Strafverfahrens-Änderungsgesetz 1988: Die Verpolizeilichung der StPO

Jörn Kühl

Vorbemerkung der Redaktion:

„Ich gehe davon aus“, so der damalige rheinland-pfälzische Inneminister Schwarz 1976 im Spiegel (Nr.32, S.29 ff), „daß der Versuch unternommen wird, die StPO dem Polizeirecht anzupassen.“ Schwarz äußerte sich seinerzeit zu dem Versuch, die Kontrollstellenregelung des „Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes“ (MEPolG) der 70er Jahre in die Strafprozeßordnung einzufügen – ein Versuch, der 1978 mit der Verabschiedung der sog. Razziengesetze im Bundestag mit Erfolg gekrönt wurde.

Der Satz hat weitere Aktualität. 1985 beschloß die IMK erstmals einen neuerlichen Musterentwurf, mit dem sie auf den vom Volkszählungsurteil des BVerfG ausgehenden Druck zur Verrechtlichung polizeilicher Informationseingriffe reagierte. Dieser Entwurf, der mittlerweile in einer letzten Fassung von 1986 vorliegt (vgl. Cilip 24), beinhaltet rechtliche Regelungen für die polizeiliche Informationstätigkeit allgemein (Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Weitergabe von personenbezogenen Daten) sowie insbesondere für spezifische Fahndungs- und Ermittlungsmethoden operativer Art, die bis dahin ohne gesetzliche Grundlage betrieben wurden; nämlich: Rasterfahndung, Beobachtende Fahndung, Observation einschließlich durch technische Mittel sowie verdeckte Ermittlungsmethoden (V-Leute, UCAs, u.ä.). Wie schon in den 70er Jahren im Falle der Kontrollstellenregelung geht es auch hier um Eingriffe, die sich nicht nur gegen Störer und Verdächtige richten, sondern deren Sinn gerade in der Anwendung gegen eindeutig unverdächtige Personen besteht.

Wie in den 70er Jahren geht die Umsetzung des neuen MEPolG in die Länderpolizeigesetze nur schleppend voran. Wie damals soll deshalb auch jetzt der Versuch unternommen werden, die StPO mit den noch nicht verabschiedeten Polizeigesetzen zu „harmonisieren“ und die rechtlich neuen exekutiven Befugnisse der Polizei auch in der zweiten Rechtsquelle polizeilichen Handelns festzuschreiben.

Der gesetzgeberische Weg in diese Richtung ging u.a. über folgende Schritte:
* ein „Problempapier“ aus dem BMJ von 1985, in dem es vor allem um die Verrechtlichung der neuen Fahndungsmethoden ging (vgl. CILIP 23, S. 118 ff);
* die Verabschiedung des Schleppnetzparagraphen 163 d StPO zusammen mit dem Personalausweisgesetz im Frühjahr 1986 (vgl. CILIP 23, S. 29 f);
* einen „Arbeitsentwurf“ aus dem BMJ vom Juli 1986 zu Fragen der elektronischen Fahndung und insbesondere der neuen Fahndungsmethoden, wobei die verdeckten Ermittlungen ausdrücklich noch nicht enthalten waren;
* einen weiteren „Arbeitsentwurf“ vom Juli 1987, der vor allem die Umwidmung von Daten aus Straf- und Ermittlungsverfahren zu solchen der präventiven Gefahrenabwehr und „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ zum Gegenstand hatte (beide Entwürfe haben wir zusammengefaßt in CILIP 29, S. 68 ff, dokumentiert und besprochen).

Der jetzt vorliegende Referentenentwurf vom November 1988 verzichtet formal auf den Begriff der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“, übernimmt aber nahezu vollständig den Inhalt der entsprechenden Regelungen der „Arbeitsentwürfe“. Die verdeckten Ermittlungen, die damals noch fehlten, sind jetzt in dem Entwurf enthalten. Ergänzt wird er schließlich durch einen Zusatz vom Dezember letzten Jahres über den Aufbau eines zentralen staatsanwaltlichen Informationssystems.
Die Rede, daß die StPO die „magna carta des Beschuldigten“ sei, dürfte damit endgültig zu einer Legende für die Grundsemester des Jurastudiums geworden sein.

I. Datenerhebung mit neuen Ermittlungsmethoden

1. Rasterfahndung

Der Entwurf enthält eine detaillierte Regelung der Rasterfahndung ( 98 a ff.). Ihre Zulässigkeit setzt den Verdacht einer in einem Katalog aufgeführten Straftat voraus. Dieser Katalog bezieht sich u.a. auf Diebstahl in einem schweren Fall ( 243 StGB) sowie auf die in 129 a StGB genannten Straftaten; das bedeutet z.B., daß die Rasterfahndung auch bei dem Verdacht der Zerstörung eines Fahrzeugs der Polizei oder Bundeswehr ( 305 a StGB) zulässig ist.

Die für den Abgleich (die Rasterung) benötigten Daten sind herauszufiltern und „den Strafverfolgungsbehörden“ (d.h. der Polizei oder Staatsanwaltschaft) durch die Herausgabe entsprechender Datenträger zu übermitteln. Können diese Daten nur mit „unverhältnismäßigem Aufwand“ herausgefiltert werden, sind auch Datenträger herauszugeben, auf denen „weitere Daten gespeichert sind“; deren Verwendung ist aber unzulässig. Diese Herausgabepflicht wird durch die Befugnis zur Beschlagnahme von Datenträgern ergänzt.

Der Abgleich wird „auf Verlangen der Staatsanwaltschaft“ – also nicht obligatorisch – „unter deren Aufsicht durchgeführt“. Er darf nur durch den Richter, bei „Gefahr im Verzug“ auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Deren Anordnung tritt außer Kraft, sofern nicht binnen drei Tagen eine richterliche Bestätigung ergeht.

2. Polizeiliche Beobachtung

Nach dem Entwurf soll weiterhin die sog. polizeiliche Beobachtung gesetzlich geregelt werden ( 163 e). Danach darf der Beschuldigte bei dem Verdacht eienr Straftat „mit erheblicher Bedeutung“ zur Beobachtung an einer Grenze oder zur Beobachtung während einer „zu Zwecken der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr durchgeführten polizeilichen Kontrolle“ (also nicht nur einer Kontrolle nach 111 StPO) ausgeschrieben werden. Außerdem darf auch die Nummer eines Fahrzeugs ausgeschrieben werden, falls es auf den Beschuldigten zugelassen ist oder von ihm regelmäßig benutzt wird, oder wenn anzunehmen ist, daß es – von einem noch unbekannten Verdächtigen – für eine Straftat „mit erheblicher Bedeutung“ benutzt worden ist.

Während der Kontrolle dürfen nicht nur Personalien, Autokennzeichen sowie „Zeit, Ort und mitgeführte Sachen“ registriert und der ausschreibenden Stelle gemeldet werden, sondern auch „Erkenntnisse über … Verhalten, Vorhaben und sonstige Umstände des Antreffens“. Diese Informationen dürfen sich auch auf „Begleiter“ des Beschuldigten beziehen, darüberhinaus auch auf „andere Personen“, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, „daß diese mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt werden wird“ ( 163 h).

Zur Anordnung befugt ist der Richter, bei „Gefahr im Verzug“ auch die Staatsanwaltschaft; ihre Anordnung muß binnen drei Tagen richterlich bestätigt werden, sonst tritt sie außer Kraft.

3. Observation

Bei dem Verdacht einer Straftat „mit erheblicher Bedeutung“ darf eine Observation des Beschuldigten, die länger als 24 Stunden oder an mehr als zwei Tagen stattfinden soll, angeordnet werden ( 163 f).

Darüberhinaus ist auch eine Observation sog. Kontaktpersonen (nach 163 h) zulässig, also der Personen, die oben (2.) schon erwähnt wurden. Zur Anordnung befugt ist der Richter, bei „Gefahr im Verzug“ auch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten (Polizeibeamte bestimmter Dienstgrade); die Eilanordnungen bedürfen einer richterlichen Bestätigung innerhalb von drei Tagen.
Kurzfristige Observationen werden durch 163 f nicht ausgeschlossen; sie dürfen auf eine Generalermächtigung gestützt werden, die nach dem Entwurf in die Strafprozeßordnung eingefügt werden soll (dazu unten 6.).

4. Einsatz technischer Mittel

Auch der Einsatz sog. technischer Mittel wird in dem Entwurf geregelt ( 163 g). Danach darf „das nicht öffentlich gesprochene Wort“ abgehört und aufgezeichnet werden, falls der Verdacht einer in 100 a StPO genannten Straftaten besteht; auch das Wort sog. Kontaktpersonen ( 163 h). Der Katalog des 100a StPO umfaßt etwa 80 Straftaten, darunter das gesamte politische Strafrecht (einschließlich reiner Meinungsdelikte) aber auch Delikte wie einfache Brandstiftung oder Raub.

Das Abhören von Gesprächen in Wohnungen (oder von außerhalb) ist – bei einem Verdacht jener Art – dann erlaubt, wenn es „im Beisein eines nicht offen ermittelnden Beamten“ stattfindet. (Diese Voraussetzung scheint zu implizieren, daß zusätzlich die Anforderungen für den Einsatz „verdeckter Ermittler“ nach 163 k des Entwurfs – dazu sogleich – erfüllt sein müssen. Doch der Entwurf rechnet – neben den „verdeckten Ermittlungen“ im Sinne von 163 k – mit kurzfristigen „nicht offenen“ Ermittlungen, die aufgrund der neuen Generalermächtigung erlaubt sein sollen (unten 6.). Bei einer auf diese Ermächtigung gestützten „nicht offenen“ Ermittlung bleibt es also bei jenem Verdacht einer Katalogtat als Voraussetzung eines Lauschangriffs auf Gespräche in Wohnungen.)

Bei dem Verdacht einer Katalogtat dürfen außerdem Foto- und Filmaufnahmen „von Personen und Beweismitteln hergestellt werden, die sich in einer Wohnung befinden und für den Beamten offen erkennbar sind“. Aufnahmen außerhalb von Wohnungen setzen hingegen keinen spezifischen Verdacht voraus, sie sind also zur Aufklärung jeder Straftat oder zur Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten zulässig. Die Abhörmaßnahmen sowie die Foto- und Filmaufnahmen in Wohnungen dürfen durch den Richter, bei „Gefahr im Verzug“ auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten angeordnet werden. Die Foto- und Filmaufnahmen außerhalb von Wohnungen darf jeder Polizeibeamte herstellen, auch ohne „Gefahr im Verzug“; sie stehen unter keinem Richtervorbehalt.

5. Verdeckte Ermittler

Nach dem Entwurf soll nunmehr auch der Einsatz „verdeckter Ermittler“ gesetzlich geregelt werden. In einer Legaldefinition heißt es: „Verdeckte Ermittler sind Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen Identität (Legende) im Umfeld des Tatverdächtigen und solcher Personen ermitteln, die Erkenntnisse über die Tat oder den Täter haben können.“ (Der Einsatz von Polizeibeamten, denen keine Legende – für einen gewissen Zeitraum – „verliehen“ wird, sondern die gleichsam gelegentlich über ihre Identität und Aufgabe täuschen, soll, wie erwähnt, nach der neuen Generalermächtigung zulässig sein.)

Der Einsatz verdeckter Ermittler (im Sinne der Legaldefinition) ist zum einen zulässig, wenn der Verdacht besteht, daß eine Straftat „mit erheblicher Bedeutung“ auf einem „bestimmten Gebiet“ (z.B. „Betäubungsmittel – oder Waffenverkehr“, Staatsschutz nach Maßgabe von 74a, 120 GVG) oder aber gewerbsmäßig, gewohnheitsmäßig, „von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert“ begangen worden ist. Er ist weiterhin zur Aufklärung von „Verbrechen“ (d.h. von Taten mit einer Mindeststrafdrohung von einem Jahr) zulässig, „soweit aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung besteht“. Er ist schließlich zur Aufklärung von Verbrechen zulässig, „wenn die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären“.

Soweit es für die Legende „unerläßlich“ ist, dürfen „entsprechende Urkunden hergestellt werden“. Der Ermittler darf unter der Legende „am Rechtsverkehr teilnehmen“. Er darf das Einverständnis zum Betreten einer Wohnung „nicht durch ein über die Nutzung der Legende hinausgehendes Täuschen, namentlich Vortäuschen einer Berechtigung, herbeiführen“. (Nach der Begründung des Entwurfs ist auch eine Legende selbst verboten, die „darauf angelegt“ ist, diese Berechtigung vorzutäuschen.) Heimliche Durchsuchungen sind unzulässig.

Die Identität des Beamten darf nicht nur nach Maßgabe von 96 StPO („zum Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes“) oder zu seinem Schutz geheimgehalten werden, sondern auch dann, „wenn die Offenbarung die Möglichkeit der weiteren Verwendung des Verdeckten Ermittlers gefährden würde“. (Damit dürfte die Sperre des V-Manns in der Hauptverhandlung zur Regel werden.)
Der Einsatz des „Verdeckten Ermittlers“ setzt die „Zustimmung“ der Staatsanwaltschaft voraus, außer bei „Gefahr im Verzug“. Bestimmte Einsätze (gegen namentlich bekannte Beschuldigte, falls Wohnungen betreten werden sollen oder falls die Maßnahme über drei Monate dauern soll) bedürfen darüberhinaus der „Zustimmung“ des Richters, außer bei „Gefahr im Verzug“. Bei polizeilichen Eilanordnungen sind die je relevanten Zustimmungen binnen drei Tagen nachzuholen.

6. Generalermächtigungen

Der Entwurf sieht die Einführung von Generalermächtigungen vor, d.h. von Befugnissen zum Eingriff in Grundrechte in Form von Generalklauseln, und zwar einerseits für die Staatsanwaltschaft und die in ihrem Auftrag handelnden Polizeibeamten ( 161), andererseits für selbständige Ermittlungen der Polizei ( 163). Damit unterstellt der Entwurf, daß eine strafprozessuale Generalbefugnis dem verfassungsrechtlichen Gebot, die gesetzlichen Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe präzise zu bestimmen, genügt. Er hält es außerdem implizit für zulässig, daß der Gesetzgeber darauf verzichtet, Befugnisse nach Maßgabe der Eingriffsintensität sowie in Relation zu der Aufgabe, zu deren Erfüllung sie dienen sollen, auszugestalten. Beide Prämissen sind arg zweifelhaft; darüberhinaus sind die Rückwirkungen einer Generalermächtigung auf den Geltungsbereich der Spezialbefugnisse zu beachten.

Für das Verhältnis von Spezialbefugnissen zu einer Generalermächtigung (z.B. in Polizeigesetzen) gilt der Grundsatz, daß auf die Generalermächtigung nicht zurückgegriffen werden darf, wenn im Einzelfall spezielle Eingriffsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. (Ohne dieses Postulat wären die Spezialbefugnisse in Wahrheit aufgehoben und durch die Generalermächtigung ersetzt.) Die Begründung des Entwurfs wiederholt einerseits diesen Grundsatz, andererseits dementiert sie ihn: indem sie es für zulässig erklärt, eine „nicht offene“ Ermittlung auf die Generalermächtigung zu stützen, wenn die speziellen Voraussetzungen für „verdeckte Ermittlungen“ nicht erfüllt sind. Vermutlich ist dieser Widerspruch in der Struktur der Befugnis zu verdeckten Ermittlungen begründet; aufgrund dieser Struktur (die weitgehend offen läßt, wozu der Beamte im Einzelnen befugt ist,) werden die Bedingungen der Anwendbarkeit jenes Grundsatzes diffus.

II. Zweckentfremdung durch Umwidmung von Daten

So wichtig die Voraussetzungen für die Erhebung der Informationen, so wichtig sind die Regeln für deren Verwendbarkeit. Nach dem Entwurf sind die erhobenen Informationen auch zu anderen – als den mit der Erhebung verfolgten – Zwecken verwendbar. Die Regelung dieser Zweckentfremdung von Informationen ist nicht gerade durchsichtig; fünf Typen von Regeln sind dabei zu berücksichtigen.

1. Nutzung in anderen Strafverfahren

An einige der neuen Erhebungsbefugnisse sind Verwertungsregeln geknüpft, die sich auf die Nutzung der Information in anderen Strafverfahren (als dem, in dem sie erhoben wurde) beziehen; das gilt für die Rasterfahndung, das Abhören privater Gespräche, für Foto- und Filmaufnahmen in Wohnungen und verdeckte Ermittlungen. In diesen Fällen setzt die Verwertbarkeit der Information wiederum den Verdacht einer Katalogtat voraus, d.h. sie ist an den Katalog gebunden, der auch für die Erhebung der Information maßgeblich ist. (Die Verwertbarkeit der aus verdeckten Ermittlungen stammenden Daten geht insofern darüber hinaus, als die generalklauselartige Zulässigkeitsvoraussetzung – Verbrechen mit „besonderer Bedeutung“ auch für die Verwendung der Daten gilt.)

Allemal ist aber zu beachten, daß diese Einschränkungen der Verwertbarkeit (auf die Erklärung von Katalogtaten bzw. von Verbrechen mit „besonderer Bedeutung“) nur gelten, sofern die Informationen „zu Beweiszwecken“ verwendet werden, d.h. soweit sie selbst als Beweismittel dienen. Werden sie hingegen zum Anlaß genommen, neue Ermittlungen aufzunehmen, ohne später die Rolle eines Beweismittels zu übernehmen, dann dürfen sie auch verwendet werden, wenn die Ermittlungen sich auf Taten beziehen, die in dem Katalog nicht genannt sind. (Der Entwurf orientiert sich mit dieser Entscheidung an der Rechtsprechung zur Verwertbarkeit sog. Zufallserkenntnisse bei der Telefonüberwachung.)

2. Nutzung zu präventiven Zwecken

In den eben erwähnten Verwertungsregeln findet sich immer derselbe Vorbehalt: „unbeschadet 478“. Mit dieser Bestimmung wird die Verwendung von in Strafverfahren gewonnenen Informationen zum Zweck der Gefahrenabwehr zugelassen. Sie ist an – mehr oder minder – qualifizierte Gefahreneinschätzungen geknüpft, sofern die Information mit einer der neuen Erhebungsmethoden gewonnen wurde. So ist die Verwendung von Informationen aus Lauschangriffen nur zur „Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben einer Person“ oder zur Verhütung einer in 100 a StPO genannten Straftat zulässig. In den übrigen Fällen (Rasterfahndung, sog.polizeiliche Beobachtung, Observation, verdeckte Ermittlung) setzt sie eine „erhebliche“ Gefahr für die öffentliche Sicherheit voraus.
Die Verwendung von Ermittlungsdaten zur Gefahrenabwehr ist im übrigen nicht ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren eingestellt worden ist.

3. Dateiregelungen für „Strafverfolgungsbehörden“

Die Polizei ist – über 478 hinaus – auch im Rahmen der neuen Dateiregelungen des Entwurfs berücksichtigt, unter dem Titel „Strafverfolgungsbehörde“, den sie mit der Staatsanwaltschaft teilt. Diese Regelungen betreffen nicht nur die Speicherung, sondern auch die Veränderung und Nutzung von in Strafverfahren gewonnenen Informationen.

Nach 481 des Entwurfs ist die Speicherung und Verwendung personenbezogener Informationen durch „Strafverfolgungsbehörden“, Gerichte und Vollstreckungsbehörden „für Zwecke des Strafverfahrens“ (also des Verfahrens, in dem sie erhoben wurden) erlaubt. Diese Zweckbestimmung wird sodann, soweit es um die Verwendung geht, in zwei Hinsichten erweitert: die Daten dürfen auch „für andere Strafverfahren“ verwendet werden. (Dabei wären aber die zuvor erwähnten Verwertungsregeln, siehe unter 1., zu beachten, sofern spezifische Formen der Erhebung vorausgingen.) Und sie dürfen des weiteren genutzt werden, soweit eine Nutzung durch besondere gesetzliche Bestimmungen zugelassen ist“. Zu diesen Bestimmungen gehört auch – der unter 2. erwähnte – 478. (Das bedeutet: auch die in Dateien gespeicherten Informationen aus Strafverfahren dürfen zum Zweck der Prävention verwendet werden. Es darf sich im übrigen um „zentrale Dateien“ handeln; die Begründung verweist auf Dateien des Bundeskriminalamtes).

Nach 482 dürfen „Strafverfolgungsbehörden“ zur „Vorsorge für künftige Strafverfolgung“ personenbezogene Informationen aus Strafverfahren speichern, auch in zentralen Dateien. Diese Informationen dürfen dann künftig zur Aufklärung von Straftaten verwendet werden (insofern „Vorsorge“). Dieser Begriff tritt an die Stelle der in den Arbeitsentwürfen 1986/87 noch enthaltenen „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“. Informationen über den Beschuldigten dürfen gespeichert werden, wenn zu erwarten ist, daß er „eine weitere Straftat“ begehen wird. Diese Prognose wird – nach dem Entwurf – nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beschuldigte freigesprochen wird, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren eingestellt wird. Informationen über andere Personen (u.a. über „Kontakt- und Begleitpersonen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen“) dürfen gespeichert werden, „soweit dies zur Vorsorge für künftige Strafverfolgung wegen einer Straftat mit erheblicher Bedeutung unerläßlich ist; die Speicherungsdauer darf drei Jahre nicht überschreiten.“

Diese vorsorglich gespeicherten Daten dürfen, wie erwähnt, in künftigen Strafverfahren verwendet werden. Daneben gilt – wie bei Speicherungen nach 481 – die allgemeine Öffnungsklausel für weitere Nutzungen nach „besonderen gesetzlichen Bestimmungen“; das bedeutet, daß jene Daten nach Maßgabe von 478 auch für Zwecke der Prävention genutzt werden dürfen.
Die nach 481, 482 gespeicherten Daten dürfen „für Zwecke eines Strafverfahrens“ auch im online-Verfahren von Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Strafgerichten abgerufen werden.

4. Staatsanwaltliches Informationssystem

Obwohl die Staatsanwaltschaften an den eben erwähnten Dateien partizipieren können, sieht der Entwurf – in einer Ergänzung vom 22. Dezember 1988 – ein spezielles, länderübergreifendes staatsanwaltschaftliches Informationsystem vor. Es soll zu einer Konzentration von Ermittlungen gegenüber Beschuldigten verhelfen, denen gleichzeitig Straftaten an verschiedenen Orten zur Last gelegt werden.In dieser Datei dürfen nur spezifische Ermittlungsdaten gespeichert werden (u.a. Personaldaten, Tatzeiten und -vorwürfe, Erledigungsart), sie dürfen nur von Staatsanwaltschaften „für andere Strafverfahren einschließlich der Vollstreckung“ verwendet werden. Die Abrufbarkeit der Daten im online-Verfahren darf eingerichtet werden.

5. Auskünfte aus Strafverfahren

Schließlich sind – unter dem Gesichtspunkt der Zweckentfremdung von Informationen aus Strafverfahren – noch Vorschriften über Auskünfte aus Strafakten sowie über Akteneinsicht in diesen Überblick einzubeziehen. Behörden dürfen nach dem Entwurf Auskünfte – u.U. auch Akteneinsicht – erhalten, soweit dies „zur Erfüllung einer bestimmten ihnen obliegenden Aufgabe erforderlich“ ist, und sofern keine besonderen Verwendungsregelungen, „Zwecke der Strafverfolgung“ oder „überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer“ entgegenstehen.

Auch Privatpersonen dürfen unter engen Voraussetzungen über einen Rechtsanwalt Auskünfte bzw. Akteneinsicht erhalten. Schließlich werden in dem Entwurf Aktenauskunft und -einsicht für wissenschaftliche Zwecke geregelt.
In den Dateiregelungen wird dann auf diese Vorschriften verwiesen: soweit „Akteneinsicht oder Auskunft aus den Akten gewährt werden könnte, kann stattdessen Auskunft aus einer Datei erteilt werden.“

6. Verwandlung in Strafverfahrensdaten

Eben wurden nur Vorschriften des Entwurfs berücksichtigt, die die Zweckverwandlung von Daten aus Strafverfahren zulassen. Am Ende sei noch auf Regeln für den umgekehrten Fall hingewiesen: der Verwendung von andernorts erhobenen Informationen zum Zweck der Strafverfolgung.

Der Entwurf beläßt es bei der allgemeinen Befugnis der Staatsanwaltschaft, zum Zweck der Strafverfolgung „von allen öffentlichen Behörden Auskunft zu verlangen“ ( 161 StPO). Neu hingegen ist eine Vorschrift, die die Verwendung von Daten betrifft, die mit polizeirechtlichen Befugnissen zum Zweck der Gefahrenabwehr erhoben wurden: sofern es sich um eine – polizeigesetzlich geregelte – Rasterfahndung, Abhörmaßnahme oder verdeckte Ermittlung handelt, ist die Verwendung „zu Beweiszwecken“ nur zur Aufklärung einer in 98 a des Entwurfs genannten Straftat erlaubt. ( 98 a enthält die Voraussetzungen der – strafprozessualen – Rasterfahndung.) Der Entwurf unterstellt also die Einführung jener Befugnisse in den Polizeigesetzen.

Die Polizei ist nach dem Entwurf befugt, „von allen öffentlichen Behörden Auskunft“ – nun nicht zu verlangen, sondern – „zu erbitten“ ( 163). Eine Bitte um Auskunft ohne gesetzliche Grundlage: das ginge nun in der Tat zu weit.