Terrorismusprävention – Ausufernde Befugnisse und ihre Resultate

von Stefan Waterkamp und Mark Eidam

Ein ins Vorfeld verlagertes Strafrecht sowie ausgedehnte Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten bestimmen das Recht der Terrorismusprävention. Ihre Ergebnisse sind wenige Verurteilungen aber auch schlichte Gewalt gegen Einzelne.

Ein Video, das anlässlich einer Entführung im Irak offensichtlich für die deutsche und österreichische Öffentlichkeit erstellt wurde, heizt die Alarmstimmung an. Politik und Sicherheitskreise verweisen auf eine „erhöhte, abstrakte Terrorgefahr“, von konkreten Plänen wisse man aber nichts. Das ist beruhigend, denn schließlich müssten die Behörden inzwischen alles wissen können, was islamistische Terrorkrieger in Deutschland aushecken. In der Folge der Attentate vom 11. September 2001 wurden die Befugnisse von Polizei, Justiz und Geheimdiensten zur Abwehr der terroristischen Gefahr exzessiv ausgeweitet.[1] Frühzeitige Information über mögliche Planungen der Terroristen ist nach Ansicht von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zentral, um Anschläge zu verhindern. Und die Vernetzung von Informationen sei das wichtigste Mittel, um die Effizienz der Terrorismusbekämpfung zu steigern.[2]

Anschläge und Terrorismus sind rechtlich betrachtet aus einer politischen Motivation heraus begangene Straftaten. Bei Terrorprävention handelt es sich demnach zunächst um vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Die Straftaten sollen im Vorfeld verhindert werden. Gleichzeitig sind aber schon die Planung und Vorbereitung von Anschlägen oder die Bildung von Gruppierungen mit terroristischer Zielsetzung mit Strafe bewehrt. Nach §§ 129, 129a und b StGB ist die Bildung und Unterstützung von Vereinigungen, die sich die Begehung von Straftaten zum Ziel gesetzt haben, eine Straftat, auch wenn von diesen Vereinigungen noch keine Straftat begangen oder auch nur zu begehen versucht wurde. Durch diese Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Organisierung terroristischer Gruppierungen ist Terrorprävention zugleich repressive Strafverfolgung. Selbst das bei den Hamburger Strafverfahren gegen Mounir el Motassadeq und Abdelghani Mzoudi wegen der Beteiligung an den Anschlägen des 11. Septembers noch bestehende Problem der Anklagebehörde, dass eine ausländische terroristische Vereinigung in Deutschland noch nicht unter Strafe stand,[3] existiert heute nicht mehr. Nach § 129b StGB wäre selbst eine aus Afghanistan, dem Irak oder dem europäischen Ausland operierende islamistische Gruppierung, die Anschläge in Deutschland plant, grundsätzlich von deutschen Polizeibehörden zu verfolgen.

Anders als im üblichen Strafrecht liegt die Grenze der Strafbarkeit beim Terrorismus also weit vor dem Versuchsbeginn. Diese Vorverlagerung zeigt nicht nur, dass hier die Prävention ins Strafrecht hineingenommen wurde. Sie könnte auch einen Gradmesser für den Erfolg oder Misserfolg der Präventionsleistungen von Polizei und Geheimdiensten abgeben, deren Befugnisse in den vergangenen Jahren unter dem Label der Terrorismusbekämpfung stetig ausgeweitet wurden (und werden). Die erweiterten Informations- und Zusammenarbeitsbefugnisse müssten sie in die Lage versetzt haben, nicht nur bereits die Vorbereitung von Anschlägen zu unterbinden und islamistische Terrorgruppierungen aufzuspüren, sondern auch Gerichtsverwertbares zu liefern, das für Anklagen und Verurteilungen nach dem weitläufigen Terrorismusstrafrecht genügen würde. Allerdings könnte es sich auch erweisen, dass es bei der Terrorprävention im Großen und Ganzen gar nicht um die Verfolgung „konkreter“ Terroristen und die Verhinderung „konkreter“ Anschläge geht, sondern vielmehr um die Ausleuchtung bestimmter Milieus und um das Sammeln von Daten ausgewählter Teile der Bevölkerung.

Das präventive Repertoire von Polizei und Geheimdiensten

Schon kurz nach dem 11. September 2001 hat die Bundesregierung zwei „Sicherheitspakete“ auf den Weg gebracht, die inzwischen erweitert und ergänzt wurden. Dabei hatte die BRD auch vor den Anschlägen in den USA keinen Mangel an Sicherheitsgesetzen. Polizeiliche Vorfeldmethoden sind seit Mitte der 80er Jahre Stück für Stück verrechtlicht worden – und zwar sowohl zu präventiven Zwecken in den Polizeigesetzen der Länder als auch in der Strafprozessordnung. Die §§ 129 und 129a (und mittlerweile der § 129b) StGB gehören dabei, auch da wo sie nicht ausdrücklich in Deliktkatalogen genannt sind, wie selbstverständlich zu den Anlassstraftaten und sorgen mit ihrer breiten Kriminalisierung des Vorfeldes dafür, dass die neuen Befugnisse auch da quasi-präventiv wirken, wo sie eigentlich zu repressiven Zwecken vorgesehen sind.

Rechtliche Grundlagen existierten zum einen für „operative“ Methoden von der längerfristigen Observation über den Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern bis hin zum Großen Lauschangriff, dessen Regelung von 1998 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Urteil von März 2004 für verfassungswidrig erklärte.[4] Zum andern verfügte die Polizei über ein breites Repertoire informationeller Befugnisse allgemeiner Art – zur verdeckten Datenerhebung und zur Umwidmung strafprozessual erhobener Daten zu präventiven Zwecken und umgekehrt – sowie spezieller informationstechnischer Methoden wie der „polizeilichen Beobachtung“ und der Rasterfahndung.

Als die Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt (BKA) im Oktober 2001 mit der Rasterfahndung begannen, existierten nur in drei Bundesländern „Gesetzeslücken“, die im Eilverfahren geschlossen wurden. Daten über rund acht Millionen Personen wurden erhoben, verarbeitet und gerastert. Rund 32.000 landeten in der BKA-Datei „Schläfer“ und wurden dann zunächst durch einen automatischen Abgleich auf rund 2.000 verdichtet, die anschließend genauer überprüft wurden. Dass die Rasterfahndung erfolglos blieb und keine „Schläfer“ entdeckt wurden, lag also sicher nicht an der Rechtsgrundlage.[5]

Dennoch bildete die Terrorismusbekämpfung die Rechtfertigung für einen weiteren Ausbau polizeilicher Befugnisse. So hat etwa Hamburg 2005 Rasterfahndungen auch ohne drohende Gefahr legalisiert und die präventive Videoüberwachung ganzer Straßenzüge ermöglicht.[6] In einigen Bundesländern wurden Befugnisse zur präventiven Telekommunikationsüberwachung eingeführt. Die niedersächsische Regelung erklärte das Bundesverfassungsgericht im Juni 2005 für verfassungswidrig.[7] Auf Bundesebene existiert bereits ein Entwurf, der die sechsmonatige Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten des Internet- und Telefonverkehrs und den polizeilichen Zugriff auf diese Daten in der Strafprozessordnung festschreibt.

Mit den Geheimdienstgesetzen von 1990 und dem G 10-Gesetz verfügte die BRD im Herbst 2001 auch auf dieser Ebene über breite gesetzliche Grundlagen, die in dem Ende 2001 verabschiedeten Terrorismusbekämpfungsgesetz erweitert wurden. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Militärische Abschirmdienst (MAD) sowie der Bundesnachrichtendienst (BND) wurden ermächtigt, bei Kreditinstituten, Luftverkehrsunternehmen, Post- und Kommunikationsdienstleistern Daten abzufragen und Auskünfte einzuholen. Diese Maßnahmen unterliegen keiner juristischen Kontrolle.[8] Im Evaluationsbericht vom Mai 2005 erklärte das Bundesinnenministerium erwartungsgemäß, dass die bis dahin insgesamt 67 Anfragen „aufgabendienliche Erkenntnisse“ gebracht hätten, ohne zu einer „unangemessen breiten Überwachung“ geführt zu haben. Mit dem Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) verlängerte der Bundestag im Dezember 2006 diese Befugnisse um weitere fünf Jahre und schraubte die Voraussetzungen herunter, so dass die bisher vergleichsweise geringe Zahl solcher Anfragen steigen dürfte.[9]

Das verfassungsmäßige Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten ist mittlerweile in eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit uminterpretiert und damit auf den Kopf gestellt worden. Mit unmittelbaren und institutionalisierten Formen der Kooperation sowie gemeinsamen Datenbeständen erlebt die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten nun aber eine Ausprägung, die weit über den seit Jahrzehnten betriebenen, nicht gerade unproblematischen Datenaustausch hinausgeht. Ohne zusätzliche gesetzliche Grundlage wurde im Dezember 2004 das Gemeinsame Terror-Abwehrzentrum (GTAZ) installiert. Nur noch formal bestehen hier zwei getrennte Informations- und Analysezentren, ein polizeiliches unter Leitung des BKA und ein geheimdienstliches unter Führung des BfV. Praktisch sind beide durch die räumliche Nähe und tägliche Lagebesprechungen, vor allem aber durch hier angegliederte gemeinsame Instrumente wie das seit 2001 bestehende „Informationsboard“ zum internationalen Terrorismus und die seit 2002 betriebenen „Projekte“ über Netzwerke und Ausbildungslager „arabischer Mudjaheddin“ verschmolzen. Polizei und Geheimdienste mussten hier den gemeinsamen Datenbestand zunächst noch formell doppelt in einer polizeilichen und einer geheimdienstlichen Version speichern, die regelmäßig abgeglichen wurden. Das Gemeinsame-Dateien-Gesetz von Ende 2006 enthebt die Beteiligten nun dieser Mühe. Es erlaubt BKA, BfV und BND nicht nur die Führung von Projektdateien, sondern schuf auch die Rechtsgrundlage für die gemeinsame Anti-Terror-Datei, in der 38 unterschiedliche Behörden, vom BKA und den Landeskriminalämtern über die Bundes- und Landesverfassungsschutzämter bis hin zum MAD und zum BND ihre Terrorismus-relevanten Daten speichern müssen Alle involvierten Behörden sollen dann auch Zugriff auf diese Daten erhalten, um besser bevorstehende, existierende oder vermeintliche Gefahren bekämpfen zu können.[10]

Auch auf EU-Ebene sind deutsche Polizeibehörden und Geheimdienste über diverse Koordinationsgruppen und vor allem über Europol in die präventive Terrorismusbekämpfung eingebunden. Im Dezember 2003 hatte Europol in einer Arbeitsdatei zum internationalen Terrorismus bereits rund 10.000 Personen gespeichert.[11]

Das strafrechtliche Ergebnis

Trotz des großen Repertoires an Befugnissen und obwohl die Kriminalisierung weit im Vorfeld eigentlicher terroristischer Handlungen ansetzt, ist das strafrechtliche Ergebnis relativ mager. Zwar waren im Mai 2004 nach Angaben von Justizministerin Brigitte Zypries etwa 80 Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 177 Beschuldigte islamistisch-funda­men­­talistischer Glaubensrichtungen anhängig.[12] Anfang 2005 war von „164 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund“ die Rede, in 107 Fällen ließ die Bundesanwaltschaft wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ermitteln.[13] Diese hohen Zahlen von begonnenen Ermittlungen kontrastiert jedoch mit einer kleinen Zahl von einschlägigen Anklagen oder Verurteilungen seit Herbst 2001. Neben den beiden Hamburger Verfahren gegen Mzoudi und El Motassadeq wegen der Anschläge des 11. September 2001 wurden in Deutschland insgesamt acht Fälle bekannt, in denen gerichtlich gegen vermeintliche islamistische Terrorhelfer und Terroristen verhandelt wurde.

  • Im März 2003 wurden im Frankfurter Terrorprozess wegen eines geplanten Bombenanschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt vier Algerier zu Haftstrafen von zehn bis zwölf Jahren verurteilt.[14]
  • Das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) verhandelte im November 2003 gegen den mit recht abenteuerlichen Geschichten in den Hamburger Al Qaida- und Düsseldorfer Al Tahwid-Verfahren aufgefallenen Kronzeugen Shadi Abdallah. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Passfälschung und der Planung von Anschlägen in Deutschland wurde er zu einer recht milden Freiheitsstrafe von vier Jahren Gefängnis verurteilt.
  • In einem Berliner Terrorprozess reichte es nicht zu der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Kammergericht verurteilte Ihsan G. im April 2005 wegen Verstößen gegen das Ausländergesetz, Urkundenfälschung, unerlaubtem Besitzes einer Schusswaffe sowie Steuerhinterziehung zu drei Jahren und neun Monate Freiheitsstrafe. Im März 2003 war der Angeklagte unter großer Beachtung der Presse von der Polizei mit mutmaßlichen Komplizen in Berlin festgenommen worden, weil Attentate befürchtet wurden.[15]
  • Im Al Tahwid-Prozess von Oktober 2005 verurteilte das Düsseldorfer OLG drei der angeklagten Palästinenser als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu Strafen zwischen sechs und acht Jahren wegen der Vorbereitung von Anschlägen in Düsseldorf und Berlin.
  • Im ersten Prozess wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung wurde der Iraker Lokman M. im Januar 2006 vom OLG München zu sieben Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in der irakischen Terrorgruppe Ansar el Islam, sowie sechs Fällen des banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern verurteilt.[16]

Derzeit finden drei Prozesse gegen vermeintliche Terroristen statt:

  • Im Hochsicherheitstrakt des OLG Düsseldorf wurde im Mai 2006 der Prozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Terrororganisation Al Qaida eröffnet. Den drei Männern im Alter zwischen 28 und 32 Jahren wird unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und gemeinschaftlicher Versicherungsbetrug zur Last gelegt.
  • Im Juni 2006 begangen vor dem OLG Stuttgart und dem OLG München zwei Verfahren wegen Mitgliedschaft in der ausländischen Terroristischen Vereinigung Ansar al Islam. Die irakischen Angeklagten müssen sich wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Verabredung zur Tötung und Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft den Stuttgarter Angeklagten unter anderem vor, einen Mordanschlag auf den ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi geplant zu haben.[17]

Ob diese Aufzählung vollständig ist, lässt sich nicht definitiv beurteilen. Sie zeigt zwar, dass es nicht nur bei Ermittlungen bleibt und einige Fälle vor Gericht kommen, doch ob dies nur dank der neuen Möglichkeiten der Informationsgewinnung und dem Aufweichen der Trennung von Polizei und Geheimdiensten möglich war, lässt sich bezweifeln.

Jenseits des Strafrechts

Geheimdienstliche und präventivpolizeiliche Informationen und Bewertungen können aber längst nicht nur in Strafverfahren einfließen. Ihr gefährlicher Charakter zeigt sich insbesondere dort, wo administrativer Zwang oder schlichte regierungsamtliche Gewalt auch ohne strafrechtliche Verurteilung stattfinden.

Das Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2002 und das Zuwanderungsgesetz von 2005 haben derartige Instrumente im Ausländerrecht geschaffen. § 54 Nr. 5 des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht eine Regelausweisung, wenn „Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen“, dass die Betroffenen einer extremistischen oder terroristischen Vereinigung angehören oder eine solche unterstützen. Die Regelung übernimmt zwar die strafrechtliche Formulierung („terroristische Vereinigung“), für eine Ausweisung soll aber eine Verurteilung gerade nicht nötig sein. Hingegen können geheimdienstliche Informationen unmittelbar in die Entscheidung einfließen. Für die Überprüfung entsprechender Fälle hat Bayern im Herbst 2004 als erstes Bundesland eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Ausländerbehörden, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz gebildet. Bis März 2006 hatte sie Ausweisungsverfügungen gegen 48 Personen produziert, 28 von ihnen waren abgeschoben worden. Die Möglichkeiten des neuen Ausländerrechts macht sich auch die im Juni 2005 auf Bundesebene beim GTAZ gebildete Arbeitsgruppe „Statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ zunutze, an der neben MitarbeiterInnen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ständig auch das BfV und das BKA beteiligt sind. Bis November 2006 hatte die Arbeitsgruppe in 17 Fällen „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ empfohlen. In 32 Fällen seien die Ausländerbehörden von sich aus mit Ausweisungen aktiv geworden.[18]

Dass Terrorismusprävention für die davon Betroffenen extreme Folgen haben kann, wenn sie von jeglicher Kontrolle losgelöst und einzig ins Belieben einer Regierung gestellt wird, zeigt das Schicksal von Murat Kurnaz. Der in Bremen geborene Türke war am 3. Oktober 2001, vier Tage vor den ersten US-Bombardements auf Afghanistan, von Frankfurt nach Pakistan geflogen. Nach eigenen Angaben wollte er dort den Islam studieren. Gegenteilige Absichten oder gar die Beteiligung an Kampfhandlungen konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Ende 2001 nahmen ihn die pakistanischen Behörden fest und übergaben ihn den US-Truppen, die ihn Anfang 2002 nach Guantánamo brachten. Bereits Mitte 2002 wurde Kurnaz von Mitarbeitern des BND und des BfV in Guantánamo verhört. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass der Inhaftierte unschuldig sei und lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort war.

Obwohl die schweren Menschenrechtsverletzungen in dem US-Gefangenenlager auf Kuba bekannt waren, hat die rot-grüne Bundesregierung nichts unternommen, um die Freilassung von Kurnaz aus der US-Haft zu erreichen. Im Gegenteil: Für die Spitzen vom BKA und BfV und ihre Minister Otto Schily und Frank-Walter Steinmeier blieb Kurnaz auch nach dem Verhör in Guantánamo ein „Sicherheitsrisiko“. Sie setzten alles daran, Beweismittel gegen Kurnaz zusammen zu basteln, um ihn als persona non grata aus Deutschland fernzuhalten.[19] Sie verteidigen auch heute noch ihr Vorgehen.

Der Fall Kurnaz zeigt exemplarisch, wohin die Präventionslogik führt, wenn sich die Exekutive von ihr leiten lässt. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages müsste an diesem Punkt Klarheit schaffen. Klarheit ist auch hinsichtlich der Frage gefordert, ob die Bundesregierung von der „Terrorismusprävention“ der CIA wusste oder diese gar duldete. Rund 400 Mal benutzte die CIA deutschen Luftraum, um verschleppte „Terrorverdächtige“ nach Guantánamo oder in Geheimgefängnisse in Europa und im Nahen und Mittleren Osten zu bringen.

Resümee

Die Maschinerie der Terrorprävention läuft offenbar rund. Still und heimlich werden Informationen gesammelt und vernetzt ausgewertet. Gelegentlich kommt es zu mehr oder weniger spektakulären Anklagen und auch Verurteilungen, wobei die Terroristen in den meisten Fällen nicht wegen konkreter Pläne für Anschläge in Deutschland angeklagt und verurteilt wurden. Die andere Seite der Medaille zeigen der Fall Kurnaz, die Gefangenenflüge oder die Frage, ob möglicherweise unter Folter gewonnene Erkenntnisse in deutschen Prozessen verwertet werden dürfen. Der Staat agiert in diesem Bereich einerseits mit rechtsstaatlichem Anstrich, durch Gerichtsverfahren, andererseits handelt er offen menschenrechtswidrig, wenn ein in Deutschland aufgewachsener Bremer Bürger in dem von der Bundesregierung als gegen die Menschenrechtskonvention verstoßende Guantánamo-Gefängnis schmoren gelassen wird. Die Schäden dieser Art der „Prävention“ sind absehbar. Die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit verschwimmen im Nebel.

[1] ausführlich dazu: http://www.cilip.de/terror/index.htm
[2] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/58 v. 8.11.2005, S. 5706
[3] siehe Waterkamp, S.: Nur die halbe Wahrheit, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 79 (3/2004), S. 51-58
[4] BVerfG: Urteil v. 4.3.2004, Az.: 1 BvR 2378/98 (www.bundesverfassungsgericht.de)
[5] Nachweise bei Kant, M.: Außer Spesen nichts gewesen, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 80 (1/2005), S. 13-20
[6] Siehe Hamburger Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
[7] BVerfG: Urteil v. 27.7.2005, Az.: 1 BvR 668/04
[8] vgl. Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) v. 9. Januar 2002, BGBl. 2002 Teil 1 Nr.3 v. 11. Januar 2002
[9] Evaluationsbericht sowie Entwurf und Text des TBEG unter www.cilip.de/terror
[10] Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder (Gemeinsame-Dateien-Gesetz), der Gesetzestext und Erläuterungen sind abrufbar unter www.bmi.bund.de.
[11] s. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 77 (1/2004), S. 90-92
[12] Zypries, B.: Rede in Washington am 10.5.2004; siehe www.bmj.bund.de unter Ministerin, Reden
[13] FAZ v. 13.1.2005
[14] www.abendblatt.de/daten/2003/03/11/132985.html.
[15] www.tagesspiegel.de/politik/archiv/07.04.2005/1744176.asp.
[16] www.123recht.net/article.asp?a=15480&f=nachrichten_vor~gericht 20060112-1011flr & p=1
[17] Hamburger Abendblatt v. 21.6. 2006
[18] m.w.N. Holzberger, M.: Was nicht zusammen gehört, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 85 (3/2006), S. 60-65
[19] Spiegel-Online v. 8.3.2007, www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,470663,00.html