von Udo Kauß
1991 stand erstmals die Wahl eines Landesdatenschutzbeauftragten in Brandenburg an. Auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/GRÜNE bewarb sich um dieses Mandat der Datenschutzexperte Dr. Thilo Weichert. Bei Weichert handelte es sich um einen Politiker der GRÜNEN, der in den Jahren 1982-84 Abgeordneter des Landtages von Baden-Württemberg und als solcher Strafvollzugsbeauftragter seiner Fraktion war. Daneben hat er im Rahmen der Friedensbewegung an Aktionen teilgenommen, die bisweilen ein strafrechtliches Nachspiel hatten. Zum Zeitpunkt der Kandidatur war er Angestellter des Landtages Baden-Württemberg mit Abordnung nach Sachsen. Zuvor hatte das baden-württembergische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) mit Bescheid vom 18.2.91 attestiert, über ihn keine Erkenntnisse gespeichert zu haben, die einer Einstellung in den Öffentlichen Dienst entgegenstehen würden.
Weicherts Kandidatur wurde zunächst – mit Ausnahme aus Kreisen der CDU – von allen Fraktionen des Landtages unterstützt. Während der Koalitionsausschuß und die SPD-Fraktion den Kandidaten nach dessen Vorstellung befürworteten, verlief die Vorstellung in der FDP-Fraktion anders. Dort wurde Weichert von der Abg. Rosemarie Fuchs mit Details und Behauptungen aus seiner politischen Vergangenheit konfrontiert. Fragen der fachlichen Eignung spielten keine Rolle. Aus der Art der von der Abg. Fuchs vorgehaltenen Informationen ließ sich schließen, daß diese nur vom Amt für Verfassungsschutz stammen konnten. Trotz mehrmaligen Nachfragens wurde dies von Frau Fuchs ausdrücklich bestritten und auf Zeitungslektüre verwiesen. Eine Woche später wurde in der Presse berichtet, die Abg. Fuchs sei im Besitz eines am 14.10.91 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verfaßten dreiseitigen Dossiers „Betrifft Thilo Frank Weichert“. Am 15.10.91 habe das BfV weitere 25 Seiten Zeitungsausschnitte über Weichert an das LfV Berlin gefaxt, von wo diese Seiten per Boten der Abg. Fuchs noch am selben Tag überbracht worden seien. Weichert versuchte nun, Hintergründe und Wege dieses Datentransfers zu erfahren, dessen unverkennbares Ziel es war, zu verhindern, daß auch der kleinere Regierungspartner FDP sich für ihn als Datenschutzbeauftragten entschied – schließlich mit Erfolg.
Spurensuche
Es war in Erfahrung zu bringen, daß sich die Abg. Fuchs und der Präsident des BfV, Ekkehard Werthebach, noch aus den letzten Tagen der DDR kannten. Frau Fuchs war enge Vertraute des ehemaligen Innenministers Peter Michael Diestel (CDU), Werthebach damals dessen von der Bundesrepublik abgeordneter Sicherheitsberater in STASI-Angelegenheiten. Daraufhin beantragte Weichert im Oktober 1991 beim BfV Auskunft zu dort über ihn gespeicherten Daten und Unterlagen. Diese wurde am 28.10.91 in Form einer veröffentlichten Erklärung des BfV gegeben:
„1. Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf an öffentliche Stellen zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung auch personenbezogene Daten weitergeben.
2. Das Material ist Frau Fuchs in ihrer Funktion als stellvertretende Innen-ausschußvorsitzende, die dem BfV bekannt war, übergeben worden. Der In-nenausschuß ist mit der Vorbereitung der Wahl des Datenschutzbeauftragten durch das Parlament befaßt.
3. Die Funktion des Datenschutzbeauftragten ist zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung von außerordentlicher Bedeutung.
4. Das Material bestand aus Zeitungsartikeln – z. T. aus eindeutigen öffentli-chen Äußerungen Herrn W’s, in denen er seine politische Einstellung beschrieb und einer zusammenfassenden Darstellung von Veröffentlichungen. W. ging davon aus, daß diese Äußerungen von Dritten wahrgenommen wurden. Es bestand daher kein Eingriff in seine Individualrechtssphäre.“
Am nächsten Tag erhielt Weichert von der Abg. Fuchs erstaunlicherweise die folgende briefliche Antwort: „Ich möchte deshalb feststellen, daß (…) ich nicht als stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses gehandelt habe (und) zu diesem Zeitpunkt (Anhörung in der FDP-Fraktion, Anm. d.V.) die Papiere des Bundesverfassungsschutzes Köln noch nicht vorhanden waren.“
In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 6./7.11.91 antwortete der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI) Eduard Linter (CDU) auf die Frage der Abg. Ingrid Köppe (BÜNDNIS 90/GRÜNE) im Sinne der Presseerklärung des BfV und führte weiter aus: „Rechtsgrundlage für die genannte Weitergabe der Informationen ist 19 Abs. 1 des BVerfSchG unter der Voraussetzung, daß das Parlament Empfänger der Informationen ist. Das BfV hat in der Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden des Innenausschusses des Landtages, der sich mit der Wahl des Landesdatenschutzbeauftragten befassen soll, ein parlamentarisches Organ im Sinne des 19 BVerfSchG gesehen. (…)“
Dieser reinwaschenden Erklärung des BMI mochte der Innenausschuß des Bundestages so nicht folgen. Zwar „akzeptierten“ CDU/CSU und FDP den Vorgang, wiesen jedoch darauf hin, daß sich ein solcher Vorgang nicht wiederholen dürfe. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Alfred Einwag, erklärte, das Vorgehen des BfV sei mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbar . Er hat deshalb den Übermittlungsgang zwischen BfV und der Abg. Fuchs förmlich gem. 25 BDSG beanstandet.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Weichert selbst noch keine Reaktion des BfV auf die erbetene Auskunft erhalten. Auf seine Mahnung erhielt er am 26.11. ein Telefax, das eine Aufzählung der übermittelten Artikel enthielt und als mitübergeben ausdrücklich auch „eine schriftliche Zusammenfassung von im BfV über Sie vorliegenden offenen Erkenntnissen“ nannte sowie u. a. weitere „Hinweise“ (auf Tätigkeit als Kontaktperson von regionalen Trainingsgruppen und Trainingskollektiven für das Training gewaltfreier Aktionen, auf Vorstrafen und auf Tätigkeit als ‚Gegenexperte‘ zu Fragen der Inneren Si-cherheit, Anm. d. V.). Erst auf nochmalige Nachfrage wurden am 27.12.91 die an Frau Fuchs übermittelten Unterlagen selbst zur Kenntnis gegeben.
Der Vorgang hat ein z. T. noch nicht abgeschlossenes juristisches Nachspiel auf mehreren Ebenen:
Zivilklage gegen die Abg. Fuchs
Zunächst versuchte Weichert auf dem Zivilrechtsweg zu erreichen, der Abg. Fuchs verbieten zu lassen, öffentlich weiterhin unwahre aus BfV-Unterlagen gespeiste Behauptungen zu wiederholen, wie sie dies im Parlament getan hatte, als sie sich unter Berufung auf das Material des Verfassungsschutzes gegen ihn als Datenschutzbeauftragten ausgesprochen hatte. Das Antragsverfahren endete zu Ungunsten Weicherts. Nach Ansicht des Kreisgerichts Potsdam-Stadt gingen die Äußerungen der Abg. Fuchs nicht über das hinaus, was im Rahmen einer Parlamentsdebatte hinzunehmen sei. Die Äußerungen seien zudem zu unbestimmt, als daß man daraus entnehmen könne, daß das Rechtsgut der Ehre tatsächlich verletzt worden wäre.
Das Gericht hat dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gerade in der parla-mentarischen Auseinandersetzung einen besonders hohen Wert eingeräumt und deshalb die Äußerungen der Abg. Fuchs als hiervon geschützt angesehen. Nicht auseinandergesetzt hat sich das Gericht allerdings mit der Frage, ob die vorangegangene rechtswidrige Übermittlung des Dossiers hier zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Im Ergebnis geschah dies wohl zu Recht, weil es im Zivilrecht anders als im Strafprozeß und z. T. auch im Verwaltungsrecht kein Verwertungsverbot unzulässig erlangter Daten gibt. Das Recht der Meinungsfreiheit findet seine Grenze allein im – auch strafrechtlich geschützten – Tatbestand der Integritäts- und Ehrverletzung, den das Gericht als nicht erfüllt ansah.
Der Weg zum Verwaltungsgericht
Am 16.1.92 hat Weichert gegen das BfV Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben, um gerichtlich feststellen zu lassen, daß die Datenübermittlung rechtswidrig war. Das BfV blieb bei seiner Auffassung, alles sei rechtmäßig und von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ( 3 BVerfSchG) sowie der vom Amt so definierten „Befugnis zur präventiven Tätigkeit im Bereich der Gefahrenabwehr“ umfaßt. Landesgesetze und Landeszuständigkeiten könnten diese Befugnis des BfV nicht einschränken. Die strittigen Informationen seien an die Abg. Frau Fuchs nur in ihrer Eigenschaft als stellvertretende Vorsitzende des Innenausschuß des Brandenburgischen Landtages übermittelt worden. Dabei handle es sich jedoch um eine „Behörde“ im Sinne von 19 Abs. 1 BVerfSchG. Es müsse von einem „weiten Behördenbegriff“ ausgegangen werden, da der Innenausschuß nicht ein Organ des Verfassungsrechts sondern eine Behörde der Gefahrenabwehr im weitesten Sinne sei.
Das Verwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt, sondern hat ausgeführt, daß ein Parlamentsausschuß niemals Exekutive und damit Behörde im Sinne von 19 Abs. 1 des BVerfSchG sein könne und man sich hier auch nicht auf die Vorschrift des Art. 35 GG (Amtshilfe) berufen könne. Schließlich sei auch nicht festzustellen gewesen, daß die Abg. Fuchs im Auftrag irgendeines Organes des Parlaments von Brandenburg gehandelt habe. Das Verwaltungsgericht hat sich ausdrücklich auch gegen die Auffassung des BfV gewandt, daß öffentlich und allgemein zugängliche Informationen über eine Person zu einer gesetzesfreien Verwendung durch die Geheimdienste führen dürfen. Das Gericht hat in beispielhafter Weise klargestellt: „Das ergibt sich schon aus der Art und dem konkreten Inhalt der hier an Frau Fuchs weitergeleiteten einzelnen Daten, denn es handelte sich bei diesem Material nicht um jedermann zugängliche Erkenntnisse, die zumindest den im politischen Raum Tätigen ohne besondere gezielte (auf Vorinformationen gestützte) Recherche aus allgemeinen Quellen zugänglich waren, sondern um eine spezifische Datensammlung, wie sie gerade für den Tätigkeitsbereich des BfV gekennzeichnet ist. Tatsächlich stellt sich das Vorgehen des BfV als Eingriff in die parlamentarische Willensbildung des Brandenburgischen Landesparlamentes dar.“ .
Das BfV hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, einen neuen Sachverhalt präsentiert und nun eine qualitative Aufspaltung der übermittelten Daten in das dreiseitige Dossier (Bewertung) und die 25seitige Zusammenstellung mit Beiträgen von und über den Verfasser (veröffentlichte Tatsachen) vorgenommen. In bisher nicht gekannter Detailfreude wurde plötzlich der Vorgang der Erstellung des Papieres und dessen Weitergabe nachgezeichnet. Die 25seitige Zusammenfassung sei erst „gegen Mittag“ des 15.10.91 per Telefax an die Außenstelle des Bundesamtes in Berlin gesandt worden. Ein Mitarbeiter der Außenstelle sollte diese Kopien überbringen. Aber bereits am Tage zuvor habe dieser Mitarbeiter anläßlich eines dienstlichen Aufenthaltes im Mutterhaus in Köln vorab ein kurzes nicht als Verschlußsache eingestuftes Papier der Fachabteilung erhalten, in dem im wesentlichen die zu übermittelnden Publikationen (25-Seiten-Papier) erläutert worden seien. Dieses Papier sei zur internen Information des sachfremden Mitarbeiters bestimmt gewesen. In einem Telefongespräch hätte dieser dann Frau Fuchs vorab über den Inhalt des zu übergebenden Materials ausführlich informiert. Erst gegen 17.00 Uhr habe der Mitarbeiter die 25 Blatt persönlich überbracht und, da er mit den Publikationen im einzelnen nicht vertraut gewesen sei, „für sich“ als Hilfestellung das dreiseitige Dossier mitgenommen. Nach Rückkehr in die Dienststelle habe er festgestellt, daß sich das Dossier nicht mehr in seinem Besitz befinde. Als er dann am nächsten Morgen die Abg. Fuchs erreicht habe, habe er sie eigens auf den ausdrücklich internen Charakter und die Nichtverwertbarkeit des Papiers hingewiesen, woran sich Frau Fuchs zu halten versprochen habe. Es sei dann ein Termin für die Abholung vereinbart worden. Diesen Sachverhalt habe der Mitarbeiter seinem Vorgesetzten mitgeteilt, der darüber dem Bundesinnenminister berichtet habe.
Die Motive für solch ungewohnt detaillierte Darstellung geheimdienstlichen Datentransfers folgen prozeßtaktischen Erwägungen. Es ist herrschende Auf-fassung und wurde so auch vom BfV in erster Instanz eingeräumt, daß das Bundesamt zwar Daten anliefern darf, sich einer Bewertung aber zu enthalten hat. Hierzu ist allein der Datenempfänger befugt. Da das BfV in diesem Fall bei der Übermittlung eines bewertenden Dossiers in flagranti erwischt wurde und diesen Sachverhalt selbst bestätigt hat, meint es wenigstens in der rele-vanteren zweiten Instanz das Verdikt offenkundiger Rechtswidrigkeit vermeiden zu können. (Doch wozu braucht ein schlichter Bote überhaupt ein erläuterndes Dossier?) Seine Brisanz bekommt der Sachverhalt dadurch, daß hier der Präsident des Amtes selbst die Datenübermittlung anordnete. Damit von diesem aber jeder Schatten einer rechtswidrigen Anordnung genommen wird, läßt das BfV seine Prozeßbevollmächtigten nun vortragen, das dreiseitige Dossier sollte, obwohl es lediglich offene Informationen enthielte, sogar „laut ausdrücklicher Weisung des BfV-Präsidenten als internes Papier behandelt und nicht der stv. Ausschußvorsitzenden übermittelt werden.“ Es war also wieder ein unaufmerksamer Untergebener…! Es bleibt abzuwarten, ob das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen sich mit solcher Tatbestands-Kosmetik zufrieden gibt.
Strafrechtliche Seite
Die Datenschutzgesetze stellen die illegale rechtswidrige Datenübermittlung unter Strafe. Wenn aber Amtsträger Amtsgeheimnisse (das sind alle nicht of-fenkundigen Daten) unbefugt an Personen oder Stellen außerhalb des Amtes übermitteln, dann ist dies zusätzlich unter Strafe gestellt ( 353b StGB, Bruch des Amtsgeheimnisses).
Weichert hatte im Juli 1993 Strafantrag/Strafanzeige gegen den Präsidenten des BfV und die Abg. Fuchs gestellt. Zur Jahreswende wurde nun bekannt, daß der Bundesinnenminister die gem. 353 b Abs. 4 StGB vom Dienstherrn zu erteilende Ermächtigung zur Strafverfolgung gegeben hat. Es darf gemutmaßt werden, daß die Erlaubnis zu strafrechtlichen Ermittlungen gegenüber dem BfV-Präsidenten höchstpersönlich der eigentliche Grund dafür ist, daß nach nun zweieinhalb Jahren unangefochtener Behauptung der Rechtmäßigkeit des Datentransfers plötzlich eine „ausdrückliche Weisung“ des BfV-Chefs präsentiert wird, an die sich der Bote „versehentlich“ nicht gehalten hat. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt!