Bundesgrenzschutz am Frankfurter Flughafen – Asyldrehscheibe Rhein-Main

von Jürgen Korell

Am 1. April 1952 übernahm der Bundesgrenzschutz die Zuständigkeit für den Paßkontrolldienst und begann damit seinen Dienst am Frankfurter Flughafen. Gleichzeitig mußten bundesweit 686 Paßkontrolleure ihren Dienst beim BGS antreten. Nachdem für den Flughafen Rhein-Main das Paßkontrollamt Idar-Oberstein am 24.6.53 die Dienstaufsicht übernommen hatte, wurde im April 1961 die Paßkontrollstelle in Grenzschutzstelle Frankfurt/Main Flughafen umbenannt. Nach der Erweiterung des Flughafens 1972 durch das ‚Terminal Mitte‘ versahen 1978 ca. 120 Bundesgrenzschützer Dienst am Flughafen. 1982 wurde die Grenzschutzstelle zur Zweigstelle des Grenzschutzamtes Saarbrücken und ist mittlerweile auf ca. 140 Beamte angewachsen.

Am 15.10.86 wurde das Grenzschutzamt Frankfurt/Main mit sieben Sachgebieten ins Leben gerufen. Neugeschaffen wurden die Gebiete ‚Schub‘ und ‚Asyl‘, die es bis dato bei keinem Grenzschutzamt gab. Nach dem 1.1.90 stieg der Personalbestand des BGS am Flughafen auf ca. 275 Bedienstete an. Den größten Personalzuwachs erfuhr er dann durch die Umgliederung vom April 1992, als das Grenzschutzamt Frankfurt/Main dem Grenzschutzpräsidium Mitte in Kassel unterstellt wurde. Seit diesem Zeitpunkt versehen 709 PolizeibeamtInnen, 20 VerwaltungsbeamtInnen, 14 Angestellte und sieben Arbeiter am Frankfurter Flughafen Dienst für den BGS. Bei den 709 BeamtInnen soll es sich ausschließlich um Freiwillige handeln. Fehlstellen werden durch Abordnungen aus den Grenzschutzverbänden aufgefüllt. Sofern auszu-bildende PolizistInnen am Flughafen eingesetzt werden, geschieht dies zusätzlich zum Stammpersonal.

Am 1.1.93 wurden dem Bundesgrenzschutz u. a. die Aufgaben der Luftsicherheit übertragen. Für diesen Zeitpunkt war auch die Verabschiedung der Hessischen Bereitschaftspolizei geplant, die seit 1970 am Flughafen für Sicherheit sorgen sollte, nachdem Anfang der 70er Jahre erste Anschläge im Luftverkehr verzeichnet wurden. Zunächst war vorgesehen, daß der BGS die Aufgaben stufenweise von der Bereitschaftspolizei übernehmen sollte. Im ersten Schritt wurden hierzu am 1.4.92 16 BGS-Kräfte eingesetzt. Als dann jedoch das Bundesinnenministerium entschied, die aus Anlaß des Golfkrieges angeordneten verstärkten Luftsicherheitsmaßnahmen nicht mehr im bisherigen Umfang aufrecht zu erhalten, wurden schlagartig weitere BGS-Kräfte frei, so daß die Übergabe vorgezogen werden konnte . Mit der Übertragung der Luftsicherheitsaufgaben übt der BGS auch die Fachaufsicht über die Kräfte der ‚Flughafen Aktiengesellschaft‘ (FAG) aus, die die Passagier- und Reisegepäckkontrollen durchführen. Daneben obliegen ihm die grenzpolizeilichen Aufgaben wie Paßkontrollen, Ausstellung von Ersatzpässen und Visa. Die Überwachungsmaßnahmen an den Kontrollschaltern führen nach BGS-Angaben täglich zu fünf bis zehn Aufgriffen aufgrund von Ausschreibungen in den polizeilichen Informationssystemen.

Sachgebiete ‚Schub’und ‚Asyl‘

Das Sachgebiet ‚Schub‘ oder ‚Rückführung‘ umfaßt 30 BeamtInnen im Schichtdienst. Sie sind zuständig für die Rückführung jener Menschen, die keine Einreiseerlaubnis erhalten, weil sie aus sicheren Herkunftsländern oder sog. sicheren Drittstaaten kommen, sowie für Abzuschiebende, die von den Länderpolizeien zum Flughafen gebracht werden und für deren Rückflug dann der BGS zuständig ist. Um in diesen Fällen lange Wartezeiten zu vermeiden, ist vereinbart, daß die abzuschiebenden Menschen erst zwei Stunden vor dem Abflug nach telefonischer Ankündigung übergeben werden. Sofern sich „Schüblinge“ der Rückführung widersetzen und die Fluggesellschaft keine Einwände erhebt, wird vom BGS eine Begleitung der betreffenden Personen veranlaßt. Monatlich etwa 1.000 Abschiebungen hat der BGS in Frankfurt durchzuführen. Er verzeichnet damit die höchsten Abschiebezahlen in der gesamten Bundesrepublik, was auf die vielen Direktverbindungen des Flughafens Rhein-Main zurückzuführen ist.

Die faktische Abschaffung des Asylrechts zum 1.7.93 brachte dem BGS neben der Mehrarbeit auch öffentliches Interesse ein. 60 bis 70 BeamtInnen widmen sich im Sachgebiet ‚Asyl‘ der Asylbearbeitung, ohne jedoch hierzu eine besondere Ausbildung erfahren zu haben. Zwar wurden die BeamtInnen in den Bereich der rechtlichen und administrativen Abwicklung ihrer Arbeit eingewiesen, erfuhren aber nichts über Fluchtgründe oder kulturell bedingtes Verhalten von Menschen; geschweige denn, daß die PolizistInnen im psychologischen und sozialpädagogischen Bereich ausgebildet wurden, was insbesondere bei der Betreuung von Flüchtlingskindern dringend nötig wäre.
500 bis 900 AusländerInnen nannten vor dem 1. Juli 93 monatlich das „Zau-berwort Asyl“, wie es ein BGS-Beamter ausdrückte. Im Januar 1994 waren es dann nur noch 167 Flüchtlinge, die auf dem Rhein-Main-Flughafen um Asyl nachsuchten. „Die massiven Barrieren für die Einreise bringen die Flüchtlinge in ihrer Not in nahezu totale Abhängigkeit von kommerziellen Fluchthilfeorganisationen, den sogenannten ‚Schleppern‘, und lassen deren Preise immer weiter ansteigen“, bemängelte der Flughafen-Sozialdienst 1992 in seinem Jahresbericht. 1992 hat sich der seit 1989 abnehmende Trend ein-reisender Asylbewerber auf Rhein-Main fortgesetzt. Dieser Abwärtstrend kann somit nicht allein auf das geänderte Asylrecht zurückgeführt werden, sondern ist nur durch eine zunehmende Abschottung der Flughäfen erklärbar. Durch die Drittstaatenregelung ist der Flughafen aber für viele Flüchtlinge zur einzigen Einreisemöglichkeit geworden, so daß der Schutz vor Verfolgung zum Luxusgut geworden ist.

Der BGS im Asylverfahren

Durch Vorkontrollen bei ankommenden Flugzeugen noch auf der Rollbahn werden Flüchtlinge aus ’sicheren Drittstaaten‘ vom BGS sofort wieder zurückgeschickt. Zwar haben diese Flüchtlinge das theoretische Recht, ein Gericht anzurufen, aufgrund der Verfahrensweise aber keinerlei Möglichkeiten, diesem Recht auch nachzukommen. Flüchtlinge, die sich mit einem gültigen Paß ausweisen können und direkt auf Rhein-Main ankommen, werden vom BGS einer grenzpolizeilichen Befragung unterzogen. Die Befragung soll die Fluchtgründe klären, welche Reiseroute benutzt wurde, ob der Flüchtling allein reiste, die Reise durch eine Organisation vorbereitet wurde usw. Der BGS versichert zwar, daß den Reisenden vor ihrer Erstbefragung genügend Zeit und Ruhe gelassen werde, der Sozialdienst des Flughafens, der sich seit Ende der 70er Jahre schwerpunktmäßig um AsylbewerberInnen kümmert, bestreitet dies allerdings. Er erklärt, daß die BewerberInnen in der Regel noch am gleichen Tag gehört werden und somit erschöpft und desorientiert ihre Rechte häufig gar nicht wahrnehmen können. Verfahrensnachteile können auch durch Sprachschwierigkeiten entstehen. Der BGS verfügt zwar über eine Liste von Dolmetschern, doch nicht für jede Sprache ist sofort ein Übersetzer verfügbar. So kann es möglich sein, daß AsylbewerberInnen zwar leidlich Englisch sprechen, in dieser Sprache jedoch die Verfolgung nicht so darstellen können, wie es ihnen in ihrer Muttersprache möglich wäre.

Nach der grenzpolizeilichen Anhörung kommen AsylbewerberInnen mit gültigem Paß in die ‚Hessische Erstaufnahmeeinrichtung‘ (HEAE) nach Schwalbach, wo die Anhörung durch das ‚Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge‘ (BAFl) stattfindet.
AsylbewerberInnen, die aus einem sog. sicheren Herkunftsland kommen, ebenso wie jene, deren Land als nicht gefährdet gilt und/oder die sich nicht mit einem gültigen Paß ausweisen können, unterliegen dem Flughafenverfahren nach 18 a Asylverfahrensgesetz. Der falsche Paß wird damit zum Indiz gegen einen echten Fluchtgrund, obwohl im Regelfall gerade das Gegenteil der Fall ist. Nach der grenzpolizeilichen Anhörung erfolgt meist unmittelbar die Anhörung durch das BAFl. Hier wirkt sich die mangelnde Unterstützung sowie der Reisestreß häufig noch dramatischer aus. Innerhalb von zwei Tagen muß das BAFl entscheiden. Entscheidet es negativ hat der Flüchtling drei Tage Zeit, einen Rechtsanwalt zu finden, der einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt/Main einreicht. Eine Fristversäumnis bedeutet die Zurückweisung des Flüchtlings. Allein diese Fristen machen deutlich, daß AsylbewerberInnen ohne Unterstützung einen derartigen Verfahrensgang nicht positiv für sich entscheiden können. Selbst Rechtsanwälte sind, um die Fristen einhalten zu können, auf die Mitarbeit des Sozialdienstes angewiesen, der ihnen die erforderlichen Akten zufaxt. Um so dramatischer ist, daß der Flughafen-Sozialdienst vom BGS unter Berufung auf entgegenstehende Datenschutzregelungen keine personenbezogenen Daten erhält.

Frachthalle C 183

Während des Flughafenverfahrens müssen sich die Flüchtlinge 24 Stunden täglich im Transitbereich aufhalten, der als exterritoriales Gebiet gilt. So wird vermieden, daß Flüchtlinge deutschen Boden betreten, damit dann als eingereist gelten und Anspruch auf ein reguläres, unbefristetes Asylverfahren erlangen würden. Zu diesem Zweck wird die bereits im November 1988 eingerichtete Frachthalle C 183 genutzt. Zweimal am Tag sollen die dort Untergebrachten vom BGS ausgeführt werden. Ein hoch eingezäuntes Wiesengelände auf dem Flughafen dient als ‚Frischluftgehege‘. Allerdings hat der BGS nicht immer die Zeit zwei Ausführungen zu gewährleisten, so daß die Flüchtlinge an manchen Tagen die Halle überhaupt nicht verlassen können. „C 183 wirkt sich ähnlich wie eine der hochmodernen Folterkammern aus, in denen Menschen ohne physische Gewalt Höllenqualen erleiden. Tag und Nacht peinigt sie die Angst, in ihre Heimat zurückgeschoben zu werden. Sie werden gewalttätig gegen die eigene Person, rennen sich ein Messer in den Bauch oder treten in den Hungerstreik.“
Zweieinhalb Tage war 1992 die durchschnittliche „Verweildauer“ der Flüchtlinge in C 183, die 1993 höher liegen dürfte. Unter den 20 bis 55 Flüchtlingen, die durch den Sozialdienst betreut werden, gibt es immer mehr Menschen, die sich weitaus länger in dem „Konzentrationslager“ aufhalten müssen. Ein abgewiesener Inder etwa lebt dort bereits seit fünf Monaten, weil er ohne gültige Ausweispapiere einreiste und ihm in Indien ohne gültige Papiere die Einreise verweigert wird.

Jürgen Korell ist Mitglied der ‚Bundesar-beitsgemeinschaft Kritischer Polizisten und Polizistinnen‘ und Redakteur der BAG-Zeitung ‚Unbequem‘
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.