von Mitgliedern des ‚EA Berlin‘
Am 12. Dezember 1980 räumte die Westberliner Polizei im Bezirk Kreuzberg einige besetzte Häuser und rief dadurch die größten Demonstrationen und Krawalle hervor, die diese Stadt in den vergangenen Jahren erlebt hatte. Als eine der Folgen dieser Räumungen entstand noch am gleichen Tag der Ermittlungsausschuß (EA). Der EA Berlin war damit nach Hamburg der zweite Ermittlungsausschuß in der Bundesrepublik. Der Hamburger EA hatte sich rund drei Jahre zuvor nach der zweiten großen Brokdorf-Demonstration gegründet. Später wurden Ermittlungsausschüsse auch von den linken ‚Szenen‘ anderer Städte übernommen, wobei die dortigen EAs, meist aus spektakulären Anlässen geschaffen, häufig ebenso schnell wieder aufgelöst wurden. Längerfristige Aktivitäten entfaltete neben Hamburg und Berlin nur noch der EA Frankfurt, der die Folgen der heftigen Proteste gegen die ‚Startbahn-West‘ aufarbeitete.
Die Entstehungsgeschichte des Berliner Ermittlungsausschusses, der hier stellvertretend für alle andere EAs stehen soll, ist in Gänze nur zu verstehen, wenn man/frau sich der politischen Entwicklung der damals geteilten Stadt Berlin seit den unruhigen 60er Jahren erinnert. Der Tod des demonstrierenden Studenten Benno Ohnesorg durch die Schußwaffe des Polizeibeamten Kurras am 2.6.67 und die nachfolgende Gründung des studentischen Untersuchungskomitees zur Aufklärung der Vorfälle und die Aktivitäten des EA in Hamburg können als die (traditionellen) Wurzeln der EA-Gründung angesehen werden.
Die Anfänge
Die heftige Reaktion auf die Polizeigewalt vom 12.12.80 wird erklärbar, wenn man/frau den damaligen sozialen und politischen Hintergrund miteinbezieht: Große Wohnungsnot bei gleichzeitigem Leerstand ganzer Häuserblocks – hervorgerufen durch staatliche Sanierungspolitik und privat-kapitalistische Spekulation – hatten in der Stadt eine Atmosphäre entstehen lassen, die das „Instandbesetzen“ von Häusern begünstigte. Bürgerinitiativen, die sich kritisch mit der Wohnungspolitik auseinandersetzten, sowie ein über die Jahre immer stärker gewordenes Potential Unzufriedener an den Universitäten und in der ‚Szene‘, hatten eine gespannte Situation geschaffen. Der um seine politische Glaubwürdigkeit ringende Stobbe-Senat sowie der Finanzskandal um den Bauspekulanten Dietrich Garski trugen dazu bei, daß die BesetzerInnen ein relativ starkes Umfeld von SympathisantInnen besaßen.
Der Ermittlungsausschuß West-Berlin wurde von Betroffenen, Rechtsanwält-Innen und den FreundInnen von Eingeknasteten zunächst spontan ins Leben gerufen. Ihr Ziel war Informationen zusammenzutragen, ZeugInnen für Festgenommene zu finden und Öffentlichkeit herzustellen.
Trotz mehrfach wechselnder personeller Zusammensetzung entwickelte sich in den folgenden Jahren durch eine kontinuierliche Arbeit aus dem ursprünglich eher lockeren Zusammenhang eine feste Gruppe, die in der politischen Linken schließlich den Charakter einer Institution annahm. Der EA wurde (und wird) von vielen aus der ‚Szene‘, die in unliebsamen Kontakt mit Polizei und Justiz geraten sind, als erste Anlaufstelle wahrgenommen.
Unterstützungsarbeit
An der Arbeit hat sich in den vergangenen 14 Jahren wenig geändert. Nach wie vor organisiert der EA bei Demos und Aktionen aus dem linken Spektrum einen Telefondienst, notiert die erreichbaren Informationen zu Festgenommenen und Opfern von Polizeiübergriffen und organisiert für diejenigen, die Haftrichtern vorgeführt werden sollen, RechtsanwältInnen. Wichtig hierfür ist es, mit den notwendigen Informationen versorgt zu werden, also daß Name, Geburtsdatum, Meldeadresse, Ort und Zeit der Festnahme etc. mitgeteilt werden. Das klappt eigentlich auch heute noch ganz gut; auch wenn sich Demo-TeilnehmerInnen früher etwas mehr über diese Daten ausgetauscht haben.
Im zweiten Schritt werden dann Gedächtnisprotokolle von Polizeiübergriffen und Festnahmen gesammelt, die ggf. den AnwältInnen der Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, damit diese der polizeilichen Phantasie vor Ge-richt etwas entgegensetzen können. Angesichts des gespannten Verhältnisses zur Wahrheit, das Polizei und Staatsanwaltschaft häufig an den Tag legen, ist das Sammeln von Gedächtnisprotokollen und Fotos ein wichtiger Bestandteil der Unterstützungsarbeit. Diese Wichtigkeit ist der Linken in den letzten Jahren allerdings z.T. abhanden gekommen, so daß sich nur noch Wenige die Mühe machen, das, was sie beobachtet haben, auch aufzuschreiben und dem EA zukommen zu lassen. In der Folge bedeutet dies, daß den Betroffenen vor Gericht unterdessen häufig nicht geholfen werden kann.
Öffentlichkeitsarbeit
Die zweite Aufgabe des Ermittlungsausschusses liegt in der Öffentlichkeits-arbeit. Schon die erste EA-Gruppe von 1980 hat seinerzeit die Abläufe und Nachfolgeereignisse der Dezemberräumungen in Broschüren dokumentiert. Umfangreichere Dokumentationen sind danach allerdings nur noch in einem Fall, der ‚1.-Mai-Demonstration‘ von 1987 und den Protesten gegen den Besuch des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan im gleichen Jahr, erstellt worden. Anläßlich größerer Ereignisse wird jedoch auch heute noch versucht, durch Pressekonferenzen ein wenig Gegenöffentlichkeit zum überall verbreiteten Polizeibericht herzustellen.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Aufklärungsarbeit besteht darin, die Menschen über ihre Rechte und Verhaltensmöglichkeiten vor, bei und nach einer Festnahme zu informieren. Diese Situation ist für die beteiligten Polizi-stInnen eine Routinesache, während sich die Festgenommenen in der Regel das erste Mal in einer für sie unangenehmen und unübersichtlichen Lage befinden, was von den BeamtInnen gerne ausgenutzt wird. Um hier nicht fatale Fehler zu begehen, ist die Kenntnis der eigenen Rechte und Möglichkeiten notwendig. Daher wurden hierzu in der Vergangenheit von Ermittlungsausschüssen verschiedene Broschüren (z.T. mit den ‚Autonomen Sanitätergruppen‘ dieser Zeit) und Flugblätter erarbeitet. Zwar kommt dies derzeit kaum noch vor, doch auch heute beteiligt sich der EA Berlin stets mit eigenen Beiträgen an Diskussion, z.B. über Aussageverweigerung und Verrat.
Auch wenn der Ermittlungsausschuß Klagen gegen die ‚Grün-weißen Schlä-gertrupps‘ vor deutschen Gerichten wenig Chancen einräumt, da solche Ver-fahren in der Regel von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden, unterstützt er solche Vorhaben nach Kräften.
Finanzierung
Die Arbeit des EA wird ausschließlich über Spendengelder finanziert. Aus dem Bewußtsein einer gemeinsamen Verantwortung für die Folgen der Repression ist beim EA seinerzeit ein Geldtopf entstanden, aus dem Kosten für RechtsanwältInnen übernommen werden können, wenn Betroffene nicht in der Lage sind, das hierfür notwendige Geld selbst aufzutreiben. Die Beurteilung der Bedürftigkeit wird dabei den Betroffenen selbst überlassen: Ihre Angaben zu überprüfen, dazu besteht weder die Lust noch die Möglichkeit. Wenn es in der Kasse eng wird – wie in den letzten zwei Jahren – muß die Unterstützung der Verfahren eingeschränkt werden, so daß z.Zt. nur Prozesse finanziert werden, die für die Betroffenen im Knast enden können.
Der Großteil des Geldes fließt somit in die Prozeßunterstützung, aber auch Telefon, Porto, Kopierkosten und eine ziemlich hohe Raummiete wollen bezahlt sein. Die anfallende Arbeit geschieht selbstverständlich unentgeltlich.
Und weiter ?
Auch nach 14 Jahren zeigt der Gebrauch von Schlagstock, Tränengas und Wasserwerfern durch die Polizei, daß die Arbeit von Ermittlungsausschüssen nichts an Notwendigkeit und Wichtigkeit verloren hat. Auch in Zukunft wird sich wenig an der Erfahrung ändern, daß Widerstand aus dem linken Spektrum von Seiten des Staates mit Repression beantwortet wird. Die Verschärfungen der letzten Jahre im Strafgesetzbuch, der Strafprozeßordnung und beim Demonstrationsrecht werden ebensowenig wie die polizeiliche Aufrüstung zurückgenommen werden, sondern eher ausgebaut – siehe ‚Großer Lauschangriff‘.
So wie die Dinge liegen, wird es wohl noch eine ganze Weile notwendig sein, ‚unseren Dienst‘ zu tun und den linken Widerstand gegen dieses Gesell-schaftssystem zu unterstützen – wenn die Linke auch uns unterstützt.
EA Berlin: Die VerfasserInnen bilden den derzeitigen Berliner Ermittlungsausschuß.
Ermittlungsausschuß Berlin, Gneisenaustr. 2a, 10 961 Berlin, Tel.: 692 22 22 (dienstags 20.00 – 22.00 Uhr und bei Demos)
Spendenkonto: Sonderkonto Klaus Schmidt, Postgiroamt Berlin, Blz: 100 100 10, Kto: 206 10-106