Archiv der Kategorie: CILIP 131

Mit Technologien gegen Migration (März 2023)

Der Blick auf die Grenze: Gegenforensik macht Formen der Grenzgewalt sichtbar

von Giovanna Reder

Der folgende Text beschreibt die fortschreitende Technisierung und Überwachung der EU-Außengrenzen sowie forensische Methoden unter Verwendung von Open-Source-Materialien. Dazu werden Projekte der Organisationen Border Forensics und Forensic Oceanography vorgestellt, die mit räumlichen und visuellen Analysen Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Damit wollen sie den systemischen Charakter von Überwachung und Grenzgewalt sichtbar machen, die Rechte von Migrant*innen stärken und eine Politik der Bewegungsfreiheit proklamieren.

Seit Jahren verstärkt die Europäische Union[1] die Kontrolle ihrer Außengrenzen mit dem vorgegebenen Ziel, „die Sicherheit in Europa zu gewährleisten“.[2] Im Rahmen dieses fortschreitenden Prozesses werden Überwachungstechnologien ständig weiterentwickelt und modernisiert. Der Zugang zu diesen Technologien ist häufig auf den Staat und seine Exekutive beschränkt. An den Grenzen und darüber hinaus werden sie eingesetzt, um einerseits Kontrolle auszuüben, aber auch, um den Status quo zu erhalten. Wie kann die Öffentlichkeit angesichts dieser sich ständig weiterentwickelnden und verstärkenden Tendenz Rechenschaft einfordern? Der Blick auf die Grenze: Gegenforensik macht Formen der Grenzgewalt sichtbar weiterlesen

Röntgentechnik für die Festung Europa: Über die Detektion von Flüchtenden in Fahrzeugen

von Clemens Arzt

Das politische Bestreben, mögliche Fluchtwege nach Deutschland für Menschen immer undurchlässiger zu machen, nimmt in zunehmendem Maße auch technische Möglichkeiten in den Blick, um unkontrollierte Reisebewegungen und Grenzübertritte zu verhindern. Der Beitrag nimmt dabei in jüngerer Zeit untersuchte Technologien in den Blick und versucht, diese rechtlich einzuordnen.

Die Verhinderung der „unkontrollierten“ Einreise flüchtender Menschen ist spätestens seit dem Sommer 2015 ein Markenkern der „Festung Europa“ und deutscher Politik. Menschen auf der Flucht verstecken sich nicht selten in Kraftfahrzeugen oder Containern. Dabei kommt es auch zu dramatischen Todesfällen. Unter dem Label der Gefahrenabwehr und einer „geregelten Flüchtlingspolitik“ untersuchte ein vom Bun­desfor­schungs­ministerium finanziertes Forschungsprojekt (STRATUM[1]), wie in Fahrzeugen versteckte Menschen schnell und unauffällig auf­gespürt (detektiert) werden könnten. Der Beitrag stellt diese Techniken vor und fragt, wie deren Nutzung durch die Polizei rechtlich zu beur­teilen ist.[2]  Zunächst werden die technischen Methoden zum Aufspüren von Menschen vorgestellt. Gefragt wird sodann, ob sich aus dem europäischen oder Völkerrecht ein Recht auf „un­kontrollierte Einreise“ ableiten lässt, mit dem solche Detektionsmaßnahmen unvereinbar wären. Anschließend werden die grundrechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen solcher Maßnahmen in Deutschland vorgestellt und hinterfragt. Röntgentechnik für die Festung Europa: Über die Detektion von Flüchtenden in Fahrzeugen weiterlesen

Einigung zu „elektronischen Beweismitteln“

Das Europäische Parlament und der Rat haben sich im Januar 2023 auf zwei Gesetzesvorhaben zur Sicherung und Herausgabe elektronischer Beweismittel in Strafsachen geeinigt.[1] Das „E-Evidence“-Paket besteht aus einer Verordnung sowie einer ergänzenden Richtlinie. Hintergrund des Gesetzgebungsverfahrens ist, dass Strafverfolgungsbehörden zunehmend auf im Ausland gespeicherte Daten zugreifen wollen. Deren Herausgabe richtet sich traditionell nach den Vorschriften der internationalen Rechtshilfe. Allerdings werden entsprechende Verfahren von den Behörden als zu langsam und ineffizient wahrgenommen. Daher haben die USA bereits 2018 den sog. CLOUD ACT erlassen, der US-amerikanische Technologiefirmen verpflichtet, auch Daten, die auf ihren Servern im Ausland gespeichert werden, an US-Strafverfolgungsbehörden herauszugeben. Ein ähnliches Verfahren sieht die E-Evidence-Verordnung vor, auf die sich die europäischen Rechtssetzungsorgane nun geeinigt haben. Einigung zu „elektronischen Beweismitteln“ weiterlesen

API-Daten für mehr Fluggastdatenspeicherung

Am 13.Dezember 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine „Verordnung über die Erhebung und Übermittlung von API-Daten zur Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und zur Änderung der Verordnung (EU)2019/818“ (API-VO) vorgelegt.[1]

Die Advanced Passenger Information (API) wird von den Fluggesellschaften bei der Einreise in den Schengenraum während der Abfertigung der Fluggäste erhoben und bereits seit 2004 als Liste an die Grenzpolizeibehörde des Zielstaates übermittelt. Die API-Daten enthalten die Angaben aus den Reisepässen der Flugreisenden. Sie gelten laut Kommission als „verifizierte“ Daten über die tatsächlich an Bord befindlichen Fluggäste, während die Passenger Name Record (PNR)-Daten, die vorab von Fluggesellschaften und Reiseunternehmen an die Behörden übermittelt werden, „unverifizierte“ Daten enthalten – ob diese Fluggäste tatsächlich an Bord sind oder kurzfristig noch weitere Fluggäste zugestiegen sind, geht aus den PNR-Daten nicht hervor. API-Daten für mehr Fluggastdatenspeicherung weiterlesen

Sicherheits- und Ordnungsgesetz MV verfassungswidrig

Nachdem in den Jahren ab 2017 in den meisten Bundesländern die Polizeigesetze verschärft wurden, erhoben einige Protestbündnisse Verfassungsbeschwerden gegen die Gesetze. Anfang Februar 2023 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Entscheidung zur Beschwerde des Bündnisses SOGenannte Sicherheit sowie der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen das Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SOG MV).[1] Das Gesetz enthielt eine Vielzahl von Regelungen zur verdeckten Datenerhebung, die das BVerfG nun beanstandete. Unter anderem ging es um die polizeilichen Befugnisse zur Observation von Personen, zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen, zum Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittler*innen, zur Überwachung von Wohnräumen und Telekommunikation sowie zur Online-Durchsuchung. Sicherheits- und Ordnungsgesetz MV verfassungswidrig weiterlesen

Brandenburg bekommt Polizeibeauftragte

Nach zwei Jahren zäher Verhandlungen hat die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg am 16. Dezember 2022 ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt und ein Gesetz zur Einrichtung einer Polizeibeauftragtenstelle verabschiedet.[1] Damit wird Brandenburg nun das siebente Bundesland mit einer solchen Ombudsperson. Anders als in den anderen Ländern, wo die Stellen zusätzlich als Bürger- oder Feuerwehrbeauftragte immer auch andere Aufgaben haben, wird sie in Brandenburg ausschließlich für Polizeithemen zuständig sein. So wie die bereits existierenden Beauftragten ist aber auch die Stelle in Brandenburg Hilfsorgan des Landtags bei der parlamentarischen Kontrolle, soll die Bevölkerung im „Dialog“ mit der Polizei unterstützen und auf eine einvernehmliche Erledigung von Beschwerden hinwirken; zugleich ist sie zuständig für Eingaben aus der Polizei. Dafür verfügt die*der Beauftragte über umfassende Auskunfts-, Akteneinsichts-, Anhörungs- und Betretungsrechte. Brandenburg bekommt Polizeibeauftragte weiterlesen

Grimheden will mehr Frontex in Problemstaaten

Der Grundrechtsbeauftragte bei Frontex schlägt vor, den Artikel 46 der Frontex-Verordnung „umzukehren“: Kommt es in einem Gaststaat zu Men­schenrechtsverletzungen, soll Frontex demnach mehr und nicht weniger Personal dorthin entsenden, erklärt der aus Schweden stammende Jonas Grimheden auf Anfrage. Die Agentur komme mit Beamt*innen aus anderen Ländern als jenem, in dem die Verstöße passierten, erläutert er die Vorteile seiner Idee. Sie seien daher unabhängiger von dortigen nationalen Interessen. Würden Einsätze beendet, fehle es an einer „Hebelwirkung“, so der Beauftragte, der das Amt vor 18 Monaten übernommen hat. Grimheden will mehr Frontex in Problemstaaten weiterlesen

Handyauswertung durch BAMF war rechtswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sieht das regelmäßige Auslesen von Mobiltelefonen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht vom Gesetz gedeckt. Die bei fehlenden Pässen oder Passersatzpapieren angeordnete Maßnahme müsse unter hinreichender Berücksichtigung sonstiger vorliegender Erkenntnisse und Dokumente erfolgen, argumentierte das Gericht in einem Urteil vom 16. Februar (Az. 1 C 19.21) und gab der Klage einer 44-Jährigen aus Afghanistan statt. Die Frau war mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor zwei Jahren gegen die Handyauswertung vor das Verwaltungsgericht (VG) in Berlin gezogen. Schon das VG hielt die Maßnahme für rechtswidrig. Weil die Praxis die Grundrechte Tausender Geflüchteter auch in anderen Bundesländern betrifft und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, hatte das VG mit Einverständnis der GFF die Sprungrevision zu zugelassen. Handyauswertung durch BAMF war rechtswidrig weiterlesen

Razzia bei „Radio Dreyeckland“

Die Polizei hat am 17. Januar das „Radio Dreyeckland“ in Freiburg durchsucht und dabei mehrere Durchsuchungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vollstreckt.[1]  Zehn Beamt*innen durchsuchten dabei die Redaktionsräume des ältesten deutschen Freien Radios, außerdem die Wohnsitze von zwei Redakteuren. Dort wurden unter anderem USB-Sticks und Mobiltelefone beschlagnahmt. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren wegen des „Verdachts eines Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot“. Die Webseite des Rundfunkkollektivs hatte einen Artikel veröffentlicht, der auf „Linksunten Indymedia“ verlinkt. Darin wurde über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen „Linksunten“ berichtet. Die Internetplattform war 2017 vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach dem Vereinsgesetz verboten worden, da sich ihr Zweck und ihre Tätigkeiten „gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten“. Razzia bei „Radio Dreyeckland“ weiterlesen

Neue deutsch-französische Polizeieinheit

Deutschland und Frankreich wollen ihre Zusammenarbeit gegen „Migrationsströme“ verstärken. Eine 2021 gegründete „Gemeinsame deutsch-französische Diensteinheit“ (GDFD) wird dazu in eine feste Organisationsform umgewandelt. Dies haben die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und ihr Amtskollege Gérald Darmanin beim Ministerrat im Januar beschlossen.[1] Zur „Bekämpfung der irregulären Migration“ soll die Einheit aus Bundespolizei und französischer Grenzpolizei gemeinsame Streifen durchführen. „Anlassbezogen“ soll sie außerdem örtliche Dienststellen bei besonderen Einsatzlagen unterstützen. Genannt werden gemeinsame „Großkontrollen zur Feststellung von Behältnisschleusungen“ und der Einsatz anlässlich des Weihnachtsmarkts in Straßburg. Neue deutsch-französische Polizeieinheit weiterlesen