizeigesetzes 2008 eine entsprechende Änderung. Anders hingegen zum Beispiel in Niedersachsen: „Der Zugriff auf Videobilder anderer Überwachungsträger soll im Rahmen einer gemeinsamen Strategie forciert werden. Gerade an Orten verschiedener Infrastrukturen müssen die Übergänge gezielt abgedeckt werden. Dabei geht es nicht darum, die Bürgerinnen und Bürger lückenlos zu beobachten, sondern es geht um die Beobachtung besonders sensibler Bereiche wie Bahnhöfe, Bahnhofsvorplätze, Flughäfen, Bushaltestellen sowie U- und S-Bahnhöfe oder aber Großveranstaltungen“, heißt es in einem Bericht der Landesregierung zur Inneren Sicherheit von 2007.[17] Mit der Ergänzung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes im November des Jahres wurden die Vorschriften für die Videoüberwachung durch die Polizei „den Bedürfnissen der polizeilichen Praxis“ angepasst.[18]

Katalysator der Vernetzung war hierzulande – noch vor Kofferbomben und Verrechtlichung – die Fußball-Weltmeisterschaft von 2006. So hatte Niedersachsen im Vorfeld des Spektakels 370.000 Euro bereitgestellt, um die Verfügbarkeit von „einsatzbezogenen Videoinformationen“ zu verbessern.[19] Inzwischen kann sich die Polizei in Hannover zu mehr als 800 Fremdkameras insbesondere der Verkehrsgesellschaft Üstra aufschalten.[20] Auch die Polizeien in Frankfurt/Main und Berlin nahmen die WM zum Anlass, um sich Direktleitungen zu den Überwachungsanlagen des städtischen Nahverkehrs einzurichten;[21] und im Rahmen ihrer „Ordnungspartnerschaft“ weihten Deutsche Bahn (DB) und Bundespolizei in Berlin einen gemeinsam genutzten Masterkontrollraum für die 3S-Über­wachung von DB-Bahnhöfen ein. 3S steht für „Service, Sicherheit, Sauberkeit“. In den Kontrollraum können seither Bilder der mehr als 20 regionalen 3S-Zentralen übertragen werden, die zusammen etwa 3.000 Kameras an 300 Bahnhöfen betreiben.[22]

Zu Gast im Kontrollraum

Trotz der wachsenden Verdrahtung von landespolizeilichen Einsatzzentralen mit fremden Überwachungssystemen scheint die Kooperation von Bundespolizei und DB typischer für den gegenwärtig vorherrschenden Modus der polizeilichen Nutzung von Fremdanlagen: Seit die DB Mitte der 90er Jahre mit ihrem 3S-Programm Videoüberwachung zu einer zentralen Säule ihres Sicherheitskonzeptes machte, sind in den 3S-Zentralen Plätze für BundespolizistInnen reserviert. Während die 3S-MitarbeiterIn­nen der DB rund um die Uhr vor den Monitoren sitzen, nutzen BundespolizistInnen ihre Möglichkeiten nur anlassbezogen, z.B. um die An- und Abreise von Fußballfans zu kontrollieren oder Einsätze gegen Taschendiebe zu koordinieren.

Vergleichbares wird auch aus Berlin berichtet, wo die Polizei mittlerweile häufig Gast in der Sicherheitszentrale der Nahverkehrsgesellschaft BVG ist, etwa um gegen Drogenszenen und informellen Fahrkartenhandel in U-Bahnhöfen vorzugehen oder die eigenen Kräfte bei Großlagen zu steuern. Noch fehlen auf Seiten der Polizei, wo aufgrund limitierter Datenleitungen jeweils nur Bilder einer Bahnhofkamera beobachtet werden können, eine der BVG-Sicherheitszentrale vergleichbare Infrastruktur und Arbeitsbe­dingungen. Ein routinierter Bildwechsel zwischen Kameras ist vermutlich nur in den angezapften Systemen möglich.[23]

Die erheblichen Kosten für Datenleitungen und -übertragung bremsen bislang die umfassende Vernetzung von Fremdanlagen mit der Polizei. Und selbst eine Strategie der Ausweitung der Aufschaltungen in Einsatzzentralen scheint den Planern nicht befriedigend. Geträumt wird von einer vollkommenen Flexibilität: „Überwachungskameras sollten so vernetzt sein, so dass ihre Bilder auf jedem anderen Gerät im Netzwerk betrachtet werden können“, visioniert ein Thesenpapier, das die Beratungen der Zukunftsgruppe über das Stockholm-Programm für die Innere Sicherheit der EU informierte.[24]

Solange solche Ideen jedoch Zukunftsmusik bleiben, dürfte der vor­übergehende Mitgebrauch von Kontrollräumen nicht-polizeilicher Über­wachungsnetze die bevorzugte Variante für ihre Echtzeitnutzung durch die Polizei sein.

Konflikte und Gefahren

Der Boom der nicht-polizeilichen Videoüberwachung wirkt also mittelbar als Machtverstärker für die Polizei – als Hilfe bei der Strafermittlung, aber eben auch bei der Einsatzplanung und -leitung. Die Vorteile liegen auf der Hand: Anschaffung, Betrieb und Wartung der Anlagen ist Sache der Betreiber, während die Polizei relativ flexibel auf das Instrument zugreifen kann. Doch insbesondere die Kosten der Überwachung bergen Zündstoff: So beklagte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Anfang 2011 darüber, dass die Banken der Polizei die Überlassung von Fotos auf Überwachungskameras in Rechnung stellen und brachte eine Änderung des Zeugenentschädigungsgesetzes ins Gespräch.[25] Auch als Bundesinnenminister Otto Schily und DB-Chef Hartmut Mehdorn 2005 die Sicherheitszentrale in Berlin besuchten, wurde deutlich, dass die Aufteilung der Kosten für die Videoüberwachung zwischen den „Ordnungspartnern“ umstritten ist. Im Gegensatz dazu beschäftigt die Berliner BVG eigens vier Mitarbeiter, um die wachsende Zahl polizeilicher Anfragen nach Überwachungsbildern systematisch, aber kostenlos zu bearbeiten.

Die Frage, welche Priorität die polizeiliche Nutzung der Videoüberwachungsanlage hat, stellt sich allerdings nicht nur bei den Kosten. Bei der Errichtung von Anlagen des Nahverkehrs stehen beispielsweise eher Betriebsabläufe im Vordergrund, so dass nicht immer polizeilich für relevant gehaltene Örtlichkeiten im Blick der Kameras sind. Strittig ist auch, ob die Polizei bei Echtzeitaufschaltungen die Fernbedienung der Systeme übernehmen darf und ob sie bei Besuchen in Kontrollräumen nicht über Gebühr Ressourcen beansprucht, die von den eigentlichen Betreibern benötigt werden. Die Polizei Regensburg, die für das bayerische Pilotprojekt zur Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze 2000/2001 die existierende Anlage der lokalen Verkehrsbetriebe nutzte, bilanzierte: „Die Polizei ist nur ‚Gast‘ auf der Anlage … Es gebietet schon die Höflichkeit, sie nicht ständig für polizeiliche Belange zu nutzen. Für polizeiliche Zwecke sind deshalb polizeieigene Anlagen unabdingbar.“[26]

Wie auch immer solche Interessenkonflikte letztlich entschieden werden, fest steht, dass sich mit der wachsenden Vernetzung der Überwachung die informationelle Selbstbestimmung verflüssigt, weil es – selbst bei Existenz datenschutzkonformer Partnerschaftsvereinbarungen und Techniken – für die Betroffenen immer undurchschaubarer wird, wann, wer und warum überwacht. Wer dennoch meint, dass die Grundrechtsbeschneidung angesichts terroristischer Bedrohung gerechtfertigt sei, ignoriert die jeder Überwachung inhärente Aufweichung der Zweckbestimmung: In Wolfsburg schaltete sich die Polizei noch während der Verhandlungen um die Novellierung des niedersächsischen Polizeigesetzes im Oktober 2007 auf Kameras der Wolfsburger Dienstleistungs- und Meldezentrale (WDZ) auf, die in Bahnhofsnähe installiert sind. Hatte die Stadtwerke-Tochter WDZ, die zu dieser Zeit mit Stadtverwaltung, einem großen Einkaufszentrum, Verkehrsgesellschaft, Stadtmarketing, Landes- und Bundespolizei in einem Projekt „Sichere Innenstadt“ organisiert war, zuvor noch die Polizei über „Auffälligkeiten“ informiert, nahm fortan die Polizei selbst die „auffällige“ Jugend ins Visier.[27] In einer Antwort der Landesregierung auf die Frage nach dem Stand der polizeilichen Videoüberwachung wurde Wolfsburg mit keiner Silbe erwähnt.[28]

[1] Nieto, M.: Public Video Surveillance. Is it an Effective Crime Prevention Tool?, Sacramento 1997, www.library.ca.gov/CRB/97/05/
[2] Bankensicherung perfekt?, in: Sicherheitstechnik 1978, H. 2, S. 23-27; Der Spiegel v. 17.10.1977, S. 84 f. und v. 4.9.1978, S. 52
[3] Lietz, H.: Videoüberwachung – Sicherheit oder Scheinlösung?, in: Telepolis v. 6.7.2004, www.heise.de/tp/r4/artikel/17/17813/1.html
[4] Stolle, P.: Zur Verwertung von privat gewonnenen Videoaufzeichnungen im Strafverfahren, in: JurPC Web-Dok. 211/2003, Abs. 1-3, www.jurpc.de/aufsatz/20030211.htm
[5] Braun, S.: Polizei und privates Sicherheitsgewerbe – gemeinsam für die Sicherheit der Bürger. Arbeitstagung in Dresden, in: DSD – Der Sicherheitsdienst 2002, H. 2, S. 3-6 (5)
[6] z.B. die Gruppe „Technologien“ beim BKA, www.bka.de/kriminalwissenschaften/forsch
ung/ki22.htm
[7] Berliner Abgeordnetenhaus: Drs. 16/15150 v. 21.2.2011
[8] die tageszeitung v. 5.5.2007
[9] Fussey, P.: Observing potentiality in the global city. Surveillance and counterterrorism in London, in: International Criminal Justice Review 2007, No. 3, pp. 171-192 (175)
[10] Capital command, in: CCTV Image, April 2008, pp. 10-14 (11)
[11] Joint Home Office ACPO Team: National CCTV Strategy, London 2007
[12] heise news v. 26.7.2007, www.heise.de/newsticker/meldung/93368
[13] Washington Post v. 1.5.2008
[14] Stanley, J.; Steinhardt, B.: Even bigger, even weaker. The emerging surveillance society – where are we now? (ACLU-Report), New York 2007, p. 7
[15] Beschlüsse der 181. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 4. September 2006 in Berlin
[16] Ratsdok. 11746/1/08 v. 9.9.2010
[17] Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport; Niedersächsisches Justizministerium: Bericht zur Inneren Sicherheit Niedersachsens 2002-2006, Hannover 2007, S. 11
[18] ebd.
[19] ebd., S. 211
[20] Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 22.8.2006
[21] faz.net v. 19.10.2006; Berliner Zeitung v. 1.6.2007
[22] Töpfer, E.: Jeden Bahnhof erfassen, in: Telepolis v. 31.8.2005, www.heise.de/tp/r4/
artikel/20/20832/1.html; BT-Drs. 17/2750 v. 13.8.2010
[23] Besuch der BVG-Sicherheitszentrale am 19.2.2010
[24] Future Group (Portugal): Public security, privacy and technology in Europe. Moving forward. Concept paper on the European strategy to transform public security organizations in a connected world, www.statewatch.org/news/2008/jul/eu-futures-dec-sec-pri
vacy-2007.pdf
[25] GdP Nordrhein-Westfalen: Pressemitteilung v. 11.1.2011
[26] Polizeidirektion Regensburg: Pressemeldung v. 31.8.2001
[27] Braunschweiger Zeitung v. 17.9. und 20.10.2007; www.wolfsburg.de/irj/portal/anony
mous?NavigationTarget=navurl://43712da60a7e99a3db4933026dd05784
[28] Niedersächsischer Landtag: Drs. 15/4376 v. 18.12.2007