Die Konferenz begrüßt, daß ein Entwurf zur Regelung des Datenschutzes im Strafverfahrensrecht vorgelegt worden ist und daß darin für die besonderen Ermittlungs- und Fahndungsmethoden eigenständige Befugnisnormen vorgesehen sind sowie Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten und zur Akteneinsicht in die Strafprozeßordnung aufgenommen werden sollen.
Die im Entwurf vorgesehenen Datenschutzregelungen sind an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Normenklarheit zu messen. Weil im Bereich der Grundrechtsausübung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle wesentlichen Entscheidungen vom Ge-setzgeber selbst zu treffen sind, ist die gesamte Informationsverarbeitung wegen ihres Eingriffscharakters in der Strafprozeßordnung präzise und umfassend gesetzlich zu regeln.
Der vorliegende Entwurf entspricht den sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergebenden Anforderungen noch nicht; er ist im übrigen unvollständig. Die Datenschutzkonferenz hebt deshalb unter gleichzeitiger Bezugnahme auf ihren Beschluß vom November 1986 folgende Kritikpunkte hervor:
1. Zu den Regelungen über die Ermittlungs- und Fahndungsmethoden
* Die Erhebung und Weiterverarbeitung personenbezogener Daten durch Strafverfolgungsorgane greift empfindlich in das Persönlichkeitsrecht der Bürger ein. Umso wichtiger ist es, nach dem Grad der Betroffenheit im Gesetz Abstufungen vorzunehmen. Zwischen dem Beschuldigten, dem Verdächtigen, dem von Vorfeldermittlungen Betroffenen und dem erkennbar nicht Verdächtigen (z.B. Geschädigten, Zeugen) sollte daher unterschieden werden. Vor allem die Regelungen über „Kontakt- und Begleitpersonen“, „andere Personen“ und „Dritte“ werden dem nicht gerecht.
* Es muß klargestellt werden, daß die Ermittlungsgeneralklausel keine Eingriffe gestattet, die in ihrer Eingriffstiefe den besonders geregelten gleichkommen. So wären z.B. die Voraussetzungen des Einsatzes von V-Leuten besonders zu regeln. Auch weiterentwickelte „besondere Fahndungs- und Er-mittlungsmethoden“ dürfen nicht auf die Ermittlungsgeneralklausel gestützt werden. In die Strafprozeßordnung sind Verfahrensregelungen aufzunehmen, die eine Information etwa der zuständigen Parlamentsausschüsse über die beab-sichtigte Anwendung vorsehen. Vor dem Einsatz qualitativ neuer Methoden müssen auf jeden Fall gesetzliche Regelungen geschaffen werden.
* Der Entwurf betont zu Recht, daß bei jeder einzelnen Ermittlungs- und Datenverarbeitungsmaßnahme der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Dies muß bereits in einzelnen Befugnisnormen zum Ausdruck kommen. Die bislang vorgesehenen Straftatenkataloge sind mit dem Ziel einer Einschränkung zu überprüfen;
die bloße Anknüpfung an den Begriff der „Straftat mit erheblicher Bedeutung“ ohne weitere Differenzierung reicht nicht aus.
* Die Anordnung von Ermittlungs- und Fahndungsmethoden, die besonders stark in das Recht auf informationelle Selbstbestimmtheit eingreifen, ist dem Richter vorzubehalten. Gleiches gilt, wenn mit solchen besonderen Methoden erhobene Daten für andere Strafverfahren oder für andere – polizeiliche – Zwecke verwendet werden sollen.
* Wegen der Tiefe der Eingriffe bei besonderen Ermittlungs- und Fahndungsmethoden darf der Richtervorbehalt – von besonderen Eilfällen abgesehen – nicht durch Entscheidungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei ersetzt werden. Soweit ausnahmsweise die Staatsanwaltschaft oder die Polizei eine Anordnung treffen muß, dürfen erlangte Daten nicht weiter verwendet werden, wenn die richterliche Bestätigung ausbleibt; erhobene Daten sind zu löschen.
* Die Verwendung von durch besondere Ermittlungs- oder Fahndungsmethoden erlangten Daten für polizeiliche Zwecke muß neben dem Richtervorbehalt voraussetzen, daß das Polizeirecht vergleichbare Eingriffe gestattet oder daß die Daten zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben erforderlich sind.
2. Zu den besonderen Regelungen über die Datenverarbeitung
Regelungen über die Datenverarbeitung im Strafverfahren setzen eine Gesamtkonzeption über die Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden voraus. Notwendig sind insbesondere klare Bestimmungen über die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei. Der vorliegende Entwurf läßt den hierzu notwendigen Konsens jedoch nicht erkennen.
* Der Gesetzgeber sollte möglichst genau regeln, welche Arten von Daten für „Zwecke des Strafverfahrens“, für Zwecke anderer Strafverfahren oder für die Aufklärung künftiger Straftaten in automatisierten Dateien landes- oder bundesweit zur Verfügung stehen sollen und in welchem Verhältnis hierzu das Bundeszentralregister steht.
* Der Gesetzgeber muß, auch um Doppelspeicherungen zwischen staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Informationssystemen zu vermeiden, eindeutig festlegen, wem die Entscheidungsbefugnis über die bei der Strafverfolgung angefallenen Daten zusteht und für welche Zwecke sie verwendet werden dürfen.
* Daten, die für bloße Tätigkeitsnachweise gespeichert werden (Vorgangsverwaltung), dürfen für andere Zwecke nicht verwendet werden und müssen nach kurzen Fristen gelöscht werden.
* Die vorgesehene Speicherung von Daten über Personen, die „bei einer künftigen Strafverfolgung als Zeugen in Betracht kommen“, oder die „Opfer einer Straftat werden könnten“, gibt zu Bedenken Anlaß, weil das Anlegen von Dateien über besondere Personengruppen wie z.B. Prostituierte, Homosexuelle und ausländische Gastwirte als erlaubt angesehen werden könnte.
* Die Datenspeicherung über Personen, die mangels hinreichendem Tatverdacht freigesprochen worden sind oder bei denen das Ermittlungsverfahren eingestellt oder die Anklage nicht zugelassen worden ist, darf nur unter engeren Voraussetzungen erfolgen.
3. Zur Akteneinsicht
Strafakten sind wegen ihres teilweise sehr sensiblen Inhalts geheimzuhalten. Sie dürfen deshalb auch anderen öffentlichen Stellen nur unter engeren Voraussetzungen zugänglich sein. Nicht am Strafverfahren beteiligte Personen dürfen auch über Rechtsanwälte allenfalls in besonderen Ausnahmefällen Einsicht oder Auskunft aus Strafakten erhalten.
4. Fehlende Regelungen
Regelungsbedürftig sind vor allem:
* die engere Feststellung der Zulässigkeit erkennungsdienstlicher Behandlungen und der Voraussetzungen für den Fahndungsabgleich sowie die weitere Verwendung der dabei gewonnenen Daten,
* die Verbesserung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte bei der Erhebung persönlicher Daten von Angeklagten und Zeugen im Strafverfahren,
* der allenfalls begrenzte Einsatz der Genomanalyse im Strafverfahren.