Ausbildung bei den Spezialeinheiten – „spitzenmäßig ausgebildet“

von Werner Schmidt

Ursprünglich waren Spezialeinheiten wie die GSG 9 oder die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länder, aber auch Präzisionsschützenkommandos (PSK), zum Kampf gegen den Terrorismus ins Leben gerufen worden, nachdem sich während des Überfalls auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München die Möglichkeiten der Polizei als unzureichend erwiesen hatten. Spätestens seit den noch immer weitgehend rätselhaften Ereignissen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, wo der mutmaßliche Terrorist Wolfgang Grams und der GSG 9-Beamte Michael Newrzella den Tod fanden, stellt sich auch wieder die Frage nach der Ausbildung von Beamten, die in Spezialeinheiten ihren Dienst versehen.

„Abenteurer brauchen wir für das SEK nicht. Auch keine verhinderten James Bonds …“. Gesucht wird der „Typ des Astronauten“, stellte sich der frühere Polizeipräsident Klaus Hübner, einer der geistigen Väter der Spezialeinheiten, den idealen Typ solcher Beamten vor. Besonnenen, nervenstark, geduldig, belastbar, beherrscht, charakterlich fest und körperlich fit soll er nach den Auswahlkriterien für das Berliner Mobile Einsatzkommando (MEK) sein. Diese Kriterien gelten entsprechend auch für SEK und PSK. Die Ausbildungsrichtlinien sind bundeseinheitlich in einem als „Verschlußsache“ eingestuften ‚Leitfaden 206‘ festgehalten.

Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9)

Bei der GSG 9 können sich die Beamten zwar bereits nach Abschluß der Grundausbildung bewerben, in der Regel werden sie jedoch über mehrere Jahre normalen Grenzschutzdienst versehen müssen, bevor sie der Spezialeinheit beitreten können. Daß dort auch Beamte auf Probe Dienst tun, begründen die Verantwortlichen u.a. mit der größeren körperlichen Leistungsfähigkeit junger Menschen. Die GSG 9-Beamten sind zwischen 20 und 25 Jahre alt, der Durchschnitt liegt bei 23 Jahren.
Ihre Ausbildung beträgt acht Monate – eine Hälfte Grundausbildung, die andere Spezialausbildung. Die Grundausbildung gliedert sich in Sport, Waffen- und Schießausbildung, Rechtskunde und ein zweitägiges Grundseminar Psychologie; u.a. werden dabei die psychologischen Aspekte des Terrorismus und der Terroristen erläutert und analysiert.

„Schießen ist für uns nur die letzte Möglichkeit“, hatte sich die GSG 9 auf ihre Fahne geschrieben. Dennoch legte der Gründer und erste Kommandeur dieser Einheit, Ulrich Wegener, großen Wert darauf, daß ein mit dem Rükken zur Zielscheibe stehender Schütze im Schießkeller nur beste Ergebnisse vorlegte: Wer innerhalb einer Sekunde die Waffe zog, aus der Drehung feuerte und dabei die Scheibe im vorgeschriebenen Zielpunkt traf, galt bei ihm als „guter bis sehr guter Mann“. Durchschnittliche Schützen schickte Wegener wieder nach Hause.
Geschossen wird dabei u.a. auch mit den verschiedenen Versionen der Ka-laschnikow, und selbst panzerbrechende Waffen zum Beseitigen von Barrikaden lagern in den GSG-9-Waffenschränken.

Während ihrer Spezialausbildung lernen die Beamten nicht nur, ihre Fahrzeuge in jeder Lage und bei jeder Geschwindigkeit sicher zu beherrschen, sondern ebenso das Abseilen aus Hubschraubern oder den Absprung aus geringen Höhen. Unterdessen gibt es zudem eine eigene Fallschirmspringergruppe, und sogar ihre eigenen Taucher bildet die GSG 9 aus.

Das Spezialeinsatzkommando (SEK)

Wie bei der GSG 9, wird auch bei den SEKs großer Wert auf die Schießausbildung gelegt. Fast täglich trainieren die Beamten mit Pistole und Maschinenpistole. Trotz – oder (wie von Polizeiführern gern hervorgehoben wird) wegen – dieser besonderen Treffsicherheit haben die Beamten des Berliner SEK seit ihrer Gründung im Oktober 1973 in über 7.600 Einsätzen ihre Schußwaffe bisher nicht einmal gegen Menschen einsetzen müssen: „Wer, wie die SEK-Beamten, bei jedem Einsatz damit rechnen muß, die Schußwaffe zu gebrauchen“, so der heutige Leiter des Berliner SEK, Polizeidirektor Martin Textor, „der sucht ständig nach Mitteln und Wegen, auch beim Vorliegen von tatsächlichen Gründen zum Schußwaffengebrauch den Täter auf andere Art und Weise zu überwältigen“. In den vergangenen Jahren sind allerdings bei verschiedenen Einsätzen scharfe Kampfhunde auf die Beamten gehetzt worden. Dabei machten sie die Erfahrung, daß diese Hunde mit normalen Dienstpistolen nicht zu stoppen waren. Seither gehören auch Schrotflinten zur Standardausrüstung.

Das Eintrittsalter der Polizisten in die Spezialeinheiten ist bei den einzelnen Länderpolizeien unterschiedlich geregelt. Bei den Berliner Sondereinheiten SEK und PSK sind die Bewerber mindestens 27 Jahre alt und verfügen in der Regel bereits über zehn Jahre Berufserfahrung im Polizeivollzugsdienst, bevor sie eine Chance haben, sich beim zuständigen Referat ‚Einsatzerprobung und Sonderaufgaben‘ (EuS) vorstellen zu dürfen. Während des mehrtägigen Eignungstests, an dessen Beginn eine intensive sportmedizinische Untersuchung steht, wird nicht nur die körperliche Konstitution des Bewerbers getestet, sondern auch dessen Fähigkeit im Umgang mit der Dienstwaffe. In einem Rollenspiel, das per Video aufgezeichnet und anschschließend ausgewertet wird, wird der Bewerber verschiedenen, nicht alltäglichen Situationen ausgesetzt. Geprüft wird dabei, wie sich der Beamte auf unterschiedliche Situationen einstellt, und sie letztlich bewältigt. Den Abschluß der Eignungsprüfung bilden psychologische Tests, mit denen versucht wird, die Persönlichkeitsstruktur und die Intelligenz des Bewerbers zu ermitteln. Der Intelligenztest muß einen Quotienten von mindestens 100 ergeben. In 99 von 100 Fällen reichen diese Tests aus, ‚die Spreu vom Weizen zu trennen‘: Profilierungssucht beispielsweise ist weder beim SEK noch dem PSK gefragt.

Während die GSG 9 fast ausschließlich gegen Terroristen eingesetzt wird, müssen die SEKs mit jeder Art von bewaffneten Gangstern fertig werden. Keine Situation gleicht der vorhergehenden. Das wiederum bedeutet, daß alle nur denkbaren Möglichkeiten variantenreich durchgespielt und frühere Einsätze analysiert werden müssen. Vor allen Dingen muß jedes Teammitglied blind auf den Kollegen und dessen Fähigkeiten vertrauen können. „Einsatz-bezogenes Training“ wird dies beim SEK Berlin genannt. „Wer nicht taktische Erkenntnisse schnell und effektiv umzusetzen versteht, Finten nicht parat hat, Alternativen für das Verhalten, zum Beispiel bei zahlenmäßiger Unterlegenheit, nicht realisieren kann, ist nicht optimal einsatzbezogen trainiert. Wer beim einsatzbezogenen Konditionstraining physische Höchstleistungen sucht, zeichnet ein falsches Anforderungsprofil des idealtypischen SEK-Beamten“.

Normalerweise sind es bewaffnete Bankräuber, Mordverdächtige, Geiselgangster oder Hijacker, gegen die das SEK vorgeschickt wird. Die Beamten trainieren daher in regelmäßigen Abständen auch an verschiedenen Flugzeugtypen, wie und wo am schnellsten in die Maschinen eingedrungen und Flugzeugentführer überwältigt werden können. Das Berliner SEK hat hierzu seit Jahren gute Verbindungen zu den Fluggesellschaften, die den Flughafen Tegel anfliegen und dort ihre Maschinen zum ‚Trainings-Sturm‘ zur Verfügung stellen. Abseits des offiziellen Flughafenteils wird immer wieder geübt, imaginäre Hijacker zu überwältigen.

Neben der Bekämpfung solcher Art von Schwerstkriminalität wird das SEK seit Jahren aber auch als Festnehmetrupp bei Krawallen, beispielsweise am 1. Mai in Berlin, eingesetzt. Bei der Räumung besetzter Häuser an der Mainzer Straße im Stadtteil Friedrichshain im November 1990 wurde das SEK vorgeschickt, um über die stark befestigten Dächer vorzudringen.

Ausbildungsdefizite

Was die Beamten indes nicht lernen, ist, das im Einsatz Erlebte anschließend zu verarbeiten. „Wir werden spitzenmäßig ausgebildet. Für den Einsatz. Aber nach dem Einsatz kommt das große Loch, auch dann, wenn er gelungen ist“, klagt ein Kölner SEK-Beamter.

Die psychologische Betreuung hat sich mit den Jahren jedoch deutlich ver-bessert. Auch bei der Einsatzplanung sind heute Psychologen dabei, um mit wissenschaftlichen Methoden immer neue Tricks zu entwickeln, mittels derer ein Täter überwältigt werden kann. Andererseits müssen sie auch für die Probleme der Beamten ein offenes Ohr haben. Wer steht z.B. den Beamten nach einem tödlichen Schuß bei, auf den sie zwar technisch intensiv vorbereitet worden sind, dessen Konsequenzen sie aber ganz allein mit sich abmachen müssen?

In Köln haben Psychologen in zwei Fällen helfen können, in denen Beamte mit den Folgen ihres Schußwaffengebrauchs nicht fertig geworden sind. Hätte es die Psychologen nicht gegeben „wären sie behandelt worden wie früher, wo einem der Einsatzleiter auf die Schulter geklopft und gesagt hätte: „das war zwar Scheiße, aber vergeßt es einfach.“

Werner Schmidt ist seit 1988 Polizeireporter der Berliner Tageszeitung ‚Der Tagesspiegel‘.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

Bild: Wikipedia (Bundesarchiv, B 145 Bild-F054220-0024 / Wienke, Ulrich / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv B 145 Bild-F054220-0024, Bundesgrenzschutz, GSG 9, CC BY-SA 3.0 DE)

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